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Klaviermusik von Schubert und aus Japan

Der Pianist Gerhard Oppitz hat zwei neue CDs veröffentlicht. Um neuere japanische Klaviermusik handelt es sich bei der einen, um Schubert-Werke bei der anderen Platte.

Von Johannes Jansen |
    "Keiko Fujiie, Lullaby of the Waves, aus: Suite "On the Water's Edge"
    CD I, Track 12"

    Ein Moment der Irritation, aber schnell ist klar: Weder Chopin noch Liszt haben hier die Hand im Spiel. Keiko Fujiie heißt die Komponistin dieses "Wiegenlieds der Wellen" aus der Suite "On the Water's Edge". Gerhard Oppitz ist der Pianist. Um japanische Klaviermusik dreht es sich auf seiner neuesten CD. Zeitgleich erschienen ist Folge 6 seiner Schubert-Gesamteinspielung.

    "Lullaby of the Waves" – das klingt nach musikalischer Postkartenidylle. Und wer "A Dream of Floating in a Swimmingpool at Midnight" hört – schon dieser Titel! –, wird denken, er habe sich im Regal geirrt. Ist das wirklich "neue" Klaviermusik? Oder fällt es schon in die Kategorie "klassisch abhängen"?

    "Keiko Fujiie, Dream of Floating in a Swimmingpool…, aus: Suite "On the Water's Edge"
    CD I, Track 5"

    In Japan eine angesehene Komponistin und Trägerin höchster Auszeichnungen, ist Keiko Fujiie im Westen, wenn überhaupt, vor allem durch Werke für ihren Ehemann Kazuhito Yamashita bekannt, eine lebende Legende unter den Heroen der klassischen Gitarre. Auch vom "Lullaby" aus der 2003 entstandenen Klaviersuite "Am Rand des Wassers" existiert eine gezupfte Version, in der sich das Chopineske etwas verflüchtigt. Das macht es allerdings auch nicht leichter, dieser Musik gerecht zu werden, die man vielleicht allzu schnell geneigt ist, als hoffnungslos nostalgisch abzutun. Aber würde ihr dann Gerhard Oppitz, so sehr er sich allem Japanischen verbunden fühlt, neben Komponisten wie Toru Takemitsu die Hälfte der Spieldauer seiner CD einräumen? Er tut es jedenfalls und nimmt sie im Begleitheft vor dem Kitsch-Verdacht in Schutz, indem er ihr nicht nur Imaginationskraft, Intelligenz und Poesie, sondern sogar eine Zauberwirkung auf die Zuhörer bescheinigt und all seine Spielkunst angedeihen lässt. Zugleich sei es eine Musik, fügt der bayerische Meisterpianist hinzu, die nicht überreden oder überzeugen will. Aber gefallen, das will sie schon...

    Weniger zarten Versuchungen setzt uns Gerhard Oppitz mit drei anderen Werken aus, die man getrost als Höhepunkte japanischer Klaviermusik im 20. Jahrhundert bezeichnen darf. Die 1982 entstandene "Regenbaumskizze" von Toru Takemitsu, der übrigens auch ein großer Liebhaber der Gitarre war, lässt sich der Klaviermusik von Messiaen an die Seite stellen. So hat es Takemitsu selbst zehn Jahre später mit seinem zweiten "Rain Tree Sketch in memoriam Olivier Messiaen" getan. Aus dem Wasser – und da werden Gemeinsamkeiten mit Keiko Fujiie offenbar – schöpfte der 1996 verstorbene Avantgardist mehr als nur flüchtige Inspiration. Es-E-A (deutsch verstanden, aber englisch ausgesprochen: "sea") wurde ein zentrales Motiv der post-experimentellen, nach eigener Einschätzung "romantischen" Phase seines Komponierens in Wiederannäherung an Tonalität und Tradition.

    "Toru Takemitsu, Rain Tree Sketch
    CD I, Track 13"

    "Softly" lautet die Hauptspielanweisung, es dominieren verhaltene Tempi mit Morendo-Abschnitten und dreifach abgestuften Ritardandi. Sich aber von dieser romantischen Grundstimmung treiben zu lassen, ist Oppitz' Sache nicht. Vom Gestaltungsspielraum der Partitur macht er zurückhaltend Gebrauch und betont stattdessen die formale und melodische Kontur. Das kommt auch "La terre est bleue comme une orange" nach einem Gedicht des Surrealisten Paul Éluard zugute. Geschrieben hat dieses nicht minder klangverliebte, doch eminent pianistische Werk Shinichiro Ikebe. Wie Takemitsu machte Ikebe als Filmkomponist unter anderem für Akira Kurosawa von sich reden.

    "Shinichiro Ikebe, La terre est bleue comme une orange
    CD I, Track 14"

    Als Fragezeichen und Aufforderung zum In-sich-Hineinhören, so versteht Gerhard Oppitz die Fermaten in Ikebes Klavierstück, aus dem ein an Takemitsu geschultes Klangempfinden spricht, aufgeladen aber mit kräftigen Impulsen aus Jazz und Minimal-Musik. Vor Energie zu bersten droht das letzte Werk dieser CD: eine große dreisätzige Klaviersonate von Saburo Moroi, deren Anfang und Ende beinahe identisch sind. Nicht von ungefähr fühlt Oppitz sich an Liszts h-Moll-Sonate erinnert und nimmt eine angemessen virtuose Haltung ein, wobei auch hier die Betonung auf "angemessen" liegt, denn in allem, das da auszuufern droht – Tempo, Dynamik, Gesamtumfang –, legt er das Ordnende frei. Versachlichung könnte man es nennen und auf Hindemith verweisen, den Oppitz als zweite prägende Gestalt hinter diesem selbstbewusst auftrumpfenden Werk vermutet, das Ende der dreißiger Jahre nach einem längeren Berlin-Aufenthalt entstand. Hier der zweite Satz: Scherzo – Presto Appassionato.

    "Saburo Moroi, Scherzo – Presto appassionato, aus: Klaviersonate Nr. 2
    CD I, Track 16"

    Umfangreich wie die Klaviersonate Nr. 2 von Saburo Moroi und doch nur ein Fragment ist die sogenannte "Reliquie" von Schubert: zwei Sätze mit dem Gewicht von vieren, aber vergleichsweise arm an Kontrasten und oberflächlicher Entwicklung. Wie man solch ein Ungetüm in den Griff bekommt, zeigt Gerhard Oppitz in der jüngsten Folge seines Schubert-Zyklus. Auch auf diese zweite Neuerscheinung sei noch kurz eingegangen. Es ist ein Wien-Ausflug, der wie das japanische Programm nicht zuletzt durch die Gesamtdramaturgie besticht, nur mit umgekehrtem Spannungsverlauf. Das Ungefüge der C-Dur-Sonate mit ihren himmlischen Längen wird ausbalanciert durch die im Zentrum stehenden ersten Vier Impromptus und darauffolgenden Zwölf Deutschen Tänze aus dem Jahr 1823: himmlische Leichtigkeit, die es aber in sich hat.

    " Franz Schubert, Deutscher in es-Moll, aus: Zwölf Deutsche Tänze D 940
    CD II, Track 15"

    Folge 6 der Schubert-Gesamteinspielung von Gerhard Oppitz ist wie seine kleine Anthologie neuerer japanischer Klaviermusik bereits im Handel, vertrieben durch das Label Hänssler Classic SCM.

    "Japanese Piano Works"
    Werke von Keiko Fujiie, Toru Takemitsu, Shinichiro Ikebe und Saburo Moroi)
    Hänssler Classic 4010276024507, LC 06047, Prod. 2011

    "Schubert Piano Works Vol. 6"
    C-Dur-Sonate [Reliquie] D 940, Allegretto c-Moll D 915, Impromptus D 899, 12 Deutsche D 790)
    Hänssler Classic 4010276021001, LC 06047, Prod. 2011