Bevor Toader Koman selbst frühstückt, sind die Schafe dran. Morgens um halb sieben in Moisei, einem kleinen Dorf in den rumänischen Kaparten.
"Wir haben sieben Schafe, eine Kuh, und eine Ziege – da vorne ist die – ja, und dann haben wir noch so ungefähr anderthalb Hektar Land, da bauen wir Kartoffeln, Zwiebeln, Bohnen und Gurken an. Wir müssen eigentlich nur Öl, Zucker und Brot kaufen."
Fast jeder der 9.000 Einwohner des Dorfs hat das bis vor ein paar Jahren so gemacht, hat ein paar Hühner gehalten, Kartoffeln selbst angebaut.
"220 Euro Rente - die Preise sind wie bei euch in Deutschland"
Nur so konnten viele durch die unsicheren Nachwendejahre kommen und überhaupt überleben, erzählt Koman. Er beginnt, Heu in die Futterraufe der Schafe zu füllen. Früher hat Koman auf einer staatlichen Genossenschaft als Traktor-Mechaniker gearbeitet, heute bekommt er eine kleine Rente.
"Ich habe 220 Euro Rente, davon allein kann man nicht leben. Die Preise sind wie bei euch in Deutschland. Verglichen mit dem, was man hier verdient, sind die sehr hoch."
Fast fünf Millionen Rumänen, etwa 30 Prozent der Erwerbstätigen, lebten bisher wie Toader und Maria zum großen Teil von ihrer eigenen Produktion. Sie haben ein, zwei Hektar Land und ein paar Tiere, manche bauen gerade so viel an, wie sie selbst brauchen, andere verkaufen ihre Produkte auf kleinen Märkten oder an Nachbarn.
Doch seit Rumänien 2007 der EU beigetreten ist, eröffnen überall Supermärkte wie Lidl, Penny, Kaufland oder Carrefour Filialen. Innerhalb weniger Jahre sind sie wie Pilze aus dem Boden geschossen. Der EU-Binnenmarkt macht es möglich.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Europa, das ist hier! Wie der EU-Beitritt ein rumänisches Dorf verändert hat".
Die Subsistenz-Landwirtschaft schwindet. Das Agrarland Rumänien – einst eine der Kornkammern Europas – wird mit Agrarprodukten aus Westeuropa geflutet.
"Wem soll ich die Milch verkaufen?"
Während Toader die Schafe füttert, melkt Maria ihre einzige Kuh. Im Halbdunkel des kleinen Holzstalles lässt sie routiniert die Milch aus dem Euter in den Metalleimer spritzen. Etwa 17 Liter gibt die Kuh jeden Tag – eigentlich zu viel für die Familie.
"So fertig! Tja. Wem soll ich sie verkaufen? Wem? Letztes Jahr hab ich die Milch mal ins Dorf gebracht, zur Molkerei, 17 Cent pro Liter haben die gezahlt. Das lohnt sich doch nicht!"
Subventionen vom Staat oder der EU bekommt sie für ihre Milch nicht, die gibt es erst ab drei Kühen. Überhaupt: Die Politik scheine sich nicht besonders um sie zu kümmern, meint Maria und greift sich ihren Milcheimer.
Sie muss zurück ins Haus, um auf ihren kleinen Enkel aufzupassen. Seit die Milchpreise im Keller sind, gibt es für ihn und die Katzen eine Extraportion Milch.
Wer weiß, wie lange die Komans die Kuh überhaupt noch behalten werden. Der Schweinekoben steht jedenfalls schon leer.
"Es lohnt sich nicht mehr"
"Es lohnt sich nicht mehr. Wenn wir selber Schweine halten, kostet uns das vier, fünf Euro pro Kilo, allein für das Futter. Plus die ganze Arbeit. Das Schweinefleisch bei Lidl oder Penny kostet drei Euro das Kilo – und das ist dann Fleisch ohne Knochen. Zu dem Preis kann keiner produzieren in Rumänien."
"Das Fleisch kommt jetzt aus Spanien, Polen oder Ungarn", sagt Toader.
Auf dem Viehmarkt in Borsa, dem Nachbarort von Moisei, wurde früher mehr angeboten. Ein paar Hühner, ein paar Pferde, drei Kühe stehen heute zum Verkauf. Statt der Tiere werden nun auch Grabsteine, Energiesparfenster und Autoreifen verkauft.
Auf dem Gemüsemarkt nebenan sieht es zwar noch etwas lebhafter aus, aber so richtig viel ist hier auch nicht mehr los. Vor allem ältere Männer mit Pelzmütze und Frauen mit Kopftüchern schieben sich an dem Stand von Marius Timis und seinen Eltern vorbei.
"Wir verkaufen rumänische Produkte, alles Bio, rumänische Kartoffeln, Zwiebeln, Möhren, alles von uns selbst angebaut."
Immerhin ein Pärchen greift zu – lässt sich gleich mehrere Säcke Kartoffeln in ihr Auto laden.
"Die Kartoffeln sind hier ein bisschen teurer, aber die Qualität ist viel besser, wir haben letztens welche bei Penny gekauft, aber die schmecken mir nicht – zu viel Düngemittel!"
"Heute kaufen die Leute im Supermarkt"
Dann kommt lange niemand mehr an den Stand.
"Eigentlich lohnt es sich nicht mehr, sehr viel Arbeit, kaum Profit. Vor einigen Jahren war hier viel mehr los. Heute kaufen die Leute im Supermarkt, da verkaufen sie Importware, die ist billiger als die rumänische. Mit dem Preisen können wir nicht konkurrieren.
Wir fragen: Profitiert ihr nicht auch von den EU-Subventionen?
"Kaum, wir haben nur fünf Hektar, da gibt es kaum Subventionen..."
Die Supermarkt-Tomaten und -Gurken aus Spanien und den Niederlanden sind oft günstiger. Das liegt auch an den ungleichen EU-Subventionen. Rumänische Bauern erhalten pro Hektar nur ein Drittel dessen, was Bauern aus den westlichen EU-Staaten bekommen. So können selbst rumänische Betriebe mit großen Ackerflächen nur schwer mithalten, trotz des fruchtbaren Bodens und der geringeren Arbeitskosten.
Vorbehalte gegen Genossenschaften
Direkt neben dem Gemüsemarkt befindet sich die Filiale einer deutschen Discounter-Kette. Der Parkplatz ist proppenvoll, selbst jetzt an einem Vormittag unter der Woche: Eine Parkbucht ist nur nach langem Suchen und Warten zu finden.
"Ich kaufe bei Penny ein, weil mir die Preise gefallen, es ist hier viel billiger als auf dem Markt und man findet hier alles", sagt eine Kundin.
Eine andere: "Ich würde ja auf den Markt gehen, wenn es da rumänische Produkte gäbe, da würde ich auch ein, zwei Lei mehr zahlen. Mittlerweile gibt es da aber auch kaum noch selbst angebaute Produkte. Da sind auch nur noch Geschäftsleute. Da kaufe ich lieber hier, das ist eh bequemer."
Drinnen: all das, was auch in Deutschland in den Regalen zu finden ist. Paprika aus Spanien, Tomaten aus den Niederlanden, Kartoffeln aus Polen – die Produkte der rumänischen Bauern sind den Ketten zu teuer – außerdem sind die Produktionsmengen der Kleinbetriebe zu gering für Lidl, Penny und Co. Eigentlich müssten sich die rumänischen Bauern zu Genossenschaften zusammenschließen – doch das lehnen die meisten ab. Schließlich haben viele noch die Zwangskollektivierung im Kommunismus erlebt.
Viele Produkte sind nicht einmal für den rumänischen Markt bedruckt worden, sondern tragen noch deutsche Bezeichnungen: Erdbeerschokolade, ergonomische Sitzkisten aus dem Regal mit den Sonderartikeln – und auf der Schnapsflasche ist auf Deutsch zu lesen, er sei nach "transsilvanischem Rezept" gebrannt worden.
Supermarkt ist vielen einfach bequemer, billiger
Eine ältere Dame mit Kopftuch schiebt ihren Einkaufswagen zum Auto. "Seit es den Laden hier gibt, kaufe ich nur noch hier ein", sagt sie.
Wir fragen: "Und auf dem Markt nebenan?"
"Da gehe ich nur ganz selten hin. Der Supermarkt ist genauso weit weg – und die Preise sind niedriger!"
Hinter uns fluchen einige Autofahrer, sie wurden von einem Dacia eingeparkt, müssen nun warten, bis der Fahrer geruht, seinen Einkauf zu beenden.
Schließlich werden sie vom Warten erlöst – aus ihren Parklücken befreit und brausen davon. "Frische und kleine Preise - die findest du immer hier", verkündet eine meterhohe Werbetafel an der Ausfahrt des Discounters.