Klimaproteste sind eines der großen Medienthemen 2023. Nach der Berichterstattung zu den Aktionen der "Letzten Generation" im vergangenen Jahr, liegt der Fokus aktuell auf dem von Klimaaktivisten besetzten Dorf Lützerath. Dieses soll für den Tagebau Garzweiler abgebaggert werden. Seit dem 10. Januar räumt die Polizei das Gelände.
Dabei kritisieren Aktivistinnen immer wieder: Im Mittelpunkt sollte das Klima stehen, nicht der Protest. Viele Journalistinnen würden vor allem über Ausschreitungen und Gewalt berichten, obwohl der Großteil der Proteste friedlich sei.
Kritik: Kriminalisierung und Diskreditierung
So schreibt beispielsweise die Klimaschutz-Bewegung "Parents for Future" in einem Statement von einer Kriminalisierung der gesamten Klimabewegung durch einzelne Gewalttaten: "Wir bestreiten nicht, dass es in einem Fall zu Steinwürfen gekommen sein mag, doch die mediale Darstellung, der oftmals die Berichte über vermeintliche Eskalation wichtiger sind als die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Grund des Protestes, leistet einem falschen Bild des Protestes in der Öffentlichkeit Vorschub." Dies hatte "Parents for Future" auch schon mit Blick auf die Berichterstattung über die Aktionen der "Letzten Generation" kritisiert.
Dazu passt, dass gerade der Begriff "Klimaterroristen" zum "Unwort des Jahres" gekürt wurde. In der Begründung der Jury in Marburg hieß es, der Ausdruck sei im öffentlichen Diskurs benutzt worden, um Aktivisten und deren Proteste für mehr Klimaschutz zu diskreditieren.
Warum der Begriff "Klimaterroristen" nicht passt
Polizei: "Eine deeskalierende Berichterstattung hilft uns allen"
Dennoch war in Lützerath nach vielen friedlichen Protesttagen bei der anstehenden Räumung Gewalt erwartet worden. Beim Polizeieinsatz am 11. Januar gab es Zusammenstöße zwischen Polizei und Aktivisten.
In einer Pressekonferenz der Polizei in Aachen hatte der Einsatzleiter Willi Sauer das Vorgehen der Polizei am 9. Januar noch verteidigt und angemahnt, dass seine Einsatzkräfte keine Zielscheibe von Gewalt werden dürften. Sie seien keine "Ersatzschuldigen" für gesellschaftliche Konflikte. Allerdings sei ein Großteil der Demonstrierenden friedlich. Den Gewaltbereiten nicht die Oberhand zu geben sei eine Gratwanderung, bei der auch die Medien ihre Rolle hätten: "Eine deeskalierende Berichterstattung, eine faire und objektive, hilft uns allen", so Sauer.
Soziologe: Polizei prägt oft Bild von Protesten
Dass die Polizei Journalistinnen darum bittet, sich nicht auf Gewalt zu fixieren und damit einer Minderheit eine große Bühne zu geben, sei außergewöhnlich, meint der Soziologe Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung. In der Vergangenheit habe die Polizei im Vorfeld von Protesten oft eine sehr offensive Medienarbeit betrieben, deren Fokus auf mögliche Gewalt gelegen habe. Das habe das Bild von Protesten geprägt, beispielsweise beim G20 Gipfel in Hamburg.
Dass Medien über Gewalt bei den Protesten berichten, sei aber richtig, betont Teune. Gewalt sei ein Zeichen von gesellschaftlichen Konflikten und ein zentraler Nachrichtenfaktor. Es komme aber auf das "Wie" an.
"Wenn die Erfahrung ist, dass Gewalt im Mittelpunkt steht, trägt das sicher weiter zur Frustration bei vielen Aktiven bei. Und die Frustration ist in der Klimabewegung sowieso schon da, weil das Gefühl da ist, dass sie mit dem Protest nicht wirklich zur Politik durchdringt", sagte Teune in @mediasres. Während die Berichterstattung bei den friedlichen "Fridays for Future"-Protesten schnell abgenommen habe, sei sie bei Aktionen der "Letzten Generation" mit RAF-Vergleichen schnell "schrill" geworden.
"Die Berichterstattung trägt sicher auch ein Teil dazu bei, wie sich Proteste entwickeln", so der Protestforscher.
Protest wurde "sehr wohlwollend betrachtet"
Bei den Protesten in Lützerath stand Gewalt nach Einschätzung von Protestforscher Teune aber gar nicht im Mittelpunkt. "Das liegt wahrscheinlich auch an den Erfahrungen mit bisherigen Klimaprotesten." Die Berichterstattung sei hier "erst einmal sehr wohlwollend" gewesen.
Insgesamt aber würden sich die Medien mehr mit den Protesten an sich als mit den Forderungen der Aktivisten beschäftigen. "Das ist ja auch richtig, dass man sich anguckt, was da stattfindet und wie das aussieht. Aber dieser Schritt zu gucken, was ist denn die Verantwortung der politischen Vertreterinnen, wie könnten sie die wahrnehmen und wie nehmen sie sie bis dahin war, das fehlt meiner Meinung nach in der Berichterstattung über die Klimakrise und auch die Proteste, die darauf gerichtet sind", so Teune.
Die Aktivisten drängen bei ihrem Protest auf ein Einhalten der Klimaziele durch die Politik. Der Protest dreht sich dabei nicht allein um Lützerath, das eher zu einem Symbol der Klima- und Anti-Braunkohle-Bewegung geworden ist.
"Reflexionsschleifen" im Redaktionsalltag
Welche Aspekte und Akzente sich letztendlich in der Berichterstattung wiederfinden, welche Beschreibungen und welche Wortwahl getroffen werde und wen man überhaupt zu Wort kommen lasse, unterscheide sich stark von Medium zu Medium. So sei es nicht verwunderlich, dass es bei konservativen Medien eine größere Distanz zu linken Protesten gebe, als bei liberalen Medien.
Um unterschiedliche Formen von Protesten bestmöglich journalistisch abzubilden, rät Soziologe Teune, "Reflexionsschleifen" in den Redaktionsalltag einzubauen, und die eigene Rolle zu hinterfragen: "Sind wir nicht gerade Teil von einer problematischen Entwicklung in der öffentlichen Berichterstattung?"
Wichtig ist laut Teune zudem, nicht einfach die Darstellung von einer Seite zu übernehmen: "Das hört sich erst mal selbstverständlich an, aber die Polizei ist von Journalistinnen sehr lange als privilegierte Quelle behandelt worden, als eine Quelle, deren Darstellung man ohne Verifizierung übernehmen kann. Und das hat sich in den letzten Jahren verändert."