Ehring: Herr Edenhofer, der Frühling war ein vorgezogener Sommer, der Sommer brachte Rekordhitze und jetzt haben wir einen Herbst, der sich anfühlt wie ein verlängerter Sommer. Angesichts des Klimawandels, können Sie so einen super Sommer noch genießen?
Edenhofer: Ich kann den schon manchmal genießen. Es ist trotzdem so, dass der Hitzesommer uns natürlich schon gezeigt hat, wohin die Reise geht, dass wir weit über ein Grad Temperaturerhöhung haben werden, zwei, drei und wenn wir so weitermachen, wie bisher, sogar vier Grad Temperaturerhöhung. Und wenn man das weiß, dann sind das jetzt Anzeichen, die darauf hinweisen, dass die Klimafolgen sehr viel schneller zuschlagen und sehr viel dramatischer zuschlagen werden, als wir das vielleicht vor ein paar Jahren noch gedacht haben.
Ehring: Das heißt, der Klimawandel entwickelt sich schneller, als es die Wissenschaft früher erwartet hat, kann man das so sagen?
Edenhofer: Ja, also es ist jedenfalls nicht so, dass wir die Folgen des Klimawandels überschätzt haben, sondern wir haben die Folgen des Klimawandels eher unterschätzt.
Ehring: Es gibt ja jetzt den neuen Bericht des Weltklimarats, IPCC: Kann die Erderwärmung noch auf anderthalb Grad begrenzt werden? Das Ergebnis ist nach den Gesetzen von Physik und Chemie schon machbar. Ist das auch nach den Gesetzen von Wirtschaft und Politik machbar?
Edenhofer: Das ist eine gute Frage. Also, man muss ja zunächst mal noch, bevor wir auf die Frage kommen, ist es machbar und sollten wir uns das überhaupt antun, ist vielleicht noch mal wichtig, sich noch mal klarzumachen, dass selbst schon bei einer Temperaturerhöhung von ein bis zwei Grad die Korallenriffe vollständig verschwinden werden, jedenfalls das Risiko gegeben ist, dann die Instabilität des Grönland-Eisschildes und der Verlust antarktischer Eismassen. Das steht also alles im Raum, ebenso der Meeresspiegelanstieg, aber wir müssen ja damit rechnen, dass wir sehr viel stärker die globale Mitteltemperatur anheben, eher vier Grad. Und jetzt ist die Frage, ist es noch zu schaffen. Also, wir müssen bis zum Jahr 2050 die gesamte Weltwirtschaft emissionsfrei haben, zumindest netto. Das heißt also, wir könnten vielleicht noch ein paar hundert Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entziehen, aber bis zur Mitte des Jahrhunderts müssen wir CO2-frei sein. Das heißt also, wir müssen den Stromsektor relativ schnell, wie man so sagt, vollständig dekarbonisieren, weil der Stromsektor ist von strategischer Bedeutung. Warum ist der von strategischer Bedeutung? Weil wenn wir eben Elektroautos haben, wenn wir den Transportsektor und den Wärmesektor, wie man sagt, elektrifizieren, dann wird es nur gelingen, klimarelevant gelingen, wenn wir vorher den Stromsektor dekarbonisiert haben. Das ist sicherlich im Prinzip machbar, nur uns macht ja im Augenblick nicht so sehr das Klimaproblem Sorgen, uns macht ja im Augenblick die größten Sorgen die Investitionszyklen. Also, wenn wir uns mal vorstellen, dass der 1,5 Grad-Bericht des IPCC zwar sagt, wir haben vielleicht ein paar Hundert Gigatonnen, 300 Gigatonnen mehr CO2-Budget zur Verfügung, dann muss man ja feststellen, das haben wir ja schon völlig verfrühstückt, denn alleine 300 Gigatonnen werden schon aufgebraucht durch die Kohlekraftwerke, die sich im Bau befinden und die jetzt schon Strom liefern. Also, die werden über ihre ökonomische Lebenszeit hinweg alleine schon 330 Gigatonnen emittieren. Und wenn wir alle diese Kohlekraftwerke, die sich im Bau befinden, bauen und wenn wir mit den Kohlekraftwerken weitermachen, die wir schon installiert haben, dann werden wir die Tür zu diesem 1,5 Grad-Ziel innerhalb von einer Dekade vollständig zugeschlagen haben.
Allein die Kohle kann das 1,5 Grad stürzen
Ehring: Aber es haben doch sehr viele Staaten ihre Baupläne für Kohlekraftwerke stark zurückgefahren.
Edenhofer: Also, stark zurückgefahren sind die Baupläne für China und Indien, aber andere Staaten, die Türkei, Bangladesch, Pakistan, Vietnam, Japan, haben die drastisch erhöht. Also, cum grano salis, wenn man alles zusammenzählt, dann hat die Kohle alleine das Potenzial, das gesamte verbleibende Budget für 1,5 Grad innerhalb der nächsten Dekaden aufzubrauchen.
Ehring: Die Physiker haben nachgewiesen, dass der Mensch das Klima verändert und Sie beschäftigen sich als Ökonom vor allem damit, wie der Klimawandel gebremst werden kann. Die Bundesregierung sagt jetzt nach dem 1,5-Bericht des Weltklimarats, sie will ihren Weg konsequent fortsetzen, höhere Klimaziele zunächst einmal nicht. Was halten Sie davon?
Edenhofer: Die Bundesregierung wird dieses selbst gesetzte Ziel 2020 verfehlen und wird, wenn kein Wunder passiert, auch das 2030-Ziel verfehlen. Und jetzt geht es um die Frage, welche Klimaziele soll sich eigentlich die Bundesregierung setzen. Also, 2030 sind ja so in etwa 50 Prozent Emissionsminderung gegenüber 1990. Das würde heißen, dass der Stromsektor, weil der am billigsten zu dekarbonisieren ist, mehr machen muss, so etwa minus 60 Prozent. Wenn wir das schaffen würden, wären wir schon ganz gut. Man könnte dann aus meiner Sicht auch noch darüber reden, dass man die Klimaziele anschärft, aber das größte Problem mit der Politik ist ja Folgendes: Die Politik ist im Augenblick immer dabei, für die ferne Zukunft immer ehrgeizigere Ziele zu formulieren, aber die notwendigen Mittel, um die zu erreichen, nicht zu ergreifen. Und aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage jetzt, was in der Kohlekommission passiert, denn in der Kohlekommission steht jetzt zur Debatte, dass zumindest das 2030-Ziel erreicht werden kann. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, im Lichte des 1,5-Grad-Berichtes die Klimaziele anzuschärfen, aber wenn die Regierung jetzt die Ziele nicht anschärfen will, dann muss sie jetzt unbedingt dafür sorgen, dass zumindest die 2030-Ziele erreicht werden. Dann könnte man immer noch über ein Anschärfen der Ziele diskutieren, denn wenn man schon mal was erreicht hat, ist es leichter, den nächsten Schritt zu tun. Aber jetzt muss die Bundesregierung zeigen, dass sie beim Kohleausstieg tatsächlich diesen ersten Schritt gehen kann und gehen will.
"Der Hambacher Forst ist ein Symbol"
Ehring: Die Auseinandersetzung um den Kohleausstieg hat sich zuletzt zugespitzt am Beispiel des Hambacher Forstes. Der muss also stehenbleiben aus Ihrer Sicht?
Edenhofer: Der Hambacher Forst muss stehenbleiben, aber das ist nur ein Symbol. Sehr viel wichtiger ist, dass wir den Kohleausstieg so machen, dass wir am Ende tatsächlich die Emissionen reduzieren. Meine Befürchtung ist, dass in der Kohlekommission jetzt verhandelt wird über eine bestimmte Gigawattzahl, nehmen wir drei Gigawatt, fünf, sieben Gigawatt, die aus dem Netz gehen von schmutziger Braunkohle und dass man es dann dabei belässt. Was aber dann passieren wird, ist ja Folgendes. Wenn jetzt schmutzige Braunkohle aus dem System geht, würde auf dem Strommarkt der Preis steigen und damit würden Steinkohlekraftwerke rentabel werden. Und die Steinkohlekraftwerke sind im Augenblick sowieso nicht ausgelastet und im Endeffekt würde das dazu führen, dass die Emissionen weiter steigen würden. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein und deswegen ist aus meiner Sicht das Paradigma der Kohlekommission so nicht richtig. Es geht nicht um die Frage, wie viel Gigawatt rausgehen, sondern es geht um die Frage, dass wir so viel Kohle aus dem System nehmen, dass wir in einem Kohlenstoffbudget bleiben, das wir uns gegeben haben und dazu ist ein wichtiges Instrument unverzichtbar. Wenn man also ordnungsrechtlich bestimmte Kraftwerke vom Netz nimmt, dann muss das komplementiert werden durch einen CO2-Preis. Denn ohne einen CO2-Preis steht die Kohlekommission vor dem Problem, dass sie Kohlekraftwerke aus dem Netz nimmt und am Ende die Emissionen trotzdem steigen. Und nur wenn es einen sinnvollen CO2-Preis am Europäischen Emissionsmarkt gibt, kann das verhindert werden und wir glauben, dass bei einem Preis zwischen 30 und 40 Euro pro Tonne CO2 ohnehin die Kohle aus dem System gehen würde. Das wäre aus meiner Sicht der richtige Schritt und wir könnten mit diesem Preis etwa in dem Bereich bleiben, den wir uns für die Klimaziele gesetzt haben und wahrscheinlich könnten wir sogar mehr erfüllen, als die Klimaziele, die sich die Bundesregierung bis 2030 gesetzt hat.
Deutscher Aufschlag für CO2-Emmissionspreis
Ehring: Der CO2-Preis an den Emissionsbörsen ist in letzter Zeit deutlich gestiegen auf über 20 Euro. Ist das auch für sie auf dem richtigen Weg und glauben Sie, dass sich das fortsetzt?
Edenhofer: Also, es ist auf jeden Fall so, dass die Emissionshandelsreform vom letzten Herbst Wirkungen gezeigt hat, die ich so nicht erwartet hätte, dass die so stark ist. Und das zeigt, dass die Händler auf dem Emissionsmarkt davon ausgehen, dass es Knappheit gibt in der Zukunft und offensichtlich haben die Händler auch wieder mehr Vertrauen in die europäische Klimapolitik gefasst. Das ist ein gutes Zeichen, nur sind 20 Euro nicht genug. Das ist das Erste und das Zweite an der ganzen Sache ist, wir wissen nicht, ob die 20 Euro tatsächlich erhalten bleiben. Aus diesem Grunde wäre aus meiner Sicht wichtig, um den Emissionshandel robust zu machen, dass man einen Mindestpreis einführt und dieser Mindestpreis würde eben auch dem deutschen Kohleausstieg sehr helfen.
Ehring: Zum Zeitplan des Ausstieges von der Kohlekommission wird kolportiert, 2035, 2038. Es kursierte mal ein Vorschlag des Ko-Vorsitzenden Ronald Pofalla, Was wäre Ihr Datum?
Edenhofer: Für mich ist das Datum nicht so entscheidend, wann das letzte Kraftwerk vom Netz geht. Für mich ist entscheidend, wie viele kumulative Emissionen werden am Ende eingespart und das ist das entscheidende Kriterium. Gemessen an diesem Kriterium wäre mir das sehr viel lieber, wenn in der Kohlekommission neben den beiden symbolischen Daten, wie viel Gigawatt gehen aus dem Netz und was ist das Enddatum, muss man eben sehen, es geht um die Summe, um das Integral über dem ganzen Zeitraum. Um dieses Integral einzuhalten, ist es aus meiner Sicht unverzichtbar, dass es einen glaubwürdigen CO2-Preis gibt. Und wenn der am europäischen Emissionsmarkt nicht durchzusetzen ist aufgrund von Mehrheitsverhältnissen, dann sollte Deutschland eben sich einen nationalen CO2-Preis geben. Also, wenn dann der CO2-Preis am Emissionsmarkt, sagen wir, 20 Euro pro Tonne ist, dann würden wir vielleicht noch 10 Euro draufschlagen, also eine Art Gebühr für die deutschen Kraftwerke, dann hätten wir eine gute Chance, den Ausstieg aus der Kohle gut zu managen.
Ehring: Wie sehen Sie die politische Unterstützung für diesen Vorschlag?
Edenhofer: Ich glaube, dass die politische Unterstützung für diesen Vorschlag im Augenblick noch nicht sehr hoch ist, aber wenn Sie sich vorstellen, dass etwa der Bundesrechnungshof der deutschen Energiewende ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt hat und den Bundeswirtschaftsminister aufgefordert hat, über einen CO2-Preis nachzudenken, dann glaube ich, wird das Bewusstsein und die Einsicht wachsen, dass das notwendig ist. Und stellen Sie sich mal vor, eine Kohlekommission würde jetzt mit dem Beschluss enden, dass sechs, sieben Gigawatt vom Netz gehen, dass es auch ein Ausstiegsdatum gibt und wir würden feststellen, dass aufgrund der Preisentwicklung im Strommarkt die Emissionen steigen oder zumindest nicht so stark sinken, wie wir uns das erwartet haben, weil dann eben Steinkohlekraftwerke mit unausgelasteter Kapazität mehr Strom und mehr Emission produzieren würden, das wäre doch ein Armutszeugnis, wenn eine Kohlekommission, wo so viel politisches Kapital investiert worden ist, am Ende nicht erfolgreich wäre. Und deswegen glaube ich, dass die Kohlekommission, auch wenn es nicht zu ihrem Mandat gehört, zumindest die Schlussfolgerung ziehen sollte, dass wir eine Preisreform brauchen. Das heißt, wir brauchen einen glaubwürdigen Mindestpreis im europäischen Emissionshandel. Aber was wir auch benötigen ist, dass wir dann vor allem für die Sektoren, die nicht im Emissionshandel integriert sind, dass wir dann auch schrittweise die Energieabgaben reformieren. Und ich glaube, an der Frage kommen wir in Deutschland nicht vorbei, wenn wir die Klimaziele ernst nehmen wollen.
Ehring: Damit sind wir beim Thema Auto. Die Autoindustrie soll die Emission neuer Fahrzeuge bis 2030 um 35 Prozent senken. So ist im Moment der Stand. Passt das zur CO2-Neutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts?
"Elektromobilität führt zu Arbeitsplatzverlust"
Edenhofer: Das passt nicht zur CO2-Neutralität. Vor allem ist es ja so, dass diese 30 oder 35 Prozent ja schon erreicht werden würden, wenn die Autoindustrie ihre Selbstverpflichtung bei Elektroautos einhalten würde. Da müsste eigentlich kein technischer Fortschritt mehr beim Verbrennungsmotor durchgesetzt werden können. Also vor dem Hintergrund ist es ein ziemlich laxes Ziel. Also mit den Zielvorgaben, das passt also sicherlich nicht zum 1,5 Grad-Bericht. Vor allem ist es ja so, dass die Autoindustrie ja gut beraten wäre, alleine schon aus Wettbewerbsgründen, die Elektromobilität sehr viel stärker zu fördern, denn Elektromobilität wird in China und in Kalifornien in der Zukunft eine große Rolle spielen. Selbst wenn die Autoindustrie nicht so stark am Klimaschutz interessiert ist, alleine aus Gründen des Wettbewerbsvorteils wäre das für sie von Vorteil, würde sie sich darauf kaprizieren.
Ehring: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche mit Professor Ottmar Edenhofer, dem designierten Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Herr Edenhofer, warum macht die Autoindustrie das nicht? Warum setzt sie nicht stärker auf emissionsreduzierende Fahrzeuge? Muss sie zu ihrem Glück gezwungen werden?
Edenhofer: Zunächst einmal muss man das verstehen. Es geht ja in der Autoindustrie natürlich ja um das Thema Arbeitsplätze und die Befürchtung ist eben, dass Elektromobilität einfach nicht die Wertschöpfungsketten hat wie jetzt der Verbrennungsmotor, dass es zu Arbeitsplatzverlusten kommt und ein Unternehmen, das so erfolgreich ist wie zum Beispiel VW, das kann man verstehen. Man will mit dem Geschäftsmodell weitermachen. Man will Zeit gewinnen. Das ist alles richtig. Ich glaube trotzdem, die Autoindustrie ist nicht gut beraten, hier zu mauern, sondern sie sollte sich durch eine proaktive Innovationsstrategie an die Spitze der Bewegung setzen. Und vor allem kann man ja dann auch darüber reden, wenn es dann zu einer CO2-Bepreisung im Verkehrssektor kommt, wovon ich fest davon überzeugt bin, dass wir dahin kommen müssen. Dann würden ja auch auf dem Markt die Elektroautos rentabel werden.
"1,5 Grad-Ziel nur durch globalen Kooperation möglich"
Ehring: Die Industrie warnt immer vor Carbon Leakage, das heißt die Produktion von Stahl zum Beispiel wandert dorthin, wo die Klimaauflagen gering sind. Die USA verabschieden sich aus der Klimapolitik. Es gibt auch andere Staaten, die wenig ehrgeizig sind. Wie kann man das verhindern?
Edenhofer: Also, zunächst einmal so, dass wir bislang relativ wenig Carbon Leakage sehen. Der CO2-Preis war so niedrig, dass es da wenig Abwanderung gab, aber sicherlich ist eines richtig, dass das Argument, Deutschland könnte seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn Deutschland alleine den CO2-Preis erhöhen würde, das ist richtig, nur das hat ja nie jemand behauptet. Nie hat jemand gesagt, Deutschland soll und kann alleine das Klima retten, Deutschland soll alleine einen CO2-Preis einführen und Carbon Leckage kann man so und dann am besten verhindern, wenn man sein Gewicht in die internationalen Verhandlungen mit einbringt. Und es ist ja nicht so, dass Deutschland alleine ist. Also es gibt CO2-Steuern in Schweden. Es gibt CO2-Steuern in British Columbia. Es gibt CO2-Emissionshandelssysteme in China. Entscheidend ist, wir können einen Carbon Leckage langfristig nur verhindern und das 1,5 Grad-Ziel nur dann erreichen, wenn es zu einer globalen Kooperation kommt. Im Dezember diesen Jahres werden wir in Kattowitz, in Polen, dazu eine weitere Konferenz haben. Und das ist ganz entscheidend, dass bei dieser Konferenz zumindest die Bausteine gelegt werden, dass das Ambitionsniveau der Staaten erhöht wird und dass sie am Ende und am besten auch über CO2-Mindestpreise verhandeln. Und dort, wo Staaten diese CO2-Mindestpreise nicht sofort durchsetzen können aus verständlichen ökonomischen Gründen, müsste dann eben unterstützt werden aus dem sogenannten grünen Klimafonds und das ist aus meiner Sicht der richtige Weg, damit wir dann für Staaten, für ärmere Staaten wie zum Beispiel Vietnam, Anreize schaffen, dass sie CO2-Preise einführen und aus der Kohle aussteigen. Das ist noch ein langer Weg, aber das ist aus meiner Sicht der richtige Weg, um für einzelne Staaten Wettbewerbsnachteile zu verhindern.
"Klimapolitik ohne CO2-Preis = moderne Medizin ohne Antibiotika"
Ehring: Was erwarten Sie denn, was in Kattowitz passieren wird? Da geht es um das Regelbuch, um die Vergleichbarkeit und um Erhöhung des Ambitionsniveaus. Wie sind die Aussichten auf Fortschritte und wie steht Deutschland da?
Edenhofer: Also, die Aussichten, wenn man die politischen Chancen und Möglichkeiten versucht, realistisch abzuschätzen, sind nicht besonders gut. Das Regelbuch wird diskutiert werden. Ob es zu einem starken Anstieg des Ambitionsniveaus kommt, da habe ich meine Zweifel. Ich glaube aber, dass die Staaten langsam lernen müssen, dass es nicht damit getan ist, dass sie Berichte des IPCC verabschieden und dass sie diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wahrnehmen und am Ende auch zumindest die Berichte beschließen, sondern die Staaten müssen lernen, dass es jetzt darum geht, die richtigen Mittel zu ergreifen, nicht nur um die Formulierung langfristiger Ziele, sondern jetzt einen Einstieg in eine glaubwürdige Klimapolitik zu finden. Und immer noch steigen die Emissionen weltweit. Wir haben noch nicht das Maximum der Emissionen erreicht und dieses Bewusstsein muss jetzt bei der COP24 wachsen, dass Staaten sich gegenseitig helfen, vernünftige Instrumente einzuführen. Und ein Instrument, ohne das nichts gehen wird, ist der CO2-Preis. Die Klimapolitik ohne CO2-Preis, das wäre ungefähr so, als wenn man sich eine moderne Medizin ohne Antibiotika vorstellen wollte. Natürlich ist die moderne Medizin mehr als Antibiotika, aber ohne Antibiotika ist moderne Medizin nicht vorstellbar. Und so ist es auch mit dem CO2-Preis. Es gibt nur sehr viel mehr klimapolitische Herausforderungen als den CO2-Preis, aber ohne den CO2-Preis wird es einfach nicht gehen, denn nur dann haben die Investoren und die Konsumenten Anreize, auf CO2-freie Technologien umzusteigen. Und das zweite große Thema wird sein, dass aus der CO2-Bepreisung ja auch Einnahmen generiert werden und diese Einnahmen kann man dann dazu nutzen, entweder Steuern zu senken, Schulden abzubauen oder in notwendige Infrastruktur investieren und viele Schwellen- und Entwicklungsländer werden in den nächsten 20 Jahren einen gewaltigen Infrastrukturbedarf haben und das wird darauf ankommen, dass in diese Infrastruktur so investiert wird, dass sie am Ende nicht mehr Emissionen produziert. Wenn man die Infrastruktur nimmt und die Kohlekraftwerke davon abzieht, dann emittiert die Infrastruktur alleine über die gesamte ökonomische Lebenszeit hinweg 500 Gigatonnen.
Ehring: Eine Gigatonne ist ja ungefähr das, was Deutschland im Jahr ungefähr emittiert, so ganz grob über den Daumen gepeilt, eine Milliarde Tonne CO2.
Also 500 Gigatonnen aus der Infrastruktur, 330 Gigatonnen aus der Kohlenutzung, das sind schon 830 Gigatonnen. Da hat man schon fast das gesamte Budget für das 2 Grad-Ziel verbraucht, geschweige denn für das 1,5-Grad-Ziel. Und deswegen wird auf die Infrastrukturplanung vor allen in den Schwellen- und Entwicklungsländern alles darauf ankommen, dass wir da für die nächste Dekade die richtigen Anreize setzen.
"Wissenschaft muss auch ihre Grenzen kommunizieren"
Ehring: Das Klima wird ja als Allgemeingut betrachtet. Jeder nutzt es und Allgemeingüter werden schnell übernutzt, wenn sie keine schlagkräftige Lobby haben. Ist das Versagen gegenüber dem Klimawandel angelegt in der menschlichen Natur?
Edenhofer: Also, die menschliche Natur macht es uns sicherlich nicht leicht, mit dem Klimaproblem umzugehen. Klar, die Atmosphäre ist ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit. Das ist eine ziemlich abstrakte Vorstellung, dass die Atmosphäre nur noch ein begrenzter Deponieraum ist, dass wir nur begrenzt CO2 ablagern können. Deswegen ist das Bild vom Deponieraum, glaube ich, sehr nützlich, weil jeder versteht, dass wenn eine Deponie eine wilde Deponie ist, dass da jeder beliebig Müll ablagern kann, so wie er will. So ist es auch mit der Atmosphäre. Was wir jetzt machen müssen ist, wohin wir kommen müssen ist, dass für die Atmosphäre Nutzungsrechte definiert werden und wer die nutzen will, muss eben dann dafür auch bezahlen. Und ich glaube, für das 21. Jahrhundert ist es eine der größten Aufgaben der Menschheit, dass wir mit diesen globalen Gemeinschaftsgütern achtsamer, sorgsamer und haushälterischer und am Ende des Tages treuhändischer umgehen, denn wir sind ja nur die Treuhänder für die künftigen Generationen.
Ehring: Derzeit wird in manchen Staaten und auch von populistischen Politikern die Realität des Klimawandels und der wissenschaftliche Konsens bestritten. Wie erklären Sie sich das und wie kann man damit umgehen?
Edenhofer: Also, da kann ich auch nur Vermutungen anstellen, warum das so ist, aber es ist sicher so, dass das Klimathema sehr verbunden ist mit zwei großen Themen, einmal mit dem großen Thema des Multilateralismus, also wer das Klimaproblem lösen will, braucht globale Kooperation. Das steht unmittelbar den Werten der Populisten entgegen, die sagen, unser nationales Interesse soll als Erstes gelten und wenn jeder sein nationales Interesse durchsetzt, dann ist dem Weltgemeinwohl genüge getan. Dem ist aber nicht so, weil das 21. Jahrhundert gerade darin besteht, dass wir damit fertig werden müssen, dass es auch globale öffentliche Güter gibt und da ist das Klima eben eines davon. Und das steht der Fokussierung auf das nationale Interesse, dem steht das radikal entgegen. Das Zweite ist, es geht auch um das Verhältnis zur Wissenschaft. Es geht um das Verhältnis zu Eliten. Klimawandel kann man nicht ohne Wissenschaft wahrnehmen. Man braucht eigentlich einen ausgefeilten wissenschaftlichen Apparat, um das überhaupt zu verstehen und zu begreifen. Und dann haben Sie im Grunde genommen zwei große Reizthemen für die Populisten. Das eine ist der Multilateralismus, das globale Gemeinwohl, der Kosmopolitismus, die Globalisten, wie sie genannt werden. Und das andere ist das Verhältnis zur Wissenschaft, wo man sagt, die Wissenschaft, das ist eben eine Meinung von vielen, aber die hat keine herausgehobene Stellung, was aber mit den fundamentalen Werten der Moderne unvereinbar ist, weil wir ja bislang einen Konsens hatten, dass Wissenschaft der bevorzugte Weg ist der Erkenntnis, der Weg zur Wahrheit, die niemand besitzt, aber es gibt die Wahrheit und wissenschaftliche Erkenntnis dient sozusagen als eine regulative Leitidee. Und jetzt kommen die Populisten und sagen, das ist eine Meinung von vielen und es gibt da andere Fakten und da entsteht natürlich jetzt eine Debatte aus dem Misstrauen gegenüber dem Kosmopolitismus und dem Misstrauen gegenüber der Wissenschaft. Und die Frage, wie kann man dem begegnen, das ist eine schwierige Frage und da wird es sicherlich keine sehr befriedigende Antwort, aber das eine ist, die Wissenschaft muss klar machen, was sie leisten kann. Sie muss aber auch der Öffentlichkeit gegenüber klarmachen, was ihre Grenzen sind. Wissenschaft, zumindest die empirische Wissenschaft, taugt nicht dazu, über die Frage, wie wir leben wollen, definitive Entscheidungen zu treffen. Das muss sozusagen mit den Leuten ausgehandelt werden. Also, Wissenschaft ist gut und wichtig, aber sie muss sich über ihre Leistungsfähigkeit und über ihre Grenzen klar werden, das muss sie öffentlich klarer kommunizieren. Vor allem dass unsere Erkenntnis unsicher ist, dass keiner die Wahrheit besitzt und dass Wahrheit, Erkenntnis und Vernunft, dass das unverzichtbare regulative Leitideen sind. Also, das muss sie tun und das Zweite ist, wir müssen klarer machen, dass der Wohlstand des 21. Jahrhunderts davon abhängt, wie wir mit diesen globalen Gemeinschaftsgütern umgehen. Und das Dritte ist aus meiner Sicht, dass wir schon auch darüber reden müssen, über die Frage von Ungleichheit und Gerechtigkeit, denn wenn ich jetzt so vollmundig sage, wir brauchen einen CO2-Preis, stellt sich natürlich sofort die Frage, und was passiert mit denen, die ohnehin schon Globalisierungsverlierer sind, was passiert eigentlich mit denen, die ohnehin unter der Globalisierung zu leiden hatten und da ist eben meine Antwort, man kann auch CO2-Bepreisung zum Beispiel so ausgestalten, dass sie eben auch sozial gerecht ist, aber das muss man dann eben auch kommunizieren, dass man so was sozial gerecht ausgestalten kann. Und ich glaube, es ist sehr wichtig, dass unsere politischen Systeme klarer machen, dass das Klimathema nicht ein Elitenthema ist, sondern dass ungebremster Klimawandel genau diejenigen am stärksten schädigen wird, die eigentlich am unteren Ende der Einkommenshierarchie stehen. Wer den unbegrenzten Klimawandel zulässt, der lässt damit auch zu, dass es mehr Globalisierungsverlierer gibt und nicht weniger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.