Ralf Krauter: "Klimaneutral leben in Berlin" - das war ein eben zu Ende gegangenes Mitmach-Projekt zum Klimaschutz, bei dem 100 Haushalte in Berlin ein Jahr lang versucht haben, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Und zwar mit professioneller Unterstützung vom Umweltbundesamt und unter Leitung des PIK, dem Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Ende letzter Woche wurde Bilanz gezogen und Seraja Bock, Umweltethiker am PIK war an der Datenauswertung beteiligt. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt: Wie stark konnten die Teilnehmer des Langzeitexperiments ihre persönliche CO2-Bilanz verbessern?
Seraja Bock: Wir haben ja die Jahre 2017 und 2018 verglichen und sind mit 100 Haushalten gestartet, 72 haben bis zum Ende das Tracking durchgehalten, die konnten jede Woche ihre Bilanz aufschreiben oder im Computer eingeben. Und so haben wir ein ziemlich detailreiches Tracking vorgenommen. Dazu gab es verschiedene Angebote, wodurch die das dann jeweils reduzieren konnten. Und am Ende sehen wir, dass wir elf Prozent Verbesserung hinbekommen haben bei den vorläufigen Zahlen jetzt, und damit liegen wir knapp 35 Prozent unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Das heißt, jetzt sind es so 7,8 Tonnen im Durchschnitt, die die Haushalte in 2018 emittiert haben.
Krauter: Bevor wir gleich noch mal auf diese Zahlen zu sprechen kommen, noch mal zurück zu Methodik: Die Teilnehmer haben einmal pro Woche Formulare ausgefüllt oder elektronisch sich genau notiert, welche Lebensmittel sie gekauft haben, wie viel sie Auto gefahren waren, ob sie Flugreisen gemacht hatten. So muss man sich das vorstellen – und auf Basis dieser Daten wurde dann der CO2-Ausstoß pro Kopf ausgerechnet.
Bock: Genau, man teilt das klassischerweise in vier beziehungsweise fünf Felder, das ist einmal Ernährung, die Mobilität, Wohnen und Konsum. Das fünfte Feld, da hat man jedoch keinen Einfluss drauf, sind die öffentlichen Emissionen wie Straßenlaternen und so weiter. Uns ging es vor allen Dingen darum, diese vier Bereiche uns genau anzuschauen, zu gucken, wo da Einsparpotenziale liegen. Die konnten sich in allem verbessern, in allen Bereichen im Schnitt, aber es geht natürlich auch darum, dann im Einzelfall zu sehen, wo da Potenziale von den einzelnen lagen und wo nicht. Große Felder sind auf jeden Fall das Mobilitätsfeld, das war auch das Einzige, wo die Haushalte über dem deutschen Durchschnitt lagen, weil sie, wenn man da die Flugemissionen reinrechnet, dann haben wir in unserem Sample Leute gehabt, die mehr fliegen als der deutsche Durchschnitt.
Krauter: Bleiben wir erst noch einmal bei der Theorie, bei diesen vier Sektoren, die Sie gerade genannt haben. Also Ernährung, Wohnen, Mobilität, Konsum – wie sieht es da aus, wo ist rein rechnerisch das größte Einsparpotenzial?
Bock: Das größte Einsparpotenzial ist auf jeden Fall in dem Bereich Mobilität und in dem Bereich Konsum. Das teilt sich ungefähr in relativ gleiche Teile auf, Konsum ist meistens der größte Anteil. Gerade beim Wohnen hat man halt Potenziale, wenn man auf Ökostrom umstellt oder wenn man im Winter das Heizen schlauer gestaltet. Bei Ernährung ist es hauptsächlich die Umstellung auf eine emissionsärmere Ernährung, das heißt weniger Fleisch oder am besten vegetarisch oder vegan. Und bei der Mobilität ist es dann, wenn man das aufteilt in die Mobilität am Boden, dass man versucht, ÖPNV zu nutzen oder das Fahrrad am besten oder mit dem Zug fährt – und, am wichtigsten in der Hinsicht dann, auf die Flugreisen verzichtet. Und beim Konsum ist es meistens ein Verzicht oder dass man Dinge benutzt, die langlebiger sind, und somit auch eine größere Wertschätzung den Gegenständen entgegenbringt.
"Jetzt ist er einer der begeistertsten Fahrradfahrer"
Krauter: Wie sah es denn in der Praxis dann konkret aus? Jetzt haben wir über die Theorie gesprochen, wo fiel es den beteiligten Haushalten besonders leicht, dieses Potenzial zu heben, und wo war es sehr schwierig?
Bock: Da muss man sich wieder die einzelnen Felder oder die einzelnen Haushalte anschauen, manche haben sehr viel im Mobilitätsbereich gemacht. Wir hatten einen Fall, der am Anfang gesagt hat, er kann sich gar nicht vorstellen, mit dem Fahrrad seine Wege zurückzulegen, und jetzt ist er einer der begeistertsten Fahrradfahrer und war auch ganz stolz bei der Abschlussveranstaltung mit dem Fahrrad da. Das ist wichtig, glaube ich, dass man schaut, wo einmal seine eigenen großen Punkte liegen, man kann ja auch selber sich diesen CO2-Rechner vornehmen, den im Internet machen und sieht dann, wo denn die Felder groß ausschlagen und wo geringer. Man kann sich daran dann orientieren, um dann auch das möglichst in den Zahlen zu verbessern und nicht in dem Bereich etwas machen, wo man eh schon gut ist. Das beste Beispiel ist dann der, der vegan isst, aber trotzdem fliegt. Da frisst dann die Flugemission alles andere auf, diese sogenannten Big Points muss man halt erst lokalisieren und dann schauen, ob man die auch relativ einfach für sich ändern kann.
"Sehr auf den urbanen Raum konzentriert"
Krauter: Dieser CO2-Rechner, der ist zu finden auf der Seite des Umweltbundesamtes, das noch kurz nachgeschoben. Mich würde jetzt noch interessieren, wie übertragbar ist das, was Sie da jetzt herausgefunden haben, auf die Gesamtbevölkerung? Es ist ja so, dass die Teilnehmer Ihrer Studie offenbar davor schon klimabewusster waren als der durchschnittliche Bundesbürger, weil die Pro-Kopf-Emission schon vor Start Ihrer Studie deutlich unter den elf Tonnen CO2 pro Jahr liegen, die so der Durchschnittsdeutsche auf seinem Konto zu verbuchen hat. Insofern: Ist das übertragbar auf die Gesamtbevölkerung?
Bock: Was uns wichtig war, war, dass wir einmal einen guten Durchschnitt durch die Gesellschaft haben, wir hatten verschiedene Haushalte, größere und kleinere, wir hatten vom Einkommen alles mit dabei. Natürlich ist es ein Projekt, was in Berlin stattgefunden hat, das heißt, es hat sich sehr auf den urbanen Raum konzentriert. Was aber gerade interessant war für uns, ist, dass die Leute so schon vom CO2 aus einem besseren Sektor kommen und trotzdem noch Potenzial entwickelt haben. Das heißt, es sind Leute, die ganz normal am alltäglichen Leben teilnehmen, die sozusagen keine Aliens sind, die irgendwie sozial ausgeschlossen sind und die trotzdem das Potenzial erkannt haben und für sich erkannt haben, dass sie da etwas dran machen wollen. Aber das ist uns gleichzeitig genauso wichtig, dass das immer ein Zusammenspiel von dem Einzelnen und der Einzelnen sein muss und der Adressierung an die Politik, die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass halt wirklich eine klimagerechte Zukunft möglich ist.
"Wir wollen veränderte Rahmenbedingungen haben"
Krauter: Das Ergebnis Ihrer Studie ist ja, 7,8 Tonnen pro Kopf CO2-Ausstoß pro Jahr, das wäre im Prinzip mit vertretbarem Aufwand machbar, auch für Menschen, die mit beiden Beinen im Berliner Stadtleben stehen, so verstehe ich Sie. Das entspräche einer Reduktion um 35 Prozent ungefähr von den elf Tonnen, die der Bundesbürger im Durchschnitt heute hat. Wie nah würde uns das denn, wenn wir das jetzt alle schaffen würden, den Zielvorgaben des Pariser Klimaabkommens bringen?
Bock: Für eine wirklich klimagerechte Zukunft wären auf jeden Fall mehr Einsparungen nötig, aber es wäre auf jeden Fall ein erster großer Schritt und es wäre auch ein erster Schritt, um zu zeigen, dass den Leuten da wirklich etwas dran gelegen ist. Und gleichzeitig darf man das nicht aus den Augen verlieren, dass es darum geht, an den Rahmenbedingungen etwas zu ändern. Es sind ja nicht nur die einzelnen Konsumentinnen, die Entscheidungen treffen, sondern man hat auch die öffentliche Daseinsvorsorge als Beispiel, die Kommunen oder die Stadt an sich, die halt bestimmte Emissionen hat, das muss sich in dem Sinne alles ändern. Das ist uns in dem Sinne ein wichtiger Punkt, dass man halt mit dem Projekt zeigen kann, was es für Auswirkungen hat, dass Möglichkeiten da sind, dass Potenzial da ist – und dass wir gleichzeitig veränderte Rahmenbedingungen haben wollen.
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