Bis 2045 soll die Bundesrepublik nach dem Willen der schwarz-roten Koalition klimaneutral sein. Auf wichtige Eckpunkte für den Weg dahin haben sich Union und SPD nun geeinigt – noch in dieser Woche soll die Novelle des Bundesklimaschutzgesetzes im Bundesrat verabschiedet werden. Es sieht mehr Anreize für grünen Wasserstoff vor und die Ziele für Wind- und Solarenergie sind zumindest für das kommende Jahr verabredet. Außerdem sollen Genehmigungsverfahren vereinfacht werden – etwa für das Repowering alter Anlagen.
Keine Einigung gab es hingegen bei der von der SPD geforderten Aufteilung des CO2-Preises bei den Heizkosten zwischen Mietern und Vermietern. Auch bei der CO2-Bepreisung bleibt es beim bisher festgelegten Preissteigerungspfad, eine Pflicht für Solardächer wird es offenbar nicht geben, ebenso wenig ein Tempolimit.
Höhere Ausbauziele für Erneuerbare Energien
Für Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, reichen diese Beschlüsse bei weitem nicht aus, um Deutschland bis 2045 Klimaneutral zu machen. Es sei völlig unverständlich, warum sich die Koalitionsparteien nicht auf höhere Ausbauziele für Erneuerbare Energien über 2022 hinaus einigen konnten, so Graichen im Deutschlandfunk. Das Thema werde wieder vertagt und in die nächsten Koalitionsverhandlungen geschoben. Ähnlich sei es beim CO2-Preis: "Das sind Zeitverzögerungen, die wir uns nicht erlauben können."
"Schnellere Genehmigungsprozesse"
Erneuerbare Energien seien die Primärenergiequelle der Zukunft. Zurzeit aber habe ein neues Windrad eine Genehmigungszeit von bis zu 70 Monaten, so Graichen. Notwenig seien schnellere Genehmigungsprozesse und Vereinfachungen bei möglichen, sich anschließenden Gerichtsverfahren. Sinnvoll sei etwa eine klare, zeitlich begrenzte Option für den Rechtsschutz: "Nicht, dass man spät im Verfahren wieder einen neuen Sachverhalt einführen kann und damit das Verfahren noch mal zwei Jahre in die Länge zieht, was heute oft eine Strategie ist, um so ein Projekt zu verhindern."
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Herr Graichen, ist Ihnen klar, wie der Weg aussehen wird zur Klimaneutralität im Jahr 2045?
Patrick Graichen: Uns ist das klar, weil wir ein konkretes Szenario vorgelegt haben, wie man zur Klimaneutralität 2045 kommt. Aber das, was die Regierung bisher beschlossen hat, zeichnet kein klares Bild und reicht bei weitem nicht aus.
"Viel mehr erneuerbare Energien"
Schulz: Nach den Beschlüssen von gestern, sagen Sie, ist dieser Weg überhaupt nicht klarer. Oder ist sogar klar, dass wir in einer anderen oder nicht ausreichend schnellen Richtung unterwegs sind?
Graichen: Wir brauchen sehr viel mehr erneuerbare Energien, denn das wird die Primärenergiequelle der Zukunft sein, Wind- und Solarstrom. Da ist es völlig unverständlich, warum sich gestern die Koalitionsparteien nicht einigen konnten auf die höheren Ausbauziele und das dann augenscheinlich wieder der nächsten Regierung in den nächsten Koalitionsvertrag überworfen wurde. Das gleiche gilt beim CO2-Preis. Wir wissen, dass man den CO2-Preis noch weiter erhöhen und den Strompreis senken muss. Da sind sich alle Experten einig. Das hätte man, wie ursprünglich auch mal von Herrn Dobrindt vorgeschlagen, jetzt beschließen und am 1. Januar 2022 in Kraft setzen können. Auch das Thema wird jetzt wieder vertagt und in die nächsten Koalitionsverhandlungen geschoben, und das sind Zeitverzögerungen, die wir uns nicht erlauben können.
"Bis zu 70 Monate Genehmigungszeit"
Schulz: Es gibt aber bei den erneuerbaren Energien zumindest jetzt den Beschluss und auch das Ziel für das Jahr 2022. Ergibt es nicht Sinn, alles was danach kommt dann auch der nächsten Bundesregierung zu überlassen?
Graichen: Wir haben natürlich zeitliche Vorläufe. Wir müssen die entsprechenden Beschleunigungen bei den Prozessen, bei den Genehmigungen angehen. Die Wind- und auch Solarpark-Projektierer müssen diesen Horizont sehen und die entsprechenden Projekte angehen. Wenn das jetzt noch mal ein dreiviertel Jahr länger dauert, dann ist es ein dreiviertel Jahr verlorene Zeit, und die können wir uns nicht erlauben.
"Wir brauchen Flächen für Wind und Solar"
Schulz: Erleichterungen auf dem Genehmigungswege sind jetzt auch Teil dieser Einigung. Das geht Ihnen aber nicht weit genug?
Graichen: Nein! Wir erleben im Moment, dass ein neues Windrad bis zu 70 Monate Genehmigungszeit hat, und das ist nicht das, womit wir die 2030er-Ziele erreichen können. Insofern: Da wird man noch mal ordentlich nachbessern müssen auf allen Ebenen. Wir brauchen Flächen für Wind und Solar. Wir brauchen schnellere Genehmigungsprozesse und wir brauchen auch gerade Vereinfachungen, wenn es darum geht, was anschließende Gerichtsprozesse angeht.
Im Grunde reden wir von einer Ärmel Hochkrempel-Mentalität, wie in den 60er-, 70er-Jahren. Wir brauchen neue Infrastruktur, die gebaut wird, die diese Klimaneutralität ermöglicht, und das geht nur mit gemeinsamem schnellen Anpacken und nicht die Dinge wieder verschieben und den nächsten vor die Füße legen.
Lange Prüfprozesse
Schulz: Was ist der Grund für diese 70 Monate?
Graichen: Es sind lange Prüfprozesse, die da kommen. Es sind Einwände, die bis zum Denkmalschutz reichen, weil dann eine Sichtachse von einem Windrad auf einmal gestört wird. Dann ergeben sich Verzögerungen, dann wird zweimal Vogelkartierung gemacht und anschließend haben wir langwierige Prüfungsprozesse innerhalb der Behörden. Da haben jetzt auch immer mehr Leute Angst vor den entsprechenden Gerichtsverfahren und das ist eine Mentalität, die sich da in den letzten Jahren eingeschlichen hat, mit der wir nicht vorankommen können. Da muss man auf allen Ebenen die Dinge beschleunigen und natürlich auch die Flächen bereitstellen. Da sind die Bundesländer gefragt, gerade auch in Bayern und in Nordrhein-Westfalen haben wir nicht genug Flächen für Windkraft.
"Zeitlich begrenzte Optionen für Rechtsschutz"
Schulz: Es treffen aber unheimlich viele unheimlich sensible Belange zusammen, wenn wir zum Beispiel an Nachbarschaftsklagen denken. Ist es eine Option, da den Rechtsschutz drastisch zu beschränken, was ja die Voraussetzung dafür wäre, dass es alles schneller gehen könnte?
Graichen: Ich glaube, was es braucht ist klare, zeitlich begrenzte Optionen für Rechtsschutz. Nicht, dass man spät im Verfahren wieder einen neuen Sachverhalt einführen kann und damit das Verfahren noch mal zwei Jahre in die Länge zieht, was heute oft eine Strategie ist, um so ein Projekt zu verhindern. Insofern: Natürlich dürfen all diejenigen, die davon betroffen sind, auch ihre Einwände geltend machen und das ist auch richtig so. Nur gibt es dann dafür ein klar definiertes Zeitfenster und alle Themen, die dort adressiert werden, werden abgearbeitet und das war es dann auch. Das muss die Haltung sein, mit der wir an die Projekte herangehen, weil wir hier eine Generationenaufgabe zu stemmen haben in nur 23 Jahren. 2045 klingt so weit weg, aber es ist im Grunde, wenn man in Investitionszyklen denkt, einmal alles anfassen.
"Investitionsanreize in Richtung Klimaneutralität"
Schulz: Ich würde mit Ihnen gerne noch auf andere Punkte dieser Einigung schauen. Es ist auch verabredet, Unternehmen von der CO2-Bepreisung zu entlasten. Ergibt das Sinn, gerade bei Unternehmen dieses auf Marktwirtschaft ausgerichtete Tool auszusetzen?
Graichen: Was wir brauchen ist, dass Unternehmen einen Investitionsanreiz bekommen in Richtung Klimaneutralität und dass Investitionen in das alte Schädliche unterbleiben. Insofern braucht es da einen Mix.
Erst mal geht es natürlich darum, dass es im internationalen Wettbewerb keine Nachteile geben soll. Dafür dienen diese kostenlosen CO2-Zertifikate. Das ist für einen Übergangszeitraum auch noch ein gutes Instrument, wenn es gekoppelt wird mit sogenannten Carbon Contracts for Differences, Zuschussverträge für die Neuinvestition in Richtung Klimaneutralität. Denn das ist es, worum es geht, dass jede neue Anlage, jedes neue Chemiewerk, jede neue Stahlfabrik gleich auf Richtung Klimaneutralität gezogen wird, und da muss der Fokus drauf sein.
Grüner Wasserstoff
Schulz: Noch kurz der Blick auf einen anderen Aspekt. Der sogenannte grüne Wasserstoff soll auch gepusht werden, indem er jetzt von der EEG-Zulage befreit wird. Welche Rolle wird diese Form der Energiegewinnung dann spielen?
Graichen: Wir brauchen grünen Wasserstoff in den Bereichen, wo wir nicht mit Ökostrom selbst vorankommen. Das ist die Stahlindustrie, die Chemieindustrie und das wird als Produkt dann auch später für das Flugbenzin und Schiffsbenzin eine Rolle spielen. Da ist es richtig und wichtig, den grünen Wasserstoff voranzutreiben, aber manche träumen jetzt schon davon, dass der Wasserstoff auch in die Gasnetze geht und dann in den Häusern verbrannt wird. Das wird nicht kommen, weil Wasserstoff dafür zu teuer ist, zu kostbar und zu selten. Da muss man schon klar sagen, die Priorität liegt bei der Industrie, denn da wird es dringend gebraucht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.