Unter #NetzstreikFürsKlima organisierte sich die Klimaschutzbewegung Friday for Future in Coronazeite - digital im Netz statt auf der Straße. Virtueller Protest als Ersatz für die sonst abgehalten Versammlungen. Klimaforscher Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Gründungsmitglied von Scientists for Future und auch Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hält das nicht nur für eine gute, sondern eine notwendige Idee. Von der Coronakrise sei jeder sehr direkt und unmittelbar betroffen, während es bei der Klimakrise um die kommenden Jahrzehnte geht, also um die Generation auch der Kinder und der Enkelkinder. Die Frage welche Zukunft die jetzt schon lebenden jungen Generationen hätten, sei nicht nur bezüglich der Pandemie sehr groß, sondern vor allem auch bezüglich der Umweltzerstörung und des Klimawandels.
Münchenberg: Herr Lucht, viele Staaten kämpfen gegen den wirtschaftlichen Absturz derzeit, um das Leben ihrer Bürger, ist es da eine gute Idee, jetzt für den Klimaschutz zu demonstrieren?
Lucht: Ja, das ist nicht nur eine sehr gute Idee, sondern sogar sehr notwendig, denn der Klimawandel macht ja keine Pause, und aus der Corona-Krise können wir jetzt eine Menge lernen. Die lehrt uns gerade eine Menge über Vorsorge und über strukturelle Schwächen, die wir in unserer Gesellschaftsentwicklung haben. Nun besteht die Chance, mit den Investitionsprogrammen, die jetzt notwendig werden, um die Wirtschaft auf Kurs zu halten, dass wir noch stärker in Richtung Nachhaltigkeit gehen, denn jetzt besteht gerade die Chance dafür.
"Die Klimakrise wird eine lang anhaltende Krise sein"
Münchenberg: Auf der anderen Seite werden jetzt eben riesige Summen mobilisiert, Sie haben es angesprochen, allein in Deutschland wird die Billionengrenze überschritten. Aber es geht da um Kurzarbeitergeld, es geht zum Beispiel um die Absenkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie, es geht um Garantien, Zuschüsse für Kleinstunternehmer und so weiter, von Investition in den Klimaschutz ist bislang aber keine Rede.
Lucht: Ja, die Diskussion ist darüber in Gang gekommen, und es ist natürlich völlig verständlich, dass die Menschen im Moment ganz andere Sorgen haben, es ist eine wirklich große Krise. Aber die Klimakrise wird eine noch größere Krise sein, weil sie lang anhaltend sein wird, weil sie die gesamte Zukunft bestimmt. Deswegen ist es wichtig, dass man jetzt nicht über der Krise, die aktuell ist, die langfristigen strukturellen Fragen unserer Zeit plötzlich hintenan schiebt. Das wäre, gerade die Lehren aus der Corona-Krise, die ja noch voll im Gange ist, nicht zu ziehen. Einer der großen Slogans auf den Demonstrationen war ja, "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!". Da ist einmal das "ihr" drin, aber diese Sage, "weil ihr uns die Zukunft klaut", das ist ja sehr berechtigt, denn eine Schülerin, die heute 15 Jahre alt ist, ist 2050 erst 45 Jahre alt, also jünger, als ich heute bin. Wenn heute ein Baby geboren wird, wird das erst 30 Jahre alt sein im Jahre 2050 und das Jahr 2100 erleben. Das heißt, die Frage, welche Zukunft die jetzt schon lebenden jungen Generationen haben, die ist nicht nur bezüglich Pandemie sehr groß auf der Agenda, sondern vor allem auch bezüglich der Umweltzerstörung und des Klimawandels.
Coronakrise hat Ähnlichkeiten mit der Klimakrise
Münchenberg: Nun stehen ja die eigentlichen Konjunkturprogramme jetzt im Zuge der Corona-Pandemiebekämpfung erst noch an. Aus Ihrer Sicht: Wie könnte da vielleicht ein klimafreundlicher Marshallplan sozusagen für die Konjunktur aussehen?
Lucht: Es ist offensichtlich, dass die Energiewende sich stark beschleunigen muss, denn dadurch, dass wir zu wenig getan haben in den letzten Jahrzehnten, muss man sagen, obwohl wir das Wissen schon lange hatten aus der Klimaforschung, wird die Zeit knapp, die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen. Die Energiewende hat gute Fortschritte gemacht, aber viel zu langsam. Das sind Bereiche, in die man systematisch investieren muss, wo auch die Arbeitsplätze entstehen und wo das Rückgrat der Wirtschaft, die Energieversorgung, strategisch bis in die 2030er-, 2040er-Jahre hinein jetzt verstärkt geplant werden muss. Das Entsprechende gilt natürlich für alle anderen Bereiche auch: die Art, wie wir uns ernähren, die Art, wie Landwirtschaft betrieben wird, die Fragen des Konsums und des Materialaufwands. Das sind alles Dinge, über die strategisch nachgedacht werden muss. Wenn man die Corona-Krise sich anschaut, dann sieht man, dass es Ähnlichkeiten mit der Klimakrise gibt. Da gibt es eine ganze Reihe von interessanten Beobachtungen, die man machen kann. Zum Glück läuft die Klimakrise etwas langsamer ab, das heißt, da haben wir die Chance, nicht hektisch und kurzfristig zu handeln, sondern immer noch planerisch und gezielt uns auf diese Situation vorzubereiten und auch dort die schlimmsten Folgen abzuwenden.
Münchenberg: Kurz noch mal, Herr Professor Lucht, der Druck von der Straße hat ja nachgelassen ein bisschen, damals ausgelöst jetzt im letzten Jahr vor allem durch Fridays for Future. Auch die UN-Klimakonferenz in Glasgow sollte ja dieses Jahr stattfinden, wird jetzt auch verschoben. Da ging es ja auch um konkrete nationale Klimaschutzprogramme. Spricht da nicht doch einiges dafür, weil eben auch der Druck auf die Politik nicht mehr so groß ist, dass man den Klimaschutz doch wieder hinten anstellt?
Lucht: Ja, die Gefahr ist in der Tat sehr groß, aber deswegen müssen wir jetzt uns genau anschauen, was für Lehren wir eigentlich ziehen können – zum Beispiel die Lehre, dass man schnell handeln muss, weil wenn man zu langsam handelt, gibt es kein Zurück oder nur ein Zurück, das sehr, sehr aufwendig, mühsam und kostspielig ist. Wenn man bei der Pandemie jetzt versäumt, rechtzeitig zu handeln, dann hat man ein sehr viel größeres Problem, auch mit erheblichen Schäden bis hin zu Toten, und dasselbe trifft für die Klimakrise zu, natürlich auf einem anderen Zeitmaßstab. Aber da reden wir auch nicht über Jahrhunderte, sondern über wenige Jahrzehnte. Man sieht zum Beispiel, wie wichtig es ist, dass man Daten und Modelle hat, dass man sieht, was passiert, dass die Beobachtungen hier der Gesundheit der Bevölkerung beim Klima, des Zustands der Erde extrem wichtig ist, damit man sieht, was passiert. Heute kann jeder im Internet sich informieren darüber. So wie bei der Pandemie alle auf die Kurven jetzt gucken, wie es sich entwickelt, genauso trifft das natürlich auf den Zustand der Erde zu. Diese Möglichkeiten haben wir heute. Und wir müssen die Modelle ernst nehmen. Wir sehen, dass die ein wichtiger Teil der Corona-Politik jetzt ist, wie man denkt, dass es weitergeht, das sind Politikentscheidungen unter großer Unsicherheit, aber doch auf einer verlässlichen Basis, die auf Modellierung im Kern beruht, und die Modellierung wiederum greift Zahlen aus der Beobachtung auf. Das ist genau dasselbe wie im Klimaproblem. Und man sieht, wie wichtig es ist, dass wir verstehen. Wir haben gerade einen Crashkurs in Viruswissenschaft, und man muss ein paar Dinge verstehen, um das wirklich beurteilen zu können. Aber es sind nicht so viele Dinge, und man kann sie verstehen – was exponentielles Wachstum bedeutet, was Verdopplungszeiten sind, genau dasselbe trifft auch auf die CO2-Emissionen zu. Wir müssen einige Dinge lernen, gemeinsam als Gesellschaft, damit wir klug darüber diskutieren können – in der Demokratie ist Diskutieren über alles immer sehr wichtig. Das ist aber machbar, weil das sind nicht so viele Dinge. Die sind zwar schwierig, aber nicht unüberwindbar schwierig.
"Wissenschaft und Wissen macht uns klug in einer Demokratie"
Münchenberg: Herr Lucht, sind Sie eigentlich ein bisschen neidisch, dass jetzt die Wissenschaft bei Corona so viel Gehör findet bei der Politik, so viel Einfluss hat, was man ja bei der Klimapolitik jetzt nicht zwingend behaupten kann.
Lucht: Nein, neidisch wäre da ein völlig falscher Zugang. Generell stellt sich die Frage, welche Rolle Wissenschaft in unserer Gesellschaft eigentlich spielen kann, welche Rolle Wissenschaft in der Demokratie spielt. Man sieht jetzt erneut, dass versucht wird, ein bisschen die Prinzipien der Freiheit gegen die Prinzipien der Wissenschaft auszuspielen, aber das halte ich für relativ töricht, denn Wissenschaft und Wissen macht uns ja gerade klug in einer Demokratie, ist gerade ein wichtiges Handwerkzeug. Eine lebendige Demokratie hat nicht nur eine starke Kultur und eine starke Politik der Freiheit, sondern auch eine starke Kultur des Einbezugs von Wissenschaft und Wissen in die kollektive Diskussion und Entscheidungsfindung.
Münchenberg: Aber Corona hat ja jetzt gerade gezeigt, dass tatsächlich Wissenschaft doch viel mehr Einfluss plötzlich bekommt, dass Politik eben auf Wissenschaft zugeht, hört, was die Experten zu sagen haben. Könnte davon der Klimaschutz jetzt vielleicht auch ein bisschen profitieren?
Lucht: So möchte ich das gar nicht diskutieren, aber was man in jedem Fall sieht, ist, dass die Unerbittlichkeit der Naturgesetze zuschlägt. Man kann nicht, indem man Kompromisse macht oder indem man verschiedene Argumente ins Feld führt, irgendwie die Zahlen aushebeln. Die Gesetze der Verbreitung der Corona-Krise sind die Gesetze, die nun mal diese Virenverbreitung mit sich bringt, die der Virus in sich trägt, und dann ist die Frage, wie wir uns verhalten, wie wir uns drauf einstellen. Die Diskussion geht ja jetzt darüber, wie eine schrittweise Rückkehr zu einer neuen Normalität geschehen kann unter den Bedingungen des Virus. Und genauso ist natürlich die Diskussion, wie man die öffentliche Wohlfahrt, das Gemeinwohl weiterhin auf einem hohen Niveau halten kann unter den Bedingungen einer sich entwickelnden Klima- und Umweltkrise. Wie gesagt, in der Klimakrise kann man noch mehr planen, aber das ist jetzt dran, und ich würde schon hoffen, dass unser Staat in der Lage ist, mehrere Ziele gleichzeitig im Auge zu behalten, denn die Fragen der Nachhaltigkeit, der globalen Gerechtigkeit, aus des geopolitischen Friedens sind ja nicht weg, nur weil wir jetzt eine Krise haben, sondern wir müssen sehen, wie wir insgesamt vorangehen. Der Unterschied ist natürlich, dass in der Corona-Krise jeder sehr direkt und unmittelbar betroffen ist, während es bei der Klimakrise um die kommenden Jahrzehnte geht, also um die Generation auch der Kinder und der Enkelkinder. Da ist dann schon so ein bisschen Entkopplung da, und die macht es etwas schwieriger.
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