Monika Seynsche: In der Arktis ist das Bild ein sehr einfaches: Das Klima erwärmt sich und das Meereis schwindet. In der Antarktis dagegen ist die Geschichte ein bisschen komplizierter. Da ist heute mehr Wasser von Meereis bedeckt als noch vor 30 Jahren. Über die Beschaffenheit dieses Eises weiß man sehr wenig. Bislang gab es nur einzelne Messungen entlang der Fahrrinne von Eisbrechern. Jetzt aber haben britische, amerikanische und australische Forscher ein kleines U-Boot unter das Eis geschickt und sind auf unvermutet dickes Eis gestoßen. Ich habe den Hauptautor Guy Williams von der Universität von Tasmanien in Hobart gefragt, warum es überhaupt so schwer ist, die Dicke von Meereis zu bestimmen.
Guy Williams: Meereis ist ein sehr herausforderndes Medium. Es ist sehr dynamisch und variabel. Innerhalb weniger Meter verändert sich die Dicke sehr deutlich und sie variiert im Stunden- und Tagesrhythmus. Durch Wind- und Wellen bewegt sich das Eis ständig. Einzelne Eisplatten stoßen aneinander und verkeilen sich. Dadurch ist das Eis an einigen Stellen sehr dick und an anderen dünner. Und auf der Oberfläche liegt Schnee und der verteilt sich auch unabhängig vom Eis darunter.
Seynsche: Können Sie mir erklären wie genau sie ihre Messungen gemacht haben? Sie haben ein U-Boot genutzt, oder?
Williams: Genau. Es ist ein autonomes Unterwasserfahrzeug, also ein robotisches U-Boot. Diese wurden in den letzten 20, 30 Jahren für das Militär und die Industrie entwickelt. Seit etwa zehn Jahren stehen sie nun immer öfter auch der Wissenschaft zur Verfügung. In unserem Fall bewegte sich das U-Boot etwa 20 Meter unterhalb des Eises und es hatte ein nach oben gerichtetes Fächerecholot an Bord, das ein akustisches Signal aussendete. Dann misst es die Zeit, die dieses Signal benötigt, um das Eis zu erreichen und wieder zurückzukommen. Aus dieser Information und der Tiefe in der sich das Fahrzeug befindet, lässt sich dann die Dicke des Meereises berechnen.
"Erst wenn wir wissen, wie dick das Eis ist, haben wir das gesamte Volumen"
Seynsche: Sie haben jetzt unerwartet dickes Meereis gefunden. Welche Schlüsse können Sie daraus ziehen?
Williams: Ich möchte zurückkommen auf die Idee, dass wir das Meereis untersuchen um zu lernen was mit dem Klima passiert. Ich denke, die meisten Menschen wissen, dass sich in der Arktis das Meereis stark zurückzieht. Und das passt auch gut zu dem, was wir im Zuge des Klimawandels erwarten. Aber in der Antarktis ist das Bild etwas anders. Die Fläche des Antarktischen Meereises hat sich in den letzten 30 Jahren leicht vergrößert. Das Interessante aber ist: Das bezieht sich nur auf die Fläche. Wir wissen nicht wie viel Meereis insgesamt da ist. Deshalb wollten wir seine Dicke untersuchen. Denn erst wenn wir wissen, wie dick das Eis ist, haben wir das gesamte Volumen. Unsere Feldmessungen sind nötig, um Satellitenmessungen der Eisdicke mit den Verhältnissen vor Ort abzugleichen. Darüber hinaus fließen unsere Daten in Modelle ein, die versuchen zu klären, wie und warum das Meereis auf Veränderungen in der Atmosphäre und im Ozean reagiert.
Seynsche: Sie haben diese Messungen abgeschlossen. Wie geht es jetzt weiter?
Williams: Wir haben natürlich noch nicht die Dicke des gesamten Antarktischen Meereises bestimmt. Was wir getan haben, ähnelt einem Krankenhaus, das zum ersten Mal ein Röntgengerät bekommen hat. Wir haben unser erstes Röntgenbild des Meereises gemacht und auf einmal so viel mehr entdeckt. Was wir jetzt machen müssen, ist unsere Messungen auszuweiten auf viel größere Gebiete. Und auch Zeitreihen aufzubauen, damit wir Veränderungen beobachten können. Es ist ein großer Schritt hin zu Routinemessungen, die wir machen müssen, wenn wir wirklich Fragen beantworten wollen wie: Wie dick ist das Antarktische Meereis? Und verändert sich diese Dicke? Das ist ein Schritt in diese Richtung.