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Klimaforscher Markus Rex
"Wir müssen die Arktis besser verstehen"

Atmosphärenforscher Markus Rex bricht zu einer einjährigen Expedition in die Arktis auf. Er soll an den großen Unsicherheiten in der Klimaprognose arbeiten. "Die Arktis wird dramatisch wärmer, gleichzeitig ist sie der Bereich unseres Planeten, den wir am schlechtesten verstehen", sagte Rex im Dlf.

Markus Rex im Gespräch mit Sandra Schulz |
Das Forschungsschiff "Polarstern" liegt bei einer seiner Reisen in der Antarktis an einer Eiskante.
Die "Polarstern" - erstmals wird ein voll ausgerüstetes Forschungsschiff in der Arktis überwintern (picture alliance / Stephan Schoene)
Sandra Schulz: Wer auf Reisen geht, der kennt den Gedanken: Habe ich auch nichts vergessen? – Tonnenschwer dürfte dieses Gefühl jetzt im Moment auf Markus Rex lasten, denn die Reise, die er als Expeditionsleiter verantwortet, die geht in Richtung Nordpol, an die Arktis, also dorthin, wohin man für alle praktischen Zwecke nichts nachschicken kann. Es ist eine Expedition, die es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben hat, wie Rex sagt.
Ein Jahr lang soll das Forschungsschiff Polarstern in der zentralen Arktis verbringen, eingeschlossen im arktischen Eis, das wir früher auch gerne ewiges Eis genannt haben. Beteiligt sind hunderte Forscherinnen und Forscher, 70 wissenschaftliche Institute aus fast 20 Ländern.
Wenn er gerade nicht solche Expeditionen leitet, dann ist Professor Markus Rex Atmosphärenforscher am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und wir haben ihn heute Morgen, zwei Tage vor dem Start der Expedition, im norwegischen Tromso erreicht. Vielen Dank für Ihre Zeit. Schönen guten Morgen!
Markus Rex: Schönen guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Haben Sie alles?
Rex: Ich hoffe, dass wir alles haben, zumindest im Hafen stehen. Die Ladungsarbeiten laufen noch. Wir sind dabei, in den letzten Zügen alles an Bord zu bringen. Wie Sie schon sagen: Vergessen ist keine Option. Wir können nicht mal eben unterwegs noch mal was nachkaufen oder jemanden zuhause anrufen und bitten, uns eben was nachzuschicken. Wir müssen jetzt alles mitnehmen und sind dann auf Gedeih und Verderb auf das angewiesen, was wir dabei haben.
Schulz: Und da wird jetzt auch tatsächlich bis zur letzten Sekunde gepackt?
Markus Rex auf der Kommandobrücke des Forschungsschiffs "Polarstern"
"Große Motivation, jetzt für den Klimaschutz zu arbeiten" - Markus Rex, der Leiter des Forschungsteams auf dem Forschungsschiff "Polarstern". (dpa / Mohssen Assanimoghaddam)
Rex: Vermutlich tatsächlich bis zumindest zur letzten Minute. Es sind auch noch Dinge unterwegs zu uns, Dinge, die wir benötigen. Da hoffen wir, dass das alles klappt. Aber wir sind da ganz guter Dinge.
Schulz: Was genau wollen Sie erforschen?
Rex: Wir wollen das Klimasystem der zentralen Arktis erforschen. Die Arktis ist ja wirklich das Epizentrum des Klimawandels. Kein anderer Teil unseres Planeten wird so schnell wärmer wie die Arktis und die Veränderungen sind schon heute dramatisch in der Arktis.
Gleichzeitig ist die Arktis der Bereich unseres Planeten, den wir am schlechtesten verstehen. Wir haben riesige Unsicherheiten in der Klimaprognose für die Arktis und das liegt daran, dass wir zumindest im Winterhalbjahr mit einem richtigen, voll ausgerüsteten Forschungsschiff da noch nie gewesen sind. Das Eis ist so dick, dass wir da nicht durchbrechen können, und deswegen sind wir da bisher immer ausgeschlossen gewesen.
Abgebrochener Eisberg in Qaqortoq/Grönland
Dossier - Klimakrise
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Große Auswirkungen auf den Westwind-Jetstream
Schulz: Jetzt ist es auf der Arktis ja ganz anders als an vielen anderen Teilen der Erde. Warum ist die so aussagekräftig?
Rex: Die Arktis ist die große Wetterküche auch für das Wetter bei uns in Zentraleuropa. Der Temperaturkontrast zwischen Arktis und den wärmeren Luftmassen in mittleren Breiten, wo wir leben, treibt das Haupt-Zirkulationssystem, das Haupt-Wetter- und Windsystem der Nordhemisphäre an, nämlich dieser Westwind-Jetstream, der ganz um den Nordpol herum, um die Arktis herumweht und da oben wie ein Hirtenhund die kalten arktischen Luftmassen schön einschließt und darauf achtet, dass sie nicht zu uns vorstoßen. Wenn jetzt aber die Arktis sich schneller erwärmt als der Rest der Welt, dann nimmt ja dieser Temperaturkontrast ab und auch dieses Windsystem wird weniger stabil und kann sogar phasenweise ganz zusammenbrechen, und dann steht das Tor weit offen. Dann kommen manchmal die kalten Luftmassen aus der Arktis direkt bis zu uns nach unten. Dann haben wir Schneestürme bis runter nach Florida, haben wir am Anfang des Jahres gesehen, und Temperaturen unter minus 30 Grad Celsius in Chicago. Anders herum können Warmluft-Vorstöße aus subtropischen Breiten zu uns kommen, uns heiße Sommer bescheren und auch tief in die Arktis vordringen und dann dort Hitzewellen produzieren. Das heißt, die Arktis ist wirklich ein Motor im Klimasystem und den müssen wir besser verstehen, als wir das heutzutage tun.
Schulz: Aber ich habe Sie richtig verstanden, dass die Expedition unterm Strich auch dazu dient, den Klimawandel als solchen besser zu verstehen? Heißt das im Umkehrschluss, anders jetzt als in dieser aktuellen Diskussion um Klimawandel, um Klimaschutz, dass das Thema gar nicht verstanden ist bisher?
Rex: Wir wissen, dass die Arktis sehr viel wärmer wird, dass sie sogar dramatisch wärmer wird, und wir haben natürlich auch Vorhersagen, dass sich diese Erwärmung in der Zukunft fortsetzen wird. Das ist gar keine Frage. Nur die Unsicherheiten sind noch recht groß. Auch jetzt, basierend auf den Prognosen, die wir jetzt schon haben, ist es eine hohe Motivation, jetzt im Klimaschutz tätig zu werden.
Aber nehmen wir mal einfach ein CO2-Szenario, mal ein pessimistisches. Wenn wir es nicht schaffen, ganz schnell auf die Bremse zu treten, dann sagen uns einige Klimamodelle, dass die Arktis bis zum Ende des Jahrhunderts um fünf Grad Celsius wärmer wird im Jahresmittel, und andere Klimamodelle sagen uns, dass in diesem Szenario die Arktis um 15 Grad Celsius wärmer wird. Das sind zum einen sehr, sehr große Zahlen. Da sieht man schon, um welche Größenordnungen wir hier reden. Zum anderen ist da ein Unsicherheitsbereich vom Faktor drei drin und wir brauchen jetzt robuste wissenschaftliche Grundlagen, um die gesellschaftlichen Entscheidungen zu fällen und gut zu fällen, informiert zu fällen, auf einer Faktenbasis basiert zu fällen, die ja jetzt wirklich dringend anstehen.
"Wir müssen jetzt dringend ran"
Schulz: Sie starten jetzt in Tagen, in denen sowohl in Berlin wichtige Weichen gestellt werden. Es tagt ja am Freitag das Klimakabinett. Und wir sehen Anfang nächster Woche den UN-Klimagipfel. Was ist Ihre Botschaft? Was ist Ihre Hoffnung? Was ist Ihre Erwartung?
Rex: Die Botschaft aus der Wissenschaft ist ganz klar. Wir sind zunächst mal neutral. Wir produzieren die wissenschaftliche Basis, die Fakten. Aber die sprechen für sich und die sagen ganz klar, dass wir jetzt dringend ran müssen, weltweit unseren CO2-Ausstoß zu reduzieren, die Treibhausgase zurückzudrängen, damit wir dieses Szenario, dass wir fünf bis 15 Grad Celsius Erwärmung der Arktis bekommen, nicht haben. Das wäre ja wirklich eine Katastrophe. Das ist eine andere Welt. In diesem Szenario ist mit Sicherheit die Arktis dann im Sommer in einigen Jahrzehnten, vielleicht sogar schon recht bald komplett eisfrei. Dann können Sie einfach in Hamburg lossegeln mit einer Segeljolle und zum Nordpol segeln, eine Flasche Sekt aufmachen und wieder zurücksegeln. Das muss man sich mal vorstellen!
Das ist etwas, was wir vermeiden müssen, und dazu brauchen wir jetzt Gesamtkonzepte, faire, ausgewogene, auch sozialverträgliche Gesamtkonzepte, um von unseren Treibhausgas-Emissionen runterzukommen.
Schulz: Ich würde jetzt noch mal ein bisschen genauer draufschauen, was Sie sich genau vorgenommen haben. Sie wollen am Freitag aufbrechen in eine Region, die im Winterhalbjahr faktisch nicht erreichbar ist. Wie läuft da die Versorgung?
Rex: Der Trick, den wir nutzen, der stammt von Fridtjof Nansen, der 1893 bis 1896 das schon mal gemacht hat, was wir jetzt nachmachen, und zwar damals mit einem hölzernen Segelschiff. Er hat aus Beobachtungen der Trümmer von früheren Expeditionsschiffen festgestellt, die weniger glücklich waren als er, die in Sibirien gescheitert sind, dass diese Trümmer in Grönland angespült wurden. Daraus hat er geschlossen, dass es da eine Eisdrift quer über den Nordpolarbereich gibt, und hat sich in Sibirien in das Eis einschließen lassen und ist dann mit dieser Eisdrift innerhalb von drei Jahren tatsächlich rübergetrieben bis in den atlantischen Sektor, in die Straße zwischen Grönland und Spitzbergen.
Das machen wir jetzt nach und das ist der Weg, wie wir den zentralarktischen Bereich auch im Winter erreichen können, indem wir einfach nicht gegen das Eis arbeiten, sondern uns von dem Eis über den Nordpol schieben lassen.
Schulz: Sie müssen bis dahin aber wahrscheinlich ab und zu mal was essen. Das meinte ich mit der Frage nach der Versorgung. Haben Sie das alles an Bord?
Rex: Ganz richtig. Wir können nicht alles mitnehmen, was wir brauchen. Wir sind zwar vom Eis angetrieben, wir brauchen keinen Antrieb, aber wir müssen Heizen und Strom erzeugen. Dafür brauchen wir Treibstoff. Und wir müssen auch Essen und andere Versorgungsgüter haben. Dazu brauchen wir eine ganze Flotte von weiteren Versorgungs- und Unterstützungsschiffen. Wir haben insgesamt fünf Eisbrecher im Einsatz, vier, die uns in unseren Operationen des zentralen Expeditionsschiffes unterstützen, die am Anfang, wenn das Eis noch dünn genug ist, zu uns vorstoßen, uns Treibstoff und Versorgung vorbeibringen, und im nächsten Sommer, wenn das Eis wieder dünner und weicher geworden ist, so dass wir wieder erreichbar sind, uns die bis dahin ziemlich leeren Tanks wieder auffüllen werden. Anders geht das nicht. Deswegen braucht es ja auch einen so umfassenden, komplexen logistischen Ansatz, um das überhaupt möglich zu machen.
Einen Koch als Magier an Bord
Schulz: Was werden Sie essen?
Rex: Oh! Wir haben einen Koch an Bord. Der ist ein Magier. Der zaubert aus allem, was er noch irgendwie in den letzten Winkeln seiner Vorratsräume findet, ganz wunderbares Essen. Da mache ich mir gar keine Sorgen. Das Essen auf einer Expedition muss immer gut sein. Das hilft für gute Stimmung und das führt zu guter Wissenschaft. Aber wir haben ja Tiefkühlkost und müssen uns nicht wie frühere Expeditionen mit irgendwelchen eingelöteten Büchsen begnügen, sondern da sind wir sehr gut versorgt.
Schulz: Das mit der Tiefkühlkost, das sehe ich unmittelbar ein. – Was werden Sie tun, wenn Sie nicht arbeiten und nicht essen?
Rex: Wir werden meistens arbeiten, selten essen und sonst nicht allzu viel Zeit haben, denn das ist eine einmalige Gelegenheit. Wir haben es so noch nicht durchgeführt. Wir werden es auch sobald nicht wieder durchführen können. Das heißt, wir werden versuchen, so viel Wissenschaft zu machen, wie das irgendwie möglich ist.
Wenn wir dann doch mal ein bisschen Zeit haben – wir haben keinen großen Komfort an Bord, aber wir haben eine Sauna, wir haben einen Swimmingpool, wir haben auch einen Sportraum, so dass man sich da ein bisschen fit halten kann. Und wir können natürlich auf dem Eis, in das wir ja eingeschlossen sind, dann zur Freizeit mal Ausflüge machen, vielleicht maß ein bisschen Fußball spielen und solche Dinge. Das trägt alles zu einer guten Stimmung bei und das wird schon gut laufen.
Schulz: Was aber ja nichts daran ändert, dass im wahrsten Sinne des Wortes dunkle Zeiten vor Ihnen liegen, weil es einfach über viele Monate, viele Wochen gar nicht richtig hell werden wird. – Wie bereitet man sich auf so was vor?
Temperaturen um minus 40, 45 Grad
Rex: Ja, das Ganze wird keine Kreuzfahrt. Wir sind im polaren Winter jetzt zunächst mal die nächsten Monate unterwegs. Es ist stockduster monatelang. Wir haben sehr schwere Stürme, tiefe Temperaturen, minus 40, minus 45 Grad, und müssen unter diesen Bedingungen unsere Arbeiten auf dem Eis machen. Viele unserer Teilnehmer waren natürlich auch schon mal auf kürzeren Polarexpeditionen unterwegs. Ich selber auch. Ich weiß, wie ich mit solchen Bedingungen zurechtkomme. Aber natürlich müssen wir auch sicherstellen, dass alles immer sicher abläuft und alle insgesamt 600 Teilnehmer, die während der verschiedenen Phasen dabei sind, gesund und munter wieder zurückkommen.
Schulz: Gibt es auch so was wie Angst?
Rex: Angst ist immer keine gute Motivation, kein guter Anlass zu handeln. Es ist eher Sorge, es ist gute Vorbereitung, es ist Risikominimierung. Angst lähmt eher. Wir haben sehr ausgefeilte Sicherheitskonzepte, um sicherzustellen, dass tatsächlich alle heile zurückkehren.
Schulz: Markus Rex, Sie sind erst mal weg. Was sagt Ihre Familie dazu?
Rex: Meine Familie ist gerade auf dem Weg zu mir. Die kommen auch noch, um uns Tschüss zu sagen, nach Tromso. Wir werden uns lange nicht sehen. Wir werden weder Weihnachten und alle Geburtstage nicht zusammen feiern können. Das ist natürlich eine der Sachen, die solche Expeditionen mit sich bringen. Aber die verstehen ja, warum wir das machen, und sind auch begeistert von der Expedition und fühlen sich als Teil davon. Meine Söhne, neun und elf Jahre alt, sind ganz große Fans von dieser Expedition, so dass das dadurch ein bisschen leichter wird.
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