Wir bleiben beim Thema Globalisierung. Mit ihrem Buch "No logo!" wurde die kanadische Journalistin Naomi Klein weltweit bekannt, quasi über Nacht zum Shootingstar der globalisierungskritischen Bewegung, zu der etwa ATTAC gehört. Diese Bewegung begehrt seit Ende der 90er Jahre gegen die Marktmacht der Transnationalen Konzerne auf und gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell. Weltweit über eine Million Exemplare von "No logo!" verkauft, bringt Naomi Klein jetzt ihre "Berichte von der Globalisierungsfront" auf den Büchermarkt. Titel des Bandes: "Über Zäune und Mauern". Günter Rohleder rezensiert:
Seattle im November 1999. Als Zigtausende Globalisierungskritiker die Tagung der Welthandelsorganisation WTO zum Anlass nahmen, um gegen die Praktiken internationaler Konzerne und Institutionen zu protestieren, wird aus der Journalistin und Autorin Naomi Klein eine Aktivistin.
Wie andere, die sich in diesem globalen Netzwerk wieder fanden, hatte auch ich zunächst die Auswirkungen des neoliberalen Wirtschaftssystems nicht völlig verstanden; noch am ehesten wusste ich, wie es sich auf junge Leute in Nordamerika und Europa auswirkte, die mit Unterbeschäftigung und übermäßigem Marketing konfrontiert waren. Indes wurde auch ich wie so viele durch die Bewegung globalisiert: Ich machte einen Schnellkurs über die Auswirkungen der neoliberalen Marktbesessenheit auf die landlosen Bauern in Brasilien, auf die Lehrer in Argentinien, auf die Angestellten von Fastfood-Restaurants in Italien, auf die Kaffeepflanzer in Mexiko, auf die Bewohner von Barackensiedlungen in Südafrika, auf die Beschäftigten von Telemarketing-Unternehmen in Frankreich, auf die Wanderarbeiter, die in Florida Tomaten pflücken, auf die Gewerkschafter auf den Philippinen und auf die obdachlosen Kinder in Toronto, der Stadt, in der ich lebe.
Ob beim Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre, ob bei den Gegengipfeln zu den Konferenzen der acht mächtigsten Industrienationen, oder über das Internet: die Globalisierungskritiker begehren auf gegen die Entscheidungen der exklusiven Expertenclubs. Sie demonstrieren vor ihren militärisch abgeriegelten Tagungsorten, nehmen ihre ökonomischen Glaubensbekenntnisse auseinander und diskutieren die Auswirkungen. Eine Bewegung ohne leitende Funktionäre, ohne Manifeste oder Parteiprogramme.
Diese Bewegung hat keine Führer im traditionellen Sinne, sondern besteht nur aus Menschen, die gewillt sind zu lernen und das Gelernte weiterzugeben.
schreibt die Autorin. Sie ist in der Welt umhergereist, um zu protestieren und über die Bewegung zu schreiben. Und die Zeitungskolumnen, Essays, Reden, die sie in den letzten Jahren dazu publiziert hat, liegen jetzt als Buch vor. Eine Sammlung flammender Plädoyers gegen den Durchmarsch neoliberaler Wertvorstellungen, Lebens- und Arbeitsweisen und gegen die Vermarktwirtschaftlichung der Gesellschaft.
Im Rahmen des Privatisierungsbooms sind die Barrieren, die früher den öffentlichen und den privaten Raum fast gänzlich voneinander trennten, fast alle niedergerissen worden – etwa die Barrieren, die früher die Werbung aus der Schule und profitorientierte Unternehmen aus dem Gesundheitswesen fern hielten, oder die Barrieren, denen es zu verdanken war, dass Fernsehsender zu bloßen PR-Anstalten für die Firmen ihrer Besitzer verkamen. Alle geschützten öffentlichen Räume sind aufgebrochen worden, nur um vom Markt wieder eingezäunt zu werden.
Auch die Politik sei – so die Autorin – längst eine eingezäunte Gemeinschaft, die immer mehr Sicherheitsmaßnahmen und Brutalität erfordere, um ihren normalen Geschäften nachzugehen. Durch Privatisierung und Deregulierung werden Menschen massenweise ausgeschlossen: Ihre Arbeitskraft wird nicht gebraucht, ihr Lebensstil wird als rückständig abgeschrieben, ihre Grundbedürfnisse werden nicht erfüllt. Wenn Naomi Klein die Entwertungsdynamik des kapitalistischen Systems anprangert, dann nimmt sie immer wieder Bezug auf die besondere Rolle der Weltmacht USA seit dem 11. September 2001.
Diese Zäune der sozialen Ausgrenzung können ganze Industrien treffen, und sie können auch ein ganzes Land ins Abseits stellen, wie es mit Argentinien geschehen ist. Wie man an Afrika sieht, kann sogar ein ganzer Kontinent in das globale Schattenreich verbannt werden, von der Karte und aus den Nachrichten gestrichen, es sei denn, es herrscht Krieg und seine Bewohner werden als potenzielle Mitglieder von Milizen, als mögliche Terroristen oder als antiamerikanische Fanatiker verdächtigt.
Die Protestbewegung richte sich nicht gegen den Handel oder die Globalisierung selbst, so Naomi Klein. Es gehe vielmehr um den weltweiten Angriff auf das Recht von Staatsbürgern, Regeln aufzustellen, die dem Schutz der Menschen und des Planeten dienen. Was unterscheidet diese Proteste von der Kapitalismuskritik der 60er und 70er und der Ökobewegung der 80er Jahre? Naomi Klein:
Es geht darum, die Warenkultur zu durchleuchten, die Ikonen des Shopping-Zeitalters zu dekonstruieren und dabei echte weltweite Verbindungen zwischen Arbeitern, Studenten und Umweltschützern aufzubauen. Wir erleben heute eine neue Welle von investigativem Aktivismus, der Personen und Dinge beim Namen nennt – ein Stück Black Panther, ein Stück Schwarzer Block, ein Stück Situationismus, ein Stück Slapstick, ein Stück Marxismus, ein Stück Marketing.
Die Aktivisten der Internetgeneration sind weltläufiger und vorbehaltloser als frühere Protestbewegungen. Sie verlieren sich nicht in Theorie- und Programmdebatten, und sie halten sich erstaunlich frei von Lagerdenken und Hierarchien. Es gibt wenig Berührungsängste zwischen verschiedenen politischen Überzeugungen, wenn nur die Grundrichtung stimmt. Verschiedenste Organisationen konzentrieren sich als so genannte Ein-Punkt-Initiativen auf einen Schwerpunkt: auf den Shell Konzern, auf ein geplantes Freihandelsabkommen, auf ein diktatorisches Regime in Afrika.
Kein Bereich und kein Land kann diese Bewegung für sich beanspruchen, keine einzelne intellektuelle Elite kann sie beherrschen, das ist ihre Geheimwaffe. Eine wirklich vielfältige globale Bewegung, die überall verwurzelt ist, wo aus abstrakten Wirtschaftstheorien lokale Realität wird, muss nicht mehr bei jedem Gipfel präsent sein und sich beim Frontalangriff auf viel mächtigere Institutionen der militärischen und wirtschaftlichen Macht blutige Köpfe holen. Sie kann ihre Gegner von allen Seiten einkreisen.
Hin und wieder wird das Vokabular recht martialisch, und es klingt ein wenig Selbstüberschätzung durch, wenn die Autorin immer wieder die Erfolge der Protestbewegung beschwört, wie repressiv die Polizei auch immer dagegen hält. Gerade haben die weltweiten Proteste gegen den Irak-Krieg wieder einmal gezeigt, wie wenig Millionen Andersdenkende gegen die zentralisierte Macht einiger Politiker und Militärs auszurichten vermögen.
Aber die Autorin erhebt mit ihren Reportagen auch keinen Anspruch auf eine ausgewogene Analyse. Sie besticht mit ihrem leidenschaftlichen Engagement für Veränderung. An zahlreichen Beispielen aus der Praxis legt sie dar, wie es einer international vernetzten Bewegung mit Mut und Phantasie sehr wohl gelingen kann, öffentlich Druck auszuüben und Alternativen aufzuzeigen. Alternativen zu den folgenschweren Weichenstellungen kleiner abgeschotteter Herrschaftseliten.
Eine Rezension von Günter Rohleder. Es ging um das Buch von Naomi Klein: Über Zäune und Mauern. Berichte von der Globalisierungsfront. Erschienen ist es im Campus-Verlag. Frankfurt am Main. Hat 240 Seiten und kostet 17 Euro 90.
Seattle im November 1999. Als Zigtausende Globalisierungskritiker die Tagung der Welthandelsorganisation WTO zum Anlass nahmen, um gegen die Praktiken internationaler Konzerne und Institutionen zu protestieren, wird aus der Journalistin und Autorin Naomi Klein eine Aktivistin.
Wie andere, die sich in diesem globalen Netzwerk wieder fanden, hatte auch ich zunächst die Auswirkungen des neoliberalen Wirtschaftssystems nicht völlig verstanden; noch am ehesten wusste ich, wie es sich auf junge Leute in Nordamerika und Europa auswirkte, die mit Unterbeschäftigung und übermäßigem Marketing konfrontiert waren. Indes wurde auch ich wie so viele durch die Bewegung globalisiert: Ich machte einen Schnellkurs über die Auswirkungen der neoliberalen Marktbesessenheit auf die landlosen Bauern in Brasilien, auf die Lehrer in Argentinien, auf die Angestellten von Fastfood-Restaurants in Italien, auf die Kaffeepflanzer in Mexiko, auf die Bewohner von Barackensiedlungen in Südafrika, auf die Beschäftigten von Telemarketing-Unternehmen in Frankreich, auf die Wanderarbeiter, die in Florida Tomaten pflücken, auf die Gewerkschafter auf den Philippinen und auf die obdachlosen Kinder in Toronto, der Stadt, in der ich lebe.
Ob beim Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre, ob bei den Gegengipfeln zu den Konferenzen der acht mächtigsten Industrienationen, oder über das Internet: die Globalisierungskritiker begehren auf gegen die Entscheidungen der exklusiven Expertenclubs. Sie demonstrieren vor ihren militärisch abgeriegelten Tagungsorten, nehmen ihre ökonomischen Glaubensbekenntnisse auseinander und diskutieren die Auswirkungen. Eine Bewegung ohne leitende Funktionäre, ohne Manifeste oder Parteiprogramme.
Diese Bewegung hat keine Führer im traditionellen Sinne, sondern besteht nur aus Menschen, die gewillt sind zu lernen und das Gelernte weiterzugeben.
schreibt die Autorin. Sie ist in der Welt umhergereist, um zu protestieren und über die Bewegung zu schreiben. Und die Zeitungskolumnen, Essays, Reden, die sie in den letzten Jahren dazu publiziert hat, liegen jetzt als Buch vor. Eine Sammlung flammender Plädoyers gegen den Durchmarsch neoliberaler Wertvorstellungen, Lebens- und Arbeitsweisen und gegen die Vermarktwirtschaftlichung der Gesellschaft.
Im Rahmen des Privatisierungsbooms sind die Barrieren, die früher den öffentlichen und den privaten Raum fast gänzlich voneinander trennten, fast alle niedergerissen worden – etwa die Barrieren, die früher die Werbung aus der Schule und profitorientierte Unternehmen aus dem Gesundheitswesen fern hielten, oder die Barrieren, denen es zu verdanken war, dass Fernsehsender zu bloßen PR-Anstalten für die Firmen ihrer Besitzer verkamen. Alle geschützten öffentlichen Räume sind aufgebrochen worden, nur um vom Markt wieder eingezäunt zu werden.
Auch die Politik sei – so die Autorin – längst eine eingezäunte Gemeinschaft, die immer mehr Sicherheitsmaßnahmen und Brutalität erfordere, um ihren normalen Geschäften nachzugehen. Durch Privatisierung und Deregulierung werden Menschen massenweise ausgeschlossen: Ihre Arbeitskraft wird nicht gebraucht, ihr Lebensstil wird als rückständig abgeschrieben, ihre Grundbedürfnisse werden nicht erfüllt. Wenn Naomi Klein die Entwertungsdynamik des kapitalistischen Systems anprangert, dann nimmt sie immer wieder Bezug auf die besondere Rolle der Weltmacht USA seit dem 11. September 2001.
Diese Zäune der sozialen Ausgrenzung können ganze Industrien treffen, und sie können auch ein ganzes Land ins Abseits stellen, wie es mit Argentinien geschehen ist. Wie man an Afrika sieht, kann sogar ein ganzer Kontinent in das globale Schattenreich verbannt werden, von der Karte und aus den Nachrichten gestrichen, es sei denn, es herrscht Krieg und seine Bewohner werden als potenzielle Mitglieder von Milizen, als mögliche Terroristen oder als antiamerikanische Fanatiker verdächtigt.
Die Protestbewegung richte sich nicht gegen den Handel oder die Globalisierung selbst, so Naomi Klein. Es gehe vielmehr um den weltweiten Angriff auf das Recht von Staatsbürgern, Regeln aufzustellen, die dem Schutz der Menschen und des Planeten dienen. Was unterscheidet diese Proteste von der Kapitalismuskritik der 60er und 70er und der Ökobewegung der 80er Jahre? Naomi Klein:
Es geht darum, die Warenkultur zu durchleuchten, die Ikonen des Shopping-Zeitalters zu dekonstruieren und dabei echte weltweite Verbindungen zwischen Arbeitern, Studenten und Umweltschützern aufzubauen. Wir erleben heute eine neue Welle von investigativem Aktivismus, der Personen und Dinge beim Namen nennt – ein Stück Black Panther, ein Stück Schwarzer Block, ein Stück Situationismus, ein Stück Slapstick, ein Stück Marxismus, ein Stück Marketing.
Die Aktivisten der Internetgeneration sind weltläufiger und vorbehaltloser als frühere Protestbewegungen. Sie verlieren sich nicht in Theorie- und Programmdebatten, und sie halten sich erstaunlich frei von Lagerdenken und Hierarchien. Es gibt wenig Berührungsängste zwischen verschiedenen politischen Überzeugungen, wenn nur die Grundrichtung stimmt. Verschiedenste Organisationen konzentrieren sich als so genannte Ein-Punkt-Initiativen auf einen Schwerpunkt: auf den Shell Konzern, auf ein geplantes Freihandelsabkommen, auf ein diktatorisches Regime in Afrika.
Kein Bereich und kein Land kann diese Bewegung für sich beanspruchen, keine einzelne intellektuelle Elite kann sie beherrschen, das ist ihre Geheimwaffe. Eine wirklich vielfältige globale Bewegung, die überall verwurzelt ist, wo aus abstrakten Wirtschaftstheorien lokale Realität wird, muss nicht mehr bei jedem Gipfel präsent sein und sich beim Frontalangriff auf viel mächtigere Institutionen der militärischen und wirtschaftlichen Macht blutige Köpfe holen. Sie kann ihre Gegner von allen Seiten einkreisen.
Hin und wieder wird das Vokabular recht martialisch, und es klingt ein wenig Selbstüberschätzung durch, wenn die Autorin immer wieder die Erfolge der Protestbewegung beschwört, wie repressiv die Polizei auch immer dagegen hält. Gerade haben die weltweiten Proteste gegen den Irak-Krieg wieder einmal gezeigt, wie wenig Millionen Andersdenkende gegen die zentralisierte Macht einiger Politiker und Militärs auszurichten vermögen.
Aber die Autorin erhebt mit ihren Reportagen auch keinen Anspruch auf eine ausgewogene Analyse. Sie besticht mit ihrem leidenschaftlichen Engagement für Veränderung. An zahlreichen Beispielen aus der Praxis legt sie dar, wie es einer international vernetzten Bewegung mit Mut und Phantasie sehr wohl gelingen kann, öffentlich Druck auszuüben und Alternativen aufzuzeigen. Alternativen zu den folgenschweren Weichenstellungen kleiner abgeschotteter Herrschaftseliten.
Eine Rezension von Günter Rohleder. Es ging um das Buch von Naomi Klein: Über Zäune und Mauern. Berichte von der Globalisierungsfront. Erschienen ist es im Campus-Verlag. Frankfurt am Main. Hat 240 Seiten und kostet 17 Euro 90.