Seit Ende 2019 gilt das Klimaschutzgesetz. Darin ist festgelegt, wie und wann Deutschland seine Treibhausgasemissionen herunterfahren muss, um das erklärte Ziel zu erreichen. Dieses Ziel lautet Klimaneutralität bis 2045. Erfüllt nun ein Sektor, zum Beispiel der Verkehr, in einem Jahr die Vorgaben nicht, müssen die zuständigen Ministerien ein Sofortprogramm auflegen, um die Versäumnisse auszugleichen. Genau das ist im Juli passiert. Am 25. August hat der Expertenrat für Klimafragen zu den Sektoren Verkehr und Gebäude eine Stellungnahme vorgelegt.
Warum waren Sofortprogramme nötig, wie weit hinkt Deutschland mit seinen Klimaschutzzielen hinterher?
Der Gebäudesektor hat im vergangenen Jahr zwei Millionen Tonnen mehr an CO2-Äquivalenten ausgestoßen als eigentlich im Klimaschutzgesetz vorgesehen ist. Beim Verkehr waren es sogar drei Millionen Tonnen. Um das auszugleichen, mussten die zuständigen Ministerien Sofortprogramme vorlegen, die diese Mehremissionen reduzieren sollen. Das ist Mitte Juli passiert.
Was sind die wesentlichen Kritikpunkte?
Bei den Gebäuden sollen vor allem bestehende Heizsysteme optimiert werden, also zum Beispiel Gaskessel besser eingestellt werden. Außerdem soll die energetische Sanierung von Gebäuden stärker gefördert werden. Die Umstellung auf erneuerbare Wärme soll auf Trab gebracht werden, etwa indem mehr Wärmepumpen installiert werden. Beim Verkehr fällt der Maßnahmenkatalog dünner aus: Hier sollen vor allem Rad- und Fußverkehr gestärkt werden. Und es soll mehr im Home Office gearbeitet werden, um Fahrten ins Büro einzusparen.
Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass die Sofortprogramme von einem Expertenrat geprüft werden. Wie lautet das Urteil für den Sektor Verkehr?
Der Expertenrat für Klimafragen besteht aus fünf renommierten Fachleuten und hat die Programme der Ministerien genau unter die Lupe genommen. Beim Verkehr sieht das ziemlich ernüchternd aus: Da dürften die vorgeschlagenen Maßnahmen - wie eine Förderung des Radverkehrs - nur einen kleinen Effekt haben: unter Berücksichtigung aller vorgeschlagenen Maßnahmen bis 2030 14 Millionen Tonnen CO2-Einsparung. Das wäre deutlich zu wenig. Eigentlich müsste der Verkehr bis 2030 275 Millionen Tonnen einsparen. Da verfehlt das Sofortprogramm das Ziel komplett. Doch Politik sagt, das sei nur ein Anfang. Die großen Maßnahmen sollen im sogenannten Herbstpaket benannt werden. Auf dieses Update wartet auch der Expertenrat, um es dann erneut unter die Lupe zu nehmen.
Wie sieht es bei den Gebäuden aus?
Hier scheint das Sofortprogramm deutlich besser zu greifen. Der Expertenrat hat ausgerechnet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen dazu führen könnten, bis 2030 die angestrebte Menge von 137 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Zwar dürfte sich in den kommenden Jahren noch wenig tun. Doch ab 2027 könnten die Maßnahmen theoretisch greifen, so dass wir das Klimaziel bis 2030 tatsächlich erreichen – zumindest auf dem Papier.
Wie realistisch ist es aus Sicht des Expertenrats, diese „Papierziele“ in echte Einsparung zu übersetzen?
Dass sich das Sofortprogramm auch so umsetzen lässt, ist in den Augen des Expertenrats durchaus fraglich. Die Fachleute haben einige Unwägbarkeiten identifiziert. Das gilt vor allem für den Punkt „Optimierung der Heizsysteme“: Das wird sich wohl nicht so schnell machen lassen wie geplant: Es gibt zu wenig Fachkräfte, die einen Heizkessel einstellen oder eine Wärmepumpe einbauen können. Es herrscht auch ein Mangel an Materialien und Ressourcen – so viele Wärmepumpen wie nachgefragt sind so schnell gar nicht lieferbar. Auch die Frage, ob die Maßnahmen sozialverträglich, also für die Mehrheit der Menschen finanzierbar sind, ist ein Thema. Allerdings hat die Stellungnahme des Expertenrats keine bindende Wirkung, sondern fungiert lediglich als ein Gutachten oder eine Empfehlung.
Das Klimaschutzgesetz und die Sofortprogramme sind eine Neuerung der Ampel-Koalition. Sieht der Expertenrat Optimierungspotenzial?
Ja, es wurde durchaus Kritik laut: So lässt das Gesetz offen, wie der Expertenrat konkret in den Prozess eingebunden wird. Auch das Konzept der Sofortprogramme scheint verbesserungswürdig. Ein Beispiel: Wenn es einen strengen Winter gibt, wird mehr geheizt - dadurch steigen für ein paar Monate die CO2-Emissionen. Laut jetziger Gesetzeslage würde in diesem Fall automatisch ein Sofortprogramm ausgelöst, obwohl es gar nicht sinnvoll wäre. Da sollte das Gesetz nachgeschärft werden, meint der Expertenrat.