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Klausuren bei Hitze
"Ein Hitzefrei ist gesetzlich nicht geregelt"

Ab ungefähr 26 Grad komme es aus medizinischer Sicht zu Leistungsabfall, sagte der Prüfungsrechtler Arne-Patrik Heinze im Dlf. Doch das reiche den Gerichten für den Fall eines Prüfungsabbruchs nicht. Um sich abzusichern, sei es wichtig, dass Prüflinge zu Beginn der Prüfung rügten, dass es zu heiß sei.

Arne-Patrik Heinze im Gespräch mit Manfred Götzke |
Zwei von schräg hinten aufgenommene Schüler sitzen während der Abiturprüfung an ihren Tischen in nachdenklicher Pose.
Wenn es unverhältnismäßig heiß wird, müsste die Behörde auch aus Schutzerwägungen heraus Veranstaltungen absagen, so der Prüfungsrechtler Heinze im Dlf (picture alliance/dpa/Armin Weigel)
Manfred Götzke: Zu Hause bleiben oder schnell ins Freibad. Gibt ja nicht mehr in allen Bundesländern Anwesenheitspflicht an Hochschulen, da kann man auch schon mal was ausfallen lassen. Schwierig wird es dagegen schon bei Klausuren, vor allem wenn es Pflichtklausuren sind. Welche Regeln in Sachen Hitze es da so gibt, weiß Arne-Patrik Heinze. Er ist Fachanwalt für Prüfungsrecht in Hamburg. Herr Heinze, gibt es für Studierende hitzefrei?
Arne-Patrik Heinze: Jein. Also prüfungsrechtlich kommt es darauf an, befinden wir uns in einer Prüfungssituation als solcher oder geht es um den normalen Universitätsbetrieb. In Prüfungssituationen ist es so, dass es dort Prüfungsabbrüche beziehungsweise -ausfälle geben kann, wobei dort ein gewisser Ermessensspielraum der Behörden besteht, ab wann dies der Fall sein kann. Ein Hitzefrei als solches, sodass man Anspruch darauf hat, letztlich eine Veranstaltung nicht stattfinden zu lassen, ist regelmäßig nicht gesetzlich geregelt, ist allerdings auch nicht ausgeschlossen. Letztlich geht es immer um die Berufsfreiheit Artikel 12 Grundgesetz und den Gleichheitsgrundsatz, und immer dann, wenn es unverhältnismäßig wird und unerträglich, müsste die Behörde auch aus Schutzerwägungen heraus tatsächlich auch Veranstaltungen absagen.
"Rügen, dass es zu heiß ist und unerträglich"
Götzke: Wann ist es denn nicht mehr erträglich?
Heinze: Das ist in der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt. Juristisch gesehen gibt es dort einen großen Spielraum, weil, wie bereits eben benannt, die Grundrechte, die Berufsfreiheit und der Gleichheitsgrundsatz eine große Rolle spielen. Medizinisch gesehen gibt es wohl schon Leistungsabfall ab ungefähr 26 Grad Celsius, das reicht den Gerichten zumindest für Prüfungsabbrüche nicht. Es gibt auch wenige Entscheidungen dazu. Es gab mal eine Entscheidung aus Ende der 70er-Jahre, da hatte man bei 34 Grad gesagt, die Prüfung muss abgebrochen werden, es gibt andere Entscheidungen, die haben 28-einhalb Grad noch für zulässig erachtet. Letztlich kommt es immer auf den Einzelfall an, wie ist die Situation im jeweiligen Raum einerseits, und andererseits, wie stark wehren sich auch Studierende dagegen. Das heißt, es bestehen bestimmte Mitwirkungs- und Rügepflichten. Gerade in einer Prüfungssituation sollten Prüflinge sofort nach vorne gehen, rügen, dass es zu heiß ist und unerträglich – damit steigen zumindest die Chancen, das später anzugreifen, wenn es nicht sogar zu einem Abbruch führen kann oder möglicherweise aufgrund zu erwartender Hitze bereits im Vorfeld eine Rüge erfolgen kann. So ist das beispielsweise vor einiger Zeit gewesen beim Landesjustizprüfungsamt in Nordrhein-Westfalen bei juristischer Schulprüfung.
Hochschulen wollten "prüfungsrechtliche Angreifbarkeit" vermeiden
Götzke: Da hatte man ja die Situation, dass die einen Studierenden einen klimatisierten Raum hatten und die anderen waren im Altbau ohne Klimaanlage, und die haben gesagt, das ist nicht fair so.
Heinze: Exakt. Dort sind wir wieder beim Gleichheitsgrundsatz. Erstens kann man die jeweilige Situation einzeln betrachten und schauen, ist es an dem einen Ort in Ordnung, ist es an dem anderen Ort in Ordnung. Das heißt, wenn es an einem Ort allein betrachtet zu heiß ist, kann das schon dazu führen, dass es unverhältnismäßig wird und letztlich insoweit eine Prüfungssituation unzumutbar ist oder auch eine Unterrichtssituation. Geht es dann zusätzlich noch um eine Ungleichbehandlung, wird es noch wieder schwieriger, wobei dieser Gleichheitsgrundsatz allerdings nur innerhalb der jeweiligen juristischen Person gilt. Das heißt, Sie können beispielsweise nicht sagen, in Bayern wurde jetzt zu der und der Zeit zu einer bestimmten Temperatur geschrieben und in NRW wurde zu einer bestimmten Zeit geschrieben. Das sind unterschiedliche Rechtsträger, nämlich Länder beziehungsweise auch Universitäten sind eigenständige juristische Personen, sie haben eine Vergleichbarkeit nur jeweils innerhalb der juristischen Person. Haben Sie allerdings eine juristische Person und dort ungleiche Behandlung, dann führt das zur prüfungsrechtlichen Angreifbarkeit, und das wollen auch die Hochschulen beziehungsweise Prüfungsämter dann in der Regel vermeiden.
"Viel Spielraum für die Gerichte"
Götzke: Aber grundsätzlich kann man sagen, es gibt jetzt nicht die Temperatur, ab der man sagen muss als Studierender oder auch als Professor, nee, das ist heute einfach zu heiß, wir haben mehr als 30 Grad, wir brechen die Klausur ab oder schreiben sie erst gar nicht.
Heinze: So ist das. Eine festgeschriebene Temperatur gibt es nicht. Die Tendenz in der Rechtsprechung und auch in den juristischen Fachzeitschriften scheint in eine Richtung zu gehen, bei der man davon ausgeht, dass zumindest 30 Grad in der heutigen Zeit, weil die Ozonschicht ein bisschen anders aussieht als noch in den 70er-Jahren, letztlich in eine Unzumutbarkeit abdriften kann. Bei den kühlen Temperaturen ist es so, dass zumindest so bei 12 bis 14 Grad im Raum die Prüfungssituation unzumutbar ist. Ansonsten ist da viel Spielraum für die Gerichte. Allerdings ist es auch so, dass diese Verfahren häufig nicht vollständig durch alle Instanzen durchgezogen werden von Mandanten. Es ist so, dass man eigentlich schon ab dem Moment der medizinischen Beeinträchtigung natürlich sagen kann, dass es unverhältnismäßig wird, weil dann auch wieder ungleiche Situationen entstehen. Wenn jetzt ein Prüfling beispielsweise eine Klausur schreibt, die meinetwegen bei 30 Grad angefertigt wird, und ein anderer bei 26, dann ist derjenige, der bei 30 Grad schreibt, vielleicht anders beeinträchtigt. Und wenn die Abschlüsse dann von derselben juristischen Person kommen und verglichen werden, kann das auch zu Ungleichbehandlungen führen, die möglicherweise dann auch relevant sind für etwaige Prüfungsanfechtungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.