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Klima und Flugreisen
"Keine menschliche Aktivität verursacht mehr Emissionen in so kurzer Zeit"

Die Grünen fordern eine Abschaffung von Kurzstrecken- und Billigflügen. Besonders klimaschädlich seien zwar Langstreckenflüge, sagte Tourismus-Experte Stefan Gössling im Dlf. Inlandsflüge könnten aber besonders leicht durch Zugfahrten ersetzt werden. Bahnfahren dürfe nur nicht teurer sein als Fliegen.

Stefan Gössling im Gespräch mit Georg Ehring |
Lufthansa-Flugzeug am Flughafen Frankfurt am Main. Frankfurt, 23.09.2018
Langstreckenflüge sollten eine höhere CO2-Steuer bekommen, sagte Experte Stefan Gössling (Geisler-Fotopress)
Als die Bundesregierung nur zwei Wochen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ihre Klimaziele hochgesetzt hat, war der Beifall groß: Deschland soll möglichst schnell klimaneutral werden, damit die Klimakatastrophe aufgehalten werden kann. Doch nun geht es an die Einzelheiten, und dazu gehört die Forderung nach weniger Flugreisen. Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, hat sich für die Abschaffung von Kurzstreckenflügen innerhalb Deutschlands ausgesprochen und fordert ein Ende der Billigflüge insgesamt. Das geht manchen zu weit.
Die neuen Klimaziele für Deutschland
Die Bundesregierung hat die Klimaziele für Deutschland nachgeschärft. Gründe sind neue EU-Vorgaben sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, in dem das Klimagesetz von 2019 als unzureichend gerügt wurde. Ein Überblick.
Doch wie sehr schaden Flugreisen dem Klima eigentlich? Damit beschäftigt sich Professor Stefan Gössling. Er lehrt unter anderem an der Universität Lund in Südschweden und beschäftigt sich mit nachhaltigem Tourismus. Im Dlf-Interview sagte er, besondes Langstreckenflüge seien klimaunfreundlich. Inlandsflüge hätten im Hinblick auf die Gesamtemissionen keine große Bedeutung, seien dafür aber besonders leicht abschaffbar, weil sie durch Zugreisen ersetzt werden könnten.

Das Interview im Wortlaut:
Georg Ehring: Wie halten Sie es selber mit dem Fliegen?
Stefan Gössling: Ich vermeide Flugreisen, wo immer es geht – nicht nur seit der Pandemie, sondern auch schon vorher. Bei mir ist das ein langer Prozess gewesen. Ich habe schon Mitte der 90er-Jahre zu Flugverkehr geforscht und eigentlich schon damals eingesehen, dass es nicht nachhaltig ist zu fliegen.
Ehring: Der Beitrag von Flugreisen zur Klimaerwärmung wird meist auf um die drei Prozent geschätzt. Ist das viel oder wenig?
Gössling: Ich würde jetzt mal ein bisschen diplomatisch antworten. Paris ist auch nur 0,1 Prozent und London vermutlich auch. Aber natürlich ist das nicht die Frage, sondern die Frage ist, wieviel trägt der Einzelne durch seine Aktivitäten zum Klimawandel bei und wie kann der Einzelne seinen Beitrag reduzieren. Wenn wir uns dann den Flugverkehr angucken, dann stellt sich das Ganze ein bisschen anders dar. Es gibt keine menschliche Aktivität, die mehr Emissionen in so kurzer Zeit verursacht, und eine einzelne Flugreise kann ein Jahres-Budget eines Durchschnittsmenschen schon überschreiten. Deswegen ist der Flugverkehr sehr relevant in der Klimafrage.

"Fernreisen schlagen besonders stark zu Buche"

Ehring: Welche Reisen sollten denn vor allem unterbleiben? Sind es die Inlandsflüge, über die in Deutschland gerade besonders diskutiert wird?
Gössling: Die Inlandsflüge sind ein Problem, weil sie zum einen dazu führen, dass man dieses Verständnis hat, dass Fliegen so billig sein kann und so viel günstiger als andere Transportmittel, und weil dadurch sehr viele Leute sehr viele Reisen machen mit dem Flugverkehr. Wir müssen uns ja immer daran erinnern, dass jetzt in Deutschland nur ein Drittel der Bevölkerung überhaupt fliegt innerhalb eines Jahres. Der Großteil der Bevölkerung fliegt nicht. Die Inlandsreisen sind besonders leicht abschaffbar, weil sie durch Zugreisen ersetzt werden können. Sie haben im Hinblick auf die Gesamtemissionen allerdings keine große Bedeutung, weil es da insbesondere die Fernreisen sind, die besonders stark zu Buche schlagen.
Aktuell, 09.09.2020, Berlin Juergen Trittin bei seiner engagierten Rede bei der 172. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin
Debatte um Billigflüge
Grünen-Politiker Jürgen Trittin spricht sich wie Parteichefin Annalena Baerbock gegen Kurzstrecken- und Billigflüge aus. Diese sollten nicht verboten werden, klimafreundliche Alternativen müssten aber attraktiver werden, sagte Trittin im Dlf.
Ehring: Was muss passieren, damit mehr Inlandsflüge ersetzt werden?
Gössling: Zum einen, denke ich, ist es ein politisch falsches Signal, wenn das umweltfreundlichste Transportmittel in Deutschland, der Zug, mehr kostet als ein Inlandsflug. Das ist ja häufig der Fall. Da geht es um Subventionen, da geht es um die Frage, dass Klimaschutz nicht in Form von einer CO2-Besteuerung auch auf den Flugverkehr umgesetzt wurde. Ich denke, man kann da an vielen Schrauben ein bisschen verändern, um Leute dazu zu bringen, mit dem Zug zu fahren, denn in aller Regel spart man ja sogar effektive Arbeitszeit, wenn man mit dem Zug fährt.

"Dienstleistung für eine eher wohlhabendere Schicht"

Ehring: Der Verzicht auf Flugreisen ist ja auch eine soziale Frage. Es heißt immer, dann können sich ärmere Schichten keinen Urlaub in der Sonne mehr leisten. Was sagen Sie denn dazu?
Gössling: Das Argument habe ich noch nie richtig verstanden. Zum einen ist es so, dass die wirklich armen Leute sich eine Flugreise sowieso nicht leisten können, sondern wenn wir von Flugreisen reden, dann sind das sowieso schon Güter oder Dienstleistungen, die sich von einer eher wohlhabenderen Schicht geleistet werden können.
Das andere ist: Wir haben ja auch keine Debatte, dass jeder in Deutschland ein Auto haben soll. 19 Prozent der Haushalte haben aber kein Auto in Deutschland. Das heißt, ich verstehe nicht, warum wir ausgerechnet im Flugverkehr eine sehr sozialistisch ausgelegte Debatte haben über Dinge, die Leute sich leisten können müssen.

"CO2-Steuer bei 100 Euro pro Tonne anfangen"

Ehring: Sie haben Langstreckenflüge gerade als besonders klimaschädlich bezeichnet. Wie lassen die sich reduzieren?
Gössling: Bei den Langstreckenflügen, denke ich, würde sich eine CO2-Steuer in entsprechender Höhe – und wir reden da nicht über 25 Euro, sondern wir wissen alle, dass die Klimakosten für zukünftige Generationen mindestens das Vierfache sind. Ich würde es für angemessener halten, bei 100 Euro pro Tonne anzufangen. Eine solche Besteuerung, die fair wäre gegenüber zukünftigen Generationen, hätte auch einen anderen Lenkungseffekt. Das wäre für mich ein wichtiges Signal, um auch den Fluglinien zu zeigen, ihr müsst anfangen zu investieren in alternative Technologien, in neue Treibstoffe, damit langfristig Flugverkehr stattfinden kann mit Mehrkosten, die für alle dann auch tragbar sind.
Ehring: Es gibt ja die Möglichkeit, Flugreisen zu kompensieren, indem man anderswo in den Klimaschutz investiert. Ist das ein Ablasshandel, oder ist das für Sie eine reale Alternative?
Gössling: Ich glaube, wer so eine CO2-Kompensation kauft, der hat schon sehr genau darüber nachgedacht, ob diese Flugreise überhaupt umweltfreundlich ist und was er dann als einzelner tun kann, um möglichst diesen Effekt noch zu verhindern. Das heißt, ich finde das sehr positiv, wenn Leute eine CO2-Kompensation kaufen – insbesondere wenn es dann dort passiert, wo man auch einen Goldstandard hat für die Projekte, die man in anderen Ländern umsetzt.
Die Leute, die von Ablasshandel reden, sind häufig die, die eine Ausrede suchen, um nicht zusätzlich zahlen zu müssen für die vermutlich sehr vielen Flugreisen, die sie machen.

"Neue Treibstoffe schneller entwickeln"

Ehring: Klimaverträglich fliegen – das soll ja die Zukunft sein, verspricht zumindest die Luftfahrtindustrie. Kommt das und wenn ja wann und wie?
Gössling: Wir haben eine ganze Menge Studien dazu gemacht, zu der Frage der Technologie, Lösungen der Zukunft. Es gibt da sehr unterschiedliche Ansätze. Wenn man in die Vergangenheit guckt, dann können wir sagen, über die letzten 25 Jahre hat es immer Diskurse gegeben und Narrative über neue Technologien, die das Klimaproblem lösen werden im Flugverkehr. Passiert ist nichts. Die Emissionen sind konstant gestiegen. Das heißt, ich bin erst mal sehr vorsichtig, was neue Diskurse angeht. Ich glaube daran, wenn ich es wirklich sehe. Die ganzen Vorgaben, die gemacht werden im Moment, oder das, was andiskutiert wurde, 200.000 Tonnen synthetischer Brennstoffe bis 2030, das klingt nach fantastisch viel. Das ist ein Tropfen im Ozean. Wir müssen die Herausforderung und die Größenordnung dieser Herausforderungen genau im Auge behalten und ich denke, dass die Politik kein gutes Verständnis hat, wie groß diese Herausforderung ist. Ich wünsche mir, dass man in erster Linie mal das Wachstum weiter abbremst im globalen Flugverkehr und dann versucht, mit technischen Möglichkeiten in viel schnelleren Umsetzungsschritten auch neue Treibstoffe zu entwickeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.