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Klimaforscher vor dem Weltklimagipfel
„Was die Länder bereit sind zu tun, reicht vorne und hinten nicht“

Der Klimaforscher Mojib Latif plädiert für eine „Allianz der Willigen“. Einige Länder müssten beim Klimaschutz vorausgehen und dürften nicht auf die letzten warten, sagte er im Dlf. Wir steuerten auf eine Erderwärmung von deutlich über zwei Grad zu, das sei "wie Russisch Roulette spielen“.

Mojib Latif im Gespräch mit Dirk Müller |
Klimaaktivisten mit einem Banner zum Klimagipfel Cop26 in Glasgow
"Wir sitzen seit über einem Vierteljahrhundert zusammen, versuchen, irgendetwas zu erreichen, und wir haben Jahr für Jahr immer Steigerungen beim Gehalt von Treibhausgasen in der Atmosphäre", so Mojib Latif im Dlf (picture alliance / empics | Andrew Milligan)
Die großen Industrieländer sind für drei Viertel der globalen Emissionen verantwortlich. Sie versprechen, mehr zu tun für den Klimaschutz, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren, um die beim Pariser Klimagipfel 2015 festgelegten Ziele zu erfüllen. Doch nach jüngsten Zahlen ist die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre auf ein Rekordniveau gestiegen, die Erwärmung der Erde schreitet schneller voran als noch vor Jahren. Von Klimaneutralität, von Netto-Null-Emissionen sind die Unterzeichnerstaaten noch weit entfernt.
Feuerwehrleute bekämpfen einen Waldbrand in einem Waldgebiet nördlich von Athen. 
Weltklimabericht des IPCC
Die Erderwärmung hat sich dem neuen Bericht des Weltklimarats IPCC zufolge stark beschleunigt und betrifft inzwischen alle Regionen der Erde. Bereits 2030 droht demnach droht ein Temperaturanstieg um 1,5 Grad – zehn Jahre früher als bisher prognostiziert. Die Folgen könnten verheerend sein. Ein Überblick.
Nun steht die nächste große Weltklimakonferenz in Glasgow bevor, sechs Jahre nach dem Pariser Abkommen. Der Klimaforscher Mojib Latif, Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome, schließt sich dem Vorschlag von US-Präsident Joe Biden nach einer "Allianz der Willigen" an. "Man kann nicht immer auf den Letzten warten, das ist zu langsam, das führt dann immer zum kleinsten gemeinsamen Nenner", sagte er im Dlf. Und der reiche nicht aus, wenn beispielsweise Länder wie China und Indien dem Thema Klimaschutz keine Priorität einräumten. So wolle China zwar die Märkte erobern im Bereich neuer Technologien, im eigenen Land aber weiter Kohlekraftwerke bauen. Und wenn Indien nun "den Weg geht, den viele Industrieländer gegangen sind, das heißt auch den Weg über fossile Brennstoffe, insbesondere über Kohle, dann können wir wirklich die ganzen Klimaziele in die Tonne treten", warnte der Klimaforscher.
Ein Monitor zeigt die Meereis-Konzentration im Rahmen einer Klimasimulation.
Klimaforscher zu Klima der Zukunft
Der Klimaforscher Jochem Marotzke hat untersucht, ob der Klimawandel gestoppt werden kann. "Was wir herausgefunden haben ist ernüchternd", sagte er im Dlf. Die gesellschaftliche Dynamik sei nicht stark genug, um den Temperaturanstieg so zu begrenzen, wie es notwendig wäre.
Doch auch Deutschland müsse bei den Maßnahmen zum Klimaschutz ordentlich nachlegen. Um das Ziel zu erreichen, 65 Prozent der Treibhausgasemissionen bis 2030 zu reduzieren, wie in den Wahlprogrammen zu lesen sei, reichten die bisher zu hörenden Maßnahmen nicht aus. Wichtig seien ein früherer Kohleausstieg, ein relativ frühes Ende des Verbrennungsmotors und - auch weltweit – ein Stopp der klimaschädlichen Subventionen. Dazu gehöre das Dienstwagenprivileg, Subventionen für die zumeist sehr großen E-Hybrid-Autos, die oft als ganz normale Verbrenner verwendet würden, und die Subventionen für die fossile Wirtschaft – damit müsse endlich Schluss sein, so Latif. Dann stehe auch mehr Geld zur Verfügung, um Investitionen in den Klimaschutz zu bezahlen.
Solarfeld im Licht des Sonnenaufgangs in Mecklenburg-Vorpommern bei Luttow-Valluhn.
Die neuen Klimaziele für Deutschland
Der Bundestag hat das von der Regierungskoalition ausgearbeitete neue Klimaschutzgesetz verabschiedet. Damit muss Deutschland schneller klimaneutral werden als ursprünglich geplant. Welche neuen Klimaziele gelten, wie sollen sie erreicht werden und können sie die Klimakatastrophe stoppen? Ein Überblick.
Einen großen "Webfehler beim deutschen Klimaschutzgesetz" sieht der Klimaforscher darin, dass keine soziale Komponente berücksichtigt worden sei. "Man kann nicht einfach nur CO2 bepreisen und dann müssen die Leute zusehen, insbesondere die armen Leute, wie sei damit zurechtkommen", kritisierte er. Eine soziale Komponente sei dringend erforderlich, "sonst werden wir nie eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung bekommen".
Man müsse den Menschen aber auch unbedingt klarmachen, dass nicht der Klimaschutz den Wohlstand bedrohe, sondern umgekehrt ein ungebremster Klimawandel uns möglicherweise in eine Rezession führen werde. "Wir werden unseren Wohlstand nicht behaupten können, wenn wir an den alten Technologien festhalten. China hat das begriffen und versucht jetzt wirklich, die neuen Märkte zu erobern. Und wenn wir schlafen, wenn wir nicht vorne auf der Lokomotive sitzen, dann werden wir wirklich ganz, ganz große wirtschaftliche Einbußen haben", warnte Latif. Das habe US-Präsident Biden seinen Landsleuten auch schon gesagt: Klimaschutz sei nichts Schlimmes, sondern schaffe viele neue gut bezahlte Jobs.

Abgebrochener Eisberg in Qaqortoq/Grönland

Das komplette Interview im Wortlaut.
Dirk Müller: Herr Latif, Versprechungen ja, Umsetzung nein. Wird das wieder gelten?
Latif: Ja, ich fürchte, das wird wieder so sein. Wir haben ja die Ankündigungen der Länder vor Glasgow gehört und das, was die Länder bereit sind zu tun, das reicht vorne und hinten nicht. Wir steuern immer noch auf eine Erwärmung von deutlich über zwei Grad zu und im Pariser Klimaabkommen steht ja drin "deutlich unter zwei Grad", und alles, was über zwei Grad ist, das ist eigentlich nicht mehr zu verantworten. Da spielen wir dann so etwas wie Russisch Roulette.

"Man kann nicht immer auf den Letzten warten"

Müller: Bevor wir auf die eigenen Verhältnisse zeigen, zeigen wir auf die besonders großen "schwarzen Schafe" – China, Indien.
Latif: Ja, genau. China ist heute der weltweit größte Verursacher von CO2 mit einem Anteil von fast 30 Prozent an den weltweiten Emissionen. China lässt da so gut wie gar nicht mit sich reden. Sie möchten erst mal weiter Kohlekraftwerke im eigenen Land bauen, wollen im Ausland keine Kohlekraftwerke mehr bauen. Da sieht man schon, was die Intention von China ist, nämlich die neuen Märkte zu erobern, gerade was die neuen Technologien angeht, erneuerbare Energien und so weiter. Aber im Innern wollen sie eher wenig tun und das zeigt, dass Limaschutz für China jetzt nicht unbedingt eine Top-Priorität ist. Indien ist immer noch relativ weit unten, was den Pro-Kopf-Ausstoß angeht, aber wenn Indien jetzt den Weg geht, den viele Industrieländer gegangen sind - das heißt, auch den Weg über fossile Brennstoffe, insbesondere über Kohle -, dann können wir wirklich die ganzen Pariser Klimaziele in die Tonne treten. Umso wichtiger wäre es jetzt, hier gerade China dabei zu unterstützen, nicht in die fossile Welt einzusteigen, sondern in die erneuerbare.
Müller: Immerhin gibt es in China das Kohlendioxid-Neutralversprechen, Absicht, wie auch immer, 2060. Da sagen die Experten natürlich "erst 2060". Immerhin ist das fixiert. Wenn wir das heute Morgen auch in der Berichterstattung unserer Korrespondenten richtig verstanden haben, dann hat Indien sich so gut wie gar keine Ziele gesetzt. Wie fatal ist das in der politischen Umsetzung?
Latif: Ja, das ist natürlich fatal und man muss wirklich überlegen, ob jetzt diese Verhandlungen wirklich der richtige Weg sind, um Ergebnisse zu erzielen. Wir reden jetzt über COP26. 26 heißt, das ist die 26. Weltklimakonferenz. Wir sitzen seit über einem Vierteljahrhundert zusammen, versuchen, irgendetwas zu erreichen, und wir haben Jahr für Jahr immer Steigerungen beim Gehalt von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Deswegen muss man sich fragen – wir haben gerade Joe Biden gehört -, ob man nicht einfach eine Allianz der Willigen formiert und die geht voran. Man kann nicht immer auf den Letzten warten. Das ist zu langsam. Das führt dann immer zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Ich glaube, wir müssen uns eingestehen, dass wir so nicht weiterkommen, und versuchen, neue Mechanismen zu entwickeln.

"In Deutschland müssen wir noch mal ordentlich nachlegen"

Müller: Ist Deutschland denn weit genug, willig zu sein, auch wenn gesagt wird, wir sind willig? Ist das willens, das was auf dem Tisch liegt?
Latif: Das ist ein bisschen ambivalent, muss ich sagen. Wir haben zwar unser Ziel eingehalten, bis 2020 40 Prozent der Treibhausgase zu reduzieren gegenüber 1990. Das haben wir aber auch nur geschafft wegen Corona. Jetzt geht es darum, 65 Prozent zu schaffen bis 2030 – das, was jetzt in den Wahlprogrammen gestanden hat. Das, was wir von den Sondierungsgesprächen gehört haben, reicht auch nicht aus, um das zu schaffen. Das heißt, auch in Deutschland müssen wir da noch mal ordentlich nachlegen und die Maßnahmen, die sind ja bekannt, insbesondere ein früherer Kohleausstieg, aber dann auch ein relativ frühes Ende des Verbrennungsmotors. Und was meiner Meinung nach ganz wichtig ist in Deutschland, aber auch weltweit: Es muss endlich Schluss sein mit den klimaschädlichen Subventionen, die weltweit bei 500, 600 Milliarden Euro liegen.
Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, gibt eine Pressekonferenz zum Beschluss des Bundeskabinetts zum erweiterten Klimaschutzgesetz.
Klimaschutzgesetz – wahrscheinlich reicht es nicht
Das neue Klimaschutzgesetz schreibt vo, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll. Ein ambitioniertes Ziel, das wahrscheinlich trotzdem nicht reichen wird, um das Paris-Ziel von 1,5 Grad zu erreichen.
Müller: Welche meinen Sie in Deutschland konkret? Das ist ja seit gestern auch wieder großes Thema in der Koalition. Klimaschädliche Subventionen? So was wie die Pendlerpauschale zum Beispiel?
Latif: Ja, Pendlerpauschale, aber auch das Dienstwagen-Privileg, die ganzen großen Autos. Das sind ja meistens Dienstwagen. Die sind auch steuerlich begünstigt. Auch die E-Hybrid-Geschichten, das sind auch oft sehr große Autos, die nur sehr, sehr selten Ladesäulen sehen, sondern ganz normale Verbrenner sind oder so verwendet werden. Und dann gibt es auch noch Subventionen für die fossile Wirtschaft, für die Energiekonzerne. All das, das darf nicht sein!

"Soziale Komponente ist dringend erforderlich"

Müller: Aber Klimawandel muss bezahlbar sein.
Latif: Ja, Klimawandel muss bezahlbar sein. Deswegen sage ich ja, man muss die klimaschädlichen Subventionen abbauen. Dann hat man tatsächlich auch Geld zur Verfügung für Investitionen. Aber – und das ist ganz wichtig – es muss eine soziale Komponente geben. Man kann nicht einfach nur CO2 bepreisen und dann müssen die Leute zusehen, insbesondere die armen Leute, wie sie damit zurechtkommen. Das fehlt meiner Meinung nach. Das war meiner Meinung nach auch ein großer Webfehler beim deutschen Klimaschutzgesetz, dass es keine soziale Komponente gegeben hat, und die ist dringend erforderlich. Sonst werden wir niemals eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung bekommen.

"Es geht hier wirklich um die Zukunft unseres Wohlstands"

Müller: Darüber wird jetzt diskutiert, Herr Latif. Vielleicht noch ein anderer Punkt. Wirtschaftsexperten, die das aus einer anderen Blickrichtung sehen, sagen, die G20-Staaten, die großen Industriestaaten dürften 2050 im Schnitt mindestens vier Prozent ihrer Wirtschaftsleistung pro Jahr einbüßen, wenn man diesen Klimazielen näher kommt, wenn man sie erreichen will, zumindest so, wie sie in Paris definiert sind. Bis 2100 – da werden wir beide nicht mehr auf der Welt sein mit großer Wahrscheinlichkeit; dennoch die Zahl – sogar acht Prozent. Das heißt, Einschränkungen, weniger Wirtschaft, weniger Arbeit. Ist das der Preis des Klimaschutzes?
Latif: Nein. Es ist ja genau umgekehrt. Es ist tatsächlich so, dass ein ungebremster Klimawandel uns möglicherweise in eine weltweite Rezession führen würde. Das hat Nicholas Stern, der ja berühmt geworden ist durch den Stern-Bericht 2006, jetzt noch mal deutlichgemacht. Und wir sehen es ja heute schon. Wir sehen ja, dass in der Wirtschaft der jetzt schon gefordert wird. Vor ein paar Wochen hat der BDI noch mal deutlich an die künftige Bundesregierung die Forderung gestellt, endlich die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Klimaschutz auch umgesetzt werden kann.
Solar-Panels und Windturbinen in einem Kraftwerk in Yancheng in der Provinz  Jiangsu in China
Was die Finanzindustrie im Kampf gegen den Klimawandel bewirken kann
Die großen Finanzfirmen sollen nach dem Willen der EU-Kommission eine stärkere Rolle beim Klimaschutz einnehmen. Doch nachhaltige Investments stoßen weiter an viele Grenzen.
Es geht hier wirklich um die Zukunft unseres Wohlstands! Wir werden unseren Wohlstand nicht behaupten können, wenn wir an den alten Technologien festhalten. China hat das begriffen und versucht, jetzt wirklich die neuen Märkte zu erobern, und wenn wir schlafen, wenn wir da nicht vorne auf der Lokomotive sitzen, dann werden wir wirklich ganz, ganz große wirtschaftliche Einbußen haben. Das hat Joe Biden ja auch gesagt, anlässlich des Onlinegipfels, den er im April einberufen hatte. Seine Rede war im Wesentlichen an seine Landsleute gerichtet. Er hat gesagt, liebe Landsleute, Klimaschutz ist nichts Schlimmes, Klimaschutz ist nichts Negatives, sondern schafft viele, viele neue, gut bezahlte Jobs. Das, glaube ich, müssen wir uns immer wieder klarmachen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.