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Klebeschinken aus Fleischresten

Mithilfe der modernen Lebensmitteltechnik lassen sich kleinste Fleischstücke so zusammenkleben, dass das Ergebnis aussieht wie ein saftiger Schinken. Ein neuer Zusatzstoff, mit dem solche Kreationen billiger zu produzieren sind, ist heute Thema im Europaparlament.

Von Doris Simon |
    Grundsätzlich haben die Abgeordneten im Europäischen Parlament kein Problem mit Fleisch: das beweist die lange Schlange in der Kantine, wo Abgeordnete und Mitarbeiter geduldig auf Tournedos und Lendenstücke warten, blutig, medium oder durchgebraten. Weniger übersichtlich sind die Verhältnisse bei der heutigen Abstimmung. Auch bei der geht es um Fleisch, aber um zusammengesetztes: Die Europaparlamentarier müssen entscheiden, ob Thrombin als Zusatzstoff für die Herstellung von Lebensmitteln zugelassen wird.

    Clevere Chemiker haben herausgefunden, dass sich das Enzym hervorragend als Fleischkleber eignet: Tausende von winzigen Fleischresten, die mechanisch vom Tierknochen herunter gefräst werden, lassen sich mithilfe von Thrombin billig zu Formfleisch zusammenfügen. Klingt unappetitlich, räumt der CDU-Europaabgeordnete Horst Schnellhardt ein:

    "Wenn ich das so höre mit Klebefleisch, dann würde ich sagen: Igitt!"

    Aber genau so will es Schnellhardt eben nicht sagen: Emotionen seien fehl am Platz, findet der Fachtierarzt für Lebensmittelhygiene. Schließlich sei Thrombin hygienisch in Ordnung und schade der Gesundheit überhaupt nicht. Wie die meisten Mitglieder seiner Fraktion unterstützt der CDU-Europaabgeordnete die schnelle Zulassung von Thrombin als Zusatzstoff. Das Enzym hat auch den Vorteil, dass es billiger ist als bisher eingesetzte Fleischkleber. Viele Menschen seien auf preiswerte Nahrung angewiesen, sagt Schnellhardt, dem es leid tut um das viele Fleisch jenseits von Lende und Schinken, das ohne Fleischkleber nicht von Menschen gegessen würde:

    "Können wir es uns leisten, 40 Prozent eines Produktes einfach nur so zu verwerfen, oder als Hundefutter zu verwenden, obwohl es ein ganz gesundes Produkt ist?"

    Die europäische Lebensmittelbehörde hat grünes Licht für Thrombin als Zusatzstoff in der Lebensmittelproduktion gegeben, das weiß auch Dagmar Roth-Berendt. Die SPD-Europaabgeordnete versucht, im europäischen Parlament eine Mehrheit gegen die schnelle Zulassung des neuen Fleischklebers zu organisieren: Sie will erreichen, dass Thrombin ein ordentlichen Zulassungsverfahren im Parlament durchläuft und die Europaabgeordneten dabei gleich auch den Einsatz anderer Zusatzstoffe in der Lebensmittelproduktion überprüfen.

    Vor allem drängt die SPD-Verbraucherschutzexpertin auf eine echte Information der Verbraucher. Den Befürwortern der Zulassung würde es reichen, wenn auf der Rückseite der Pizzaverpackung kleingedruckt steht: Formfleisch durch Thrombin. Damit könne doch kein Verbraucher etwas anfangen, reagiert Dagmar Roth-Berendt:

    "Ich habe noch auf keinem Nuggets, Wurst, Formschinken gesehen, dass da steht, mit dem Enzym XY zusammengefügt oder mit Alginaten – möchte ich aber sehen: möchte das nicht gegebenenfalls Licht halten oder ahnen müssen, dass es aufgrund der Form aus Einzelteilen zusammengesetzt wurde."

    In Deutschland warnen Verbraucherorganisationen schon länger vor einer schnellen Zulassung von Thrombin in der Lebensmittelproduktion. Sie verlangen ein Verklebeverbot für rohes Fleisch. Doch um Verbote geht es heute im Europaparlament ohnehin nicht. Zur Entscheidung steht lediglich, ob das Enzym sofort zugelassen wird oder die Zulassung vorher noch einmal gründlich von den Abgeordneten überprüft wird. So oder so: in jedem Fall dürften nicht nur wissenschaftliche Argumente eine Rolle spielen:

    Nein, nein, nein, sagt die elegante Blondine vor der Fleischausgabe in der Kantine und schaut etwas amüsiert durch ihre Brille: Nie würde sie Fleisch essen, das nicht so am Tier gewachsen sei, Formfleisch käme ihr nicht auf die Gabel: Sie sei schließlich Französin:

    "Non, non, non!"