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Kleinere Tragflächen, weniger Kerosin

Prognosen zufolge wird sich der weltweite Luftverkehr bis 2050 versechsfachen - eine hohe Belastung für die Umwelt. Darum setzen Konstrukteure schon heute mit Hilfe spezieller Karbonfaserkunststoffe auf den Bau leichterer Flugzeuge.

Von Michael Castritius |
    Mathematisch ist der Einfluss des Gewichts auf den Kerosinverbrauch einfach nachzuvollziehen: Eine doppelt so schwere Maschine verbrennt doppelt so viel Treibstoff und stößt entsprechend auch doppelt so viele Emissionen aus. Das alleine wäre schon Anreiz genug für eine "Flugzeug-Diät", aber es kommt noch besser, schwärmt Professor Jürgen Thorbeck vom Institut für Luft- und Raumfahrt an der TU Berlin:

    "Das Schöne ist: Es gibt einen Schneeballeffekt. Also jedes Kilogramm, das man spart bei einem Flugzeug, führt dann zu einer Reduktion vom Fünffachen."

    Und das hat nichts mit Zauberei zu tun: weniger Gewicht bedeutet, es wird entsprechend weniger Antriebsmasse, also weniger Kerosin im Tank benötigt. Beides zusammen hat zur Folge, dass auch die Tragflächen kleiner, ergo leichter, gebaut werden können.

    "Dieses führt dann zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, die mithilft, das Gewicht deutlich stärker zu verringern, als es nur die einzelne Maßnahme bringen würde. Es gibt dort so eine Belohnung, indem das Flugzeug dann einen deutlich geringeren Verbrauch hat."

    Entsprechend intensiv arbeiten Forscher und Flugzeugbauer daran, Flugzeuge leichter zu machen. Das größte Potenzial bieten dabei die verwendeten Materialien, erklärt Professor Thorbeck:

    "Da ist zu nennen, dass seit der Einführung der A320-Familie in etwas größerem Maßstab die ersten Großkomponenten des Flugzeugs in Karbonfaserkunststoff, also Kohlenfaserkunststoff ausgeführt worden sind, was heute dann mit der Boing 787 ein Ausmaß genommen hat, wo man wirklich von einer deutlichen Reduzierung der Massen gegenüber der ersten Generation der Verkehrsflugzeuge sprechen kann, von einer Halbierung. Also dort wird Kohlenfaser-Kunststoff nicht nur in den Leitwerken verwendet, sondern man hat Kohlenstofffaser-verstärkte Flügel und auch Rümpfe. Insofern ist kaum noch etwas nicht mehr aus Kunststoff."

    Profiteure sind – neben der Umwelt – die Fluggesellschaften, wie etwa Air Berlin. Deren Flotte ist verhältnismäßig jung und effizient: 3,5 Liter pro Passagier verbrauchen die weiß-roten Flieger im Schnitt auf 100 Kilometern. Damit ist Air Berlin die zurzeit sparsamste Linienfluggesellschaft in der Europäischen Union. Ein Engagement, das auch die Klimaschutzorganisation atmosfair anerkannt und ausgezeichnet hat.

    Jetzt wird bei Air Berlin die Drei-Liter-Marke angepeilt. Zum einen durch den baldigen Einsatz der neuen und relativ leichten Boeing 787. Zum anderen aber auch durch Eigeninitiative. Felix Genze arbeitet in der Abteilung "performance improvement", Leistungsverbesserung, daran, alles leichter zu machen, was Air Berlin in die Flugzeuge einbaut oder zulädt.

    "Das sind Elemente wie Teppiche, Sitze, beziehungsweise Container oder Galleys, also alles, was sie so im Flugzeug vorfinden, wird bei uns aufs Gewicht überprüft, ob Materialien, die leichter sind, beispielsweise Leichtbau-Trolleys, verwendet werden können. Es geht aber nicht nur um das Gewicht an sich, sondern es geht auch interessanterweise darum, wo das Gewicht verladen wird, je weiter hinten, desto effizienter fliegt es, um dementsprechend Emissionen einzusparen."

    Der größte Feind leichterer Flugzeuge ist der ökonomische Wunsch einiger Airlines, möglichst viele Passagiere gleichzeitig zu befördern, vor allem auf der Langstrecke. 550 Fluggäste passen heute schon in einen A380, bei über 1.000 Menschen an Bord würde es aber unwirtschaftlich, meint TU-Professor Jürgen Thorbeck. Dann müssten vor allem die Flügel so groß und so schwer gebaut werden, dass sich der Schneeball-Effekt ins Negative umkehren würde: der Kerosin-Verbrauch würde überproportional steigen. Die, bislang noch theoretische, Lösung: Maschinen ohne Rumpf, in denen die Passagiere in den Flügeln sitzen:

    "Diese Konfigurationen nennen sich dann Nur-Flügel-Flugzeuge, und die lassen sich dann auch noch viel, viel größer bauen, da gibt es dann nach oben hin noch keine bekannte Grenze."

    Fliegende Rochen also. Sollten sich die Prognosen bestätigen, wonach sich der weltweite Luftverkehr bis 2050 versechsfacht, sind solche neuen Ansätze im Flugzeugbau dringend nötig, aus logistischen, wirtschaftlichen, vor allem aber auch aus Klimaschutzgründen.