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Kleines Bakterium - ganz groß

Biologie. - Was die Zahl der Artgenossen und deren Biomasse angeht, ist der erfolgreichste Organismus ein winziges Bakterium, das erst kürzlich entdeckt worden ist. Sein Name: Pelagibacter ubique. Biologisch gesehen beherrscht es die Meere. Jetzt ist es Mikrobiologen gelungen, sein Erbgut zu entschlüsseln. Über die hoch effiziente DNA von Pelagibacter ubique berichten die Forscher in der Fachzeitschrift "Science".

Von Michael Lange |
    Vor etwa 15 Jahren hat Stephen Giovannoni von der Oregon State University an der Westküste der USA das kleine Bakterium entdeckt. Er hat einfach - vor der Haustür - im Pazifik ein paar Wasserproben genommen und dann im Labor das darin enthaltene Erbgut untersucht. Bald merkte er: Ein großer Teil des Erbmaterials stammte von einem einzigen Organismus, einem kleinen Bakterium. Zuerst erhielt es den Labornamen SAR 11, später den Namen: Pelagibacter. Heute steht fest: Stephen Giovannoni hat den heimlichen Herrscher der Meere entdeckt.

    " Alle Pelagibacter-Bakterien zusammen gerechnet wiegen mehr als sämtliche Fische und Wale in allen Ozeanen. In vielen Regionen machen sie 20 bis 30 Prozent der Zellen im Meerwasser aus. Hier in Oregon an der Pazifikküste finden wir rund eine halbe Million Zellen in jedem Milliliter Meerwasser."

    Jetzt hat Stephen Giovannoni gemeinsam mit einigen Kollegen das Erbgut von Pelagibacter vollständig entziffert. Es besteht aus nur 1,3 Millionen Basenpaaren. Damit ist es das kleinste Erbgut eines Organismus, der sich selbstständig ernähren und fortpflanzen kann. Nur einige parasitische Einzeller, wie Mycoplasmen, die im Innern anderer Zellen leben, kommen mit noch weniger Erbmaterial aus. Giovannoni:

    " Wir vermuten: Das kleine Erbgut ist der Grund für den großen Erfolg dieser Bakterien. Andere Organismen wurden im Laufe der Evolution immer größer und immer komplexer, um Erfolg zu haben. Pelagibacter wählte den umgekehrten Weg und wurde immer einfacher und damit effizienter."

    Pelagibacter schafft es mit extrem wenig Erbmaterial alle lebensnotwendigen Stoffwechselkreisläufe ablaufen zu lassen. Das Bakterium produziert alles selbst: Aminosäuren, Fette, Zucker und so weiter. Sein Geheimnis: Es verzichtet auf jeden unnötigen Schnickschnack. Eine Zelle ohne Extras.

    " Pelagibacter hat die höchste Gendichte aller bekannten Organismen. Das bedeutet: Es besitzt am wenigsten überflüssige DNA zwischen den Genen. Im Mittel drei Nukleotide. Das sind die Bausteine des Erbmoleküls. So wenig Füllmaterial hat sonst kein Lebewesen."

    Wissenschaftliche Diskussionen um die so genannte Junk-DNA zwischen den Genen dürften damit neu belebt werden. Genforscher hatten in den letzten Jahren Hinweise gefunden, dass dieses Füllmaterial keineswegs nutzlos sei. Es könnte bei der Regulation des Erbguts eine wichtige Rolle spielen, so ihre Vermutung. Allzu wichtig kann die Junk-DNA jedoch nicht sein. Pelagibacter jedenfalls kommt ohne sie aus, und die Regulation - das Ein- und Ausschalten der Gene - funktioniert trotzdem.

    Interessant sind die neuen Ergebnisse auch für den weltbekannten Genomentzifferer Craig Venter. Er möchte einen besonders effizienten Minimal-Organismus erschaffen. Was die Effizienz angeht, lässt sich Pelagibacter allerdings kaum noch übertreffen, glaubt Stephen Giovannoni. Aber das sei kein Grund für Craig Venter, die Suche nach dem Minimal-Genom aufzugeben.

    " Ich denke: Craig Venter kann ein noch kleineres Erbgut konstruieren. Viel kleiner als Pelagibacter. Aber bedenken Sie: Dieser künstliche Minimalorganismus wird auf viele Nährstoffe angewiesen sein, die ihm von außen zugeführt werden müssen."

    Craig Venter ist derweil mit seinem Segelboot auf dem Indischen Ozean unterwegs. Er sammelt Wasserproben, um eine genetische Karte der Weltmeere zu erstellen. Der besonders effiziente Minimal-Organismus schwimmt derweil in billionenfacher Ausführung um ihn herum.