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Klimaschutz
"Frau Merkel, fangen Sie endlich an zu handeln!"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat der Bundesregierung Versäumnisse beim Klimaschutz vorgeworfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei eine "Klimaschützerin des Wortes, nicht der Tat", sagte er im Dlf. Mit Blick auf Ausstieg der USA aus dem Klimaabkommen forderte er, mit der "unfähigen und unverantwortlichen" US-Regierung "Tacheles zu reden".

Anton Hofreiter im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter.
    Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter. (imago / Sven Simon)
    Man müsse von dem "alten Denken" wegkommen, dass Umweltschutz Arbeitsplätze gefährde, so Hofreiter. Das Gegenteil sei der Fall: Er sorge für innovative Produkte und so für mehr Arbeitsplätze. Das sehe man etwa beim US-amerikanischen Hersteller Tesla. "Entweder werden eines Tages Null-Emissions-Fahrzeuge in Deutschland hergestellt, oder gar keine Fahrzeuge mehr."
    Die CO2-Emissionen gefährdeten die Gesundheit der Menschen, so Hofreiter. Mit Blick auf die Abgasmanipulationen bei Audi forderte er den Rücktritt von Vorstandschef Rupert Stadler. Im gesamten VW-Konzern sollten die "belasteten Manager" zurücktreten, meinte der Grünen-Politiker.
    Er kritisierte zudem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Dessen Aufgabe sei es, die Hersteller von manipulierten Autos zur Nachrüstung zu bewegen - stattdessen übernehme das der baden-württembergische Verkehrsminister. "Das ist absurd", sagte Hofreiter.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Der Skandal über manipulierte Emissionswerte geht weiter, Sie haben es gehört in den Nachrichten. Auch bei Audi ist getrickst worden, und zwar richtig heftig. Wir haben es gerade vom Verkehrsminister gehört, wie da getrickst worden ist. Das alles wird bekannt zu einer Zeit, als über Trump und noch mal Trump und das Klima diskutiert wird und die Deutschen und die Bundeskanzlerin sagt, natürlich bleiben wir beim Klimaschutz und tun alles. Nur die deutsche Industrie scheint das alles nicht wirklich zu hören. Darüber wollen wir reden mit Anton Hofreiter von den Grünen, den ich erst mal herzlich begrüße – guten Morgen, Herr Hofreiter.
    Anton Hofreiter: Guten Morgen!
    Zurheide: Hat Sie das eigentlich noch überrascht – Audi jetzt auch?
    Hofreiter: Nein, das überrascht mit überhaupt nicht, Audi jetzt auch. Als Einziges war vielleicht etwas überraschend, dass Dobrindt es zugegeben hat. Aber es blieb ihm ja wohl nichts anderes übrig, nachdem Audi ja da jetzt de facto eine Selbstanzeige gemacht hat. Das Problem ist nämlich, wenn man sich die Werte anschaut, die das Bundesumweltamt veröffentlicht hat, dass alle Autohersteller letztendlich sich nicht an die Grenzwerte halten.
    Audi: "Stadler muss die Verantwortung übernehmen"
    Zurheide: Jetzt haben Sie es gerade schon gesagt, da haben Sie schon ein Glückwunschtelegramm an den Verkehrsminister geschickt, der da mit einem Mal als oberster Aufklärer auftritt? Müsste Sie doch freuen, dass er da so hart zuschlägt, oder?
    Hofreiter: Er schlägt überhaupt nicht hart zu. Er hat bloß das nachvollzogen, was nicht mehr zu vertuschen war: Dass seine wirkliche Aufgabe wäre, dafür zu sorgen, diesen Skandal wirklich aufzuklären, nämlich Audi war de facto bereits selbst angezeigt, und dann, wenn es nicht mehr weiter zu leugnen ist, es nicht aufklären, sondern einfach nachvollziehen, was andere aufgeklärt haben.
    Zurheide: Fordern Sie den Rücktritt des Audi-Chefs Stadler? Darüber wird ja hinter den Kulissen schon diskutiert.
    Hofreiter: Ich glaube, der ganze VW-Konzern muss sich darüber im Klaren sein, dass, wenn er einen neuen echten Neustart machen will, entsprechend die belasteten Manager zurücktreten müssen. Deswegen wäre es angesichts dessen, was passiert ist, sicher sinnvoll, wenn Herr Stadler die Verantwortung übernimmt, denn er ist der Chef dieses Konzerns.
    "Merkel ist eine Klimaschützerin des Wortes"
    Zurheide: Jetzt ziehen wir den Fokus mal etwas weiter auf. Das sind Auto und Automobilindustrie, und das zu einem Zeitpunkt, ich habe es gerade gesagt, als wir weltweit über Klima diskutieren. Die Deutschen und die Bundeskanzlerin hat natürlich gesagt, ja, wir machen weiter, anders als die Amerikaner, und dann kommt so etwas. Ich meine, wir dürfen uns doch nicht wundern, wenn Herr Trump sagt, was wollt ihr eigentlich, ihr schickt uns Autos, die nicht das halten, was sie versprechen. Sehen Sie da Zusammenhänge?
    Hofreiter: Es gibt ein großes Problem: Dass Frau Merkel einmal vom Klimaschutz spricht, aber für den Klimaschutz nichts tut. Man muss sich darüber im Klaren sein, im letzten Jahr, 2016, hatte die Bundesrepublik Deutschland den genau gleichen CO2-Ausstoß wie im Jahr 2009. Da war auch schon Frau Merkel an der Macht. Das heißt, sie ist keine Klimaschützerin, sondern sie ist eine Klimaschützerin des Wortes, aber nicht der Tat. Und am Ende gilt das alte biblische Motto: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Deshalb: Wenn Frau Merkel es wirklich ernst meinen sollte, dass sie am Klimaschutz festhält und damit auch ein Signal in die Welt setzen wollte, dann müsste sie halt endlich Klimaschutz in der Tat umsetzen. Der Rest der Welt lässt sich einfach nicht täuschen einfach nur durch die immer wiederkehrenden Worte. Wir sind der größte Produzent von Braunkohle, wir sind der viertgrößte Produzent von Steinkohle. Wir haben, wie gesagt, inzwischen leider eine schlechte Klimaschutzbilanz. Wir waren mal Vorreiter, aber das ist inzwischen viele Jahre her. Deswegen kann man nur sagen, Frau Merkel, fangen Sie endlich an zu handeln.
    Zurheide: Was müsste denn zum Beispiel in der Automobilindustrie passieren? Jetzt haben sie gerade die Braunkohlekraftwerke angesprochen. Das ist das eine. Aber auch in der Automobilindustrie müsste doch etwas passieren, denn da können die anderen ja sagen, ihr schickt uns solche Autos.
    Hofreiter: In der Automobilindustrie müsste passieren als erster Schritt, dass die Gesetze eingehalten werden. Wir haben total überhöhte Werte, NOx – das ist kein Klimaschutz, sondern gefährdet einfach unsere Gesundheit, da sterben Menschen deshalb früher. Also das ist richtig krass. Beim Klimaschutz werden irgendwann auch Menschen sterben wegen Wetterextremen. Dann muss man dafür sorgen, dass endlich getestet wird. Dann muss man dafür sorgen, dass die CO2-Grenzwerte eingehalten werden, und dann braucht man neue, ambitionierte Grenzwerte für die Autoindustrie, langsam in Richtung Null-Emissionen, sowohl was unsere Gesundheitsgefährdung angeht als auch was die Gefährdung unserer Lebensgrundlagen in der Klimakrise angeht. Was macht Frau Merkel stattdessen? Sie sagt das Ziel für Elektromobilität ab. Ja mei, man ist halt gescheitert, man kann irgendwie nichts machen, man hat sich ja bemüht. Sehr schön.
    "Wenn wir Arbeitsplätze retten wollen, müssen wir modernste Autos nutzen"
    Zurheide: Jetzt schimpfen Sie die ganze Zeit auf Frau Merkel. Was sagen Sie denn Ihrem Parteifreund Kretschmann, der in Baden-Württemberg natürlich als Ministerpräsident dafür sorgen muss, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Da gibt es ja nun auch die eine oder andere Diskussion, die Sie innerparteilich noch führen müssen. Denn alles, was Sie sagen, geht am Ende zulasten der Industrie – möglicherweise, weil sie zu spät reagiert hat, aber erst mal geht sie zulasten, oder ist die Analyse falsch?
    Hofreiter: Ich glaube, die Analyse ist falsch, dass es am Ende zulasten der Industrie geht. Ja, sie muss zwischenzeitlich massiv investieren, das ist richtig. Aber Tesla verdoppelt regelmäßig seinen Umsatz, verkauft immer mehr Autos. Am Ende muss man sich darüber im Klaren sein, werden in Deutschland Nullemissionsautos hergestellt, moderne, zum Beispiel batterieelektrische Fahrzeuge. Oder es werden am Ende in Deutschland keine Fahrzeuge mehr hergestellt. Das heißt, wenn wir die Arbeitsplätze retten wollen, müssen wir auch modernste Autos nutzen. Und zu Baden-Württemberg: Da ist der Verkehrsminister von Winfried Kretschmann, der heißt Wilfried Naumann, macht jetzt einen Autodialog, wie man die Fahrzeuge in ganz Deutschland nachrüsten kann, und zwar nachrüsten kann, dass sie die Grenzwerte einhalten. Die haben da alle Autohersteller eingeladen und sind jetzt da in einem streitigen Dialog mit denen. Das wäre eigentlich die Aufgabe des Bundesverkehrsministers. Baden-Württemberg übernimmt die komplizierte Aufgabe, die deutschen Autohersteller zur Nachrüstung ihrer Fahrzeuge zu zwingen, was eigentlich die Aufgabe von Herrn Dobrindt, von Frau Merkel, des Bundesverkehrsministeriums ist. Das ist völlig absurd. Ich meine, es ist super, dass Baden-Württemberg da vorangeht, aber eigentlich müsste das der Bund machen.
    Nachrüstung: "Das müssen die Unternehmen zahlen"
    Zurheide: Es taucht ja dann die spannende Frage auf, wer bezahlt dafür? Diejenigen, die die Autos gekauft haben, zum Beispiel mit einer Euro-5- oder einer Euro-6-Norm, die aber de facto nicht eingehalten wird, wie wir wissen. Muss dann der Halter bezahlen? Wir beide wissen, das wird schwierig, wenn die Unternehmen das übernehmen müssen, wissen wir auch nicht, ob die kaputt gehen dabei. Wie kann das geregelt werden? Helfen Sie uns da, Herr Hofreiter?
    Hofreiter: Das müssen die Unternehmen bezahlen. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen etwas – sogar Euro-6 hält ja zum Teil sich auch nicht an die Grenzwerte – Sie kaufen etwas mit der Aussage, es ist besonders sauber und besonders gut, und dann ist es besonders schmutzig und besonders betrügerisch, und dann heißt es, haben Sie halt Pech gehabt. Wieso waren Sie so naiv, sich einfach betrügen zu lassen. Selbstverständlich muss der Betrüger das bezahlen, und der Betrüger sind die Autohersteller. Die machen Milliarden an Gewinnen, und das muss jetzt technisch – wird gerade eben von der Landesregierung Baden-Württemberg geprüft im Dialog oder im Streit eigentlich mit den Autokonzernen, was ist da technisch möglich. Aber das sind keine Unsummen, da entsprechend nachzurüsten. Und es ist nicht die Aufgabe der Betrogenen, also der Autokäufer, das zu bezahlen, sondern selbstverständlich die Aufgabe der Betrüger, das heißt, der Autokonzerne, das zu bezahlen.
    "Man gefährdet Arbeitsplätze, wenn man aus dem Klimaschutz aussteigt"
    Zurheide: Jetzt gibt es natürlich auf der anderen Seite die Hinweise, ob das so einfach ist, wie Sie es gerade schildern, ob da mit den Gewinnen, die zum Teil da sind, dass man das daraus bezahlen kann. Es gibt auch andere, die sagen, das gefährdet dann die Industrie, zumal jetzt ja weitere Forderungen kommen, wenn die Amerikaner möglicherweise aussteigen aus dem Klimaschutzabkommen, dass dann auch bei der deutschen Industrie nicht noch weiter draufgelegt wird. Gestern hat der CDU-Politiker, der Europapolitiker Herbert Reul im Deutschlandfunk gesagt, die Fanatiker dürfen jetzt nicht an die Front, die da noch drauflegen. Sind Sie da eher ein Fanatiker, oder was antworten Sie auf Herrn Reul?
    Hofreiter: Erst mal gefährdet man Arbeitsplätze inzwischen, wenn man aus dem Klimaschutz aussteigt. Deswegen war ja die US-amerikanische Industrie auch entsetzt. Ich glaube, man muss von dem alten Denken wegkommen, dass Umweltschutz Arbeitsplätze gefährdet, sondern Umweltschutz sorgt für moderne innovative Produkte, und erhält entsprechend oder schafft neue zukunftsfähige Arbeitsplätze. Und zum Zweiten muss man halt mal wieder in den USA Tacheles reden. Wenn die glauben, sich an keine internationalen Verträge mehr halten zu können. Man muss mit Herrn Trump und seiner Regierung mal klar machen, dass das schlichtweg so nicht weitergeht und ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen. Und dann müssen wir anfangen: Es gibt nicht nur die USA, sondern es gibt zum Beispiel Kalifornien, die weiter auf Klimaschutz setzen. Dann muss man halt diese völlig unfähige und unverantwortliche Regierung, also die Bundesregierung der USA, deren Chef der Präsident ist, einfach untertunneln. Es gibt wie gesagt Kalifornien, es gibt die stärkste Wirtschaftsnation für sich allein gerechnet. Also, dann arbeiten wir beim Klimaschutz mit Kalifornien zusammen. Dann arbeiten wir beim Einstieg in die Elektromobilität mit Kalifornien zusammen und mit anderen Bundesstaaten. Ich glaube, dass die richtige Reaktion ist, da nicht weniger zu machen, sondern die richtige Reaktion ist, jetzt aufhören, nur darüber zu reden, sondern auch in Deutschland endlich einen Wandel anfangen. Dann haben wir da alle Chancen, die USA unter Druck zu setzen.
    Zurheide: So weit Anton Hofreiter von den Grünen hier bei uns im Deutschlandfunk. Herr Hofreiter, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Hofreiter: Ich bedanke mich. Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.