Stefan Heinlein: Schwere Waldbrände haben ganze Regionen in Australien vernichtet. Mindestens sechs Menschen kamen ums Leben, hunderte Häuser wurden ein Raub der Flammen. Auch Sydney, die Fünf-Millionen-Metropole an der Ostküste, ist bedroht. Dichte Rauchwolken verpesten dort die Luft. Die Gesundheitsbehörden schlagen Alarm.
In Sydney erreichen wir jetzt die deutsche Klimaforscherin Katrin Meissner. Sie ist Leiterin des Climate Change Research Centers der Universität New South Wales. Frau Meissner, was sehen Sie, wenn Sie bei sich heute oder in den letzten Tagen aus Ihrem Fenster blicken?
Meissner: Rauchschwaden! Viele Rauchschwaden! Das hängt natürlich immer ein bisschen von der aktuellen Windrichtung ab. Aber manchmal ist es doch so dicht, dass es aussieht, als würden wir im Nebel sitzen. Es riecht nach Rauch und die Feinstaubbelastung ist doch besorgniserregend hoch.
Heinlein: Machen Sie sich Sorgen, Frau Meissner, Sie und Ihre Nachbarn, dass die Feuer auch Ihre Stadt Sydney erreichen könnten?
Meissner: Ja, natürlich. Vor einer guten Woche waren die Wetterbedingungen in Sydney katastrophal. Es haben dann auch ganz viele Schulen zugemacht. Ich glaube, über 600 Schulen in ganz New South Wales hatten geschlossen, weil die Brandgefahr doch zu groß war. Es hängt natürlich dann ein bisschen von der Wetterlage ab. Man braucht eine Kombination aus sehr starkem, böigem Wind und hohen Temperaturen und niedriger Luftfeuchte. Im Moment, glaube ich, ist Sydney nicht so bedroht, aber gleich hinter uns sind natürlich die blauen Berge und die sind natürlich immer sehr bedroht.
"Zwei Drittel des Lebensraums der Koala-Bären sind zerstört"
Heinlein: Welche Schäden für Flora und Fauna haben die Waldbrände bislang in Australien angerichtet? In Deutschland ist vor allem eine Szene dieses geretteten Koala-Bären angekommen.
Meissner: Louis, der Koala-Bär. Den sieht man auch oft hier. Für die Koala-Bären ist es natürlich recht tragisch. Um Port McCrae sind zwei Drittel des Lebensraums der Koala-Bären dort zerstört worden. Man geht davon aus, dass 350 der 700 Tiere umgekommen sind. Insgesamt sind 1,65 Millionen Hektar bis jetzt verbrannt. Das ist mehr als in den letzten drei Jahren zusammen. Zeitweise musste die Feuerwehr hier doch mit einer insgesamt 6.000 Kilometer langen Feuerfront kämpfen. Das ist etwa so weit wie von Berlin nach New York. Es ist halt ein großes Land und wenn viele Feuer an verschiedenen Stellen gleichzeitig sich entzünden, ist es doch sehr schwer, die alle unter Kontrolle zu bekommen.
Heinlein: In Australien beginnt ja so langsam der Sommer und Waldbrände sind um diese Jahreszeit ja keine Seltenheit. Sie wissen es, Sie leben seit über zehn Jahren in Australien. Ist es in diesem Jahr tatsächlich schlimmer als in den vergangenen Jahren?
Meissner: Was man immer wieder in den Medien hier sieht, ist das Wort "unprecedented", beispiellos oder ungewöhnlich. Ich glaube oder wir wissen, dass die Feuer ungewöhnlich sind. Zum Beispiel sind ja nicht nur die Ökosysteme hier in unserer Gegend betroffen, die hauptsächlich Eukalyptus-Wälder sind, bei denen Feuer auch mal ganz normal sind, sondern wir sehen auch, dass die Regenwälder auf einmal brennen. Im Norden von New South Wales sind tropische Regenländer, in Queensland und auch kalt-gemäßigte Regenwälder in Tasmanien oder höher oben in den Bergen, und das darf eigentlich nicht sein. Solche Wälder erholen sind auch nicht mehr. Ich glaube, das Ausmaß der Brände im Moment ist schon ungewöhnlich, auch weil es so früh im Jahr ist. Die Feuer-Saison wird mit dem Klimawandel natürlich länger, fängt auch immer früher an, auch früher im Frühling an, und wir sehen schon mehr extreme Brände in letzter Zeit.
"Hitzewellen haben an Intensität zugenommen"
Heinlein: Da sind wir bei Ihrem Thema, denn Sie sind ja keine Biologin, sondern Klimaforscherin. Gibt es aus Ihrer wissenschaftlichen Sicht einen Zusammenhang zwischen den Waldbränden und dem Klimawandel?
Meissner: Auf jeden Fall, ja. Das Klima ist natürlich auch hier wärmer geworden. Es gibt häufiger Hitzewellen und diese Hitzewellen haben an Intensität zugenommen. Das ist vor allen Dingen für die Wälder hier interessant, weil diese Eukalyptus-Bäume, die geben ein Gas aus: das Isopren. Das ist sehr explosiv und je wärmer es ist, umso mehr von diesem Gas geben sie ab. Dann werden die Wälder so richtig explosiv. Insgesamt haben sich die Niederschlagsmengen verringert, vor allen Dingen im Südwesten des Landes. Die Konditionen, unter denen es Waldbrände geben kann, werden immer länger und es fängt auch immer früher im Frühling an.
"Die Regierung schweigt sich aus"
Heinlein: Wie wird bei Ihnen in Australien denn in Politik und Gesellschaft über diese Waldbrände, über diesen möglichen Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel diskutiert? Hier in Europa ist es ja ein großes, das entscheidende Thema.
Meissner: Das ist eine sehr gute Frage. Basierend auf Umfragen, stimmen 77 Prozent der Australier zu, dass die Erderwärmung Realität ist und dass sie auch von Menschen gemacht ist. Außerdem sind 64 Prozent für netto null bis 2050, klimaneutral zu werden. Es gab auch viele Menschen, die im September an den Friday for Future-Demonstrationen beteiligt waren. Ich glaube, es waren ungefähr 300.000 Menschen. Hingegen schweigt sich unsere Regierung, die natürlich sehr liberal und wirtschaftsnah ist, aus oder zum Teil verleugnet sie sogar den Klimawandel. Die Regierung ist natürlich fest in den Händen der Kohle-Lobby. Man darf nicht vergessen, dass Australien der weltgrößte Kohle-Exporteur ist. Kohle-Bergbau ist immer noch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor des Landes.
Aktuell zu diesen Bränden hat sich zum Beispiel unser Premierminister Scott Morrison erst mal ganz ausgeschwiegen. Da hat er ganz lange gar nichts gesagt. Vor zwei Tagen hat er Australien als overachiever benannt, wenn es um Treibhausgasemissionsreduktion geht, was natürlich vollkommener Quatsch ist. Wir sind weit ab, dem Paris Accord auch nur nahezukommen. Ich glaube, sein Argument war, dass Australien nur 1,3 Prozent der globalen Emissionen hergibt, und das macht ja dann keinen Unterschied für die Brände.
"Sie hören einfach der Wissenschaft nicht so gut zu"
Heinlein: Frau Meissner, sind die Australier und damit auch die australischen Politiker vielleicht bei diesem Thema einfach etwas entspannter und gelassener als wir angestrengten Europäer?
Meissner: Entspannter weiß ich nicht. Ich denke mal, sie hören einfach der Wissenschaft nicht so gut zu.
Heinlein: Woran liegt das?
Meissner: Unser Vizepremierminister hat zum Beispiel Menschen, die Brände und Klimawandel in Zusammenhang brachten, als delirierende innerstädtische Irre bezeichnet.
Heinlein: Warum dringen Sie als Klimaforscherin mit Ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht durch zur Politik? Hier in Europa, bei uns in Deutschland sind Wissenschaftler sehr präsent in den Parteien und können ihre Erkenntnisse auch in den Medien sehr öffentlich kundtun.
Meissner: Das weiß ich auch nicht. Es hängt natürlich von den Politikern ab. Mein lokaler Repräsentant hier ist sehr gut informiert und mit dem rede ich auch oft. Aber ich denke mal, dass die Regierung zurzeit wirklich in den Händen der Kohle-Lobby ist und dass es da um Geld und um Macht geht.
"Klimawandel immer öfter in den Medien"
Heinlein: Kann man in Australien mit dem Thema Klimawandel oder Kampf gegen den Klimawandel auch keine Wahlen gewinnen? Hier in Deutschland kann es sich keine Partei mehr leisten, das Thema außen vor zu halten.
Meissner: Ich hoffe, das ändert sich jetzt in Zukunft. Ich glaube, im Moment hängt es in Australien immer noch davon ab, wo die Wahlen stattfinden. In unserem Wahlkreis war Klima wohl eines der ausschlaggebenden Themen bei der letzten Wahl. Aber das ist nur ein innerstädtischer Bereich. Ich habe das Gefühl, dass sich das auch langsam mal umwandelt. Jetzt gerade mit den Bränden in den letzten Tagen sieht man doch das Wort Klimawandel immer öfter in den Medien.
Heinlein: Vielleicht noch ein Punkt. Australien war in der Vergangenheit ja besonders betroffen von den Auswirkungen des Ozonlochs und dieses Problem gilt ja mittlerweile weitgehend als gelöst. Sorgt diese Tatsache dafür, dass vielleicht die Australier denken, alles halb so wild mit dem Klimawandel, auch das bekommen wir noch in den Griff?
Meissner: Das weiß ich nicht. Ich sehe viele Leute, die das auch verwechseln, die da nicht genug Hintergrundwissen haben, die Ozonloch und Klimawandel durcheinanderbringen. Das sind natürlich zwei vollkommen verschiedene Problematiken. – Das weiß ich auch nicht. Ich persönlich sehe natürlich das als eine ganz tolle Success Story an, dass man das Ozonloch in den Griff bekommen hat. Da mussten ja auch viele Länder zusammen dran arbeiten. Ehrlich gesagt ist die politische Diskussion hier gar nicht so sehr da, zumindest nicht in meinen Kreisen. Es ist ganz selten, wenn ich mal bei Freunden eingeladen bin, dass man da über Klimawandel oder Ozonloch diskutiert.
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