Klimaschutz
Was der Expertenrat an der Bundesregierung kritisiert

65 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030, Klimaneutralität bis 2045. Für das Erreichen dieser Klimaziele muss sich in Deutschland noch vieles ändern. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission von Fachleuten.

    Das Piktogramm fuer einen neuen Radweg wurde mit einer gelben Markierung durchkreuzt. Daneben parkt ein Auto.
    Im Verkehrssektor und im Gebäudebereich klaffen laut Expertenrat die größten Lücken in der Klimapolitik der Bundesregierung. (IMAGO / photothek / IMAGO / Thomas Trutschel)
    Rund 130 Maßnahmen hatte die Bundesregierung im Juni 2023 unter der Überschrift "Klimaschutzprogramm" vorgelegt. Zum Teil wurden dabei bereits umgesetzte, zum Teil geplante Vorhaben aufgelistet. Doch sie alle zusammen reichen nicht aus, um die gesetzlich vorgeschriebenen Klimaziele zu erreichen.
    Zu diesem Ergebnis kommt der Expertenrat für Klimafragen, der die Maßnahmen im Auftrag der Bundesregierung unabhängig und wissenschaftlich überprüft hat. Es werde nicht genug CO2 eingespart, so die Kritik des Rats. Dem Gremium gehören fünf Natur- und Wirtschaftswissenschaftler an.
    Hans-Martin Henning, Vorsitzender vom Expertenrat für Klimafragen (ERK), und Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende vom Expertenrat für Klimafragen
    Brigitte Knopf und Hans-Martin Henning vom Expertenrat für Klimafragen (ERK) stellen in der Bundespressekonferenz die Stellungnahme zum Klimaschutzprogramm 2023 und den Prüfbericht für die Sektoren Gebäude und Verkehr vor. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)

    Überblick

    Was kritisiert der Klima-Expertenrat im Einzelnen?

    Der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning, und seine Stellvertreterin Brigitte Knopf erklärten, die beabsichtigen Maßnahmen im Verkehrssektor seien zwar ambitionierter als bisher, reichten aber nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen.
    Bis 2030 muss Deutschland seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 senken. Auch im Gebäudesektor, also vor allem beim Heizen, werden die Ziele nicht erreicht; beim Verkehr ist die Lücke aber am größten.
    Im Gebäudebereich bleibe eine Lücke bis zum Jahr 2030 von 35 Millionen Tonnen CO2. Im Verkehrssektor sind es zwischen 117 und 191 Millionen Tonnen. Die große Spannbreite ergebe sich aus unterschiedlichen Schätzungen der verschiedenen Ressorts. Die Bundesregierung habe keine konsistente Datenbasis vorlegen können, so die Fachleute. Die Fachleute fordern ein Monitoring, um deutlicher zu sehen, was mit den staatlichen Maßnahmen konkret erreicht wird.

    Was sind weitere Hauptkritikpunkte der Vize-Vorsitzenden Knopf?

    Im Deutschlandfunk sagte die stellvertretende Expertenratsvorsitzende Brigitte Knopf, es sei ein Problem, dass vieles Wichtige wie der Abbau fossiler Subventionen sowie eine Reform der Energiesteuern noch „vage bleibt“. Hier würden weitere Schritte in der Umsetzung gebraucht. Knopf ist Generalsekretärin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.
    In Bezug auf die geplante Novelle des Klimaschutzgesetzes mahnte Knopf an, dass die im Rahmen der europäischen Klimavereinbarungen verabredeten Minderungsziele etwa für die Sektoren Gebäude und Verkehr weiter getrennt betrachtet werden sollen. Die Bundesregierung will die bisherige sektorale Betrachtung zugunsten einer Gesamtschau abschaffen.
    Außerdem wies Knopf darauf hin, dass bei bestimmten Projekten wie dem Gebäudeenergiegesetz nach Ende des politischen Prozesses weniger Emissionsminderungen als ursprünglich geplant zu erwarten seien. Das Gesetz zum Austausch von Heizungen war nach massiver Kritik deutlich entschärft worden.
    Im Verkehrssektor sprach Knopf von „Fehlstellen“, die man noch schließen könne. So habe das Expertengremium zum Beispiel Zweifel, ob durch mehr Homeoffice im Erwerbsleben deutlich Emissionen eingespart würden. „Da sind wir ein bisschen skeptischer“, sagte Knopf. Denn es werde dann weniger beruflich gefahren, aber vielleicht im Freizeitbereich mehr. Auch beim Deutschlandticket gingen die Abschätzungen auseinander, „was das nun wirklich liefert an Minderungen“. Insgesamt werde im Verkehrssektor noch zu wenig auf einen „Umstieg in der privaten Mobilität im Pkw-Bereich, sozusagen Umstieg auf Fahrrad-Infrastruktur“ fokussiert. Und man könne ja auch über eine Maut für Pkw nachdenken.

    Wie soll die Bundesregierung konkret vorgehen?

    Man könne übergreifend sagen, so Knopf, die Bundesregierung habe ein Riesen-Maßnahmenpaket vorgelegt mit 130 Maßnahmen. Jetzt sei die Frage, wie man die Lücke von mindestens 200 Mega-Tonnen noch schließen könne. Da werde es „nicht viel bringen, wenn man einfach zwei drei weitere Maßnahmen zusätzlich einführt, sagte Knopf.
    Vielmehr sollte die Regierung ein Gesamtkonzept mit drei Punkten vorlegen. Erstens ein besseres Monitoring und Controlling der beschlossenen Maßnahmen. Zweites regte sie eine "Obergrenze im nationalen Emissionshandel" an. Drittens sei ein "gesamtgesellschaftlicher Prozess", um die anstehenden Konflikte auszuhandeln. Denn es sei schwierig, die bestehende Lücke zu schließen.

    Welche weiteren Experten-Schätzungen zu den Klimazielen gibt es?

    Laut Umweltbundesamt (UBA) klafft bis 2030 sogar eine Lücke von einzusparenden Treibhausgasemissionen von bis zu 331 Millionen Tonnen. Einem vom UBA koordinierten Projektionsbericht zufolge kann die Lücke bis 2030 mit den Maßnahmen der Bundesregierung von 1100 Millionen Tonnen auf 194 bis 331 Millionen Tonnen reduziert werden - abhängig von zusätzlichen Anstrengungen. Damit wären 70 bis 80 Prozent der Lücke, die noch unter der Vorgängerregierung 2021 bestand, geschlossen.
    UBA-Präsident Dirk Messner sagte, es müsse noch mehr getan werden. 2045 würde Deutschland der Hochrechnung zufolge noch immer 229 Millionen Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase ausstoßen.

    Wie will die Ampelkoalition die Klimaziele erreichen?

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte zuletzt betont, mit dem von der Ampelkoalition vereinbarten Klimaschutzprogramm werde die mittelfristige Lücke bei den angestrebten CO2-Minderungen um etwa 80 Prozent reduziert. Bis 2030 müssten aber noch weitere 200 Millionen Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase eingespart werden.
    Der FDP-Bundestagsabgeordnete Olaf in der Beek sagte im Dlf, man wolle das Monitoring verbessern, um jährlich zu überprüfen, wo man beim Klimaschutz stehe. Die Ampel sei beim Thema Klima schon weiter vorangekommen als die Vorgängerregierungen. Es gehe aber um „sehr langfristige Maßnahmen“, die umgesetzt würden.

    tei, epd, AFP, Reuters, Ann-Kathrin Büüsker