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Klimapolitik
"Europa ruht sich auf der Vorreiterrolle aus"

Die Klima-Beschlüsse der EU bieten Schlupflöcher, sagte Brigitte Knopf, EU-Expertin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, im DLF. Etwa beim Emissionshandel, wo es Kompensationszahlungen für Osteuropa gibt. Damit werde das EU-Parlament ausgehebelt, sagte Knopf.

Brigitte Knopf im Gespräch mit Gerd Breker |
    Eine Satellitenaufnahme der Erde zeigt den Verbleib der Ozonschicht über der Arktis (Foto vom Winter 1999/2000).
    Ein EU-Klimaziele für 2030: Ausstoß von Kohlendioxid EU-weit verbindlich um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziere (Nasa, dpa picture-alliance)
    Gerd Breker: Sie haben es in den Nachrichten gehört: Die EU-Staaten haben sich auf neue Klimaziele für 2030 geeinigt. Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten in der Nacht bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel, den Ausstoß von Kohlendioxid EU-weit verbindlich um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Der Anteil der erneuerbaren Energie soll mindestens auf 27 Prozent steigen, die Einsparungen bei der Energie ebenfalls um mindestens 27 Prozent erhöht werden.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Brigitte Knopf. Sie ist die EU-Expertin des Potsdaminstituts für Klimafolgenforschung. Guten Tag, Frau Knopf.
    Brigitte Knopf: Guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Wie ist das? Aus Ihrer Sicht ein guter Kompromiss, oder lediglich besser als nichts?
    Knopf: Na ja. Als Klimaschützer wünscht man sich natürlich immer höhere Prozentpunkte. Aber ich muss sagen, das Positive sehe ich darin, dass überhaupt eine Einigung erzielt worden ist. Und was ich auch sehe ist: Es gibt nun ein Signal an die internationale Staatengemeinschaft mit diesen 40 Prozent. Das wurde allerdings in der Tat erkauft durch viele interne Kompromisse. Und insofern, ich sage mal, besser als nichts. Ja!
    Breker: Eine gemeinsame Position der Europäischen Union, wird das denn tatsächlich die USA oder China animieren, auch mehr zu tun?
    Knopf: Ich glaube schon, dass diese 40 Prozent eine gewisse Wirkung haben. Vor allen Dingen steht auch „mindestens 40 Prozent", und in diesen Dokumenten kommt es wirklich auf jedes kleine Sätzchen, jedes Wort an, und diese mindestens 40 Prozent könnte man so interpretieren, wenn sich international - im nächsten Jahr ist die große Klimakonferenz in Paris -, wenn sich da andere Staaten auch zum Klimaschutz bekennen, dass die EU vielleicht hier noch mal nachlegen wird. Das ist zumindest eine Hoffnung der Klimaschützer.
    Breker: Ist denn auf diese Art und Weise, Frau Knopf, das Zwei-Grad-Ziel überhaupt zu erreichen?
    Zwei-Grad-Ziel ist langfristiger Fokus-Punkt
    Knopf: Wissen Sie, wir müssen das Zwei-Grad-Ziel, glaube ich, interpretieren in kleine Schritte, die wir jetzt machen. Das Zwei-Grad-Ziel ist sozusagen ein langfristiger Fokuspunkt und dafür ist er unglaublich wichtig. Wie viel die EU dafür machen muss, wie viel China dafür machen muss, wie viel die USA dafür machen muss, das kann man ganz schwer runterbrechen.
    Aber diese 40 Prozent sind ein erstes Signal und da hoffen wir natürlich, dass die USA und China nachziehen. Die USA haben zum Beispiel gesagt, vielleicht setzen wir nur Fünf-Jahres-Schritte, nur irgendeine Zahl bis 2025, und da kann ich mir jetzt vorstellen, dass die USA sagen oder unter Zugzwang sind, vielleicht auch etwas für 2030 auf den Tisch zu legen.
    Breker: Frau Knopf, wir sollten vielleicht unseren Hörern noch mal erläutern, was dieses Zwei-Grad-Ziel überhaupt bedeutet. Das ist ja nicht zufällig gewählt.
    Knopf: Genau. Das Zwei-Grad-Ziel bedeutet, dass man einen Temperaturanstieg von höchstens zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau in Kauf nehmen will, und die Zwei-Grad-Zielmarke wurde insofern von den internationalen Staatenlenkern gewählt, weil man sagt, danach gibt es möglicherweise irreversible Effekte im Erdsystem wie zum Beispiel das Abschmelzen der Eisschilde, die man nicht wieder rückgängig machen kann. Und so sagt man: Wo ist die Grenze der Gefährlichkeit erreicht? - Na ja, wahrscheinlich so etwa bei zwei Grad. Deswegen ist dieses Ziel als Marke so wichtig.
    Breker: Das wäre sozusagen der Kipppunkt. An dem könnte das Klima völlig aus dem Takt geraten.
    Knopf: Genau. Das passiert natürlich in Kaskaden, sage ich mal. Es geht natürlich bei zwei Grad die Welt nicht unter. Aber das ist so eine Marke, wo es Indikatoren dafür gibt, ab zwei Grad könnte man weiteren gefährlichen Klimawandel sehen mit diesen sogenannten Kippelementen, Kipppunkten auch.
    Breker: Nun gehen wir vielleicht mal ins Detail, was da beschlossen wurde. Bleiben da nicht auch jede Menge Schlupflöcher, etwa beim Emissionshandel?
    Knopf: Es bleiben auf jeden Fall Schlupflöcher, vor allen Dingen, wenn man sich anguckt: es gibt jetzt viele Kompensationszahlungen für die ärmeren Mitgliedsländer, vor allen Dingen Osteuropa. Und beim Emissionshandel ist es in der Tat so: Deutschland hat vorgeschlagen, die Reform des Emissionshandels schon 2017 zu machen, wie eben auch in dem Beitrag gehört. Das wird dann erst ab 2020 sein. Auch ist noch nicht ganz klar, wie das umgesetzt wird. Aus unserer Sicht wäre eine stärkere Reform auch notwendig zum Beispiel mit einem europäischen Mindestpreis für Zertifikate. Aber das ist im Moment auf europäischer Ebene nicht in Sicht.
    Breker: Es wurde ja auch ein politischer Preis gezahlt, und zwar der Zwang zur Einstimmigkeit, der wurde ausgeweitet. Selbst wenn die EU-Kommission irgendwelche Klimavorschläge macht, die Staaten müssen weiterhin zustimmen. Ist das klug, so zu agieren?
    Einstimmigkeit hebelt Parlament aus
    Knopf: Das kam jetzt sehr überraschend. Das kam meines Erachtens erst gestern rein. Das hat noch mal für großen Wirbel gesorgt in den Verhandlungen. Ich finde es problematisch. Ich denke, es ist auch eine Aushebelung des Parlaments. Natürlich hat der europäische Rat oft das letzte Wort, aber wenn es Gesetzgebungsverfahren gibt, dann scheint es mir doch jetzt so zu sein, dass der europäische Rat sagt, da wollen wir immer noch mal draufgucken und hier muss Einstimmigkeit herrschen, und insofern kann man, glaube ich, schon sagen, dass Polen jetzt - ich nehme mal Polen als Beispiel -, dass dadurch jetzt ein großes Blockaderecht da ist, und das lähmt natürlich dann die weiteren Verhandlungen.
    Breker: Die Bremser erhalten ein Blockaderecht. Nicht nur Polen, aber auch Polen?
    Knopf: Auch Polen. Man muss schon sagen, es sind vor allen Dingen Teile der osteuropäischen Staaten. Aber Polen ist da ein Haupttreiber und die polnische Premierministerin hat gesagt, niemand wurde so stark kompensiert wie wir, und sie geht sehr gestärkt zurück nach Warschau und ist offensichtlich mit diesem Kompromiss oder mit diesen Entschädigungszahlungen, die jetzt auch an Polen fließen werden, sehr zufrieden.
    Starke Ost-West-Trennung
    Breker: Frau Knopf, führt das nicht dazu, dass Europa tatsächlich nicht mit einer Stimme spricht, sondern dass wir eine Art Europa der zwei Geschwindigkeiten im Klimaschutz bekommen werden?
    Knopf: Das ist ganz stark mein Gefühl. Ich glaube schon, dass wir hier eine sehr starke Ost-West-Trennung haben. Allerdings muss man auch mal sagen: Es gibt natürlich auch eine sehr deutsche Sichtweise, wir mit unserem sehr ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren, und man muss natürlich auch sehen, dass es in den osteuropäischen Staaten ein ganz anderes Bedürfnis gibt. Dort wird sehr viel stärker auf Wirtschaftlichkeit jetzt geachtet, dass man mit anderen Ländern mithalten kann, mit Wirtschaftswachstum, und es ist natürlich eine sehr deutsche Sicht zu sagen, na ja, wir setzen alles auf Klimaschutz und Erneuerbare. Insofern: Ein gewisses Verständnis habe ich für die polnische Sichtweise. Aber es erschwert natürlich ein gemeinsames europäisches Denken.
    Breker: Und Europa als Vorreiter, die Vorreiterrolle, die Europa ja einnehmen wollte, die ist nicht mehr sonderlich glaubwürdig.
    EU hat keine Vorreiterrolle mehr
    Knopf: Nein, die ist nicht mehr glaubwürdig. Das ist auch schon länger so der Fall. Europa gibt sich zwar gerne noch so verbal, aber eigentlich kann man von Vorreiterrolle nun wirklich nicht mehr sprechen. Ich glaube, Europa hält sich immer noch dafür, aber wenn man sieht, zum Beispiel in China, da passiert auch viel, in China werden Emissionshandelssysteme auf regionaler Ebene eingeführt, in den USA gibt es eine Regulierung für Kohlekraftwerke, manchmal habe ich das Gefühl, das wird in Europa oder auch in Deutschland gar nicht genug wahrgenommen und man ruht sich ein bisschen auf dieser Vorreiterrolle aus. Aber um wirklich Vorreiter zu sein, da hätte hier was ganz anderes in dem Papier stehen müssen.
    Breker: Was müsste denn da für unser Klima drinstehen, damit tatsächlich das Klima geschützt ist?
    Knopf: Auch mit 40 Prozent wird es geschützt. Es macht keinen Sinn, da jetzt eine Zahl zu nennen. Aber schon allein die Tatsache, dass es so schwer ist, sich zu einigen, das zeigt eigentlich, dass Europa nicht mehr willens ist, ein Vorreiter zu sein.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Expertin für die Europäische Union des Potsdaminstituts für Klimafolgenforschung, Brigitte Knopf. Frau Knopf, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
    Knopf: Gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.