Marokko, die Höhle der Schmuggler an der Atlantikküste. 2010 entdeckten Archäologen dort Schädel und Skelett-Teile eines Kindes. Die Datierung ergab, dass es vor 108.000 Jahren gestorben war.
"Dieses Kind sieht aus wie ein modernes Kind - nicht viel anders als die, die wir zu dieser Zeit im Nahen Osten finden. Vor rund 100.000 Jahren lief auch der erste Exodus moderner Menschen aus Afrika. Aufgrund dieses Kindes wissen wir jetzt, dass damals überall zwischen Marokko und Israel die gleichen Leute gelebt haben. Sie waren die Ahnen der Menschen, die später Europa kolonisierten, Asien und dann Amerika."
Dazu mussten die Menschen jedoch erst einmal nach Norden kommen, erklärt Jean-Jacques Hublin vom Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Für kleine Gruppen von prähistorischen Jägern und Sammlern sollte die Sahara kaum zu überwinden gewesen sein. Doch Fossilien wie das Kind aus der Höhle der Schmuggler belegen jetzt das Gegenteil. Auch andere Funde und Reste von Süßwassersedimenten in der Weite der Wüste deuten darauf hin, dass solche Wanderungen stattgefunden haben, unter anderem während der vorletzten Warmzeit, zwischen 130.000 und 100.000 Jahren vor heute.
"Wir wissen, dass während der Warmperioden im Klima der Monsun verstärkt ist, und wenn der Monsun verstärkt ist, dann haben wir stärkere Niederschläge, die dann gebündelt sich zu Flüssen formen können, die dann Richtung Norden fließen. Entlang dieser Flüsse ist es dann möglich gewesen für die Menschen, Richtung Norden zu migrieren."
Ein Szenario, das Tim Brücher vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg mit Hilfe von Simulationen geprüft hat: Er kombinierte ein Klimamodell mit einem Abflussmodell. Und tatsächlich: Drei weitverzweigte Fluss-Systeme könnte es gegeben haben:
"Man darf sich diese Flüsse nicht vorstellen wie einen reißenden Strom, der bis ins Mittelmeer hinein fließt, was wir simuliert haben. Es sind nicht alle Flüsse immer ganzjährig mit Wasser voll gewesen, das bedeutet also, dass es vielleicht einmal drei, vier, fünf Monate gab, in denen Wasser zur Verfügung stand in den Flüssen, und danach sind sie dann ausgetrocknet zu einem Wadi."
Die Flüsse könnten im Ahaggar-Gebirge in Westafrika entsprungen sein und im Tibesti-Gebirge im Osten. Entlang des westlichen Systems haben Archäologen bereits Artefakte entdeckt: Dort sind damals also Menschen nach Norden gezogen. Und aus Nordafrika heraus hätten einige Gruppen den Weg nach Europa nehmen können. Hier kommt wieder das Kind aus der Höhle der Schmuggler ins Spiel. Es hatte nämlich ungewöhnlich große Zähne:
"Vom anatomischen Standpunkt aus ist eine rumänische Fundstelle in Pestera cu Oase interessant. Dort ist ein mehr als 40.000 Jahre altes Fossil eines modernen Menschen gefunden worden, der ebenfalls sehr große Zähne hat. Es gleicht auch in einigen weiteren Merkmalen den modernen Menschen, die zwischen 100.000 und 50.000 Jahren vor heute in Nordafrika gelebt haben."
Vielleicht spielte Nordafrika bei den Wanderungen nach Europa eine größere Rolle als lange gedacht. Jedenfalls vermitteln die Funde Einblicke in ein besonderes Wechselspiel: Ließ der Monsun die Wüste ergrünen, lebten bald überall Menschen in der Sahara. Blieb der Regen aus, mussten sie wieder weichen. Und das Klima, es sorgte immer wieder für solche Umbrüche. So verwandelte sich die Sahara auch nach dem Ende der jüngsten Eiszeit in ein Paradies und die Menschen kamen. Als dann Jahrtausende später die Wüste wieder vordrang, zogen sich die Menschen zurück: an den Nil, wo sie Teil der beginnenden ägyptischen Hochkultur wurden oder nach Süden, wo sie in den Hirten- und Bauernkulturen aufgingen.