Stefan Heinlein: 2015, vor zwei Jahren also, wurde kräftig gefeiert, der Gipfel von Paris bezeichnet als Sternstunde der Klimapolitik. Selten geschlossen einigte sich die Weltgemeinschaft damals auf das ehrgeizige Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Inzwischen hat die internationale Klimapolitik längst die Mühen der Ebene erreicht, die Euphorie ist verflogen. Auf der gestern begonnenen Weltklimakonferenz in Bonn geht es jetzt um das Kleingedruckte.
Mitgehört hat Christoph Bals. Er ist der politische Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch. Guten Morgen, Herr Bals.
Christoph Bals: Guten Morgen!
Heinlein: Klimagipfel in Bonn, Jamaika-Sondierungen in Berlin - ist das ein perfektes Timing, um in Deutschland den Klimaschutz voranzubringen?
Bals: Das ist ein schöner Zufall, dass es zeigt, was international für ein Druck auf Deutschland besteht. Das ist ganz anders als in den letzten 20 Jahren, dass die Welt sehr kritisch im Moment auf Deutschland schaut.
Heinlein: Könnte der Weltklimagipfel also ein Druckmittel sein, um bei Jamaika Ernst zu machen mit dem Klimaschutz?
"Die letzten drei Jahre waren die wärmsten seit Temperaturmessung"
Bals: Ich würde weniger von Druckmittel sprechen, sondern es zeigt jetzt einfach noch mal auf, dass dieser Schritt dran ist, dass Deutschland hier Dinge international versprochen hat, und dass es dringend notwendig ist - die letzten drei Jahre waren die wärmsten seit Temperaturmessung -, dass wir nicht gegen Naturgesetze zuhause in den Koalitionsverhandlungen verhandeln können.
Heinlein: Was dürfte denn schwieriger werden aus Ihrer Sicht, aus Sicht von Germanwatch, Erfolge in Berlin oder Erfolge in Bonn?
Bals: Wir brauchen beides und beides wird schwierig werden. Aber ich bin bei beidem auch optimistisch, dass es erreichbar ist.
Heinlein: Nun lesen wir in dieser Nacht, dass die Grünen Kompromissbereitschaft zeigen in Sachen Klimaschutz. Man will auf ein Enddatum verzichten für den Verbrennungsmotor, also nicht mehr diese Jahreszahl 2030. Wie bewerten Sie dieses Signal?
Bals: Wir müssen in den nächsten zwei Jahrzehnten eine Alternative zu den Verbrennungsmotoren geschaffen haben und dann zwischen 2030 und 2035, 2040 sagen manche, nur noch Autos verkaufen, die null Emissionen haben. Jetzt kann man das verschieden erreichen und wir brauchen möglichst klare Rahmensetzungen für die deutsche Industrie, weil die nicht in verschiedenste Alternativen gleichzeitig investieren kann. Wir müssen klare Rahmensetzungen dafür schaffen. Aber ich halte es nicht für den einzigen Weg, dass man sagt, wir müssen ordnungsrechtlich ein Ende des Verbrennungsmotors bis dann verankert haben. Aber man darf an dem grundsätzlichen Pfad in diese Richtung dabei nicht rütteln.
"Wer Modernisierungsprogramm für Deutschland will, der braucht jetzt klare Rahmensetzungen"
Heinlein: Die Grünen waren ja bisher so etwas wie der natürliche Bündnispartner der Umwelt- und der Klimaschützer. Haben Sie Sorge, dass die Grünen nun diese Rolle verlieren im Bündnis mit Union und FDP?
Bals: Ich glaube, dass die Grünen ohne eine klare Ansage, dass wir im Kohlebereich die notwendigen Schritte machen, um die Klimaziele für 2020 und dann auch für 2030 erreichen zu können - dass wir die Instrumente verankern, das ist der allerzentralste Schritt -, dass sie nicht in eine Koalition reingehen können, bei der sie in der eigenen Basis erwarten können, dass eine Zustimmung zu der Jamaika-Koalition es geben wird.
Heinlein: Nun sagt nicht nur die FDP bei diesen Sondierungen in Berlin, eine vollständige Umsetzung der Pariser Klimaziele bis 2020 wäre industrieller Selbstmord. Sind Ihnen als Umweltschützer unsere Arbeitsplätze egal?
Bals: Ganz im Gegenteil. Wer ein Modernisierungsprogramm für Deutschland will, wer die Jamaika-Koalition zu einem solchen Modernisierungsprogramm machen will, der braucht jetzt klare Rahmensetzungen für den notwendigen Klimaschutz, um Deutschland für die Zukunft, die Industrie so auszurichten, dass man ernsthafte Klimaziele erreichen kann, also eine Transformation der Industrie in diese Richtung mit anzustoßen. Das ist ein jahrzehntelanger Weg, da ist gar keine Frage. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber dafür müssen jetzt die Rahmenbedingungen klar gesetzt werden. Und wo das am schnellsten geht, ist im Bereich der Elektrizitätswirtschaft. Dort haben wir im Moment den Export von so viel Strom, wie 20 Kohleblöcke ausmachen. Es ist von dem her vollkommener Unsinn zu sagen, wenn wir jetzt hier eine Reihe von den ältesten Kohlekraftwerken stilllegen, dass das den deutschen Industriestandort gefährdet.
Heinlein: Herr Bals, meine Frage haben Sie nicht ganz richtig beantwortet. 75.000 Arbeitsplätze hängen mehr oder weniger direkt oder indirekt an diesen Kohlekraftwerken, an der Kohlebranche. Wie wollen Sie denn diesen Familien erklären, dass ihr Schicksal nun auf dem Altar des Klimaschutzes geopfert wird?
"Es werden wesentlich mehr Arbeitsplätze durch Klimaschutz geschaffen"
Bals: Zum einen haben wir gleichzeitig im Moment in Deutschland so viele Menschen in Arbeit, wie wir sie noch nie seit den 90er-Jahren in Arbeit gehabt haben, und das hängt unter anderem daran, an den Branchen, wo wir Klimaschutz betrieben haben. Das heißt, dass wesentlich mehr Arbeitsplätze durch Klimaschutz geschaffen wurden als die 70.000 Arbeitsplätze, die Sie jetzt angesprochen haben.
Zum zweiten geht es gerade um einen sozialverträglichen Umstieg. Das heißt, es geht natürlich auch um Strukturprogramme, um Transformationsprogramme in Nordrhein-Westfalen, in der Lausitz, die den Menschen helfen, neue Perspektiven dabei mit zu finden. Deswegen geht es um eine frühe rechtzeitige Ansage, damit man auch genug Zeit hat, um solche Transformationen jetzt voranzubringen, dass dann etwa, wenn ein Megawatt aus Kohlestrom herausgenommen wird, gleichzeitig ein Megawatt an erneuerbarem Strom aufgebaut wird und dafür dann auch neue Arbeitsplätze entstehen, und dass für die Menschen, die konkret betroffen sind, Umschulungsprogramme, Sozialprogramme, für die Kommunen entsprechende Programme mit aufgelegt werden. Das muss natürlich Hand in Hand gehen.
Heinlein: Umschulung und Sozialprogramme für die Bergarbeiter und ihre Familien. Ehrlicherweise, Herr Bals, müssen Sie aber auch den Verbrauchern dann erklären: Ohne die Kohle wird der Strom teurer, ihr müsst für den Klimaschutz dann künftig tiefer in die Tasche greifen.
"Mittelfristig wird Strom kostengünstiger"
Bals: Nein, auch das ist nicht richtig. Wenn Sie das im Durchschnitt anschauen für bis 2035, dann wird der Strom nicht teurer. Er wird die ersten Jahre ein wenig teurer und dann wird er kostengünstiger, als wenn wir weiter auf Kohle fahren. Das heißt, man müsste jetzt für die ersten Jahre für die Haushalte, für die das ein ernsthaftes Problem ist, für die ärmeren Haushalte einen Ausgleich schaffen. Aber mittelfristig ab ungefähr in acht Jahren, in zehn Jahren wird es dann kostengünstiger, als wenn wir weiter auf die Kohle gefahren wären. Das heißt, für die Zukunft gedacht ist das sogar sozialpolitisch ausgesprochen sinnvoll, was wir hier machen.
Heinlein: Sinnvoll, Herr Bals. Übernimmt sich Deutschland denn nicht dabei? Wir haben den Atomausstieg und nun fordern Sie das Aus für die Kohle möglichst rasch. Irgendwo muss der Strom ja herkommen, und zwar hier und heute.
Bals: Wir haben noch nie so viel Strom exportiert, wie wir es derzeit machen. Das heißt, zu sagen, wir hätten nicht genügend, nicht ausreichend Strom, liegt einfach mit der Datenlage nicht korrekt. Und wir könnten zumindest bis 55 Prozent an erneuerbarem Strom im System sogar ohne, dass Speicher in größerem Ausmaß ausgebaut werden, weiter vorangehen. Dann müssen wir in dem Bereich der Speicher auch in größerem Ausmaß investieren. Das wird ab 2030/35 der Fall sein. Und dann kann man auch weitergehen. Von demher ist dieses ein Argument von gestern.
Heinlein: Herr Bals, ich muss Sie jetzt leider unterbrechen. Vielen Dank für das Gespräch. Das war Christoph Bals von der Umweltschutzorganisation Germanwatch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.