Dass der Klimawandel ein ernsthaftes Problem ist, darüber herrscht in Europa weitgehend Einigkeit. Die Menschheit muss ihren Energiebedarf senken, um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Allen vorweg: die Menschen in den Industrienationen. Das bedeutet, den Lebensstil ändern – weniger Auto fahren, weniger Fliegen, weniger Strom verbrauchen zum Beispiel.
Vor allem die Wohlhabenden sind gefragt. Sie verbrauchen überproportional viel Energie und haben oft einen vergleichsweise großen CO2-Fußabdruck. Eine kürzlich im Fachmagazin „Energy Research & Social Science“ veröffentlichte Studie hat sich diese Gruppe in Großbritannien genauer angesehen. Die Wissenschaftler haben untersucht, mit welchen Strategien Reiche ihren klimaschädlichen Lebensstil rechtfertigen.
Wer wurde für die Studie zum Klimawandel und CO2-Fußabdruck befragt?
Die Wissenschaftler der University of Leeds haben für ihre qualitative Studie insgesamt 30 Menschen befragt, die beispielsweise mehrfach im Jahr fliegen, mehr Auto fahren oder deutlich mehr Strom verbrauchen als der Durchschnitt. „Dabei war uns wichtig, dass die Probandinnen und Probanden nicht in sehr alten Häusern mit schlechter Isolierung leben oder an Orten, die eine schlechte Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel haben, dass sie also nicht aufgrund äußerer Bedingungen eine schlechte Klimabilanz haben“, sagt Soziologe Noel Cass, der an der Studie mitarbeitete. Mit den Ausgewählten führte das Forschungsteam Interviews und Diskussionsrunden.
Wie rechtfertigen Reiche ihren großen CO2-Fußabdruck?
Menschen mit geringem CO2-Verbrauch begründen ihre Untätigkeit oft damit, dass andere, etwa Vielverbraucher oder die Politik, die größere Verantwortung tragen würden. Wohlhabende nutzen dagegen neben üblichen Rechtfertigungen ganz eigene Argumentationsmuster und Narrative.
Die Menschen haben über ihren Lebensstil gesprochen, als wäre es völlig normal und als würde es jeder tun. Das hat uns sehr interessiert, weil es zeigt, wie Menschen ihren Lebensstil rechtfertigen.
Noel Cass, Soziologe
Ironie, Humor und Gleichgültigkeit
Die Befragten sind sich ihres Verhaltens durchaus bewusst und räumen offen ein, viel Energie zu verbrauchen. Allerdings sprechen sie in einer „gleichgültigen Art und Weise“ oder auch selbstironisch darüber, sagt der an der Studie beteiligte Wissenschaftler Noel Cass.
Beispielsweise wird eine Liste exotischer Fernreiseziele mit dem Kommentar „Also, ja, ja, ich würde ungern an meinen CO2-Fußabdruck denken“ und nachfolgendem Gelächter zusammengefasst. Ein befragtes Ehepaar räumt, nachdem sie ihre Urlaubsziele aufgelistet haben, ein, dass ihr „Fußabdruck enorm ist“, um hinzuzufügen: „Wir sind wahrscheinlich die schlechtesten Menschen auf dem Planeten, zumindest aus energetischer Sicht.“
Bedürfnisse – nicht Wünsche
„In anderen Fällen beschrieben sie Gegenstände, die sie besitzen, aber nicht wirklich brauchen, als Bedürfnisse, als etwas Notwendiges“, so Noel Cass. Ein Befragter gibt beispielsweise an, dass er einen SUV benötige, „weil mein Rücken nicht so toll ist. Ich brauche so eine aufrechte Position, also ein Auto, das meinem Rücken guttut.“
Glück und Verdienst – nicht Privileg
Eine andere diskursive Strategie ist, die Früchte von Privilegien entweder auf Glück oder auf Verdienst zurückzuführen. Urlaub im Ausland beispielsweise als „Belohnung“ für eigene Anstrengungen.
Debatte über Wahlfreiheit
Auch verteidigen Vielverbraucher ihr Verhalten oft im Zusammenhang eines Diskurses über Wahlfreiheit. Beispielsweise: „Als ich jünger war, hatte ich nicht die Finanzen. Jetzt habe ich die Zeit. Ich habe auch das Geld. Also, warum sollte ich mich beschränken und nicht an die Orte reisen, an die ich will?“
„Wir tun alles, was wir können“
Für die Vielverbraucher ist noch eine andere Strategie charakteristisch. Das Forschungsteam nennt sie die „Wir tun alles, was wir können“-Behauptung. Sie nutzen beispielsweise Energiesparlampen oder Geräte mit der Energieeffizienzklasse A, ignorieren dabei aber viel Grundsätzlicheres.
„Die Befragten hatten teilweise drei oder vier Gefrierschränke oder Kühlschränke, aber die seien ja alle effizient, also sei das gut“, sagt Soziologe Cass. „Die Menschen ignorierten einfach die stark klimaschädlichen Aktivitäten wie ständiges Autofahren und in einem Fall mehr als 70 Mal im Jahr fliegen.“
Welche Schlussfolgerungen ziehen die Forscher für die Politik?
Menschen mit hohem Energieverbrauch werden möglicherweise niemals freiwillig auf Informationen, Ermahnungen und Appelle an Eigeninteresse reagieren, heißt es in der Studie. Deswegen halten die Wissenschaftler „stärkere staatliche Maßnahmen“ für erforderlich, auch solche, die in die „Wahlfreiheit der Verbraucher“ eingreifen.
Ähnlich sieht es der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Michael Bilharz vom Umweltbundesamt. Um Menschen mit hohen CO2-Emissionen zu klimafreundlicherem Handeln zu bringen, seien klimapolitische Maßnahmen unabdingbar. Nur so sei eine gerechte Verteilung von Ressourcen möglich. So müsste die CO2-Bepreisung möglichst sozial gestaltet werden. Die Einnahmen darauf könnten rückverteilt werden, "sodass Menschen mit geringem Einkommen davon profitieren".
Muss die Freiheit der Verbraucher eingeschränkt werden?
Schon 1957 klagte die Politologin Judith Shklar in ihrem Buch „After Utopia“ über jenen „konservativen Liberalismus“, der sich jeglicher kollektiven politischen Veränderung im Namen einer rein individuellen Freiheit entgegenstellte. Der Begriff der Freiheit kann im konservativ liberalen Sinne so aufgefasst werden, dass jeder entscheiden darf, wie er sein Leben führt und sein Geld einsetzt. Ein Tempolimit ist somit eine Einschränkung dieser Freiheit.
Doch dieser Freiheitsbegriff greife mit Blick auf den Klimawandel zu kurz, sagt der Philosoph Dieter Thomä. „Wenn wir über Klima und die soziale Frage reden, die damit verbunden ist, dann erreichen wir einen Punkt, an dem dieses Sich-Gegenseitig-In-Ruhe-Lassen nicht mehr richtig funktioniert." Sein Argument: "Es geht um den Raum, den wir gemeinsam bewohnen, also die Atmosphäre.“ Ein dickes Auto zu fahren oder viel zu fliegen, sei also nicht einfach Privatsache.
Grundsätzlich gehe es bei der Klimafrage um Besitzstände, die Verteilung von Eigentum sowie um die Gestaltung des gemeinsamen sozialen und politischen Raums, findet der Philosoph. „Insofern ist die Klimafrage die soziale Frage unserer Zeit.“ Es sei also durchaus legitim, im Sinne der Gemeinschaft die Freiheit Einzelner einzuschränken.
Quellen: Josephine Walther, Michael Köhler, Hannes Bajohr, sciencedirect.com, lkn