Volksmelodien, Nr. 7
Sie sind kurz und bündig, die 12 Volksmelodien für Klavier von Witold Lutoslawski, wobei die gerade verklungene Nr. 7 mit 80 Sekunden noch zu den längsten Stücken der Sammlung gehört. Allerdings spricht aus ihnen auch eine gewisse politische Botschaft: Denn für seine Klavierminiaturen wählte Lutoslawski 1945 aus einer polnischen Liedersammlung Melodien aus allen Gegenden seiner Heimat aus. Dazu zählten auch Masuren und Schlesien, zwei Gebiete, die eine sowohl polnische als auch deutsche Geschichte aufweisen und die nach dem Willen der alliierten Siegermächte von Deutschland an Polen als Kriegsentschädigung abgetreten werden mussten. Am 22. Juli 1946 wurden die Volksmelodien in Warschau uraufgeführt – und zu einem Erfolg für Lutoslawski.
Volksmelodien, Nr. 12
In ihrer Klangsprache erinnern die Volksmelodien sicher nicht zufällig an die Volksliedbearbeitungen Béla Bartóks; immerhin gehörte der ungarische Komponist zu den großen Vorbildern Lutoslawskis. Beide sahen in den einfachen Melodien die Möglichkeit, diese mit neuen und zum Teil unkonventionellen harmonischen Strukturen zu kombinieren. Vorbildhaft war für Lutoslawski auch die impressionistische Klangwelt Claude Debussys und Maurice Ravels. Die beeinflusste deutlich hörbar seine 1934 während der Studienzeit in Warschau entstandene Klaviersonate.
Sonate, 1. Satz
Am 16. Februar 1935 spielte Lutoslawski seine Sonate in einem Warschauer Philharmonie-Konzert erstmals öffentlich und erntete allgemeine Anerkennung. Ein Kritiker schrieb:
"Dieses Werk lässt ein höchst erfreuliches Talent auf solider Basis erkennen. In der Sonate fällt
vorrangig die Fähigkeit des Komponisten zur Reflexion auf, die Ehrlichkeit des Ausdrucks und – als charakteristisches Merkmal – die vollkommene Ablehnung äußerlicher Effekte, was sich besonders in der Vermeidung konventioneller, größtenteils alltäglicher Klänge zeigt."
vorrangig die Fähigkeit des Komponisten zur Reflexion auf, die Ehrlichkeit des Ausdrucks und – als charakteristisches Merkmal – die vollkommene Ablehnung äußerlicher Effekte, was sich besonders in der Vermeidung konventioneller, größtenteils alltäglicher Klänge zeigt."
Lob kam auch von Polens führendem Komponisten Karol Szymanowski; Lutoslawski allerdings ging mehr und mehr auf Distanz zu der Sonate, die er als nicht ausgereift betrachtete und eine Drucklegung ablehnte. Erst 2004, zehn Jahre nach seinem Tod, veröffentlichte ein polnischer Musikverlag das Manuskript. Mit fast einer halben Stunde Dauer nimmt die dreisätzige Sonate, kraftvoll und filigran zugleich interpretiert von der polnischen Pianistin Ewa Kupiec, fast die Hälfte der CD mit allen Klaviersolo-Werken Lutoslawskis ein.
Sonate, 3. Satz
"Mein Lieblingsinstrument ist das Orchester. Seit meiner Kindheit war ich vom Orchesterklang fasziniert, die im Orchester schlummernden Möglichkeiten haben meine Fantasie schon immer fasziniert. Vielleicht bin ich noch einer der letzten Komponisten, die sich ernsthaft für dieses Medium interessieren.“
Das sagte Witold Lutoslawski im September 1973 in einem Interview. Das Klavier dagegen spielte nur zu Beginn seiner Komponistenkarriere eine wichtige Rolle – und es half ihm, im von der deutschen Wehrmacht besetzten Warschau zu überleben. In einem Café trat er als Pianist auf und bearbeitete viele Werke anderer Komponisten für vierhändiges Klavier. Die so genannten 'Paganinivariationen‘ von 1941 gehören bis heute zu Lutoslawskis bekanntesten Werken; dagegen sind die im gleichen Jahr entstandenen zwei Etüden, in der sich seine Musiksprache im Vergleich zur Sonate deutlich verändert hat, nur selten zu hören.
Etüde Nr. 1
Ewa Kupiec, die gerade die erste der zwei Etüden von Witold Lutoslawski spielte, lernte den Komponisten noch in den 1980er Jahren persönlich kennen. Dieser bezeichnete die Interpretationen der jungen Pianistin begeistert als ‚wahre Offenbarung‘. Kupiecs CD mit allen Werken für Klavier solo kam noch rechtzeitig vor dem Ende des Lutoslawski-Jubiläumsjahres 2013 zum 100. Geburtstag heraus und wirft einen überaus interessanten Blick auf den kaum bekannten polnischen Klavierkomponisten. Dass dessen Oeuvre für das Instrument so schmal ausgefallen ist, liegt nicht nur an seiner Vorliebe für das Orchester, sondern auch an der Vernichtung vieler Klavierwerke im Krieg. Die ab 1945 entstandenen Kompositionen wie die Volksmelodien oder der fünfteilige Miniaturzyklus 'Bukoliki‘ schrieb Lutoslawski in erster Linie für den pianistischen Nachwuchs. ‚Bukoliki‘, wo wiederum traditionelle polnische Volkslieder verarbeitet wurden, avancierte rasch zu den wichtigsten pädagogischen Klavierwerken des Landes.
Bukoliki, Nr. 2 und 3
1953, ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Bukoliki", schrieb Lutoslawski mit den gut fünf Minuten dauernden "Drei Stücken für die Jugend" sein letztes größeres musikpädagogisches Klavierwerk. Das stellt jedoch deutlich höhere technische und künstlerische Anforderungen an die Ausführenden und knüpft damit an die Etüden von 1941 an. 15 Jahre später, Lutoslawski beschäftigte sich intensiv mit den Werken von John Cage, entstand seine letzte Komposition für Klavier solo: das gerade mal 50 Sekunden lange Stück "Inwencja". Es rundet diese CD ab, die für mich sowohl vom Repertoirewert als auch in interpretatorischer Hinsicht eine echte Bereicherung ist.
Lutoslawski, Stücke
Das waren zwei der "drei Stücke für die Jugend" und „Inwencja“ von Witold Lutoslawski, gespielt von der Pianistin Ewa Kupiec. Ihre neue CD mit sämtlichen Werken für Klavier solo des polnischen Komponisten ist beim Label Sony Classical erschienen. Am Mikrofon verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Klaus Gehrke.