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Klimapolitik in Schweden
Wo sind die Grünen?

Die schwedischen Grünen stecken in der Krise. Viele Wähler haben sich enttäuscht abgewendet: Zu viele Kompromisse in Sachen Umweltpolitik und Klimaschutz. Diese Themen werden auch in Schweden immer wichtiger. Nächste Bewährungsprobe für die "Miljöpartiet" ist die Europawahl.

Von Simonetta Dibbern |
Die Spitzenkandidaten der schwedischen Grünen für die Europawahl, die ehemalige Kultur- und Demokratieministerin Alice Bah Kuhnke und der Meteorologe Pär Holmgren
Die Spitzenkandidaten der schwedischen Grünen für die Europawahl, Alice Bah Kuhnke und Pär Holmgren (picture alliance/ TT/ Anders Wiklund)
Wer die EU-Spitzenkandidatin der grünen Miljöpartiet in ihrem Büro treffen will, muss angemeldet sein. Ausweiskontrolle und Bodyscan – wie am Flughafen. Temperamentvoll und herzlich ist Alice Bah Kuhnke. Vier Jahre lang war sie Ministerin für Kultur und Demokratie, bis Mitte Januar eine neue Regierung ins Amt kam. Dann musste sie umziehen, vom Parlamentsgebäude in die Reichstags-Bibliothek, wo die Fraktion der Grünen ihre Büros hat. Ein Zwischenschritt, hofft sie:
"Wenn ich gewählt werde, ziehe ich mit meiner Familie nach Brüssel, damit ich nicht immer hin- und herfahren muss. Denn in unserer Partei sind wir uns einig, dass wir alle Flugreisen auf ein Minimum beschränken. Nach dem jüngsten Bericht des Weltklimarats haben wir zehn Jahre Zeit, um den Planeten zu retten. Auch in der Hinsicht ist das also eine wichtige Europawahl."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grüner Schwede! Klima-Aktivisten im Norden Europas".
Alice Bah Kuhnke will den Klimaschutz ganz oben auf ihre Agenda setzen – zusammen mit den anderen europäischen Grünen. Das, sagt die Politikerin, ist sie Greta Thunberg schuldig.
"Aber zuallererst müssen wir dafür sorgen, dass die EU wirklich an einer vernünftigen Klimapolitik arbeitet. Und dass alle Mitgliedsländer den Klimaschutz an die erste Stelle setzen. Das wird ein harter Kampf."
Schwedens Grüne könnten einen Neuanfang brauchen
Für die Grünenpolitikerin könnte Brüssel ein Neuanfang werden. Den könnte auch ihre Partei brauchen, die Miljöpartiet de Gröna. Denn die steckt – trotz Regierungsbeteiligung seit 2014 – in der Krise. Hat viele Kompromisse gemacht und ihre Wähler enttäuscht. Besonders in der Flüchtlingsfrage. Aber auch in Sachen Umweltpolitik und Klimaschutz.
"Wir haben nicht genügend klargemacht, was wir wollen und was hinter unseren Entscheidungen steckt, haben uns oft in Kleinigkeiten verheddert."
Teil der Regierung zu sein, ist immer eine Garantie für Unbeliebtheit, meint Sverker Sörlin. Immerhin, sagt der Professor für Umweltgeschichte an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm, haben die Grünen mit dafür gesorgt, dass Schweden nun einen Klimarat hat.
"Es gab eine umfangreiche Untersuchung dazu, wie es Schweden gelingen kann, sein Klimaziel zu erreichen, null Emissionen bis zum Jahr 2045. Bisher war die jeweilige Regierung dafür zuständig – also alle vier Jahre in neuer Besetzung. Doch vor zwei Jahren wurde entschieden, diese Klimakontrolle auszulagern, an eine Expertenkommission mit acht Mitgliedern. Mit einem Sekretariat und einem eigenen Budget, um die Klimapolitik der Regierung zu kontrollieren und eventuell Ratschläge zu geben. Das ist eine gewaltige Aufgabe – und das sage ich mit Überzeugung."
"Schwierig, gegen Umweltschutz zu sein"
Sverker Sörlin ist einer der acht Experten. Am 21. März hat der Klimarat seinen lange erwarteten ersten Bericht veröffentlicht. Wenn Schweden so weitermacht wie bisher, heißt es darin, kann das Null-Emissions-Ziel nicht erreicht werden. Es folgen zehn Empfehlungen, formuliert als klare Aufforderungen an die Regierung. Unter anderem: "Hören Sie auf, den Besitz von Autos, das Fahren und Parken zu subventionieren". Und: "Legen Sie ein Datum fest, ab wann der Verkauf jeglicher fossiler Brennstoffe verboten sein wird". Klare Worte.
"Hier ist es schwierig, gegen Umweltschutz zu sein. Jede Partei muss etwas dazu in ihrem Parteiprogramm haben, das realistisch und zugleich positiv ist. Auch die Schwedendemokraten. Doch aus der Klimadiskussion halten sie sich raus, sie haben, ich nenne es mal eine lauwarme Haltung. Sie leugnen nicht den Klimawandel, offiziell jedenfalls akzeptieren sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Doch für sie ist das Problem nicht so wichtig wie für die Grünen. Oder für andere eher linke Parteien. Die Schwedendemokraten sind jedenfalls die einzigen, die nicht hinter dem Klimarat stehen."
Sverker Sörlin wurde in den Klimarat berufen, weil er als Direktor der schwedischen Volkshochschulen mit gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen bestens vernetzt ist. Und weil er als Historiker die Geschichte der schwedischen Umweltpolitik kennt. Begonnen hat es, erzählt er, 1909. Damals hatten sich konservative Kräfte dafür eingesetzt, dass der erste Nationalpark geschaffen wurde:
"Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen wir über Umweltfragen zu sprechen. Und dann, Anfang der 60er, war auf einmal das Wort 'Miljöt', Umwelt, in aller Munde, kurz nachdem das Buch von Rachel Carson auf Schwedisch erschien: 'Silent spring'. Das war 1963 und löste die erste Welle der Umweltbewegung aus, bis hoch in die Politik. Die erste große UN-Umweltkonferenz war hier in Stockholm, 1972. Das ist jetzt fast 50 Jahre her."
Umdenken in der Gesellschaft
Der damalige Ministerpräsident Olof Palme hatte in seiner Eröffnungsrede sogar den Vorschlag gemacht, auf fossile Energien komplett zu verzichten und Alternativen zu entwickeln. Doch die USA wollten damals schon nicht mitziehen. Heute, sagt Sverker Sörlin, verbrauchen die Schweden immer noch zu viele Ressourcen. Und der Verkehr nimmt weiter zu. Dennoch nimmt er ein Umdenken wahr in der schwedischen Gesellschaft.
"Es gibt eine Veränderung, wir nennen es Omställning, Umstellung, oder wie sagt man auf Deutsch? Jedenfalls gibt es so eine Veränderungsbewegung, davon bin ich überzeugt. Dieser Prozess hat bereits begonnen und wird vieles ändern. Wie wir leben, wie wir denken. Wie wir uns organisieren, Technologie und Gesetzgebung, alles."