Klimaneutrale Industrie
Technisch machbar - aber noch zu teuer

Die Industrie in Deutschland muss einen gewaltigen Umbau meistern: Sie soll in den nächsten gut 20 Jahren klimaneutral werden. Die Hürden dabei sind so groß, dass mehr und mehr Unternehmen überlegen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern.

Von Tobias Pastoors |
    Ein Mitarbeiter der Firma Schott arbeitet an einem Ofen, in dem Glas geschmolzen wird. Er trägt einen Schutzanzug am ganzen Körper, aus dem Ofen schlagen Flammen.
    In der Industrie braucht es oft enorme Hitze - zukünftig soll die überwiegend elektrisch oder mit Wasserstoff erzeugt werden. (©SCHOTT)
    Innerhalb der nächsten 20 Jahre soll der CO2-Ausstoß Deutschlands auf nahezu null sinken. So steht es im Klimaschutzgesetz. Im Jahr 2023 hat Deutschland allerdings noch 674 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen -  rund ein Viertel dieser Emissionen gehen auf das Konto der deutschen Industrie.
    Im Vergleich zu 2022 hat die Industrie zwar ihre Emissionen um fast acht Prozent reduziert. Das liegt jedoch primär an der schwächelnden Konjunktur und der damit einhergehenden reduzierten Produktion. Wie kann der Umbau der Industrie gelingen?

    Inhalt

    Wieviel klimaneutrale Produktion gibt es bereits?

    Es gibt noch keine Industrieunternehmen, die vollständig klimaneutral wirtschaften. Das liegt insbesondere am hohen Energiebedarf. Um Glas zu schmelzen, Zementklinker zu brennen oder Papier zu trocknen, brauchen Unternehmen enorme Hitze, teils bis zu 2000 Grad. Diese sogenannte Prozesswärme macht rund zwei Drittel des Energieverbrauchs der Industrie aus.
    „Aktuell wird Prozesswärme nahezu komplett über fossile Energieträger versorgt“, sagt Tobias Fleiter vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Der wichtigste Energieträger ist dabei Erdgas.
    Grafik zeigt Energieträger für Prozesswärme: 39% Erdgas, 24% Kohle, 13% sont. Fossile, 8% Fernwärme, 7% Biomasse, 6% Sonstige und  bisher nur 3% Strom
    Nur drei Prozent der Prozesswärme werden bisher durch Strom erzeugt. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    Auch wenn die Produktion bisher fast ausschließlich mit fossilen Energien läuft, sind die meisten Unternehmen nicht untätig. Viele von ihnen investieren stark in Forschung und Planungen, ganze Teams widmen sich nur dem Umbau zur Klimaneutralität.
    Die Rahmenbedingungen seien überwiegend noch nicht so, dass der Umstieg auf klimaneutrale Prozesswärme wirtschaftlich sinnvoll sei, sagt Fleiter. Ausnahmen gebe es für Produktionsprozesse, bei denen vergleichsweise niedrige Temperaturen nötig seien, etwa in der Nahrungsmittelindustrie.
    Für niedrige Temperaturen können Unternehmen auf industrielle Wärmepumpen setzen, die mit grünem Strom betrieben werden. Genau das plant beispielsweise die Brauerei Neumarkter Lammsbräu. Über die Nutzung von Abwärme können Wärmepumpen aus einer Kilowattstunde Strom bis zu drei Kilowattstunden Prozesswärme machen.
    Mit gekauftem Strom sei die Technologie dennoch zu teuer, sagt Inhaber Johannes Ehrnsperger. Die Brauerei installiert daher weitere Solarmodule auf den Dächern der Fabrik, außerdem soll ein Speicher gebaut werden. Dafür werde man staatliche Förderung beantragen, ohne sei der Umstieg wirtschaftlich nicht machbar.

    Was sind die größten Hindernisse für den Umbau der Industrie?

    Damit der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen gelingt, müssen Unternehmen ihre Produktionsanlagen umrüsten oder teilweise sogar komplett ersetzen. Technisch sei das bis 2045 machbar, so das Fazit einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes, an der auch Tobias Fleiter beteiligt war. Das größere Problem sei, dass grüne Herstellungsverfahren bisher deutlich teurer sind als die Produktion mit fossiler Energie.
    Es kommt dabei vor allem auf die Energiepreise an. Neue Anlagen zu bauen, macht meist nur einen Bruchteil der Kosten aus. Nach nur einem Jahr Betrieb haben die Unternehmen oft mehr für Energie ausgegeben, als sie in die klimaneutrale Technik investiert haben.
    Als Alternative zu Erdgas könnten etliche Betriebe auf Strom umsteigen. Doch in Deutschland zahlen Unternehmen für eine Kilowattstunde Strom das Drei- bis Vierfache im Vergleich zu Gas.
    Für eine klimaneutrale Produktion mit grünem Strom dürfe dieser höchstens sechs Cent pro Kilowattstunde kosten, sagt Sabine Nallinger. Sie ist Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft, einer Initiative zahlreicher Industrieunternehmen. Auch Fraunhofer-Forscher Fleiter sieht im Strompreis die zentrale Baustelle.
    Doch nicht alle Produktionsverfahren lassen sich auf Strom umstellen, besonders nicht bei sehr hohen Temperaturen. In solchen Fällen ist die klimaneutrale Alternative oft mit grünem Strom hergestellter Wasserstoff. Doch diesen kann man in Deutschland noch nicht in großen Mengen einkaufen, und erst recht nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen.
    Die Bundesregierung hat inzwischen Pläne für den Ausbau eines Wasserstoffnetzes vorgelegt. Viele Unternehmen können aber noch nicht abschätzen, wann sie zu welchen Preisen Wasserstoff einkaufen können, weshalb sie mit Investitionen zögern.

    Was tut die Politik für eine klimaneutrale Industrie?

    Bis klimaneutrale Produktion wettbewerbsfähig ist, könnte es je nach Branche noch Jahre dauern. Damit der Umbau bis 2045 gelingen kann, müssen Unternehmen aber zeitnah Erfahrungen im industriellen Maßstab sammeln. Das Bundeswirtschaftsministerium hat deshalb ein neues Instrument entwickelt: die Klimaschutzverträge.
    Bisher hat der Staat vor allem Investitionskosten gefördert. Die neuen Verträge sichern Firmen auch gegen zu hohe Energiepreise ab. Solange grüne Energie teurer ist als fossile, gleicht der Staat die Differenz aus. Sollte sich das Verhältnis umkehren, zahlen die Unternehmen im Gegenzug an den Staat.
    Vier Milliarden Euro hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für die erste Runde eingeplant, momentan prüft sein Ministerium 20 Anträge. Eine zweite Runde läuft bereits. Die Budgets reichen zwar bei weitem nicht aus, um den kompletten Umbau zu finanzieren, dennoch seien sie ein wichtiger Schritt, findet Fraunhofer-Forscher Fleiter. Die innovativsten Unternehmen könnten damit erste Anlagen umrüsten und so wichtige Erfahrungen im industriellen Maßstab sammeln.
    Die Politik setzt zudem an den Strompreisen an, ein zentraler Faktor sind dabei die Netzentgelte. Über diese bezahlen Stromkunden für die Nutzung des Stromnetzes, auch der nötige Ausbau der Stromnetze wird darüber finanziert. Letzteres müsse sich ändern, sagt Sabine Nallinger von der Stiftung Klimawirtschaft, sie warnt davor, dass Strom sonst sogar teurer statt günstiger werden könnte. Das Bundeswirtschaftsministerium teilt mit, es prüfe im Moment Maßnahmen zur Stabilisierung der Netzentgelte.
    Zudem soll das Regelwerk für die Berechnung der Netzentgelte von Unternehmen grundlegend überarbeitet werden. Zukünftig sollen Unternehmen belohnt werden, wenn sie ihren Stromverbrauch an die Stromproduktion anpassen. Bisher gibt es Entlastungen bei den Netzentgelten, wenn Unternehmen konstant über Jahres- und Tageszeiten hinweg Strom beziehen.
    Die Netzentgelte hat man so strukturiert, weil Kohlekraftwerke schließlich auch konstant Strom geliefert haben. In der Welt der erneuerbaren Energien, in der Wind und Sonne mal mehr und mal weniger Strom liefern, ergibt das keinen Sinn mehr. Zukünftig sollen Unternehmen belohnt werden, die bei hohem Stromangebot mehr verbrauchen oder bei Knappheit ihren Verbrauch senken. Bei unabhängigen Experten kommt der Entwurf gut an.

    Welche Rolle spielt der CO2-Preis?

    Die fossile Produktion wird in den kommenden Jahren immer teurer. Das ist politisch gewollt und liegt am europäischen CO2-Emissionshandel. Durch den hat das von der Industrie ausgestoßene CO2 einen Preis bekommen. Wenn Unternehmen Erdgas nutzen, müssen sie also einerseits das Gas bezahlen und zusätzlich die Kosten für die nötigen CO2-Zertifikate tragen.
    Doch der Preis der CO2-Zertifikate werde nicht so schnell steigen, dass sich die klimaneutrale Produktion in den nächsten Jahren von allein lohnt, sagt Fraunhofer-Forscher Tobias Fleiter. Strom müsse also günstiger werden.

    Welche Risiken bringt die Transformation mit sich?

    Viele Industrieunternehmen stehen im internationalen Wettbewerb. Sie müssen mit Herstellern konkurrieren, die an anderen Standorten teilweise deutlich niedrigere Strompreise haben und umsonst Treibhausgase in die Luft blasen dürfen.
    Der deutsche Staat entlastet energieintensive Firmen, die stark im internationalen Wettbewerb stehen, bereits. Doch das reicht nicht aus, findet Industrie-Lobbyistin Nallinger. Wenn sich der Strompreis nicht deutlich ändere, werde die Industrie „weiterhin nach Amerika abwandern, wie sie das schon die letzten Jahre getan hat.”
    Dass der Standort Deutschland für die Industrie an Attraktivität verloren hat, zeigt auch eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Fast 40 Prozent der Industrieunternehmen haben Standorte ins Ausland verlegt oder planen dies. Zwei Jahre zuvor waren es nur halb so viele.
    Ein großes Problem sei dabei Unsicherheit. Man wisse nicht, welche Technologie wann in Deutschland wettbewerbsfähig einsetzbar sein werde. Unternehmen würden Investitionen daher lieber vermeiden – oder an andere Standorte verlagern.
    Der Ingenieur Tobias Fleiter ist trotz aller Hürden optimistisch, dass der Umbau der Industrie bis 2045 funktionieren kann. Wenn es gelinge, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass klimaneutrale Lösungen wettbewerbsfähig sind, könne der Umbau schnell gehen: „Dann gibt es nämlich ein Wettrennen um die Umrüstung und die Marktanteile.“