Archiv

Klimarettung
Manuskript: Mehr CO2, bitte!

Rund 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid werden jährlich in die Luft geblasen. Doch könnte man das ungeliebte Verbrennungsendprodukt, das es quasi frei Haus gibt, auch als Rohstoff nutzen. Tatsächlich macht die chemische Industrie schon hier und da Gebrauch von CO2. Befeuert durch die Klimaproblematik, tüfteln Chemiker jetzt intensiver denn je daran, Kohlendioxid in wichtige Stoffsynthesen einzubinden.

Von Volker Mrasek |
    Dunkle Wolken verdüstern den Himmel über unserer Industriegesellschaft

    "Wir benutzen die Atmosphäre als Mülleimer."

    "Die Industrieländer steigern noch immer ihren Kohlendioxid-Ausstoß!"

    "Die Emissionen liegen im Moment ungefähr bei jährlich mehr als 30 Milliarden Tonnen."

    Ein Treibhausgas heizt die Erdatmosphäre auf, und die ganze Welt zittert. Doch fürchtet sich wirklich die ganze Welt vor dem schrecklichen Klimagas? Die ganze Welt? Nein! Ein kleines Häuflein Chemiker gibt sich ganz unerschrocken. Sie sehen vor allem das Gute in dem vermeintlichen Bösewicht.

    "Kohlendioxid ist auf der anderen Seite natürlich ein unverzichtbarer Baustein des Lebens. Alle Biomasse besteht aus Kohlenstoff, hauptsächlich."

    "So, jetzt gehen wir zu der Anlage, wo wir die Polyole herstellen. Polyole, die aus CO2 hergestellt werden. Wir haben hier einen Reaktor, der ist auch in Betrieb."

    "Eine Serienschaltung von Rührkesseln im Prinzip."

    "Wenn wir den CO2-Druck aufdrehen, dann macht man das CO2 hörbar! Und dann geht es über die Leitung zur Anlage."

    Eine Versuchsanlage im Technikums-Gebäude der RWTH Aachen …

    "Was sich hier dreht, ist ein Rührmotor, der verbunden ist mit einer Welle. Und unten das Reaktionsgemisch, da ist ein kleiner Propeller drin, der dafür sorgt, dass das CO2 in die flüssige Phase eingetragen wird. Das sind ganz kleine Reaktoren. Die haben ein Gesamtvolumen von 150 Millilitern. Wobei da die Flüssigkeit nur 70 Milliliter ausmacht. Weniger als eine Kaffeetasse."

    Was Thomas Müller und andere Forscher hier noch im Kleinen austüfteln, könnte Zukunft haben in der Chemie: Aus dem ungeliebten Abgas und Abfallprodukt Kohlendioxid soll ein begehrter Rohstoff werden. Müller leitet das Katalyse-Entwicklungszentrum CAT - eine Forschungseinrichtung, die die Aachener Hochschule gemeinsam mit dem Chemiekonzern Bayer betreibt. Hier pflegt auch die Laborantin Alexandra Keldenich Umgang mit CO2:

    "Und ja, da gehen wir doch direkt mal in mein Labor. Da werde ich Ihnen mal einen Schaumversuch zeigen, wo selbstverständlich auch unser CO2 drin verbaut ist. Ich werde schäumen!"

    Kohlendioxid quillt aus den Schloten fossiler Kohle- und Gaskraftwerke, aus den Schornsteinen von Industrieanlagen und dem Auspuff von Automobilen.

    Keldenich: "Also, ich gebe die zwei Substanzen zusammen. Und dann warten wir darauf, dass der Schaum entsteht."

    Was dabei in die Luft geht, die zig Milliarden Tonnen CO2 jährlich, ist ein unvorstellbarer Abgas-Strom.

    Keldenich: "Das dauert einen kleinen Moment. Der Schaum wächst jetzt. Dadurch, dass einfach immer mehr Gasbläschen entstehen. Ich misch' noch einmal gerade."

    Industrie- und Schwellenländer trachten danach, ihre immensen Klimagas-Emissionen zu verringern. Ein Weg sieht vor, Kohlendioxid aus dem Abgas von fossilen Kraftwerken und großen Industrieanlagen abzuscheiden. Sodass es nicht mehr entweicht und die Atmosphäre aufheizt.

    Thomas Müller: "Also, es wird etwas CO2 frei. Und das sind die Bläschen, die dann den Schaum treiben. So, jetzt läuft er fast über."

    Das abgeschiedene Kohlendioxid soll dann in tiefe Gesteinsschichten injiziert werden und dort dauerhaft verbleiben. Diese Technologie ist derzeit weltweit in der Erprobung.

    Sandra Keldenich: "Man sollte auch jetzt nicht allzu stark schütteln, dann fällt er wieder zusammen."

    Aber natürlich kann man aus der Not auch eine Tugend machen - und den Klima-Unhold aus dem Abgas nutzen. Als Rohstoff, den man praktisch frei Haus erhält

    Keldenich: "Jetzt ..."

    Mrasek: "Schon fertig."

    Keldenich: "... würde ich sagen, ist er fertig, ja. Es ist ein Weichschaum, wie er in Matratzen eingesetzt wird. Es sieht so ein bisschen aus wie ein grüner Sirup jetzt. Das ist von uns so gewünscht, weil es einfach Grüne Chemie ist, und wir das auch nach außen zeigen möchten."

    Manche sprechen von Grüner, andere auch von Nachhaltiger Chemie.

    "Diese Vision, CO2 als Kohlenstoffquelle zu nutzen, die gab es lange und auch schon vor einigen Jahrzehnten. In den letzten Jahren ist über die Klimadiskussion da eine ganz neue Dynamik reingekommen."

    Kohlendioxid gewinnt immer mehr an Reiz für die Chemie. Und für Wissenschaftler wie Walter Leitner, Professor für Technische und Petrolchemie an der RWTH Aachen. In Deutschland hat das Bundesforschungsministerium ein jüngst beendetes Verbundprojekt zur stofflichen Nutzung von CO2 mit knapp fünf Millionen Euro unterstützt, weitere Projekte laufen. Auch andere Länder sind aufgesprungen – auf einen Zug, der im Augenblick richtig in Fahrt kommt. In dem deutschen Verbundprojekt war auch Bayer mit dabei. Christoph Gürtler leitet bei dem Leverkusener Unternehmen ein Kompetenzzentrum zur Erforschung neuer chemischer Prozesse.

    "Das Department of Energy, verschiedene amerikanische Institutionen haben das gefördert. In Japan wurde es gefördert, in China übrigens auch. Es ist bemerkenswert, wie viele zusätzliche Aktivitäten da jetzt gekommen sind."

    Der Klimawandel hat CO2 sicher zu besonderer Popularität verholfen. Doch hinter dem Interesse, das Treibhausgas großtechnisch zu nutzen, steckt vor allem eines: der Wunsch nach größerer Rohstoffsicherheit. Leitner:

    "Wir wollen also nicht alles CO2, das die Menschheit produziert, in chemische Produkte umwandeln. Das wäre utopisch und auch nicht realistisch und einfach nicht machbar. Aber umgekehrt ist CO2 eben deshalb auch ein attraktiver Rohstoff, weil schon geringe Mengen dieser Abfallströme ausreichen würden, um eine hohe Wertschöpfung, wertvolle Produkte, in der Chemie zu erzeugen."

    In jedem Molekül CO2 steckt ein Kohlenstoff-Atom. Auf das haben es Leitner & Co. abgesehen. Denn Kohlenstoff ist der wichtigste Baustein in der ganzen Chemie. Er steckt in gut und gerne 20 Millionen Verbindungen, die Organische Chemiker heute kennen. Zum Beispiel in Kunststoffen. Sie bestehen aus ellenlangen Kohlenstoff-Ketten und sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. In diese Polymere könnte man das Abgas einbauen und so Gutes tun. Denn das Kohlendioxid würde Kunststoff-Komponenten ersetzen, die heute aus Erdöl gewonnen werden müssen - einem fossilen Rohstoff, der sich immer mehr verteuert und irgendwann ganz zur Neige geht. Leitner:

    "CO2 zu nutzen und daraus eine Rohstoffbasis zu machen, ist ein interessantes Gebiet."

    Das ist nicht nur die Überzeugung des Universitätsprofessors, sondern auch die von Industriechemiker Christoph Gürtler:

    "Damit ist das Ganze nachhaltiger, weil das Produkt letztlich weniger Rohstoffe benötigt."

    Völlig neu ist die Chemie mit CO2 dabei nicht. Es gibt schon einige industrielle Stoff-Synthesen, bei denen das Gas verwendet wird und die Walter Leitner aus dem Stegreif aufzählt:

    "Der größte Prozess ist die Herstellung von Harnstoff. In der Größenordnung von 100 Millionen Tonnen gehen da tatsächlich in dieses Verfahren, weltweit. Es geht um Düngemittel. Also entsprechend groß sind die Anwendungsbreiten hier. Ein zweites Verfahren, in dem CO2 genutzt wird, ist heute schon die Herstellung von Methanol. Da geht man davon aus, dass etwa zwei Millionen Tonnen CO2 in diese Verfahren hineingehen. Und dann gibt es Anwendungen, wo die Moleküle immer komplizierter und komplexer werden, sogenannte zyklische Karbonate: einige zehntausend Tonnen. Und ein Molekül, das viele aus dem täglichen Leben kennen, das Aspirin, die Salicylsäure, bei deren Synthese auch heute schon industriell CO2 genutzt wird."

    Chemiker könnten noch viel mehr mit Kohlendioxid anfangen. Wenn da nur nicht ein Riesenproblem wäre: Das Molekül ziert sich ungemein! CO2 ist das Endprodukt aller organischer Oxidationsprozesse und deshalb die energetisch stabilste Kohlenstoff-Verbindung, die es gibt. Peter Hofmann, Professor für Organische Chemie und Katalyseforschung an der Universität Heidelberg:

    "Das ist ja ein dreiatomiges Molekül, schön linear, und die Bindungen zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff sind bombenstark, das heißt um die Bindungen zu aktivieren, brauchen Sie einen Haufen Energie."

    Manches geht deshalb gar nicht mit Kohlendioxid. Und manches nur, wenn man mehr Aktivierungsenergie in das widerspenstige Molekül steckt, als hinterher an Einsparungen herauskommt – was nicht unbedingt gescheit wäre. Doch es gibt auch Reaktionen mit CO2, die trotz widriger Umstände möglich sein müssten und auch lohnend erscheinen. Michael Limbach, Organischer Chemiker in Diensten des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF:

    "Deswegen nennen wir Chemiker das auch Traumreaktion, dream reaction. Weil wir quasi täglich davon träumen: Es wäre so schön, wenn diese Reaktion oder auch andere Reaktionen funktionieren würden."

    Gürtler: "Wir gehen jetzt also in Richtung Versuchsanlage. Dazu gehen wir erstmal in den Fahrstuhl rein."

    Christoph Gürtler trägt jetzt Helm und Schutzbrille. Der Bayer-Experte hat sein Büro verlassen und trifft sich mit Michael Traving. Der ist Ingenieur und leitet ein Versuchstechnikum im Leverkusener Chemiepark. Raus aus dem Fahrstuhl geht es im 4. Stock. Die Türen öffnen sich in einen Raum voller Rohrleitungen, Pumpen und Schaltkästen.

    Gürtler: "Als Erstes haben wir jetzt hier das – ich hätte fast gesagt – Regiepult, also das Pult, von dem aus dieser Versuch betrieben beziehungsweise betrachtet werden kann."

    Traving: "Ich warte jetzt auf den stationären Zustand der Anlage. Sobald der erreicht ist, läuft der Prozess vollautomatisch."

    Gürtler: "Wir hören jetzt gerade, wie die Anlage anläuft."

    Traving: "Die Pumpe ist jetzt gestartet. Was Sie gehört haben, ist das Öffnen der Ventile. Und das Anfahren des Motors mit hoher Frequenz, um eben die Produkte in den Kessel zu fördern."

    Gürtler: "Das ist ein Spezialreaktor, Teil dieser Pilotanlage, vor der wir hier gerade stehen, wo eben die Reaktion rund um CO2 drin stattfindet. Ist speziell für diesen Zweck gebaut worden und stellt auch eine entsprechende technologische Entwicklung dar."

    Der Raum mit dem etwa waschmaschinengroßen Reaktionskessel ist so etwas wie eine "Keimzelle" der neuen CO2-Chemie. In Leverkusen ist es gelungen, Kunststoffe mit nennenswerten Anteilen von Kohlendioxid herzustellen. Erfolgreich eingebaut wurde das Gas in einen Ausgangsstoff für die Synthese von Weichschäumen aus Polyurethan. Stolz präsentiert Projektleiter Christoph Gürtler ein 100-Milliliter-Glas mit einer durchsichtigen, leicht zähflüssigen Probe:

    "Sie können also dieses Glas hier wieder aufmachen, und es wird nichts heraussprudeln. Es ist chemisch wirklich fest eingebaut. Das ist auch kein CO2 mehr. Es ist ein sogenanntes Karbonat. Und das ist stabil."

    Bei dem verwendeten Kohlendioxid handelt es sich tatsächlich um CO2 aus dem Rauchgas eines Kohlekraftwerks. Es stammt von RWE. Am Firmenstandort Niederaußem nicht weit von Leverkusen betreibt der Energiekonzern schon heute eine Abscheide-Anlage für das Treibhausgas. Christoph Gürtler:

    "Für uns ist das schon etwas, wo man sich dran gewöhnen muss: Dass man sozusagen aus dem Auspuffgas eines Kraftwerks etwas machen kann, was ein hochqualitatives Produkt ist. Also, wir kriegen das Material von der RWE. Wir haben jetzt keine besondere Reinigung hier mit eingebaut. Wir packen es mit in unsere Reaktion hinein, und wir kriegen genau das Produkt raus, das wir haben möchten."

    In den alternativen Weichschäumen ersetzt CO2 einen klassischen Grundstoff auf Erdöl-Basis, ein sogenanntes Epoxid. Allerdings nicht vollständig. Dafür gibt es technische Gründe:

    Gürtler: "Wir sagen immer: Es gibt das große CO2-Wettrennen. Man kann bis zu 43 Prozent physikalisch einbauen. Diese Produkte sind dann aber glasig, haben einen hohen Schmelzpunkt, und damit kann man keine weichen Polyurethan-Schäume erzeugen. Also gibt es eine Grenze, die vernünftig ist – also irgendwas zwischen 15, 25 Prozent, 30 Prozent vielleicht."

    Aber auch das sind im Endeffekt beträchtliche Mengen Kohlendioxid. Denn Polyurethane, das freut auch den Aachener Hochschullehrer Walter Leitner, sind Kunststoffe mit einem riesigen Markt

    "In Autositzen, in Matratzen. Auch härtere Materialien im Bereich von Sportartikeln, Autoteilen und insbesondere dann auch Dämmmaterialien, Dämmplatten – alles Polyurethane, also ein typischer Massenkunststoff."

    Rund 14 Millionen Tonnen werden davon pro Jahr weltweit hergestellt. Mehr als zwei Millionen wandern in Weichschäume. Bayer hat nun vor, eine größere Anlage zur Herstellung der Ausgangsstoffe auf CO2-Basis zu bauen. Mit einer Kapazität von mehreren Tausend Tonnen jährlich. Christoph Gürtler:

    "Diese Anlage wäre in der Lage, Material für den Markt, also kommerzielle Mengen, bereitzustellen. Wir würden gerne versuchen, in diesen Markt hineinzukommen. Wir sehen ein riesiges Interesse, inhaltlicher, technischer, öffentlicher Art. Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einer Eintagsfliege zu tun haben. Wir glauben, da geht mehr! Das geht nicht unbedingt nur für Schaumstoffe. Wir gucken uns sehr sorgfältig an, welche weiteren chemischen Reaktionen wir noch nutzen können, die zu sinnvollen Produkten führen. Also Produkten, die wir in unserem Alltag gebrauchen können, in die wir sinnvoll CO2 einbauen können."

    Kohlendioxid läßt sich nicht nur direkt in die langen Molekülketten von Kunststoffen implantieren. Es gibt auch die Idee, wichtige bulk chemicals aus CO2 herzustellen – also Grundchemikalien, die die Industrie in riesigen Mengen für alle möglichen Stoffsynthesen einsetzt. Walter Leitner kommt hier auf das weite Feld der Karbonsäuren zu sprechen:

    "Ameisensäure und Acrylsäure sind prototypische Beispiele dafür. Aber es gibt eine Vielzahl von anderen Karbonsäuren, die man eben auch mit CO2 aufbauen könnte."

    BASF demonstriert, wie so etwas funktioniert. Das Ludwigshafener Chemieunternehmen erzeugt Ameisensäure neuerdings unter Zusatz von Kohlendioxid. Peter Hofmann war als Berater an der Entwicklung des Verfahrens beteiligt:

    "Da läuft eine Pilotanlage. Ameisensäure ist ja eine riesige Bulkchemikalie, die in vielen Bereichen eingesetzt wird, zum Beispiel bei der ganzen Silage von Futtermitteln oder beim Enteisen von Flugzeugen und Landebahnen. Man macht es normalerweise so, dass man aus Kohlenmonoxid Ameisensäure herstellt. Und Kohlenmonoxid muss man natürlich auch erst machen, letztlich aus, ja, Erdgas, Erdöl. Die Synthese, die jetzt läuft, die geht tatsächlich aus CO2 und Wasserstoff. Und ich bin überzeugt: Innerhalb der nächsten Jahre wird das umsteigen auf das Verfahren mit CO2."

    Karbonsäuren wie die Ameisensäure sind zudem ein weiterer Türöffner für Kohlendioxid in der Kunststoffchemie. Walter Leitner:

    "Wenn ich zwei von diesen Karbonsäuren in einem Molekül habe, dann kann ich wieder Polymere aufbauen. Polyester werden so gemacht, Polycarbonate. Das sind also Massenkunststoffe. Denken Sie an PET, Cola-Flaschen, Folien, Textilien, Fasern."

    Man darf aber auch nicht übersehen: Die neue CO2-Chemie erfordert noch enorme Entwicklungsarbeit, und ein Stoff wie Ameisensäure aus Kohlendioxid ist keinesfalls von heute auf morgen zu haben. Leitner:

    "Nur für die einfache Addition von Wasserstoff und CO2 hat es grob über den Daumen jetzt 20, 25 Jahre gedauert, dass wir die ersten Katalysatoren gefunden haben und jetzt Unternehmen wie die BASF sich das sehr intensiv in Pilotanlagen anschauen, ob sie es auch in die technische Praxis bringen."

    Andere, komplexere Karbonsäuren gehen heute noch gar nicht:

    Leitner: "Hier sind wir wirklich in der Grundlagenforschung. Die Herausforderungen sind enorm, aber lösbar."

    "Also, ich mach es einmal an. Jetzt dreht er bei 50 Umdrehungen pro Minute. Da wird man gar nichts hören. Und wenn ich jetzt hochdrehe, jetzt fängt es an. Jetzt sind wir bei 600 Umdrehungen pro Minute. Und damit es effektiv ist, muss ich wirklich schnell drehen. Jetzt wird die Lösung schön mit der Gasphase vermischt. Und wir sind bei 1466 Umdrehungen."

    Jaroslaw Mormul gibt Gas. Und das im doppelten Sinne. Der Chemiker dreht die Geschwindigkeit eines Rührgerätes hoch. Dessen rotierende Welle ragt von oben in ein Reagenzglas mit einer whiskeyfarbenen Flüssigkeit. Das alles an der Universität Heidelberg, im Katalyse-Forschungslabor Carla. Mormul:

    "Da ist drin die Ausgangsstoffe, die ich benutze, und der Katalysator. Das ist eine Rhodium-Verbindung, und die Rhodium-Verbindung macht die Flüssigkeit so dunkel. Wir können auch mal voll aufdrehen. 1500 dürften OK sein. Das sieht man daran, dass sich Gasblasen in der Flüssigkeit bilden."

    Wie das Aachener Entwicklungszentrum CAT ist auch Carla das Ergebnis einer Kooperation. Auch hier forschen eine Hochschule und ein Konzern gemeinsam: die Heidelberger Uni und BASF. Chemie-Professor Peter Hofmann ist Direktor des Labors. Und die Entwicklung neuer Katalysatoren nach seiner Darstellung das A und O für den Erfolg der CO2-Chemie:

    "Die wirkliche Nutzungsmöglichkeit von CO2 ist ohne die Entwicklung jeweils geeigneter Katalysatoren chancenlos. Und es gibt für viele Dream Reactions, von denen man weiß, die sind thermodynamisch durchaus möglich, noch keine Katalysatoren."

    Den hohen Energieaufwand, den man betreiben muss, damit Kohlendioxid überhaupt reagiert – Prozess-Katalysatoren können ihn verringern. So kriegt man chemische Synthesen mit dem trägen Treibhausgas am Ende doch hin

    "Da senken Sie diese Aktivierungsbarriere, und Sie erreichen zwei Effekte. A: Das Ganze wird natürlich von der Geschwindigkeit der Reaktion her schneller. Und B: Es kann selektiver werden. Denn, sagen wir, es entstehen fünf Produkte und Sie kriegen sonst normalerweise das Gemisch. Aber Sie finden einen Katalysator, der den Weg zu einem der Produkte einfach schneller macht. Dann wird das Ganze selektiv."

    "Ich teste gerade die Temperatur, bei welcher Temperatur wir sind. Wir wollen bis zu minus 78 Grad. Also müssen wir noch ziemlich viel Eis hier reintun. Jetzt sind wir dann schon bei minus 15. Oh, minus 20. Minus 25. Minus 30. Es geht relativ flott dann."

    Auch was bei Carla so alles an Experimenten im Labor läuft, dient nur einem Ziel - der Entwicklung neuer Katalysatoren.

    "Minus 60! Das reicht mir eigentlich auch schon. Und ja, dann werde ich meine Reaktion bei dieser Temperatur durchführen."

    Die Heidelberger sind einer ihrer Traumreaktionen inzwischen einen großen Schritt näher gekommen. Im Labormaßstab gelang es ihnen, ein Salz der Acrylsäure mit CO2 herzustellen. Und zwar Natriumacrylat. Den Hauptbaustein sogenannter Superabsorber, wie Michael Limbach erläutert. Er ist Carla-Projektleiter auf Seiten von BASF:

    "Das kennt jeder aus der Windel. Das ist das, was in der Windel den Urin aufsaugt. Oder Sie kennen es auch aus dem Supermarkt. Wenn Sie ein Stück Fleisch kaufen, da ist ja oft so ein kleines Inlay drin. Das ist mit einem Superabsorber gefüllt, um halt den Fleischsaft aufzusaugen, dass das nicht im eigenen Saft schwimmt."

    Auch bei diesem saugfähigen Material handelt es sich um einen Kunststoff mit einem Millionenmarkt. Schon vor 30, 40 Jahren gab es Anstrengungen, Natriumacrylat aus CO2 herzustellen. Und nicht mehr aus dem Erdölprodukt Propen, was heute noch immer üblich ist. Limbach:

    "Man braucht auch einen Katalysator, der das macht. Und daran ist dieses Projekt lange gescheitert. Und diesen Katalysator haben wir jetzt nach langer Zeit gefunden."

    Es ist eine Verbindung, die das Metall Nickel enthält. Sie knüpft das begehrte Natriumacrylat aus den Substraten Ethen und CO2 zusammen, was Energie und Kosten spart. Laborchef Peter Hofmann:

    ""Das kann man sich so vorstellen wie eine kleine molekulare Maschine. Sie geben die reagierenden Substanzen oder die, die miteinander reagieren sollen, in die Lösung rein. Dann greift sich dieses Katalysatormolekül den Stoff A, den Stoff B, sorgt dafür, dass die sich zum neuen Stoff zusammenlagern. Den gibt es wieder frei, und dann geht es wieder los. Und das haben Sie dann in der Stunde meinetwegen millionenfach. Dazu muss der Katalysator natürlich die richtige Struktur kriegen. Die kann man maßschneidern."

    Das ist durch quantenchemische Modellrechnungen am Computer und anschließende Tests im Labor gelungen. Noch sind die Kollegen Hofmann und Limbach aber nicht am Ziel:

    Peter Hofmann: "Der Katalysator ist noch zu langsam. Wir sind im Moment bei etwa zehn bis 20 Turnovers, das heißt ein Molekül Katalysator setzt in einer bestimmten Zeit 20 Substratmoleküle miteinander um."

    Michael Limbach: "Das ist noch nicht eine Umdrehungsrate sozusagen, wo der Industriechemiker in Freude ausbricht. Um es industriell zu nutzen, muss das in der Größenordnung von 1000 bis 100.000 pro Stunde liegen."

    Hofmann: "Und das muss natürlich noch optimiert werden. Aber das ist nicht mehr unser Job im Grundlagenforschungslabor."

    Limbach: "Wir haben einen Fuß in der Tür, treiben das ein bisschen weiter voran, übergeben es aber irgendwann an die Kollegen, die in Ludwigshafen sitzen und deren Job es ist, so etwas zu optimieren. Und sind da sehr hoffnungsfroh, dass wir das jetzt auch bald tun können."

    Der Weg bis zur industriellen Anwendung sei auf jeden Fall noch weit, betont BASF-Chemiker Limbach:

    "Wir machen jetzt einige wenige Gramm von diesem Natriumacrylat in unseren Kolben. Das Ziel ist es aber, 200.000 Tonnen größenordnungsmäßig zu machen. Das sind ungefähr zehn Jahre Entwicklungszeit, sagen wir mal, vom ersten Experiment, bis Sie dann zum Schluss in der Anlage einen Knopf drücken können, wo dann Produkt hinten rauskommt. Das ist so die normale Entwicklungszeit für einen Prozess von dieser Größe."

    Das Beispiel der Superabsorber zeigt, wie steinig der Weg ist hin zu einer stärkeren Nutzung von Kohlendioxid und damit zu mehr Nachhaltigkeit in der Chemie. Es ist nicht einfach, die Natur zu kopieren. Doch darum gehe es im Prinzip, wie Walter Leitner sagt, einer der führenden Köpfe Deutschlands auf dem Gebiet der Nachhaltigen Chemie:

    "Die Natur baut alle ihre Stoffe, ihre Fasern, ihre Gerüstmaterialien, die ganze Biomasse letztendlich aus CO2 auf. Und die Pflanze macht das auch über Katalyse! Die Photosynthese ist auch ein katalytischer Prozess, der Metalle benötigt, um die Elektronenübergänge hinzukriegen. Und wir sind eben gefordert, uns da langsam vorzutasten und ähnlich effiziente Katalysator-Systeme, die nicht die Photosynthese nachstellen, aber die dieses Prinzip, CO2 und Wasser in Wertprodukte umzuwandeln, auch können."

    Der Aachener Hochschullehrer spricht gerne von emerging technologies, von aufstrebenden Technologien.

    "Das sind diejenigen, die jetzt gerade an der Schwelle stehen, die sehr intensiv schon in Pilotanlagen, vielleicht sogar Demonstrationsanlagen untersucht werden…"

    und von exploratory technologies, die erst am Horizont aufflackern,

    "Die neuen Ideen: Was könnte man mit CO2 unter den richtigen Voraussetzungen, insbesondere den energetischen Voraussetzungen, denn noch Neues machen?"

    Der Einbau von CO2 in Kunststoffe steht bereits an der Schwelle zur Industrialisierung. Auch bei verschiedenen Grundchemikalien wie der Ameisensäure aus Kohlendioxid darf man davon ausgehen. Viele andere Synthesen scheitern heute aber noch an einem energetischen Grunddilemma, das Peter Hofmann so beschreibt:

    "Es ist sinnlos, eine Reaktion mit CO2 zu machen, in der man zum Beispiel einen Reaktionspartner oder den Katalysator mit so viel Energieaufwand kreieren muss oder vielleicht sogar unter CO2-Austoß kreieren muss, dass letztlich die Gesamtbilanz negativ ist."

    Doch dieses Dilemma läßt sich in Zukunft vermutlich beheben – wenn die chemische Industrie ihre Energie von Windkraft- oder Photovoltaikanlagen beziehen kann. Also von sauberen Energieträgern ohne klimaschädliche Treibhausgas-Emissionen. Hofmann:

    "Es gibt ja zum Beispiel die Planung: Man nimmt CO2, nimmt die Sonnenenergie, um Wasser zu spalten. Hat dann Sauerstoff und Wasserstoff. Und macht dann aus CO2 und Wasserstoff Methanol."

    Methanol hat einen besonderen Charme: Er könnte auch als Kraftstoff zum Einsatz kommen. Und Treibstoffe werden in viel größeren Mengen hergestellt als Grundsubstanzen der chemischen Industrie. In ihnen ließe sich noch einmal mindestens zehnmal so viel CO2 einbauen, schätzen Experten wie Walter Leitner:

    "Es erfordert also die Verfügbarkeit von regenerativ erzeugtem, CO2-freiem Wasserstoff. Dann kann man das in Erwägung ziehen. Dann ist das Potential hoch."

    Es gibt heute sogar schon eine entsprechende kommerzielle Anlage. Sie steht auf Island, der Insel mit den vielen heißen Thermalquellen. Leitner:

    "Das ist Geothermie, die da zugrundeliegt, mit der man günstig den Wasserstoff erzeugen kann. Und wo gleichzeitig auch das CO2 mit aus der Erde kommt, so dass beide Komponenten direkt vor Ort sind. Das zeigt uns aber auch, dass wir vielleicht in eine zunehmende Diversifizierung kommen werden. Geothermie und dieser Weg zu Methanol für die Isländer. Biomasse in anderen Teilen der Welt. Für uns vielleicht wieder ein spezieller Weg aus der Kopplung der regenerativen Energien Windenergie und Photovoltaik - ja, dass sich da einfach eine Diversifizierung ergeben wird, die flexible neue Technologien erfordert und an der wir arbeiten müssen."

    Es ist eine Zäsur. In der Versorgung mit Energie wie auch mit chemischen Rohstoffen. Walter Leitner:

    "Wir sind da eigentlich in der Industrialisierung in den letzten 50 bis 100 Jahren auch historisch gesehen einen Sonderweg gegangen. Dass alles auf gleichen Raffinerieprozessen und der Versorgung mit Erdöl auf der ganzen Welt sehr einheitlich funktioniert. Das hat uns viel Wohlstand gebracht. Wir sehen jetzt natürlich die negativen Auswirkungen, die damit verbunden sind. Auch deswegen müssen wir reagieren."

    "Ich werde jetzt diesen kleinen Reaktionskolben hier eintauchen. Dann werde ich meine Chemikalien dazugeben. Und das wird dann die Reaktion. Und hoffentlich klappt es! Das ist CO2, ja!"

    Kohlendioxid wird in Zukunft stärker zur Rohstoffbasis in der Chemie beitragen. Darauf deutet alles hin. Die aktuellen Forschungsanstrengungen in vielen Regionen der Welt; das große Interesse der Industrie; und auch erste Erfolge auf dem Weg zu Massenchemikalien, in denen das klimaschädliche CO2 als nützlicher Grundbaustein enthalten ist. Peter Hofmann:

    "Wenn Sie wie bei der BASF so eine große Verbundstruktur haben, wo praktisch 70 Fabriken auf einem Gelände sind - wenn dann natürlich in so einem Verbund CO2 anfällt und man kann es gleich wieder nutzen, dann geht es nicht in die Luft!"

    Das verringert ohne Zweifel die Belastung der Atmosphäre mit dem so übel beleumundeten Treibhausgas. Doch sollte man sich keinen Illusionen hingeben:

    "Die Emissionen, die liegen im Moment bei jährlich mehr als 30 Milliarden Tonnen. Und was chemisch eingesetzt wird, sind ungefähr 110 Millionen Tonnen als Chemie-Rohstoff."

    Also gerade einmal 0,3 Prozent.

    Michael Limbach: "Selbst wenn man die gesamte Chemieproduktion auf CO2 umstellt, wird es ein kleiner, kleiner Beitrag sein."

    Christoph Gürtler: "Wir sollten ganz realistisch sein, was die Proportionen angeht. Wir sind hier nicht unterwegs im Bereich der Energiewirtschaft mit riesigen Mengen CO2. Wir sind im Bereich Chemiewirtschaft unterwegs. Da gibt es einen kleinen Klimaeffekt. Der ist prima! Ganz überwiegend ist aber der Faktor Einsparung fossiler Materialien – um es ganz, ganz klar zu sagen."

    Limbach: "CO2 ist für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland eine Option, andere Kohlenstoffquellen zu erschließen. Aber es wird die Welt nicht retten.""

    Michael Traving: "Jetzt passiert nicht mehr viel. Jetzt ist die Anlage eigentlich da, wo sie sein soll. Das sieht gut aus! Prozess läuft!""