Ein Kapuzenpullover betritt eine Bank, schießt in die Decke, rafft das Geld an sich und verschwindet.
Ein Kapuzenpullover randaliert, schleudert Steine auf die anrückende Polizei und flüchtet.
Eine finstere Wand schwarzer Kapuzenpullover steht in der Kurve des Stadions, wirft Böller und verbreitet Angst und Schrecken.
Ein brauner Bandwurm dunkler Kapuzenpullover marschiert durch eine geduckte Stadt und hetzt gegen Fremde.
Eine Horde von Kapuzenpullovern besetzt einen Spielplatz, streut Scherben, brennt Löcher ins Holz der Schaukeln und Wippen.
Ein Kapuzenpullover steht im Park, raunt den Passanten etwas zu und zieht bei Bedarf kleine Beutelchen aus dem Gebüsch.
Drei Kapuzenpullover stromern über die Gleise, sprühen ätzende Zeichen auf einen Waggon und zerstreuen sich in alle Winde, als ein Hund bellt.
Die Liste dieser Szenen und Sozialfiguren ließe sich fortsetzen.
Überall scheint der Kapuzenpullover seine Ärmel im Spiel zu haben: Er macht offenbar gemeinsame Sache mit Räubern, Dieben, Hooligans, Neonazis, Falschspielern, jugendlichen Delinquenten, Dealern, Graffiti‑Sprayern.
Der Kapuzenpullover als leibhaftiger Dunkelmann. Verfolgt man das Image des Kapuzenpullovers, dann kann man den Eindruck gewinnen, der Pullover selbst sei ein Akteur, der Täter, derjenige, dem man das Handwerk legen müsse. Niemand weiß genau, welcher Verbrechen sich der Angeklagte schuldig gemacht hat. Es steht jedoch zweifelsfrei fest, dass der Kapuzenpullover oder auch Hoodie an zahlreichen Tatorten auf der ganzen Welt gesichtet wurde. Ist die Beweislast nicht erdrückend? Sind die grobkörnigen Bilder der Überwachungskameras etwa manipuliert?
Kapuzenpullover-Verbot in England
Vor allem in England und den Vereinigten Staaten wird er stigmatisiert. In England wurde das Tragen von Hoodies in zahlreichen Shopping Malls und Pubs verboten. Das Bluewater Einkaufszentrum in Kent ging 2005 dabei unrühmlich voran und verbot den Hoodie in seinen Hallen, obgleich, paradox genug, der Verkauf des Kleidungsstücks daselbst weiterging. Hoodie-Hysterie griff um sich. Im Februar 2006 wurde eine 58 Jahre alte Lehrerin in einem Tesco-Supermarkt in Swindon aufgefordert, sofort ihre Kapuze abzulegen. Dabei hatte die ältere Dame nur ihre in Unordnung befindlichen Haare verbergen wollen. In Amerika verbannten zahlreiche Schulen den Kapuzenpullover aus dem Unterricht, und im Januar 2015 legte der republikanische State Senator Don Barrington in Oklahoma einen Gesetzesentwurf vor, der das Tragen von Hoodies in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen sollte.
In der allgemeinen Aufregung um den Kapuzenpullover sah der damalige Tory-Chef und heutige Premierminister David Cameron seine Chance, sich als moderner Konservativer zu inszenieren. Er hielt am 10. Juli 2006 eine vielbeachtete Rede. Cameron wollte jüngere Wählerschichten ansprechen und das fühllose Law‑and‑Order-Image der Konservativen korrigieren:
"Es ist eine Tatsache, dass der Kapuzenpullover die Reaktion auf ein Problem ist, nicht das Problem selbst. Wir, die Leute in den Anzügen, betrachten Kapuzenpullover als etwas Aggressives, die Uniform einer Rebellen-Armee von jungen Gangstern. Aber für junge Leute sind die Kapuzenpullover viel öfter defensiv als offensiv. Sie sind ein Weg, um sich auf den Straßen unsichtbar zu machen. Für manche repräsentiert der Kapuzenpullover alles, was falsch läuft mit der Jugendkultur in Britannien. Für mich zeigt die Reaktion der Erwachsenenwelt, wie weit wir davon entfernt sind, die langfristigen Lösungen zu finden, um die Dinge richtig zu machen."
Dieser Ton, diese Bereitschaft, den Kapuzenpullover und seine Träger zu entkriminalisieren, sie aus den negativen Wahrnehmungsmustern zu befreien, ist Schnee von gestern. Mittlerweile ist der Premierminister wieder zu einer kalten Rhetorik der Macht zurückgekehrt, die Leute in den Anzügen haben keine Lust mehr, sich die Perspektiven der Hoodies vorzustellen.
Horror der sozialen Deklassierung
Auch dem Hoodie hat Camerons Plädoyer in der medialen und gesellschaftlichen Wahrnehmung scheinbar wenig genutzt, denn sein Image ist noch immer ramponiert, ja, es scheint immer finsterer zu werden.
Der Hoodie taucht jetzt vermehrt in Horror- und Splatterfilmen auf, unter seiner Kapuze verbergen sich immer häufiger Monster, Serienkiller oder Stalker. Aber auch der Horror der sozialen Deklassierung wird in amerikanischen Serien immer häufiger mit dem Hoodie verbunden. Er wird hier zum Symbol für die katastrophalen Zustände in Städten wie Detroit, die aussehen, als sei die Apokalypse Dauergast. In diesen TV‑Erzählungen wird der Kapuzenpullover zum Gefährten des unbehausten, des freigestellten Menschen, des postindustriellen Jägers und Sammlers.
Können mir all diese symbolischen Verdichtungen, Zerrbilder und Klischees nicht egal sein? Was habe ich - ein 49 Jahre alter Freiberufler, Pullovergröße M - mit diesen grellen Stereotypen zu tun? Zwar besitze ich neun Kapuzenpullover, aber ich lebe nicht in Detroit, ich bin kein Räuber, kein Sprayer, kein Hip Hopper, kein Skateboarder, kein Serienkiller, kein Hooligan, kein DJ, kein Dealer, kein rebellierender Jugendlicher. Und ich will erst recht nicht zu einer Art David Cameron mutieren, und den Hoodie aus durchsichtigen Gründen umarmen. Wogegen ich den Kapuzenpullover gerne verteidigen würde, wogegen sich der Hoodie selbst zur Wehr setzt, sind einseitige Lesarten, einseitig negative Zuschreibungen und verengte Wahrnehmungsfenster. Gibt es eine individuelle Beziehungsgeschichte, meine Geschichte, die etwas mit der kollektiven Geschichte dieses Pullovers zu tun hat? Warum muss ausgerechnet ich hier für den Hoodie Partei ergreifen? Oder hat der Hoodie mich ergriffen? Mit Bruno Latour, dem französischen Soziologen und Anwalt der Dinge könnte man sagen, ein Essay ist ein "Mikroparlament", in dem verschiedene Stimmen antreten, um von einem Ding zu handeln, seine Interessen zu vertreten. Und hier kommt das Ding selbst zur Sprache, weil es nicht länger nur Objekt ist.
Er beruhigt, stabilisiert, macht unsichtbar
Den ersten Kapuzenpullover bekam ich geschenkt, als ich zwölf Jahre alt war. Ich hatte mir beim Fußball das Schlüsselbein gebrochen und musste einen Kreuzverband tragen, mit dem ich nicht liegen konnte. Die ersten Nächte nach dem Unfall verbrachte ich im Wohnzimmer. Dort saß ich im Ohrensessel mit ausklappbarer Fußbank und wartete darauf, dass die Nacht verging. Weil ich den linken Arm nicht heben konnte, kaufte mir meine Mutter einen Kapuzenpullover mit durchgehendem Reißverschluss, den ich noch heute vor mir sehe. Man konnte leicht hineinschlüpfen. Marineblau, inwendig soft, in der Kapuze ein blaugrünes Gittermuster, das mir irgendwie schottisch vorkam. Nachts allein im Wohnzimmer. Da war es unheimlich. Der Schmerz in der Schulter, schwere Möbel warfen wabernde Schatten, die Eichenuhr schlug einen beunruhigenden Takt. Ich zog die Kapuze mit rechts über den Kopf und schloss die Augen. Sie war eine Art Scheuklappe, eine Art zweites Kissen, ein Schon- und Schutzraum eigener Art. Diese Szene muss ein emotional-mentales Stempelkissen sein: Der Kapuzenpullover übernimmt das Amt des Hüters, wird Gefährte, beruhigt, stabilisiert, beschwichtigt, macht unsichtbar, dämpft das laute Draußen.
In dieser kindlichen Szene stecken bereits einige Motive der jüngeren und älteren Kulturgeschichte des Kapuzenpullovers, die so lang wie kurz ist, so übersichtlich wie unübersichtlich, so klar wie verwirrend. Im engeren Sinne beginnt die Geschichte des Kapuzenpullovers in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts in New York. Dort wurde er von der Firma Champion für New Yorker Lagerarbeiter erfunden, die zwischen eisigen Frostkammern und stickigen Hallen mit schweren Lasten im Genick hin- und herpendelten. Die Kapuze schützt vor Kälte, vor Druck, sie kann schnell auf und abgesetzt werden, ein pragmatisches, eher ein proletarisches Textil, es steht für ehrliche Arbeit, Schweiß, es ist noch kaum zum Zeichen, zum Symbol aufgeladen. In New York und in anderen Metropolen beginnt dieser Prozess der ikonografischen Verdichtung in den 60er- und 70er-Jahren. Der Hoodie wird zum Freizeitbegleiter, das pflegeleichte, robuste Textil wird mittlerweile von Sportlern getragen, insbesondere Boxern. Die Textilindustrie reagiert auf Bedürfnisse und schafft sie. Zunehmend entdeckt auch die Jugend den Hoodie als Gefährten ihrer Identitäts- und Abgrenzungspfade. Man steckt mit dem Hoodie Claims ab, man geht mit ihm auf urbane Abenteuerreise. Für Skateboarder, Hip-Hopper und Sprayer wird er zum trotzigen Selbstbehauptungszeichen, zur expressiven Geste, zum Statement eines abweichenden Stils: Wir sind lässig, Bro, bist du es auch? Das ist unser Revier:.Got it? Der Hoodie hat auf der Bühne rivalisierender Gangs und Codes ein dramatisches, ein theatralisches Potenzial: Die Kapuze vergrößert, verbirgt die wahre Gestalt, man kann die Kapuze mit großer Geste überwerfen oder sie betont langsam abstreifen, man kann sich eine mysteriöse Aura zulegen oder sich einfach nur gegen den Regen schützen, man kann sich in den Straßen als verlorener Sohn oder verlorene Tochter darstellen oder sich als kraftvoller Anführer eines coolen Clans betrachten. Mit dem Hoodie lassen sich die unterschiedlichsten Stimmungen und Emotionen ausdrücken, was erklärt, warum er im Zeitalter des Pop zu einem Mega-Zeichen wird.
Die Römer trugen den Kukullus
Aber die kurze popkulturelle Geschichte des Hoodies im 20. Jahrhundert zeigt, dass er auch eine historisch tiefe Geschichte besitzt. Die Kapuze ist, so lange sich Menschen bedecken, um sich gegen die Unbilden des Wetters zu wappnen, eine existenzielle Herberge. Das Bedürfnis, Nacken und Kopf gegen Kälte und Nässe zu schützen - durch ein Stück Fell, Leder oder Tuch - ist basal, eine anthropologische Konstante. Bereits die Römer trugen den Kukullus, einen bis zum Gesäß reichenden Kapuzenmantel, mit dem sich auch ihre Legionen gegen die Witterung schützten. Keltische Barden kleideten sich in Kapuzenmänteln, die bis zum Boden reichten. Im Hochmittelalter gehörten lange Überwürfe mit Kapuzen zum Habit verschiedener Ordensgemeinschaften. Buße, Askese, Schweigsamkeit, Nähe zu Gott, Weltabgeschiedenheit, all das steckt in diesem Gewand. Aber auch die weltlichen Herren sprachen im Mittelalter der Kapuze zu, Jäger, Reisende, Bauern, Adlige, Bürger, auch fahrendes Volk, Gaukler, sie alle trugen die sogenannte Gugel, einen schulterdeckenden Überwurf mit Kapuze, der dem heutigen Kapuzenpullover recht nahe kommt.
Der Hoodie - lässt sich zugespitzt sagen - war also schon immer da. Der Kapuzenpullover des 20. Jahrhunderts sammelt alle Vorläufer ein, spielt mit mythologischen Bezügen, spirituellen Resonanzen und historischen Motiven und mixt alles wild und widersprüchlich durcheinander. Diese tiefe Geschichte der Kapuze macht den Hoodie heute so faszinierend vital und deutungsoffen, er ist vielmehr als ein Krawall und Aggressionszeichen. Sehr komisch kommt er in der amerikanischen Zeichentrickserie "South Park" daher. Hier trägt ihn Kenny McCormick, ein unterprivilegierter Schüler der South Park Grundschule. Kenny steckt in einem orangefarbenen Hoodie, sein Nuscheln ist nie recht zu verstehen und in den ersten Staffeln starb er regelmäßig, das prädestinierte Opfer. Kenny wurde an Bäume genagelt, überfahren, von Kugeln zerfetzt, von Krähen zerrissen. Kenny starb auf jede erdenkliche Weise und kam immer zurück. Der Kapuzenpulloverträger als gummiartiges Stehaufmännchen, das Hoodie-Kind, das allen Attacken der Erwachsenen widersteht.
Der Hoodie, die textile Allzweckwaffe im Actionfilm
Ein Überlebenskünstler ganz anderer Art ist der im November 2014 verstorbene Paul Walker. Der Hollywood-Star starb in den Trümmern seines Porsches, die Ursache war überhöhte Geschwindigkeit, ein seltsamer Dreh des Schicksals, denn Walker war erst durch eine Reihe von Blockbustern berühmt geworden, die unter dem Titel "The Fast & the Furious"hochgerüstete Autos und den dazugehörigen Geschwindigkeitsrausch verherrlichten. Der Schauspieler starb während der Dreharbeiten zum siebten Teil der Reihe, doch nun zeigt er sich lebendiger denn je. Möglich geworden ist das durch neue Tricktechnologien. Alte Aufnahmen des Stars wurden in den Film integriert, sein Kopf wurde digital auf fremde Körper montiert. In einer der wahnwitzigsten Szenen des Films hängt Walker mit einer Hand an einem Bus, der über einem unendlich tiefen Canyon schwebt und in die Tiefe rutscht. Der Held im blauen Kapuzenpullover hangelt sich auf das Dach des Busses, sprintet nach vorn, da, wo noch oben ist, stößt sich ab, der Bus stürzt in den Abgrund und der Held fliegt. Der Kapuzenpullover scheint ihn dabei zu tragen, er segelt wie ein Flughund durch die Lüfte und bekommt im allerletzten Augenblick das Heck eines heranrasenden Sportwagens zu fassen.
Im Actionfilm der letzten Dekade ist der Hoodie die textile Allzweckwaffe geworden, Muskelkerle wie Jason Statham oder Vin Diesel, die Bruce Willis ablösten, kommen im Kapuzenpullover noch härter, schmerzbereiter, elastischer und omnipotenter daher. Während Bruce Willis in den "Die-Hard"-Filmen noch im dreckigen Achselhemd den Action-Malocher gab, sind seine Erben noch lakonischere Typen, man weiß nie, was passiert, wenn sie ihre Kapuze abstreifen, wenn sie aus dem Schatten ihres Hoodies heraustreten und ihre Körper explodieren lassen. Ihre Hoodie-Posen mixen Stilelemente der Urban Guerillas mit uralten Jäger- und Kriegermotiven, im Hoodie begegnen sich Jahrtausende, treffen sich Mythos, Alltag und Hollywood.
Dolmetscher zwischen den Generationen
Der Hoodie als Überlebensrequisit verweist natürlich auch auf die Helden des Fitnessstudios, all die Männer und Frauen, die den Körper als ihr Kapital betrachten und wissen, dass der Kampf um die Jugend eine große grausame Schlacht ist. Sie alle sind letztlich Einzelkämpfer und einer ihrer berühmten Ahnherren ist Rocky Balboa. Sylvester Stallone spielte 1976 in "Rocky"den Boxer, der den amtierenden Weltmeister herausfordert. In einer der berühmtesten Szenen dieses Films läuft der Underdog im grauen Kapuzenpullover durch die Straßen Philadelphias. Rocky stürmt im Laufschritt die 72 Stufen zum Philadelphia Museum of Art hoch, die seither Rocky Steps heißen. Oben angekommen jubelt er, als hätte er Apollo Creed, den Champ, schon geschlagen. Der Hoodie ist Rockys Schwitztempel, sein Triumphtextil, sein mobiles Gym.
30 Jahre später steigen Sylvester Stallone und Rocky noch einmal in den Ring, 2006 kommt der sechste und letzte Teil des Epos in die amerikanischen Kinos. Natürlich ist der graue Kapuzenpullover wieder mit dabei und diesmal kommen ihm gleich mehrere Aufgaben zu: Der schlabbrige Hoodie hält den Helden zusammen, wie ein Korsett. Stallone ist 60, aber der Hoodie ist sein Jungbrunnen. Und der Hoodie zeigt zurück in die Zeit, er ist Zitat, er knüpft sein Band zu seinem grauen Bruder aus dem Jahr 1976. Vielleicht es dass, was mich bewogen hat, vor einigen Jahren innerhalb kurzer Zeit, fünf Kapuzenpullover zu kaufen. Zu Recherchezwecken absolvierte ich ein Praktikum bei einem Bestatter. Bis dahin hatte ich noch nie einen Toten gesehen, jetzt sah ich innerhalb einer Woche sehr viele Leichname, die Toten einer Großstadt, Körper in allen Stadien ihrer Vergänglichkeit. Wollte ich mir mit den frischen Pullovern eine neue Haut zulegen? Wollte ich - wie Rocky - auf dem Zeitpfeil 30 Jahre zurückreisen und den Jungen im Ohrensessel finden? Ist der Hoodie nicht eine Zeitmaschine, ein "time tunnel", mit dem man seine Biografie zurückerobert? Sind wir, die Generation der Babyboomer, nicht jene, die das Gestern nicht lassen wollen? Die, die finden, dass es sich nicht lohnt, erwachsen zu werden? Der Hoodie ist aber weit mehr als eine nostalgische Reminiszenz der Retroflaneure, er ist mittlerweile auch ein Dolmetscher zwischen den Generationen, etwas, worauf sich Großväter, Väter und Enkel noch einigen können in einer Zeit, in der es keine Lagerfeuer mehr gibt, in einer Gegenwart, in der berufliche, soziale und familiäre Bindungen sich lösen, sich verflüssigen. Betrachten wir also den Kapuzenpullover auch als Gesprächsangebot, als Zeichen der Älteren mit den Jüngeren im Dialog bleiben zu wollen.
Gegen spießige Normalität rebellieren
Vor diesem Hintergrund ließe sich die berühmte amerikanische Serie "Breaking Bad" auch als Hoodie-Drama lesen, als tragisch misslingende Vater-Sohn-Geschichte. Der Protagonist Walter White, der krebskranke Chemielehrer, der zum genialen Drogenkoch und Kriminellen mutiert, steht zwischen zwei Söhnen, seinem leiblichen Sohn Walter jr. und seinem Zwangs-Zufalls-Sohn Jesse Pinkman, ein ehemaliger Schüler und Crystal-Meth-Dealer. Beide Söhne werden vielfach durch Hoodies charakterisiert. Während Walt jr. den Normalo-Hoodie trägt, saubere unauffällige Pullover, die eher auf Einordnung und Anpassung zielen, zeigt sich Jesse stets in riesigen Hoodie-Kutten, die expressive Zeichen zur Schau stellen, das ist Gangster-Style, Rapper- und Hip-Hopper-Mode. Beide Söhne sind letztlich vaterlos, weil der Vater nie wirklich auf ihre Bedürfnisse reagiert, weil er es nicht schafft, die Zeichen der Kapuzenpullover zu lesen. Walt jr., der sprach- und gehbehindert ist, will in die Normalität eintauchen, will ein Teenager wie alle anderen sein. Jesse hingegen steckt in Hoodies, die gegen diese spießige Normalität rebellieren, er leidet am Normalmaß, an den Verdrängungsmechanismen der Normalo-Diktatur, die ihre Besitzstände eisern verteidigt, indem sie das Abweichende, alles Beunruhigende aussortiert oder versteckt. Einerseits verschwindet der schmale Jesse beinahe in seinen riesigen Hoodies, andererseits fällt er auf, er schillert, wirft mit Zeichen um sich: Der Hoodie als Schrei! Niemals käme Walter White auf die Idee, einen Hoodie zu tragen. Selbst als er durch die Drogengeschäfte zum Multi-Millionär avanciert ist, ändert sich sein Kleidungsstil wenig. Nur bisweilen trägt er einen flachen schwarzen Pork Pie, jenen Hut, den einst Buster Keaton berühmt machte und der später von vielen Jazz-Größen getragen wurde. Zwischen einem Pork Pie und einem Hoodie herrscht Funkstille.
Jedem sein individuelles Hoodie-Bekenntnis
Obwohl also Walter White niemals einen Hoodie trug, trägt der Hoodie Walter White. Im Netz finden sich tausende Angebote, die seine legendäre Pork-Pie-Silhouette zeigen und selbstverständlich kann der Kunde auch Pullover mit Jesse-Pinkman-Gesicht oder dem berühmten Pinkman-Fluch "Yo Bitch!" bestellen. Womit wir beim Hoodie als Bekenntnisfläche und Selbstdarstellungstheater wären. Fast noch mehr als das T-Shirt ist er ein textiles Bekennerschreiben, ein öffentliches Leibes- und Bewusstseinsbekenntnis. Oft kommt diese Konfession ironisch daher, aber noch viel häufiger ist es ernst gemeint. Jedem sein individuelles Hoodie-Bekenntnis: Für den Ultra, den fanatischen Fußball-Fan, gibt es maßgeschneiderte Hoodies ebenso wie für den Neo-Nazi, es gibt spezielle Hoodies für Kletterkünstler und Outdour‑Aktivisten, es gibt jüdische Hoodies mit siebenarmigen Leuchtern und Davidsternen bestickt, es gibt Hoodies für Marathon‑Läufer, Abi-Jahrgänge, Kegelclubs, Colleges und Kindergärten.
Wie ernst und blutig die Hoodie-Bekenntnisse bisweilen sind, zeigt der Trayvon Martin-Pullover, den man für 39 Dollar und 95 Cent in den USA bestellen kann. "Don‘t shoot me, bro!“ steht auf dem wahlweise weißen oder schwarzen Hoodie. Der 17-jährige Trayvon Martin, ein schwarzer Jugendlicher, wurde im Februar 2012 in Florida von George Zimmerman erschossen, dem weißen Mitglied einer lokalen Bürgerwehr. Trayvon trug einen Kapuzenpullover. Zimmerman plädierte auf Notwehr und wurde 2013 schließlich freigesprochen, doch starke Zweifel blieben. Musste der unbewaffnete Trayvon sterben, weil er schwarz war? Weil er einen Kapuzenpullover trug? Der Hoodie selbst wurde in den Monaten nach Trayvons Tod zum Hauptdarsteller, das ganze Land stritt über ihn. Einige Journalisten forderten sein Verbot, der Junge könnte noch leben, argumentierten sie, wenn er keinen Kapuzenpullover getragen hätte. Man hielt Trauergottesdienste im Hoodie ab, Geistliche predigten im Hoodie, Politiker protestierten im Hoodie gegen Polizeigewalt und auf den Straßen demonstrierten Zehntausende stumm unter ihren Kapuzen.
Objekt des Trostes und gemeinschaftsstiftendes Symbol
Als Trayvon Martins Kapuzenpullover am 9. Juli 2013 in den Gerichtssaal getragen wurde, machte sich eine beklemmende Stille breit. Das blutbefleckte Kleidungsstück war auseinander gefaltet worden, die Ärmel ausgebreitet. Die Jury sollte es genau betrachten können. Deshalb hatte man das Sweatshirt wie ein Kunstwerk präsentiert: Der Hoodie steckte in einem hellen Plastikrahmen, eingefasst von einem weißen Passepartout. So wirkte der Kapuzenpullover wie ein Kreuz, das eine stumme, aber zugleich sprechende Anklage erhob. Mittlerweile hat das National Museum of African American History and Culture starkes Interesse an dem Objekt bekundet, denn in diesem Hoodie kristallisiere sich Geschichte. Der Kapuzenpullover ist längst ein mythisches Artefakt, weil er alles zugleich sein kann: Angeklagter, Waffe, Reliquie, Protestzeichen, Feindbild, Projektionsfläche, Objekt des Trostes und gemeinschaftsstiftendes Symbol.
Selbst wenn der Kapuzenpullover nicht spricht, also ohne Logo, Zitat oder Bild daherkommt, artikuliert er sich. Er spricht im Schwarzen Block ebenso wie in der Occupy-Bewegung. Er sagt "Nein!" oder "Meine Identität bekommst Du nicht"! Erstaunlich dabei ist, dass der Kapuzenpullover mittlerweile ein Symbol ist, das von rivalisierenden Gruppen zur Imagepflege benutzt wird, die Extreme berühren sich in einem Ding. Als am 18. März 2015 die Europäische Zentralbank in Frankfurt eröffnet wird, ist der Hoodie allgegenwärtig, er hockt auf Zäunen, liefert sich Gefechte mit der Polizei, sitzt aber auch friedlich auf dem Boden, blockiert Straßen. Zwei Jahre zuvor hat ein Werbespot der Commerzbank Aufsehen erregt. Ausgerechnet jene Bank, die vom Staat in der Hochphase der Finanzkrise mit 18 Milliarden Euro gestützt werden musste, nutzt nun den Kapuzenpullover, um ihr Image zu wenden. Eine junge Frau, die sich später als Filialdirektorin der Bank entpuppen wird, läuft in diesem Clip durch die Stadt und philosophiert über eine neue Ethik der Geldwirtschaft. Sie läuft wie eine Kriegerin, eine hochleistungsbereite Agentin des sauberen Geldes. Das ist keine graue 9-to-5-Maus, das ist eine 24-Stunden-Amazone im Dienste des Kunden. Ausgerechnet der Hoodie, das Symbol der Globalisierungsgegner und Kapitalismuskritiker, wird dem Rivalen entwendet und soll nun Authentizität liefern, den Aufbruch zu neuen Ufern bekräftigen und ein geläutertes Banken-Bewusstsein verkörpern. Der Hoodie steht nun für Bußbereitschaft, Fitness, Askese, prophetisches Bewusstsein, ein Saulus-Paulus-Motiv.
Die rasende Kapuzenpullover-Klasse im ICE
Die Banken-Amazone ließe sich leicht im ICE zwischen München und Berlin finden. Wenn man im Mittelgang durch den Zug flaniert, entdeckt man eine neue Klasse von Reisenden: Ihre Geräte leuchten, stille Tatkraft an silbernen Laptops, Smartphones und Tablets. Der Kapuzenpullover ist oft mit im Bild. Da sitzen hedonistische Serienjunkies, kreative Designer, EDV-Spezialisten, Freischreiber, Blogbetreiber, Online-Journalisten, Publicity-Köpfe. Der Hoodie wird für sie zum Mikrobüro, zur Parzelle im rasenden Großraumbüro ICE, das die Grenzen aufhebt zwischen Firma und Familie, privat und öffentlich, Freizeit und Arbeit. Hier ist auch der Nerd zuhause, jener Spezialist, der die kryptischen Sphären des Netzes entschlüsselt, der Nerd, der seine Kapuze überwirft, Junkfood in sich hineinstopft und im Film den Helden und die Handlung wie ein Deus ex machina rettet. Und auch Claudius Holler könnte hier sitzen, der Piraten-Politiker, der bei der letzten Hamburger Bürgerschaftswahl im grünen Kapuzenpullover antrat und so digitale Kompetenz und zugleich den Schutz vor dem totalitären Spähblick des Staates versprach.
Die rasende Kapuzenpullover-Klasse im ICE steht für den Arbeitnehmer in der "flüchtigen Moderne", wie der Soziologe Zygmunt Bauman sie beschreibt: Instabilität, permanent wechselnde Loyalitäten, Flexibilitätsdruck, familiäre Unbehaustheit kennzeichnen heutige Lebensverhältnisse. Früher hieß es noch "My home is my castle", heute könnte man sagen "My home ist my hoodie" oder auch "My hoodie is my castle". Der Arbeitnehmer wird im Laufe seines Lebens zum Nomaden und der Kapuzenpullover wird sein Begleiter, ein winziger Intimitätszipfel, Schutzfilm gegen den Ellenbogennächsten.
Jeder bastelt sich seine eigene Hoodie-Gestalt
Die soziale Elastizität des Kapuzenpullovers fasziniert mich und sie befreit ihn von allen einseitigen Schuldzuweisungen und Images. Der Milliardär Mark Zuckerberg trägt ihn ebenso wie die Straßenfeger der Berliner Stadtreinigung, zu deren Grundausstattung ein orangefarbener Hoodie gehört. Ja, es gibt Menschen, die werfen sich die Kapuze so aggressiv über, als richte sich eine Kobra drohend auf. Manche hingegen wirken mit ihm, als trügen sie einen Heiligenschein. Das dramatische Potenzial des Kapuzenpullovers ist unübersehbar, auch deshalb liebt ihn das Kino.
Unter den Kleidungsstücken ist der Hoodie Proteus, der griechische Meeresgott der Verwandlung, an dessen polymorphe Flunkereien er erinnert. Jeder bastelt sich seine eigene Hoodie-Gestalt, jeder wird zum Bastelstück in der Fantasie der anderen. Für mich ist er das dritte Auge, das nach hinten sieht, ein Netz, das im Gestern fischt, ein Versuch, im Dialog mit meinen Kindern zu bleiben. Vielleicht erinnert sich der Erwachsene daran, dass er als Kind wahre Schätze in den Känguru‑Taschen verbergen konnte, Bonbons, Spickzettel oder die Hände, wenn es draußen kalt oder man verlegen war. Ist er nicht ein Wunsch, den man zwar tragen, aber nicht aussprechen will?
Und übrigens ist der Kapuzenpullover verdammt bequem und ein Kumpel für jeden Tag.