Christoph Heinemann: Wenn man Glück und einen guten Deutschunterricht in der Schule genießt oder genossen hat, dann sind die Klassiker Begleiter fürs Leben und keine Staubfänger im Bücherschrank. Zu den lesenswerten und lebenslang winkenden Büchern gehört dann auch das Werk Heinrich von Kleists, der in diesem Jahr gefeiert wird, denn im November jährt sich der Todestag zum 200. Mal, genauer: der Tag, an dem der Dichter zuerst die schwerkranke Henriette Vogel und dann sich selbst erschoss. Als er starb, war Kleist ein Niemand. 2011 steht das Gedenkjahr, das heute offiziell in seiner Geburtsstadt Frankfurt an der Oder eröffnet wird, unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Irgendetwas muss an diesem Mann und seinem Werk also sein. Auf der Suche nach diesem Irgendetwas hilft uns heute früh Jens Bisky, Feuilletonredakteur der "Süddeutschen Zeitung", Vorstandsmitglied der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft und selbst Kleist-Biograf. Guten Morgen!
Jens Bisky: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Bisky, was reizt Sie an Kleist?
Bisky: Es ist die Sprache, besser kann ich es nicht sagen. Es ist eine ungeheuer dichte, widerspruchsreiche, farbige, plastische Sprache. Zum Teil sind die Sätze zum Bersten gespannt und scheinen zu zerbrechen, in den ganz späten Erzählungen misslingen sogar Anschlüsse, weil die Sätze zu viel mitteilen wollen. Wer den Anfang etwa des "Erdbebens in Chili" liest, der wird merken, dass es selten so viel in einen Satz gepackt gibt wie bei Heinrich von Kleist. Und das hängt natürlich nicht nur mit seiner ungeheuren Sprachbegabung zusammen, sondern auch mit seinem besonderen Sensorium für die Widersprüche des Zeitalters der Vernunft.
Heinemann: Kleist erlebt die Revolutions- und die Restaurationszeit. Inwiefern spiegelt sich in seinem Werk diese Zeitgeschichte?
Bisky: Die Revolution ist die wesentliche Erfahrung, Kleist wird zum Dichter durch die Erfahrung der Revolutionskriege und durch das Studium der Aufklärung und der Reformdiskussion in Preußen um 1800. Man hat sehr lange sich gewundert über die Blutrünstigkeit seiner Texte, seiner Dramen, denken Sie an die "Penthesilea", die Küsse und Bisse verwechselt, denken Sie an die "Marquise von O...", denken Sie an "Michael Kohlhaas". Es geht die ganze Zeit immer um Krieg in diesem Werk, aber er hat auch zeit seines Lebens in einem Europa des Krieges gelebt und existiert. Und so etwas wie das Zerreißen von Menschen war in einigen Revolutionsnächten in Paris durchaus an der Tagesordnung. Und diese Gewalt hat er ungeheuer genau registriert, er ist auch mehrfach in Paris gewesen, hat dann später in den Thinktanks der preußischen Reformer mitstudiert oder hat Kontakte zu diesen gehabt. Da spielt die Zeit hinein und er sucht dann am Ende seines Lebens sein Heil darin, ein Propagandist des antinapoleonischen Krieges und des antinapoleonischen Befreiungskampfes zu werden. Das ist der Kleist, der uns heute vielleicht am fremdesten ist, der Kleist der "Hermannsschlacht", der Kleist patriotischer Gesänge, wo ein Vers vorkommt wie "Schlagt ihn tot, das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht", und ähnlichen Dingen.
Heinemann: Krieg und zerrissen, vielleicht auch das eigene Leben, er probiert ja Vieles aus und scheitert jedes Mal: Militärdienst, Studium, Ausbildung, dann versucht er sich als Bauer, schließlich dann eben auch der Selbstmord. Gibt es in seinem Leben etwas Stetiges, etwas Konstantes?
Bisky: Das ist der ungeheure Wunsch nach Liebe und nach Vertrauen und der Wunsch nach Bedingungslosigkeit. Kleist ist kein Mann für Kompromisse, für Halbheiten, fürs Pragmatische, Abwägende, das liegt ihm nicht. Clemens Brentano hat ihn ein herrliches Konsequenztalent genannt und als so ein Konsequenztalent muss man ihn glaube ich versuchen zu verstehen. Es ist die Neigung zum Extrem, das Schwanken von einem Extrem ins andere, das ihn kennzeichnet.
Heinemann: Und so schreibt er auch?
Bisky: So schreibt er auch, und so lebt er auch.
Heinemann: Herr Bisky, ein sozialistischer Strahlemann war Kleist nicht. Wie wurde er in der DDR gesehen?
Bisky: Das war höchst widersprüchlich. Es gab auf der einen Seite eine tradierte Ablehnung. Der große marxistische Historiker und Literaturwissenschaftler Franz Mehring hat Kleist als preußischen Junker abgelehnt. Georg Lukács, der für die Frühzeit der DDR sehr wichtig war, hielt ihn für einen Frondeur gegen die Vernunft, und als Antipode Goethes war er in einer so klassizistisch geprägten Kultur, wie die frühe DDR sie darstellte, nicht gern gesehen. Zur gleichen Zeit gab es aber auch sozialistische Versuche, Kleist zu vereinnahmen. So wie es in den 20er-Jahren Versuche gab, Kleist für die Deutschnationalen zu vereinnahmen, hat man nun gesagt, ja, mit der "Hermannsschlacht" sieht man doch ganz deutlich, die Germanen, das sind wir Ostdeutschen, und die Römer, das sind die Amerikaner, gegen die man entsprechend kämpfen muss. Beides hat nicht richtig funktioniert, die Ablehnung nicht und der Versuch der Vereinnahmung. Das Interessante in der DDR ist dann, wie Künstler Kleist für sich entdeckt haben, um das Eigenrecht des Individuums und das Eigenrecht auf ihre künstlerische Sprache, die sie sich von niemandem vorschreiben lassen wollten, auszudrücken. Dazu gehört Heiner Müller, dazu gehört Günter Kunert, der zu Beginn der 70er-Jahre mit scharfen Pamphlets für Heinrich von Kleist eingetreten ist, dazu gehört nicht zuletzt Christa Wolf dann mit ihrem Selbstverständigungsbuch "Kein Ort. Nirgends", eine fiktive Begegnung zwischen Kleist und der Günderrode. In diesem Buch versuchte sie damals ihre Irritation, ihre Wut, ihre Trauer über die Biermann-Ausbürgerung zu fassen.
Heinemann: Wie kamen Sie zu Kleist?
Bisky: Ja, in der Schule ist er interessanterweise in der DDR kaum behandelt worden. Wir haben gelesen lediglich die "Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege" und haben daran den Satzbau und die Zeichensetzung ein bisschen studiert. Ich bin an der Universität zu ihm gekommen und durchs Theater, zu Beginn der 90er-Jahre sind dann am Deutschen Theater sehr viele Kleist-Stücke aufgeführt worden, der "Amphitryon", das "Käthchen von Heilbronn". Ich hatte das Glück noch Ende der 80er-Jahre ein Gastspiel von Peymann und dem Wiener Burgtheater in Ostberlin zu erleben, der die "Hermannsschlacht" sozusagen fürs Theater entdeckt oder wiederentdeckt hatte. Und es ist die Faszination geblieben an Kleist. Man wird ja mit ihm nicht so richtig fertig, weil es kein Zauberwort gibt und dann hat man ihn und kann ihn getrost ins Regal stellen, sondern man muss immer wieder versuchen, mit dieser Irritation umzugehen. Denn er erschießt sich und seine Freundin am Wannsee ja im Gefühl unaussprechlicher Heiterkeit. Und dieses Den-Tod-Suchen und zugleich unaussprechlich heiter sein, das gehört zu Kleist.
Heinemann: Sie sprachen eben von den Aufführungen, von den Inszenierungen, die Sie gesehen haben. Im "Zerbrochenen Krug" lernen wir einen Dorfrichter Adam kennen, der weniger Paragrafen als, wie man heute sagen würde, Bunga-bunga im Sinn hat. Der Interessenkonflikt lässt da nicht lange auf sich warten. Könnte man den "Zerbrochenen Krug" im Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten inszenieren?
Bisky: Das könnte man auf jeden Fall, ich weiß nicht, ob er es zulässt. Ich nehme an, dass es gute italienische Übersetzungen gibt. Man soll sich es aber nicht zu einfach machen und auf den Dorfrichter Adam mit dem Finger zeigen. Gleich in der ersten Szene, Sie erinnern sich, derangiert steht er auf, der Schreiber Licht weist ihn darauf hin, dass man Inspektionsbesuch erwartet, sagt er: "Ja, seht. Zum Straucheln braucht's doch nichts als Füße." Und das ist eigentlich das, was mich im Moment an Kleist am meisten interessiert: dass Normalität und Gelingen für Kleist absolut unwahrscheinlich ist. Der Ausnahmezustand, das ist die Normalität. Denn eigentlich ist für ihn das Gehen mit den Füßen ein sozusagen im letzten Moment verhindertes Stolpern und Hinstürzen, und auch davon handelt "Der zerbrochene Krug".
Heinemann: Stolpern und hinstürzen - Michael Kohlhaas zieht gegen eine kafkaeske Rechtlosigkeit zu Felde und er überzieht vollkommen. Ist Kohlhaas typisch deutsch?
Bisky: Kohlhaas ist typisch deutsch, er heißt ja nicht umsonst Michael, denken Sie an den deutschen Michel. Kohlhaas ist eine Figur, die sehr typisch für die deutsche Leidenschaft ist zum Zorn und zum Eine-Sache-grundsätzlich-Nehmen. Ich weiß, dass Michael Kohlhaas sehr viele Sympathien genießt und immer genossen hat, schon kurz nach Kleists Tod unter Nonkonformisten, unter Rebellen, Revolutionären, Terroristen, Putschisten, alle haben sich im Laufe der letzten 200 Jahre auf Kohlhaas berufen. Ich halte ihn dann doch für eine im Kern sehr unsympathische Erscheinung in dieser Grundsätzlichkeit, die ganze Welt zu verwerfen wegen einer im Kern dann doch Lappalie.
Heinemann: Das schreibt Kleist ja auch selbst: eine der rechtschaffensten und zugleich der entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. Was empfehlen Sie Eltern und Lehrern, wie sollte man Jugendliche an Kleists Werk heranführen?
Bisky: Man sollte glaube ich mit Jugendlichen wenn überhaupt das "Erdbeben in Chili" lesen, was eine wunderbare Geschichte von Liebe, Untergang und Träumen ist, das ist ja eine dreiteilige Geschichte und im Mittelteil hat man eine große Utopie, wo die ganze Welt sich sozusagen in einen Garten Eden zurückverwandelt, und aus diesem Garten Eden bricht dann wieder brutalste Gewalt heraus. Das würde glaube ich Kinder jederzeit faszinieren können, Jugendliche faszinieren können. Ich finde, man kann seine Anekdoten lesen. Bei den Dramen wäre ich mir nicht so sicher, da würde ich Schüler, jüngere, selber Entdeckungen machen lassen und sie nicht dazu zwingen oder verstärkt darauf hinweisen.
Heinemann: Der Journalist und Kleist-Biograf Jens Bisky, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Bisky: Ich danke Ihnen!
Jens Bisky: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Bisky, was reizt Sie an Kleist?
Bisky: Es ist die Sprache, besser kann ich es nicht sagen. Es ist eine ungeheuer dichte, widerspruchsreiche, farbige, plastische Sprache. Zum Teil sind die Sätze zum Bersten gespannt und scheinen zu zerbrechen, in den ganz späten Erzählungen misslingen sogar Anschlüsse, weil die Sätze zu viel mitteilen wollen. Wer den Anfang etwa des "Erdbebens in Chili" liest, der wird merken, dass es selten so viel in einen Satz gepackt gibt wie bei Heinrich von Kleist. Und das hängt natürlich nicht nur mit seiner ungeheuren Sprachbegabung zusammen, sondern auch mit seinem besonderen Sensorium für die Widersprüche des Zeitalters der Vernunft.
Heinemann: Kleist erlebt die Revolutions- und die Restaurationszeit. Inwiefern spiegelt sich in seinem Werk diese Zeitgeschichte?
Bisky: Die Revolution ist die wesentliche Erfahrung, Kleist wird zum Dichter durch die Erfahrung der Revolutionskriege und durch das Studium der Aufklärung und der Reformdiskussion in Preußen um 1800. Man hat sehr lange sich gewundert über die Blutrünstigkeit seiner Texte, seiner Dramen, denken Sie an die "Penthesilea", die Küsse und Bisse verwechselt, denken Sie an die "Marquise von O...", denken Sie an "Michael Kohlhaas". Es geht die ganze Zeit immer um Krieg in diesem Werk, aber er hat auch zeit seines Lebens in einem Europa des Krieges gelebt und existiert. Und so etwas wie das Zerreißen von Menschen war in einigen Revolutionsnächten in Paris durchaus an der Tagesordnung. Und diese Gewalt hat er ungeheuer genau registriert, er ist auch mehrfach in Paris gewesen, hat dann später in den Thinktanks der preußischen Reformer mitstudiert oder hat Kontakte zu diesen gehabt. Da spielt die Zeit hinein und er sucht dann am Ende seines Lebens sein Heil darin, ein Propagandist des antinapoleonischen Krieges und des antinapoleonischen Befreiungskampfes zu werden. Das ist der Kleist, der uns heute vielleicht am fremdesten ist, der Kleist der "Hermannsschlacht", der Kleist patriotischer Gesänge, wo ein Vers vorkommt wie "Schlagt ihn tot, das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht", und ähnlichen Dingen.
Heinemann: Krieg und zerrissen, vielleicht auch das eigene Leben, er probiert ja Vieles aus und scheitert jedes Mal: Militärdienst, Studium, Ausbildung, dann versucht er sich als Bauer, schließlich dann eben auch der Selbstmord. Gibt es in seinem Leben etwas Stetiges, etwas Konstantes?
Bisky: Das ist der ungeheure Wunsch nach Liebe und nach Vertrauen und der Wunsch nach Bedingungslosigkeit. Kleist ist kein Mann für Kompromisse, für Halbheiten, fürs Pragmatische, Abwägende, das liegt ihm nicht. Clemens Brentano hat ihn ein herrliches Konsequenztalent genannt und als so ein Konsequenztalent muss man ihn glaube ich versuchen zu verstehen. Es ist die Neigung zum Extrem, das Schwanken von einem Extrem ins andere, das ihn kennzeichnet.
Heinemann: Und so schreibt er auch?
Bisky: So schreibt er auch, und so lebt er auch.
Heinemann: Herr Bisky, ein sozialistischer Strahlemann war Kleist nicht. Wie wurde er in der DDR gesehen?
Bisky: Das war höchst widersprüchlich. Es gab auf der einen Seite eine tradierte Ablehnung. Der große marxistische Historiker und Literaturwissenschaftler Franz Mehring hat Kleist als preußischen Junker abgelehnt. Georg Lukács, der für die Frühzeit der DDR sehr wichtig war, hielt ihn für einen Frondeur gegen die Vernunft, und als Antipode Goethes war er in einer so klassizistisch geprägten Kultur, wie die frühe DDR sie darstellte, nicht gern gesehen. Zur gleichen Zeit gab es aber auch sozialistische Versuche, Kleist zu vereinnahmen. So wie es in den 20er-Jahren Versuche gab, Kleist für die Deutschnationalen zu vereinnahmen, hat man nun gesagt, ja, mit der "Hermannsschlacht" sieht man doch ganz deutlich, die Germanen, das sind wir Ostdeutschen, und die Römer, das sind die Amerikaner, gegen die man entsprechend kämpfen muss. Beides hat nicht richtig funktioniert, die Ablehnung nicht und der Versuch der Vereinnahmung. Das Interessante in der DDR ist dann, wie Künstler Kleist für sich entdeckt haben, um das Eigenrecht des Individuums und das Eigenrecht auf ihre künstlerische Sprache, die sie sich von niemandem vorschreiben lassen wollten, auszudrücken. Dazu gehört Heiner Müller, dazu gehört Günter Kunert, der zu Beginn der 70er-Jahre mit scharfen Pamphlets für Heinrich von Kleist eingetreten ist, dazu gehört nicht zuletzt Christa Wolf dann mit ihrem Selbstverständigungsbuch "Kein Ort. Nirgends", eine fiktive Begegnung zwischen Kleist und der Günderrode. In diesem Buch versuchte sie damals ihre Irritation, ihre Wut, ihre Trauer über die Biermann-Ausbürgerung zu fassen.
Heinemann: Wie kamen Sie zu Kleist?
Bisky: Ja, in der Schule ist er interessanterweise in der DDR kaum behandelt worden. Wir haben gelesen lediglich die "Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege" und haben daran den Satzbau und die Zeichensetzung ein bisschen studiert. Ich bin an der Universität zu ihm gekommen und durchs Theater, zu Beginn der 90er-Jahre sind dann am Deutschen Theater sehr viele Kleist-Stücke aufgeführt worden, der "Amphitryon", das "Käthchen von Heilbronn". Ich hatte das Glück noch Ende der 80er-Jahre ein Gastspiel von Peymann und dem Wiener Burgtheater in Ostberlin zu erleben, der die "Hermannsschlacht" sozusagen fürs Theater entdeckt oder wiederentdeckt hatte. Und es ist die Faszination geblieben an Kleist. Man wird ja mit ihm nicht so richtig fertig, weil es kein Zauberwort gibt und dann hat man ihn und kann ihn getrost ins Regal stellen, sondern man muss immer wieder versuchen, mit dieser Irritation umzugehen. Denn er erschießt sich und seine Freundin am Wannsee ja im Gefühl unaussprechlicher Heiterkeit. Und dieses Den-Tod-Suchen und zugleich unaussprechlich heiter sein, das gehört zu Kleist.
Heinemann: Sie sprachen eben von den Aufführungen, von den Inszenierungen, die Sie gesehen haben. Im "Zerbrochenen Krug" lernen wir einen Dorfrichter Adam kennen, der weniger Paragrafen als, wie man heute sagen würde, Bunga-bunga im Sinn hat. Der Interessenkonflikt lässt da nicht lange auf sich warten. Könnte man den "Zerbrochenen Krug" im Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten inszenieren?
Bisky: Das könnte man auf jeden Fall, ich weiß nicht, ob er es zulässt. Ich nehme an, dass es gute italienische Übersetzungen gibt. Man soll sich es aber nicht zu einfach machen und auf den Dorfrichter Adam mit dem Finger zeigen. Gleich in der ersten Szene, Sie erinnern sich, derangiert steht er auf, der Schreiber Licht weist ihn darauf hin, dass man Inspektionsbesuch erwartet, sagt er: "Ja, seht. Zum Straucheln braucht's doch nichts als Füße." Und das ist eigentlich das, was mich im Moment an Kleist am meisten interessiert: dass Normalität und Gelingen für Kleist absolut unwahrscheinlich ist. Der Ausnahmezustand, das ist die Normalität. Denn eigentlich ist für ihn das Gehen mit den Füßen ein sozusagen im letzten Moment verhindertes Stolpern und Hinstürzen, und auch davon handelt "Der zerbrochene Krug".
Heinemann: Stolpern und hinstürzen - Michael Kohlhaas zieht gegen eine kafkaeske Rechtlosigkeit zu Felde und er überzieht vollkommen. Ist Kohlhaas typisch deutsch?
Bisky: Kohlhaas ist typisch deutsch, er heißt ja nicht umsonst Michael, denken Sie an den deutschen Michel. Kohlhaas ist eine Figur, die sehr typisch für die deutsche Leidenschaft ist zum Zorn und zum Eine-Sache-grundsätzlich-Nehmen. Ich weiß, dass Michael Kohlhaas sehr viele Sympathien genießt und immer genossen hat, schon kurz nach Kleists Tod unter Nonkonformisten, unter Rebellen, Revolutionären, Terroristen, Putschisten, alle haben sich im Laufe der letzten 200 Jahre auf Kohlhaas berufen. Ich halte ihn dann doch für eine im Kern sehr unsympathische Erscheinung in dieser Grundsätzlichkeit, die ganze Welt zu verwerfen wegen einer im Kern dann doch Lappalie.
Heinemann: Das schreibt Kleist ja auch selbst: eine der rechtschaffensten und zugleich der entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. Was empfehlen Sie Eltern und Lehrern, wie sollte man Jugendliche an Kleists Werk heranführen?
Bisky: Man sollte glaube ich mit Jugendlichen wenn überhaupt das "Erdbeben in Chili" lesen, was eine wunderbare Geschichte von Liebe, Untergang und Träumen ist, das ist ja eine dreiteilige Geschichte und im Mittelteil hat man eine große Utopie, wo die ganze Welt sich sozusagen in einen Garten Eden zurückverwandelt, und aus diesem Garten Eden bricht dann wieder brutalste Gewalt heraus. Das würde glaube ich Kinder jederzeit faszinieren können, Jugendliche faszinieren können. Ich finde, man kann seine Anekdoten lesen. Bei den Dramen wäre ich mir nicht so sicher, da würde ich Schüler, jüngere, selber Entdeckungen machen lassen und sie nicht dazu zwingen oder verstärkt darauf hinweisen.
Heinemann: Der Journalist und Kleist-Biograf Jens Bisky, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Bisky: Ich danke Ihnen!