"Wolfenbüttel galt mal als best gefestigte Stadt Norddeutschlands, sie war Hauptstadt, Hauptstadt des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, das war einfach der Grund, warum man diese Festung angelegt hat, es war mehr die Macht zu zeigen, als das, dass man wirklich hier verteidigen musste."
Sandra Donner ist Historikerin und ehrenamtliche Stadtheimatpflegerin, zu ihren Aufgaben zählt, die Traditionen ihrer Stadt zu bewahren. Beim Gang durch die Stadt trifft man immer wieder auf Reste der alten Befestigungen. Alle Wege enden auf dem Marktplatz.
"Und in einer Residenzstadt, mit einem so großen Hof, nämlich der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, mussten natürlich auch die ganzen Hofbeamten Quartier finden, standesgemäßes Quartier finden. Sie verdienten nicht schlecht am Hof und darum haben wir heute diese vielen, sehr geräumigen, großen und prächtigen Fachwerkhäuser zu bieten, Hofbeamtenhäuser sagen wir dazu."
Wenn man sich Fachwerkhäuser vorstellt, dann denkt man meist an kleine und verwinkelte Bauten, die man nur mit umsichtig eingezogenem Kopf betreten kann. Wolfenbüttel ist da anders – hier sind die Fachwerkhäuser dreigeschossige prachtvolle Schmuckbauten mit aufwendigen Holzarbeiten, grau und blau und gelb getönten Ausfachungen und Schnitzereien an den Balkenköpfen. Die "Alte Apotheke" ziert ein bärtiges Männergesicht mit breiter Nase und kugelrunden Augen, ein sogenannter "Wilder Mann" zur Abwehr böser Geister. Sieht man ihn, möchte man wirklich kein böser Geist sein. Sandra Donner führt uns weiter.
Die Stadt liegt an dem Flüsschen Oker, das über lange Zeit die wirtschaftliche Ader des Ortes war und heute noch in idyllischer Weise die Stadtlandschaft prägt. Von einer Brücke blickt man auf den Fluss, der hier an beiden Seiten von Fachwerkhäusern eingefasst zu einem Kanal geworden ist. Vor den Häusern liegen Stege im Wasser, blumengeschmückte Veranden bilden idyllische Nischen und an kleinen Mauervorsprüngen haben es einzelne Büsche und kleine Bäume geschafft, Fuß zu fassen. Nicht von ungefähr wird dieser Ortsteil Klein-Venedig genannt.
"Klein Venedig war hauptsächlich bewohnt von Färbern und Gerbern, weil Klein Venedig am Ende dieser Stadt Wolfenbüttel ist, hatten die Färber und Gerber da die Erlaubnis, sich anzusiedeln, weil sie natürlich auch ihre ganzen Abwässer eben in diese Kanäle leiteten. Am Anfang einer Stadt waren immer die Brauhäuser untergebracht, weil das Wasser noch einigermaßen sauber ist, und am Ende einer Stadt dann immer die Erlaubnis für Färber und Gerber..."
Und dann erfahren wir noch, dass nicht Venezianer, sondern Holländer diese Grachtenlandschaft erbaut haben, und dass sich hier die Badestuben befanden und auch das Rotlichtviertel, was zu einer eigenartigen Verbindung von Hygiene und Unzucht führt. Historische Häuser, gerade noch, wenn sie im Wasser stehen, sind teuer zu unterhalten.
"...und so ein Fachwerkhaus zu besitzen, das bedeutet, man muss viel Liebe und viel Engagement aufbringen."
Wir haben uns im Zeughaus niedergelassen, wo früher die Waffen des Herzogs gelagert wurden und heute etliche Bücher der Herzog August Bibliothek. Es ist still, hell und großzügig. Aber Sandra Donner und ich sind immer noch in Venedig, zumindest bei einem berühmten Venezianer.
"Er kam 1764 hier nach Wolfenbüttel und mit Casanova verbinden wir natürlich meistens andere Tätigkeiten, als das Schreiben."
Der berühmte Liebhaber Giacomo Casanova war dabei, die Illias des Homer aus dem Griechischen ins Venezianische zu übersetzen und suchte Bücher, die ihm dabei helfen konnten.
"Man hatte damals schon über 200.000 Bände, das war wirklich fast das achte Weltwunder, so hat er es auch genannt und hat hier ungefähr zwei Wochen verbracht, ob er diese Wochen allein verbracht hat oder nicht, darüber ist nichts bekannt."
Casanova hat in sich in Wolfenbüttel ganz auf seine literarischen Tätigkeiten konzentriert. In seinen Lebenserinnerungen hat er über diese Episode geschrieben:
"Ich verbrachte acht Tage in dieser Bibliothek, die ich nur verließ, um zum Essen und zum Schlafen in meinen Gasthof zu gehen. Ich kann diese acht Tage zu den glücklichsten meines Lebens zählen, denn ich war nicht einen Augenblick mit mir selber beschäftigt: ich dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, und mein Geist, der sich vollständig in die Arbeit versenkt hatte, konnte die Gegenwart nicht bemerken. Ich brachte von Wolfenbüttel eine große Menge Notizen über die Ilias und die Odyssee mit, die man bei keinem Scholiasten findet und die nicht einmal der große Pope kannte."
Vom Zeughaus sind es nur wenige Schritte bis zum Schloss. Der Zugang führt über eine Brücke, die den Schlossgraben überspannt. Rechts und links sind gewaltige barocke Figuren auf die Brüstung gestellt, die den Besucher zu dem geschmückten Portal geleiten. Über dem Torbogen liegen sehr symmetrisch rechts und links außen zwei weiße Frauengestalten, dann folgen nach innen rechts und links zwei stehende Frauenfiguren und zwischen ihnen eine Bande kleiner, faunartige Männlein von undurchsichtigem Charakter. Das rote Schloss sieht aus wie ein solider Steinbau, ist aber aus Fachwerk.
"Der Herzog war schon sehr betagt, als er das baute, etwa 70 Jahre alt und wollte das noch erleben, Steinbau hätte doch bedeutend länger gedauert, und der dritte Punkt ist, dass Holz einfach das preiswerte Baumaterial ist, weil in den herzoglichen Forsten vorhanden und konnte dann sehr kostengünstig verbaut werden."
Hans-Henning Grote ist ein großer Mann mit beeindruckendem Vollbart und der Museumschef des Schlosses von Wolfenbüttel.
Wir stehen im Thronsaal der Herzöge. Die Decke ist nahezu überladen mit weißem Stuck, die Wände sind rot bespannt, und der gesamte Raum läuft zu auf den Thron. Rechts und links stehen zwei mannshohe Mohrenfiguren mit goldenen Stiefeln und goldenen Körben auf den Köpfen.
"Das sind zwei Guéridons nennt man das, das sind zwei Leuchterträger, die also Leuchter auf dem Kopf trugen. Es sind Mohrenfiguren, es sollen Geschenke Zar Peter des Großen sein, der 1713 in Wolfenbüttel weilte. Man stellte Armleuchter darauf, man kannte damals noch keine Beleuchtungskörper an den Wänden. Die sind zwar hier auch vorhanden, aber die sind etwas später, also im frühen 18. Jahrhundert erst gekommen, zuvor gab es nur diese Leuchtertische, die hin und her bewegt werden konnten, wo man Licht brauchte."
Was uns Normalmenschen endlich eine Vorstellung davon gibt, was eigentlich ein Armleuchter ist: eine Gestalt, die in der Ecke steht und das Licht hält. Vermutlich nahm man für solche Tätigkeiten nicht eben die hellsten Köpfe.
"Dies ist das Paradeschlafzimmer, in dem wir uns befinden, und dieses Bett wurde nicht zum Schlafen benutzt. Es ist ein Paradeschlafzimmer, das heißt, hier wurden hochgestellte Persönlichkeiten empfangen, das heißt, es ist ein Empfangszimmer. Es gab nämlich hier am Hof in Wolfenbüttel keine lever und coucher, das sind zwei Zeremonialformen des Zubettgehens und Aufstehens des Herrschers, wie sie in Frankreich zelebriert wurden. Das gab es hier nicht, aber es gab diese Art des Zeremonialbettes, wo nicht drin geschlafen wurde."
Bei den Empfängen saß der Herzog auf einem Stuhl vor dem Bett, aber er wusste, dass dieses goldgelbe Bett das Lager war, in dem er nach seinem Tod aufgebahrt wurde. Was einen empfindsamen Herrscher vielleicht zu einer demütigen Form der Regentschaft angeleitet haben mochte.
"Wir sind hier im Kabinett des Herzogs, das ist hier der einzige eigentliche Privatraum des Herzogs gewesen. In allen anderen Räumen war er Staatsperson, hier war er privat. Hier saß er und versah seine Korrespondenz oder widmet sich seinen privaten Studien. Ein Herzog, August der Jüngere, hat ein Schachbuch geschrieben, Herzog Anton Ulrich war ein sehr berühmter Romancier, der sehr viele Romane geschrieben hat, die bis am Hof Ludwigs XIV. auch gelesen wurden, die es in Französisch gab und so weiter und andere haben Sammlungen gehabt, Münzsammlungen und so weiter. Und das haben sie in diesem kleinen Raum hier am Tisch getan."
Die Herzöge von Wolfenbüttel waren vor allem – und das ist das Besondere an ihnen – Herren des Geistes. Und auf eine gewisse Weise, wenn man so durch die Stadt streift, glaubt man dieses Besondere immer noch zu spüren.
Sandra Donner ist Historikerin und ehrenamtliche Stadtheimatpflegerin, zu ihren Aufgaben zählt, die Traditionen ihrer Stadt zu bewahren. Beim Gang durch die Stadt trifft man immer wieder auf Reste der alten Befestigungen. Alle Wege enden auf dem Marktplatz.
"Und in einer Residenzstadt, mit einem so großen Hof, nämlich der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, mussten natürlich auch die ganzen Hofbeamten Quartier finden, standesgemäßes Quartier finden. Sie verdienten nicht schlecht am Hof und darum haben wir heute diese vielen, sehr geräumigen, großen und prächtigen Fachwerkhäuser zu bieten, Hofbeamtenhäuser sagen wir dazu."
Wenn man sich Fachwerkhäuser vorstellt, dann denkt man meist an kleine und verwinkelte Bauten, die man nur mit umsichtig eingezogenem Kopf betreten kann. Wolfenbüttel ist da anders – hier sind die Fachwerkhäuser dreigeschossige prachtvolle Schmuckbauten mit aufwendigen Holzarbeiten, grau und blau und gelb getönten Ausfachungen und Schnitzereien an den Balkenköpfen. Die "Alte Apotheke" ziert ein bärtiges Männergesicht mit breiter Nase und kugelrunden Augen, ein sogenannter "Wilder Mann" zur Abwehr böser Geister. Sieht man ihn, möchte man wirklich kein böser Geist sein. Sandra Donner führt uns weiter.
Die Stadt liegt an dem Flüsschen Oker, das über lange Zeit die wirtschaftliche Ader des Ortes war und heute noch in idyllischer Weise die Stadtlandschaft prägt. Von einer Brücke blickt man auf den Fluss, der hier an beiden Seiten von Fachwerkhäusern eingefasst zu einem Kanal geworden ist. Vor den Häusern liegen Stege im Wasser, blumengeschmückte Veranden bilden idyllische Nischen und an kleinen Mauervorsprüngen haben es einzelne Büsche und kleine Bäume geschafft, Fuß zu fassen. Nicht von ungefähr wird dieser Ortsteil Klein-Venedig genannt.
"Klein Venedig war hauptsächlich bewohnt von Färbern und Gerbern, weil Klein Venedig am Ende dieser Stadt Wolfenbüttel ist, hatten die Färber und Gerber da die Erlaubnis, sich anzusiedeln, weil sie natürlich auch ihre ganzen Abwässer eben in diese Kanäle leiteten. Am Anfang einer Stadt waren immer die Brauhäuser untergebracht, weil das Wasser noch einigermaßen sauber ist, und am Ende einer Stadt dann immer die Erlaubnis für Färber und Gerber..."
Und dann erfahren wir noch, dass nicht Venezianer, sondern Holländer diese Grachtenlandschaft erbaut haben, und dass sich hier die Badestuben befanden und auch das Rotlichtviertel, was zu einer eigenartigen Verbindung von Hygiene und Unzucht führt. Historische Häuser, gerade noch, wenn sie im Wasser stehen, sind teuer zu unterhalten.
"...und so ein Fachwerkhaus zu besitzen, das bedeutet, man muss viel Liebe und viel Engagement aufbringen."
Wir haben uns im Zeughaus niedergelassen, wo früher die Waffen des Herzogs gelagert wurden und heute etliche Bücher der Herzog August Bibliothek. Es ist still, hell und großzügig. Aber Sandra Donner und ich sind immer noch in Venedig, zumindest bei einem berühmten Venezianer.
"Er kam 1764 hier nach Wolfenbüttel und mit Casanova verbinden wir natürlich meistens andere Tätigkeiten, als das Schreiben."
Der berühmte Liebhaber Giacomo Casanova war dabei, die Illias des Homer aus dem Griechischen ins Venezianische zu übersetzen und suchte Bücher, die ihm dabei helfen konnten.
"Man hatte damals schon über 200.000 Bände, das war wirklich fast das achte Weltwunder, so hat er es auch genannt und hat hier ungefähr zwei Wochen verbracht, ob er diese Wochen allein verbracht hat oder nicht, darüber ist nichts bekannt."
Casanova hat in sich in Wolfenbüttel ganz auf seine literarischen Tätigkeiten konzentriert. In seinen Lebenserinnerungen hat er über diese Episode geschrieben:
"Ich verbrachte acht Tage in dieser Bibliothek, die ich nur verließ, um zum Essen und zum Schlafen in meinen Gasthof zu gehen. Ich kann diese acht Tage zu den glücklichsten meines Lebens zählen, denn ich war nicht einen Augenblick mit mir selber beschäftigt: ich dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, und mein Geist, der sich vollständig in die Arbeit versenkt hatte, konnte die Gegenwart nicht bemerken. Ich brachte von Wolfenbüttel eine große Menge Notizen über die Ilias und die Odyssee mit, die man bei keinem Scholiasten findet und die nicht einmal der große Pope kannte."
Vom Zeughaus sind es nur wenige Schritte bis zum Schloss. Der Zugang führt über eine Brücke, die den Schlossgraben überspannt. Rechts und links sind gewaltige barocke Figuren auf die Brüstung gestellt, die den Besucher zu dem geschmückten Portal geleiten. Über dem Torbogen liegen sehr symmetrisch rechts und links außen zwei weiße Frauengestalten, dann folgen nach innen rechts und links zwei stehende Frauenfiguren und zwischen ihnen eine Bande kleiner, faunartige Männlein von undurchsichtigem Charakter. Das rote Schloss sieht aus wie ein solider Steinbau, ist aber aus Fachwerk.
"Der Herzog war schon sehr betagt, als er das baute, etwa 70 Jahre alt und wollte das noch erleben, Steinbau hätte doch bedeutend länger gedauert, und der dritte Punkt ist, dass Holz einfach das preiswerte Baumaterial ist, weil in den herzoglichen Forsten vorhanden und konnte dann sehr kostengünstig verbaut werden."
Hans-Henning Grote ist ein großer Mann mit beeindruckendem Vollbart und der Museumschef des Schlosses von Wolfenbüttel.
Wir stehen im Thronsaal der Herzöge. Die Decke ist nahezu überladen mit weißem Stuck, die Wände sind rot bespannt, und der gesamte Raum läuft zu auf den Thron. Rechts und links stehen zwei mannshohe Mohrenfiguren mit goldenen Stiefeln und goldenen Körben auf den Köpfen.
"Das sind zwei Guéridons nennt man das, das sind zwei Leuchterträger, die also Leuchter auf dem Kopf trugen. Es sind Mohrenfiguren, es sollen Geschenke Zar Peter des Großen sein, der 1713 in Wolfenbüttel weilte. Man stellte Armleuchter darauf, man kannte damals noch keine Beleuchtungskörper an den Wänden. Die sind zwar hier auch vorhanden, aber die sind etwas später, also im frühen 18. Jahrhundert erst gekommen, zuvor gab es nur diese Leuchtertische, die hin und her bewegt werden konnten, wo man Licht brauchte."
Was uns Normalmenschen endlich eine Vorstellung davon gibt, was eigentlich ein Armleuchter ist: eine Gestalt, die in der Ecke steht und das Licht hält. Vermutlich nahm man für solche Tätigkeiten nicht eben die hellsten Köpfe.
"Dies ist das Paradeschlafzimmer, in dem wir uns befinden, und dieses Bett wurde nicht zum Schlafen benutzt. Es ist ein Paradeschlafzimmer, das heißt, hier wurden hochgestellte Persönlichkeiten empfangen, das heißt, es ist ein Empfangszimmer. Es gab nämlich hier am Hof in Wolfenbüttel keine lever und coucher, das sind zwei Zeremonialformen des Zubettgehens und Aufstehens des Herrschers, wie sie in Frankreich zelebriert wurden. Das gab es hier nicht, aber es gab diese Art des Zeremonialbettes, wo nicht drin geschlafen wurde."
Bei den Empfängen saß der Herzog auf einem Stuhl vor dem Bett, aber er wusste, dass dieses goldgelbe Bett das Lager war, in dem er nach seinem Tod aufgebahrt wurde. Was einen empfindsamen Herrscher vielleicht zu einer demütigen Form der Regentschaft angeleitet haben mochte.
"Wir sind hier im Kabinett des Herzogs, das ist hier der einzige eigentliche Privatraum des Herzogs gewesen. In allen anderen Räumen war er Staatsperson, hier war er privat. Hier saß er und versah seine Korrespondenz oder widmet sich seinen privaten Studien. Ein Herzog, August der Jüngere, hat ein Schachbuch geschrieben, Herzog Anton Ulrich war ein sehr berühmter Romancier, der sehr viele Romane geschrieben hat, die bis am Hof Ludwigs XIV. auch gelesen wurden, die es in Französisch gab und so weiter und andere haben Sammlungen gehabt, Münzsammlungen und so weiter. Und das haben sie in diesem kleinen Raum hier am Tisch getan."
Die Herzöge von Wolfenbüttel waren vor allem – und das ist das Besondere an ihnen – Herren des Geistes. Und auf eine gewisse Weise, wenn man so durch die Stadt streift, glaubt man dieses Besondere immer noch zu spüren.