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Klaus-Jürgen Bremm
„Die Waffen-SS“

Die Angehörigen der Waffen-SS galten vielen in der BRD als eiserne Kämpfer. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl erwies beim Besuch auf dem Bitburger Soldatenfriedhof auch ihren Gräbern die Ehre. Was die Waffen-SS tatsächlich war, beschreibt ein Buch des Militärhistorikers Klaus-Jürgen Bremm.

Von Peter Carstens |
Der Reichsführer der SS (Schutzstaffel), Heinrich Himmler, hält aus dem Auto heraus ein Ansprache vor jungen SS-Männern. Undatierte Aufnahme.
Der Reichsführer der SS (Schutzstaffel), Heinrich Himmler, hält aus dem Auto heraus ein Ansprache vor jungen SS-Männern. Undatierte Aufnahme. (dpa / picture alliance / Bildarchiv)
Die SS war zunächst die persönliche Schutztruppe des Diktators. Unter dem Zeichen des Totenkopfes führten SS-Männer die Aufsicht über die Konzentrationslager und waren später Beauftrage des Massenmordes. Aus dieser Truppe stellte Heinrich Himmler die Waffen-SS als eigenständigen Truppenteil neben der Wehrmacht auf. Zum Ende des Krieges hatte sie etwa eine Millionen Mann unter Waffen. Von denen behaupteten selbst amerikanische Autoren später:
"Die Waffen-SS sei stärker motiviert und straffer organisiert gewesen und habe daher besser als das Heer gekämpft. Die Truppe sei eine Bruderschaft gewesen."
Aber war das tatsächlich so? - Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm hat sich die Mühe gemacht, die rasante Ausdehnung sowie die Schlagkraft und Erfolgsmeldungen der angeblichen Kampf-Elite genauer unter die Lupe zu nehmen. Er kommt dabei zu einem ganz anderen Schluss:
"Himmlers fatale Praxis der Expansion um jeden Preis schmälerte nicht nur erheblich die Kampfkraft seiner SS-Verbände, sie beeinträchtigte in den letzten Kriegsjahren auch die Einsatzfähigkeit der Wehrmacht. Die wachsende Zahl von Verbänden der Waffen-SS band wertvolle Ressourcen an Führern und Ausrüstung. Dabei blieben Verbände der SS […] oft monatelang den bedrängten Fronten fern."
Privilegierte Chaos-Truppe
Wo sie dann doch auftauchten, zeichneten sich ihre Divisionen unter Namen wie "Leibstandarte Adolf Hitler", "Das Reich", oder später "Frundsberg" weniger durch militärische Effizienz als durch Eigenmächtigkeit und Brutalität aus. Abgesehen von einigen Noteinsätzen an der bröckelnden Ostfront blieben ihre Leistungen in den Augen der Wehrmacht-Führung und auch des nachträglichen Betrachters bestenfalls durchschnittlich. Ihre hohen Verluste galten in der Wehrmacht als Resultat schlechter Führung. So schreibt der Autor:
"Fanatismus, Elitebewusstsein und unbedingter Gehorsam, die Eckpfeiler im Weltbild der SS spielten im modernen, technisierten Bewegungskrieg offenkundig nur eine untergeordnete Rolle. Selbst Himmler musste einsehen, dass der bedingungslose Einsatzwille seiner Truppe vor allem zu hohen Verlusten geführt hatte."
Klaus-Jürgen Bremm beschreibt in seinem Buch, wie Himmlers zunächst kleine SS-Truppe nach den Morden an ihren Kameraden von der SA rasch zur Nebenarmee wurde. Ihre Offiziere kamen überwiegend aus niederen Reichswehr-Rängen, von der Polizei oder fanden sich unter notorischen Schlägern und Sadisten. Hauptsache sie passten ins arische Rasse-Schema.
Waffen-SS war hauptsächlich auf Morden und Plündern aus
Die Wehrmacht sah zunächst kein Problem in der Aufstellung von ein, zwei Divisionen. Die fielen bei den Angriffen auf Polen und dann Frankreich dadurch auf, dass sie schlecht geführt waren, geringe Erfolge erzielten, aber sogleich zum Morden und Plündern übergingen.
Die Wehrmacht nahm das hin oder sprach in Berichten salopp vom "frischen Tatendrang" der Waffen-SS. Während reguläre Panzerdivisionen Europa eroberten, kam die SS anfangs noch per Fahrrad und sogar mit Bussen an die Orte des Geschehens. Zum Morden reichte es aber: So töteten Angehörige der 2. SS-Kavallerie-Standarte gleich zu Beginn des Russland-Krieges innerhalb einer Woche alleine 14.000 Juden. Ihren Kommandeur bezeichnet der Autor als "leidenschaftlichen Massenmörder".
Wo immer die Waffen-SS im Krieg auftauchte, verbreitete sie Terror und Tod. Die Reaktionen darauf waren sowohl in Russland als auch auf dem Balkan nicht minder fanatisch kämpfende Partisanen. An der Westfront lösten Massaker der Waffen-SS – etwa an Zivilisten im französischen Oradour oder an amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen – heftige Gegenreaktionen aus. Auch ein anderes Phänomen beschreibt der Autor: Während die Wehrmacht an allen Fronten kämpfte, war Himmler übermäßig mit Ausbildung und Top-Ausstattung seiner Heerschar beschäftigt. Klaus Jürgen Bremm schreibt dazu:
"Auch als sich in Russland und in Nordafrika die Wende des Krieges abzuzeichnen begann, verharrten die drei kampfstärksten Divisionen der Waffen-SS in ihren französischen Ruheräumen, wo sie sich offenbar nicht nur mit der Verbesserung ihrer Ausbildung befassten. Immer wieder kam es […] zu Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung. […] Während sich das Heer zunehmend verzweifelt an Stalingrad herankämpfte, ließen die Führer der SS-Division (Leibstandarte) ihre Ehefrauen nach Frankreich kommen, nahmen sich wochenlang Urlaub oder fanden noch die Zeit, in völlig betrunkenem Zustand eine alte bretonische Kirche zu verwüsten."
Späte Einsichten in den 80er Jahren
Zu den Freiwilligen kamen im Laufe des Krieges immer öfter zwangsweise Rekrutierte, Balten, Flamen oder so genannte Volksdeutsche aus Osteuropa, die oft nicht einmal lesen konnten. Auch Jugendliche gerieten in das Mahlwerk, wie etwa Günter Grass, der mit 17 Jahren zur SS-Division "Frundsberg" kam.
Der Historiker Klaus Jürgen Bremm beschreibt die Kampfweise der SS sehr detailliert. Streckenweise gerät ihm seine Darstellung von Gefecht zu Gefecht dabei etwas kleinteilig. Überzeugend erläutert er aber, wie sich die Waffen-SS und ihre Generäle schon im Krieg mit Falschmeldungen stilisierten. Selbst krasses Versagen ließ Hitler noch zu Propagandazwecken mit Ritterkreuzen und Lobhudelei beschönigen. Aber auch nach der Kapitulation ging es munter weiter. Zig Bücher und Organisationen machten Werbung in eigener Sache. Erst Kohls Fehlgriff in Bitburg lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die Verbrechen der SS-Verbände. An der juristischen Aufarbeitung hat das wenig geändert. Die meisten Waffen-SS-Anführer blieben weitgehend unbehelligt. So konnte Sepp Dietrich, der einstige Chef von Hitlers "Leibstandarte" wohlversorgt und unbehelligt Alt-Nazis um sich sammeln, bis er 1966 im Alter von 74 Jahren an einem Herzinfarkt starb und von 5.000 Trauergästen zu Grabe getragen wurde. Die Totenrede hielt ein Ex-Kamerad. So ist Bremms Buch über Hitlers "überschätzte Prätorianer" zwar ein insgesamt beachtenswerter aber doch auch verspäteter Beitrag zur tatsächlichen Geschichte der Waffen-SS.
Klaus-Jürgen Bremm: "Die Waffen-SS. Hitlers überschätzte Prätorianer"
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 362 Seiten, 24,95 Euro.