Noch sei fraglich, ob es bei der Konferenz überhaupt Raum für die Diskussion über Geldhilfen geben werde, so Kowalzig. Die Industrieländer drückten sich vor diesem Themenkomplex, da sie Kompensationszahlungen fürchteten.
Auch stehe der Vorwurf der Schwellenländer im Raum, dass die reichen Staaten ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen nicht nachkämen. Das Abkommen sollte die Trennung zwischen Schwellen- und Industrieländern eigentlich aufheben, so Kowalzig. Die Entwicklungsländer stimmten zwar grundsätzlich zu, dass man "in einem Boot" säße, kritisierten aber, dass die reichen Länder ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele nur unzureichend leisten würden.
Das Interview in voller Länge
Jule Reimer: Für 2017 ist ein Anstieg der globalen CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen und der Industrie um etwa zwei Prozent zu erwarten. Das prognostiziert der Internationale Forscherverbund Global Carbon Project in seinem heute veröffentlichten Jahresbericht. Die erneuerbaren Energien seien zwar in den vergangenen fünf Jahren weltweit um 14 Prozent jährlich gewachsen und auch die Emissionen im Kohlebereich seien im Sinken begriffen, aber die Abgase aus der Verbrennung von Öl und Gas stiegen deutlich an.
Frage an Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam: Sie beobachten die UN-Klimakonferenz in Bonn vor Ort. Wer geht denn in Bonn mit dem Klimaschutz voran, wer bremst?
Jan Kowalzig: Das hängt immer davon ab, über welches Einzelthema man hier spricht, denn es geht hier gleich um ganz viele Sachen. Die Schwellenländer zum Beispiel fordern mehr konkreten Klimaschutz der Industrieländer, beziehungsweise dass auch darüber geredet wird, dass der eben nicht stattfindet, bevor dann nächstes Jahr noch einmal die Gesamtwirkung des Pariser Abkommens auf der Tagesordnung stehen wird. Hier stehen sich dann die Schwellenländer den Industrieländern gegenüber.
Bei anderen Themen ziehen sie vielleicht schon eher an einem Strang. Das sind zum Beispiel die Regeln für das Kleingedruckte für das Pariser Abkommen zu seiner Umsetzung. Da sind die Verhandlungen zäh, aber nicht so konfliktträchtig.
Besonders schwierig wird es aber auch noch mal bei der Frage, wird es hier einen Raum geben, um über die finanzielle Unterstützung zu sprechen, die die ärmsten Länder brauchen, um mit zukünftigen Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels umzugehen. Auch hier sind es die Industrieländer, die im Moment noch im Weg stehen.
"Geht ja nicht nur darum, wie sich die Emissionen in absoluten Zahlen entwickeln"
Reimer: Fangen wir mal mit dem Konflikt Schwellenländer-Industrieländer an. In dem Bericht des Forscherverbunds Global Carbon Project heißt es, vor allem China trage zum Anstieg der Emissionen bei. Kann man jetzt sagen, die Industrieländer tun ganz viel und China steigert, steigert, steigert?
Kowalzig: Es geht ja nicht nur darum, wie sich die Emissionen in absoluten Zahlen entwickeln, sondern auch, welche Anstrengungen die Länder machen, um die Treibhausgase zu reduzieren. Und hier sehen wir – das beste Beispiel ist ja derzeit auch Deutschland -, dass die Industrieländer gerade nicht ihren Verpflichtungen nachkommen, um ihre Ziele zu erreichen, sondern sich eigentlich um die Maßnahmen drücken, die notwendig wären, um das Pariser Abkommen umzusetzen.
Gleichwohl ist natürlich auch richtig, dass ein Land wie China, wenn wir da sehen, dass jetzt die Emissionen aus den fossilen Energien dort wieder steigen, natürlich auch Fragezeichen hat, wie können wir da den Trend umkehren, denn auch China steht hinter dem Abkommen und auch China hat sich Klimaschutz vorgenommen und muss natürlich auch hier abliefern.
Reimer: Wir hatten ja alle den Eindruck, China tut so viel in Sachen erneuerbare Energien. Ist das falsch?
Kowalzig: China investiert mehr in erneuerbare Energien, als in vielen anderen Ländern das der Fall ist. Das heißt, hier steht China tatsächlich an der Spitze. Allerdings ist es so, dass in China auch sehr viele fossile Kraftwerke noch am Netz sind, und je nachdem, wie die wirtschaftliche Entwicklung dort ist, werden da natürlich dann auch mehr Treibhausgase ausgestoßen. Ja, Fortschritte bei den Erneuerbaren, aber auch noch sehr hohe Emissionen aus den Kohlekraftwerken.
Reimer: Besteht denn die Gefahr, dass wir wieder in diese Lähmung reingeraten, dass die Schwellenländer sagen, Industrieländer, ihr müsst mehr tun, und die Industriestaaten sagen, na ja, ihr habt jetzt Mords aufgeholt, ihr könnt auch mehr tun, auch zum Beispiel beim Geld?
Kowalzig: Eigentlich sollte das Pariser Abkommen ja genau diese Trennung zwischen den Schwellenländern oder den Entwicklungsländern und den Industrieländern aufheben. So sehen das auch die Industrieländer. Aber die Schwellenländer sagen hier und zum Teil auch noch zurecht, Moment, natürlich sind wir alle in einem Boot. Allerdings leisten die reichen Länder ihre Beiträge zum Klimaschutz nur in sehr unzureichendem Maße, und deswegen muss man darüber getrennt durchaus noch mal reden, bevor man dann dieses "wir sind alle in einem Boot" auch wirklich umsetzen kann.
Kowalzig: Schäden müssen vernünftig in den Verhandlungen vorkommen
Reimer: "Loss and Damages", Verluste und Schäden – worum geht es da genau und warum sind da die Anliegen der Entwicklungsländer, der ärmeren Länder bisher unterbelichtet?
Kowalzig: Bei dem Thema geht es darum, dass auch trotz Klimaschutz und trotz gesteigerter Anstrengungen bei der Anpassung an die klimatischen Veränderungen Schäden und Zerstörung und auch Verluste nicht mehr zu vermeiden sind. Das sehen wir natürlich jedes Mal, wenn ein schwerer Taifun über kleine Inselstaaten hinwegfegt, oder wenn Starkregen die Ernten von den Feldern spülen. All diese Sachen lassen sich nur begrenzt verhindern, zum Beispiel durch Anpassung. Diese Zerstörung oder die Schäden, die müssen vernünftig auch hier vorkommen in den Verhandlungen. Das Pariser Abkommen hat einen eigenen Artikel dafür. Aber bei der Frage, wie können die armen Länder konkret unterstützt werden, zum Beispiel auch durch finanzielle Hilfen, um solche Schäden auszugleichen, da wehren sich die Industrieländer, weil sie nach wie vor Kompensationsforderungen fürchten, und das ist im Moment hier auch noch die große Spannung, wird es den Raum geben, um überhaupt erst mal zu erforschen, was braucht es eigentlich an Finanzierung und woher könnte sie kommen. Das sind noch gar keine konkreten Forderungen, sondern es geht nur darum, den Diskussionsraum hier zu schaffen, und da stehen die Industrieländer im Weg.
Reimer: Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig zu den Aufgaben, vor denen die Verhandlungsdelegationen in der zweiten Woche der UN-Klimakonferenz in Bonn stehen. Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.