"Die Konferenz in Berlin rückt den Klimaschutz in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Unsere Völker erwarten von uns, dass wir die notwendigen Beschlüsse fassen, um die Menschen vor drohendem Schaden zu bewahren." - Angela Merkel - nicht als Bundeskanzlerin, sondern noch als Umweltministerin. 1995 in Berlin; ein historisches Ereignis - der erste von inzwischen 25 Weltklimagipfeln. "Wir tragen Verantwortung nicht nur für die heutige Generation, sondern genauso für zukünftige Generationen. Ich bin der Überzeugung, dass die bisherigen Verpflichtungen nicht ausreichen, dass weitere Schritte folgen müssen."
Ein zeitloser Vortrag, muss man leider sagen! 26 Jahre später könnte ihn Angela Merkel genauso halten. Es gab gewaltige Fortschritte, ja sogar Meilensteine in der Klimaforschung – doch kein konsequentes politisches Handeln.
Klima-Fingerabdruck des Menschen identifiziert
Im selben Jahr 1995 im Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg: "Das ist hier dieser Hauptrechner, auf dem die großen Klimamodelle laufen. Und der auch nötig ist, um die komplexen Modelle, die man heute hat, durchrechnen zu können."
Während die Politik um ein globales Abkommen ringt, gelingt dank neuer Superrechner ein erster großer Durchbruch. Der Klimamodellierer Klaus Hasselmann identifiziert den Fingerabdruck des Menschen am Thermostaten der Erde: "Man kann in den natürlichen Schwankungen, die wir sehen, den menschlichen Anteil mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit nachweisen."
Und Klaus Hasselmann, damals Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, ordnete die Entdeckung seinerzeit auch direkt ein: "Wenn wir heute 95 Prozent sagen, möchte ich sagen, dass in fünf bis zehn Jahren keiner mehr ernsthaft darüber diskutieren wird, dass wir eine anthropogene Klimaänderung sehen."
Eine bahnbrechende Arbeit! Hasselmann wird dafür in diesem Jahr den Nobelpreis für Physik erhalten. Seine Kollegen feiern ihn aber schon damals, im Jahr des ersten Weltklimagipfels in Berlin.
Konsequenzen von Beginn an eindeutig
Ulrich Cubasch, heute Professor für Meteorologie an der FU Berlin: "Er hat schon mit diesen Sulfat-Aerosolen gearbeitet, die für den Sauren Regen verantwortlich sind. Gleichzeitig dämpfen die etwas den Treibhauseffekt. Und wenn man jetzt die Aerosole berücksichtigt, sieht man deutlich über Industriegebieten eine Abkühlung, über Nichtindustriegebieten eine Erwärmung. Diese unterschiedliche Erwärmung ist ein deutlicher Fingerabdruck."
Christian Schönwiese, einer der erfahrensten deutschen Klimaforscher, 1995 Professor in Frankfurt am Main: "Entscheidend ist, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Signal da ist. Und da gebe ich Herrn Hasselmann recht: Man sieht also eine gewisse menschgemachte Erwärmung, auch in den Daten. Und das reicht eigentlich aus, um jetzt Maßnahmen zu ergreifen."
Der berühmte Schweizer Physiker Hans Oeschger, zu jener Zeit einer der Pioniere der Klimaforschung: "Ich sehe nichts, was uns jetzt zwingen könnte zu glauben, dass nicht eine globale Erwärmung passiert." Und der schwedische Meteorologe Bert Bolin 1997, kurz vor dem 3. Weltklimagipfel im japanischen Kyoto: "Ich kann nur empfehlen, dass wir möglichst schnell zu Potte kommen! Wenn wir die Treibhausgas-Emissionen auf einem noch relativ niedrigen Niveau stoppen wollen, dann müssen wirklich alle innerhalb des nächsten Jahrzehnts etwas tun."
Das Kyoto-Protokoll - physikalischer Effekt fast null
Bolin war der erste Vorsitzende des IPCC, des Weltklimarates. Er besteht seit 1988. Und er hatte zu dieser Zeit schon zwei mahnende Sachstandsberichte veröffentlicht: 1990 und 1995. Ein echter Erfolg wurde Kyoto trotzdem nicht. Hermann Ott, damals am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie und Berater von Angela Merkel auf der Konferenz: "Ich war 1997 in Kyoto dabei. Und ich kann mich noch an die letzte durchwachte Nacht erinnern. Und dann gab es eben diese Einigung."
Die Industrieländer müssen nun ihre Treibhausgas-Emissionen reduzieren, und zwar um 5,2 Prozent bis spätestens 2012. Hans-Joachim Schellnhuber, lange Jahre Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, ordnete den Beschluss 2005 so ein: "Physikalisch ist der Effekt fast null. Das wird also den Erwärmungstrend fast überhaupt nicht abschwächen, um ein Zehntel oder Zwanzigstel Grad vielleicht. Das heißt, nur wenn man das als ersten Schritt auf einem langen Weg begreift, macht das überhaupt Sinn."
Und die spätere ernüchternde Bilanz von Pep Canadell, auch heute noch Direktor des Globalen Kohlenstoffprojektes: "Es ist schon bemerkenswert. In den Jahren, in denen so intensiv über Klimaschutz verhandelt wurde, nahmen die globalen CO2-Emissionen stärker zu als je zuvor. Im Zeitraum von 1990 bis 2008, den das Kyoto-Protokoll abdeckt, stiegen sie um 41 Prozent!"
Manipulationsvorwürfe und Hacking-Attacken
Zehn Jahre später, Ende der Nuller-Jahre - Klimawissenschaftler stehen auf einmal mit dem Rücken zur Wand. Eine Diskussionsrunde im Radio: "Viele fragen sich: Was ist mit der globalen Erwärmung?" - "Die Computermodelle sind das Leitbild derer, die hier die Klimakatastrophe verbreiten." - "In der obersten Spitze eine Fälscher- und Betrügerbande." - "Ich halte es für nicht akzeptabel, wenn man Andersdenkende als Betrügerbande bezeichnet..." – Wildes Durcheinander, alle fallen sich ins Wort.
Hans von Storch, ehemaliger Professor für Meteorologie an der Universität Hamburg: "Was tatsächlich passiert ist: Dass das Zutrauen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Klimaforschung, massiv eingebrochen ist. Es wird auch vermutet, dass es irgendwo Mogeleien gebe. Dinge, die es vorher nie gab."
Peter Liss, in jenen Tagen kommissarischer Leiter der Klimaforschungsabteilung an der betroffenen Universität von East Anglia in Großbritannien: "Hacker sind in einen der Backup-Rechner unserer Klimaforschungseinheit eingedrungen. Sie haben jede Menge Daten gestohlen, darunter auch private Emails. Sie scheinen den Eindruck zu erwecken, Klimadaten könnten nicht korrekt verwendet worden sein. Jedenfalls wurden sie so interpretiert."
Climategate - ein vermeintlicher Skandal mit Folgen
Climategate taufen englische Zeitungen den vermeintlichen Skandal. Es gibt sogar ein Lied darüber. Klimaskeptiker schlachten die Sache genüsslich aus. Corinne Le Queré, Professorin für Klimawissenschaft an der Universität von East Anglia: "Alles begann vor Weihnachten, vor dem Weltklimagipfel in Kopenhagen. Inzwischen ist daraus der Versuch geworden, die ganze Klimaforschung zu diskreditieren."
Peter Lemke, auch heute noch Leiter des Fachbereichs Klimawissenschaften am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven: "Ich denke, das war eine konzertierte Aktion für den Klimagipfel. Man hat gewartet bis vor Kopenhagen. Und jetzt mahlen natürlich die Mühlen der Untersuchungen in England zum Beispiel. Das dauert natürlich ein Weilchen. Und jetzt ist die Welle der Skeptiker wieder hochgekommen."
Klimakonferenz Kopenhagen: Ein Fiasko
2009 im Deutschen Bundestag: "Ich rufe auf unseren Tagungsordnungspunkt 6, Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur Klimakonferenz in Kopenhagen." - "Und deshalb brauchen wir eine für alle Staaten geltende Verpflichtung zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels. Gelingt das nicht, muss ich sagen, ist die Klimakonferenz in Kopenhagen gescheitert."
Ivo de Boer, Chef-Klimadiplomat der Vereinten Nationen während des 9. Weltklimagipfels: "Es war wirklich eine Achterbahnfahrt! Am Ende haben wir keine Vereinbarung, die rechtlich bindend ist, keine neuen Reduktionsziele für Industrieländer und nichts, was die großen Schwellenländer künftig zu tun haben." Auch Hermann Ott und der US-Soziologe Riley Dunlap erleben Kopenhagen am Ende als Fiasko: "2009 ist das Ganze explodiert beziehungsweise mit einem Wimmern implodiert, kann man ja eigentlich sagen. Wir warten seit 20 Jahren darauf, dass die USA sich bewegen, unter unterschiedlichen Präsidenten. Und es hat nicht genützt."
Die Klimaforscher sind konsterniert, die Skeptiker aber obenauf. Vor allem in den USA fruchten ihre Desinformationskampagnen - finanziert von gut ausgestatteten konservativen Think Tanks. Dunlap: "Die Ansichten der Skeptiker sind stark überhöht worden, weil die Think Tanks sie ständig verbreiten. Sie haben es geschafft, den Eindruck zu erwecken, dass die Hälfte aller Klimaforscher eine abweichende Meinung hat. Obwohl es in Wahrheit vielleicht nur zwei Prozent sind.
Klimagipfel Paris: Zwei-Grad-Ziel wird Völkerrecht
Im Deutschen Bundestag, 2015: "Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen." - "Jetzt eine Bilanz, aktuelle Stunde zu den Ergebnissen der UN-Klimakonferenz in Paris." - "Dieser 12. Dezember des Jahres 2015 wird uns in Erinnerung bleiben." - "Nach den Klimakonferenzen, nach Nairobi, nach Bali, nach Kopenhagen, nach Cancun haben sich knapp 200 Staaten der Welt geeinigt." - "Wir lösen das Versprechen, das in Rio 1992 gegeben wurde, mit diesem Vertrag ein Stück weit ein." - "Dies ist so, über mehr als 20 Jahre, bisher nicht gelungen." - "Klar ist: Nach Paris kann’s nicht genauso weitergehen wie vor Paris!"
Das nächste Jahrzehnt - wieder historisch! 2015 wird in Paris das Zwei-Grad-Ziel Völkerrecht. Die Staatengemeinschaft strebt sogar an, möglichst "weit unterhalb" dieser Schwelle für die globale Erwärmung zu bleiben. Doch ein großer Wurf ist das Abkommen von Paris nicht. Jedem Land bleibt selbst überlassen, was es tun will oder nicht. Deshalb die Prognose von Niklas Höhne vom New Climate Institute: "Dass wir bei ungefähr 2,7 Grad Ende des Jahrhunderts landen, also noch weit weg von zwei Grad."
Andere Klimaforscher sehen die Sache ganz ähnlich - John Christensen, Bill Hare und Thomas Stocker: "Die Staaten müssten ihre in Paris zugesagten Anstrengungen verdreifachen, um unter zwei Grad zu bleiben. Und sie sogar verfünffachen, wenn es maximal 1,5 Grad sein sollen." - "Es gibt einen Trend über die letzten 20 Jahre. Bei jedem Klimabericht, den wir vorlegen, stellen wir von neuem fest, dass wir die Risiken auch bei geringeren Erwärmungsraten unterschätzt haben." - "An der Wissenschaft und an der Information kann es sicher nicht liegen, wenn es nicht so herauskommt, wie sich das viele wünschen."
Klimawandel als Ursache für Wetterextreme
Zumal den Klimadetektiven in der Zwischenzeit weitere große Fahndungserfolge gelingen. Zwei Jahrzehnte zuvor hat Klaus Hasselmann in Hamburg den Menschen als Klimasünder überführen können. Jetzt ist man so weit, seine Tatbeteiligung auch bei einzelnen Wetterextremen nachzuweisen, bei Starkniederschlägen und Hitzewellen zum Beispiel.
Wieviel Klimawandel steckt bereits in solchen Ereignissen? Hätte es sie vielleicht gar nicht gegeben ohne die ganzen zusätzlichen Treibhausgase in der Erdatmosphäre? Ein Fall für das Projekt World Weather Attribution: "Man berechnet im Computer, wie wahrscheinlich ein Ereignis im heutigen Klima statistisch gesehen ist. Dann lässt man das Modell noch einmal laufen, aber in einer Simulation ohne zusätzliche Treibhausgase. So können wir sagen: Das Wetterextrem ist durch den Klimawandel – sagen wir - vier Mal oder zehn Mal wahrscheinlicher geworden." - Geert Jan van Oldenborgh, einer der Mitbegründer von World Weather Attribution. Es ist sein Vermächtnis. Der niederländische Physiker starb am 11. Oktober 2021 an Krebs.
Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen
Nach fast drei Jahrzehnten ziemlich fruchtloser Diplomatie bekommt die Welt den Klimawandel immer stärker zu spüren. Die Indizien liefert die Attributionsforschung mit ihren Fall-Beispielen. Die Hitzewelle und verheerenden Waldbrände in Australien Anfang 2020: "Der Klimawandel hat die Wahrscheinlichkeit für solche Ereignisse seit dem Jahr 1900 um mindestens 30 Prozent erhöht." Die unfassbaren Rekordtemperaturen im Nordwesten Nordamerikas in diesem Frühsommer: "Eine solche Hitzewelle wäre früher, ohne den Klimawandel, praktisch unmöglich gewesen."
Und die Politik? Verheddert sich trotz aller Indizien und Dringlichkeitsappelle aus der Wissenschaft weiter in zermürbenden Verhandlungen: Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute in Köln: "Es geht leider nur im Schneckentempo voran. Es liegt am politischen Willen. Was eigentlich überhaupt nicht geht nach dem Pariser Klimaschutzabkommen, ist nichts Neues vorzuschlagen. Auf der Liste der Länder, die nichts Neues vorschlagen, sind Australien, Brasilien, Russland und Mexiko. Es ist manchmal nicht wirklich auszuhalten, wenn man denkt: Oh, es geht hier wirklich um ein wichtiges Thema, wir müssen schnell vorankommen und Entscheidungen treffen - und hier wird sich um Kommas gestritten!"
"Wir sind hier, wird sind laut, weil ihr unsre Zukunft klaut!" – Fridays for Future. "Wir tragen Verantwortung nicht nur für die heutige Generation, sondern genauso für zukünftige Generationen." – Angela Merkel. Seit dem ersten Weltklimagipfel 1995 in Berlin sind gut zweieinhalb Jahrzehnte verstrichen. Der erste Weltklimabericht ist noch älter, er mahnte 1990 zum Handeln.
Ein frustriertes Fazit
"Für mich hat sich da in 30 Jahren nichts geändert an den Grundaussagen. Es ist immer etwas sicherer geworden. Wir verändern das globale Klima durch die Emission von Treibhausgasen." - "Wir haben jahrzehntelang verhandelt und praktisch nichts getan zur Lösung des Problems. Jetzt schließt sich das Zeitfenster rapide." – "Uns wird immer klarer, dass sich der Klimawandel stärker und schneller auswirkt, als wir noch vor zehn Jahren angenommen haben." - "Wir werden 1,5 Grad globale Mitteltemperatur in den nächsten 20 Jahren erreichen. Daran besteht kein Zweifel." - "Es herrscht eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit." - "Wir sind in einer Notstandssituation. Länder müssten eigentlich jetzt in den Notfallmodus umschalten und alles tun, um die Emissionen zu reduzieren. Aber bisher ist das noch nicht geschehen." - "Und das ist, was mich frustriert. Wir haben jetzt lange gewarnt. Und es ist nichts passiert. Und deswegen ist jetzt die Herausforderung, ja, viermal so groß, als sie noch damals war."
Angela Merkel, 1995: "Die Konferenz in Berlin rückt den Klimaschutz in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Unsere Völker erwarten von uns …"