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Klimaschutz im Kohlenflöz

In deutschen Bergwerken an der Ruhr und Saar wird nicht nur Steinkohle gewonnen. Aus den Lagerstätten entweicht beim Abbau - und auch noch lange danach - Grubengas. Das Gemisch enthält brennbares Methan und wird schon aus Sicherheitsgründen nach über Tage abgeführt. Dort quillt es meist ungenutzt in die Außenluft. Doch seit kurzem wandelt sich Grubengas immer mehr vom Risiko- zum Rohstoff. Im Ruhrgebiet schießen Blockheizkraftwerke wie Pilze aus dem Zechenboden. Das Gas aus der Tiefe wird aufgefangen und in Strom umgewandelt. Das hilft sogar dem Klima. Denn Methan erwärmt die Erdatmosphäre viel stärker als Kohlendioxid, das bei seiner Verbrennung entsteht. !

Von Volker Mrasek |
    "Wie lange ist das? Ne Minute, zwei? Zwei Minuten?"
    "Knappe zwei Minuten, jo."
    "Das war’s."
    "Das war’s."
    "Jetzt sind wir auf 850 Meter?"
    "854 Meter, 4. Sohle!"


    Expedition in die Tiefe. Das erste Fahrtstück im "Schachtkorb". Ein Dutzend Männer steht dicht gedrängt wie die sprichwörtlichen Sardinen in der Dose und saust bergab. Acht Meter pro Sekunde macht der scheppernde und zugige Fahrstuhl. Dann Umstieg in den "Personenzug". Die Waggons kaum Schulter-hoch - auch in sie muss man sich hineinzwängen.

    Im Schritt-Tempo zockelt der Zug zur zweiten Zwischenstation: in. den Blindschacht 502. Am Ende geht es noch tiefer hinab: bis auf fast elf-hundert Meter, in den Flöz Zollverein II. Das alles im Bergwerk LohbergOsterfeld im Ruhrgebiet, einer Zeche mit 80 Kilometern Streckennetz unter Tage, wo über 3.000 Bergleute schuften und Steinkohle abbauen - vor allem Koks-Kohle für die Stahlindustrie.

    Doch Steinkohle ist nicht der einzige Brennstoff, der unter Tage anfällt. Das pechschwarze Gestein hat seit jeher einen unsichtbaren Begleiter ...

    "Jo!"
    "Da isser!"
    "Das ist die Gasabsaugung. Der Unterdruck in der Leitung. Hört man das Zischen."
    "Is’ keine Leckage!"
    "Das ist die Fließgeschwindigkeit ..."
    "Das sind die Laufgeräusche in dem Schlauch."


    Durch die Rohrleitung quillt Methan. Ein flüchtiger Kohlenwasserstoff, so alt ist wie die Lagerstätte selbst: rund 250 Millionen Jahre.

    Das Gas stammt aus der Steinkohle. Es ist mit ihr entstanden und steckt seit Ewigkeiten in den mikroskopisch kleinen Poren, die die Kohle für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar durchziehen. Beim Abbau aber wird es zwangsläufig frei und mischt sich mit der Luft in den Bergwerksstollen. Man spricht dann von "Grubengas". Das Gemisch ist leicht entflammbar, schon bei Methan-Gehalten von vier, fünf Prozent. Ein Funke würde genügen, um es zu entzünden. Deswegen wird das Grubengas abgesaugt, durch mehr als armdicke Rohrleitungen in den Bergwerksstollen.

    Die hängt hier an Seilen in der Firste, direkt unter der Decke. Der Bergmann sagt "Firste". Und das zieht sich durchs gesamte Grubengebäude durch bis zum Schacht, wo’s nach über Tage abgeleitet wird. Im Grunde genommen ist Grubengas beibrechendes Mineral. Das ist auch der offizielle Terminus nach dem Bundesberggesetz.

    Wolfgang Röhner ist mit in die Grube eingefahren. Auch das typischer Revier-Jargon: Man fährt in die Zeche ein.

    Röhner ist Maschinenbau-Ingenieur in Diensten der Deutschen Steinkohle AG. Seit einigen Jahren leitet er zusätzlich die Geschicke zweier neuer Firmen mit Sitz im Ruhrgebiet. Minegas heißt die eine, Mingas-Power die andere. Beide verfolgen nur ein Ziel: das Grubengas aus den Steinkohle-Zechen des Reviers nicht einfach nur abzusaugen und in die Atmosphäre zu blasen, sondern es sinnvoll zu verwerten, als weiteren Energieträger neben der Kohle.

    Im Bergwerk Lohberg zum Beispiel fließt Grubengas in große Heizkessel. Sie leisten so viel wie die stärkste heutige Windkraftanlage: 4,5 Megawatt. Die Heißwasserkessel produzieren Fernwärme für die Stadt Dinslaken.

    Der Risikostoff Grubengas mausert sich immer mehr zum Rohstoff. Aus dem Abfallprodukt wird ein eigenständiger Energieträger. Die Zechen im Ruhrgebiet sterben, die Steinkohle-Förderung geht kontinuierlich zurück, doch die Nutzung von Grubengas erlebt einen regelrechten Boom. Heribert Meiners, Experte für Ausgasungen im Bergbau bei der Deutschen Montan-Technologie in Essen.

    Wir haben in Deutschland ja zwei Felder, an denen Steinkohle abgebaut wird. Das ist einmal das Ruhrgebiet und das Saarland. Und im Saarland wird eine Gasverwertung schon seit vielen, vielen Jahren betrieben. Man hat sehr früh schon das Gas in entsprechende Energieformen umgewandelt, in Wärme oder auch in Strom. Ja, und in letzter Zeit ist es so, dass also das Grubengas neu entdeckt wurde und die einzelnen Anlagen - ja, im Grunde genommen wie Pilze entstanden.

    Der aktuelle Boom der Grubengas-Nutzung hat jedoch eine andere Qualität.

    Es sind nicht mehr nur aktive Bergwerke, die das Methan im laufenden Betrieb zu Tage fördern. Das Gas wird nun auch systematisch aus stillgelegten Zechen gesaugt, wo es immer noch vorkommt. Ein Novum, so Axel Preuße, Professor für Markscheidewesen und Geophysik im Bergbau an der Technischen Hochschule Aachen.

    Es werden gezielt nicht nur teilweise die Schächte, die ja existieren, genutzt zur Grubengas-Nutzung. Sondern es wird auch eine neue Kampagne jetzt geben, wo Bohrungen niedergebracht werden in Steinkohlen-Lagerstättenteile, in denen man viel Gas vermutet, so dass da durchaus ein erheblicher Neuanfang gemacht worden ist.

    Im Prinzip könnte man Grubengas als gefangen gehaltenes Erdgas bezeichnen.

    Also, dieses Gas, was an Kohlelagerstätten gebunden ist, besteht überwiegend aus Methan, aus CO2, Stickstoff und höheren Kohlenwasserstoffen generell. Es ist an die innere Oberfläche gebunden, also fließt nicht wie in den konventionellen Gas-Lagerstätten frei in den Porenräumen. Aber es handelt sich um das gleiche Gas.

    Im Braunkohle-Tagebau ist Grubengas übrigens kein Thema.

    ... weil die Kohle einmal nicht so weit entkohlt ist, also einen geringeren Inkohlungsgrad aufweist. Und auch oberflächennäher ansteht. Insofern ist dieses Gas schon ausgetreten.

    Seine neue Blüte erlebt das Erdgas der Steinkohlen-Flöze vor allem im Ruhrgebiet. Der Boom dort hat einen simplen Grund.

    Es mag zunächst nicht recht einleuchten, aber: Der fossile Bodenschatz gilt als erneuerbare Energiequelle. Jedenfalls fällt er unter das EEG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Und das bedeutet: Wer Strom aus Grubengas erzeugt, bekommt dafür eine besondere Vergütung - ähnlich hoch wie die für Solarstrom.

    Doch warum? Weil es aus klimapolitischer Sicht Sinn macht, Grubengas zu verbrennen, statt es einfach in die Außenluft entweichen zu lassen.

    Denn das enthaltene Methan ist ausgesprochen klimaschädlich. Es heizt die Erdatmosphäre viel stärker auf als Kohlendioxid, das bei seiner Verbrennung entsteht. Jürgen Meyer, Bergbau-Ingenieur am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen.

    Methan hat ein so genanntes global warming potential von 21, das heißt es ist 21mal so klimaschädlich wie CO2.

    So paradox es klingt: Es gibt einen fossilen Energieträger, den man verbrennen muss, um die Klimabilanz aufzubessern. Oder sagen wir: um sie nicht noch stärker zu ruinieren.

    Der Geologe Thomas Thielemann forscht im Referat für Energierohstoffe bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Auch er spricht von einer ökologischen Chance der Grubengas-Verwertung:

    Wenn man es nutzt, könnte man also den Treibhauseffekt vielleicht nicht verhindern, aber zumindest verlangsamen. Daher ist es auch sehr erfreulich, dass eben in Deutschland die Nutzung dieses Gases ja auch gefördert wird.

    Ohne den Kohleabbau hätte das Methan aus den tiefen Flözen nie den Weg ans Tageslicht gefunden. Es wäre noch immer in der Lagerstätte begraben, völlig unschädlich für das Klima. Doch die Situation heute ist eine andere: Intensiver Bergbau an Ruhr und Saar hat den Untergrund gleichsam durchlöchert, wie Erwin Kunz erläutert, auch er Grubengas-Spezialist der Deutschen Montan-Technologie.

    In dem Bereich, wo eben der Kohlebergbau umgegangen ist, da ist die Lagerstätte durch den Abbau überprägt. Und Sie haben vielleicht schon 'mal 'was von 'ner Bergsenkung gehört. Durch diese Bergsenkungen wird die Lagerstätte etwas aufgelockert. Und außerdem hat der Bergbau natürlich ein ziemlich umfangreiches Streckensystem hinterlassen, das für das Gas einen sehr guten Strömungsweg darstellt.

    Selbst aus vielen stillgelegten Zechen tritt das Gas deshalb noch immer aus. Das kann Jahre, sogar Jahrzehnte andauern. Früher oder später hauchen die Gruben ihren ganzen Atem aus - eine ständige Belastung für das Klima. Man nimmt heute an, dass allein im Ruhrgebiet aus rund 5.000 zugeschütteten Schächten noch immer erkleckliche Methan-Mengen frei werden.

    Das Grubengas ist eben ein Zersetzungsprodukt der organischen Substanz. Diese Gasmengen, die sehr groß sind, werden zum größten Teil bereits bei der Entstehung in die Atmosphäre abgegeben. Also das sind ganz natürliche Prozesse auch über sehr lange Zeiträume. Das Gas, was heute noch in der Lagerstätte gespeichert ist, das ist nur ein geringer Teil des Gases, was jemals gebildet wurde. Aber es haben sich Teile in der Lagerstätte erhalten, wo auch heute noch relativ große Gasmengen sind.

    Bevor die schleichend in die Atmosphäre sickern und sie aufheizen, sollte man das Methan lieber verheizen. Genau das geschieht im Ruhrgebiet, motiviert durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Firmen wie Minegas und Mingas Power haben inzwischen Dutzende Blockheizkraftwerke aufgestellt, füttern sie mit Grubengas, machen daraus Strom und speisen ihn ins öffentliche Netz ein.

    Der Pionier der Methan-Verstromung im Ruhr-Revier aber ist eine Kommune.

    Wir sind jetzt auf dem Gelände der früheren Zeche Mont Cenis. Die ist Anfang der 70er Jahre außer Betrieb genommen worden. Ja, und jetzt gehen wir zur Protego-Haube, wo also der Grubengas-Anschluss ist. Das sehen wir: Hier steht also ein silberner Pfahl. Und oben ist eine rote Klappe. Das ist die so genannte Protego-Haube. Das sieht aus wie ein Waffeleisen. Wenn Sie das Gas dann anzünden würden, könnten Sie sicherlich auch Waffeln damit backen.

    Hans Josef Lohkamp erfüllt so etwas wie Gründerstolz. Der Verfahrenstechniker ist Abteilungsleiter bei den Stadtwerken Herne und zuständig für die Gas-Versorgung.

    Herne machte 1997 den Anfang. Noch bevor das EEG drei Jahre später die eigentliche Grubengas-Welle an der Ruhr in Gang setzte. Die Stadt erfuhr von größeren Restgas-Reserven in ihrer alten Zeche Mont Cenis. Und entschloss sich, das Methan zu nutzen, um sowohl Strom als auch Wärme daraus zu erzeugen.

    Was die Brennstoff-Gewinnung ungemein erleichtert: Das Gas strömt sowieso nach oben und kann an der Protego-Haube bequem abgezapft werden. Hunderte dieser seltsam anmutenden, zwei, drei Meter großen Überdruckventile stehen heute an alten Gruben-Standorten im Ruhrgebiet. Im Prinzip sind es Gas-Brunnen.

    Hier war ein Schacht von der Zeche also Mont Cenis. Und dieses Standrohr, das geht nach unten in Bereich bis circa 700 Meter. Und aus dieser Tiefe ziehen wir also das Grubengas. Aktiv ziehen wir das heraus über eine Verdichteranlage. Das Gas von selbst würde nur dann über diese so genannte Protego-Haube ausgasen, wenn die Druckverhältnisse unten im Gebirge den normalen Luftdruck übersteigen würden. Und sonst wäre die Klappe zu, und das Gas würde also unten im Gebirge bleiben

    Durch die Abfuhr über die Protego-Hauben soll verhindert werden, dass Methan wild durch irgendwelche Erdritzen austritt. So etwas kommt immer wieder vor. Stadtgebiete in Bochum und Dortmund etwa sind in Risikozonen für diffuse Methan-Austritte eingeteilt worden. Selbst Privathaushalte mussten ihre Keller mit Gas-Sensoren ausrüsten – sicher ist sicher.

    Weiter vom Gas-Schlot zum Verbrauchsort. Hans-Josef Lohkamp marschiert auf einen flachen, schmucklosen Betonbau zu. Jetzt nicht mehr auf Mont Cenis, sondern auf dem Betriebsgelände Trimbuschhof. Auch dort haben die Herner Stadtwerke BHKW errichtet: kleine Block-Heizkraftwerke, deren Motoren mit dem Grubengas der alten Zeche laufen.

    Wir gehen jetzt in den Raum, wo die BHKW also aufgestellt sind. So, den schließen wir dann jetzt auf.
    Das ist ein Arbeitsplatz, wo man die Ohrenschützer dringend nötig hat. Man versteht sein eigenes Wort kaum!

    Zwei dröhnende Gasmotoren, groß wie Klein-Laster. Beide treiben Strom-Generatoren an. Und auch die Abwärme der Motoren geht nicht ungenutzt verloren: Sie wird abgeführt, über angeschlossene Kühlwasser-Wärmetauscher. Der Brennstoff Grubengas bringt also zwei Endprodukte hervor.

    In diesen Motoren wird das genau wie Benzin oder Diesel letztendlich verbrannt. Und diese BHKW erzeugen dann den Strom. Zurzeit - die beiden BHKW - circa 350 kW elektrische Leistung, Kilowatt elektrische Leistung. Und an thermischer Leistung so ungefähr, ja, 450 kW je BHKW. Zwei- bis dreitausend Haushalte könnte mal also mit elektrischer Energie versorgen. Und das ist schon was, also nur für diese Anlage.

    Die Stadtwerke sind so zum Energieproduzenten geworden. Den Strom aus den BHKW-Generatoren leiten sie ins öffentliche Netz. Für die Wärme gibt es direkte Abnehmer in der Nähe: ein Krankenhaus, eine Fortbildungsakademie, ein Seniorenzentrum und benachbarte Wohnhäuser.

    Auf dem Gelände von Mont Cenis kann Projektleiter Lohkamp jederzeit ablesen, was dem Klima erspart bleibt - dadurch, dass Herne das Methan aus der stillgelegten Zeche verwertet und nicht einfach aus den alten Schächten entweichen lässt. Allein an diesem Standort kommt da einiges zusammen. Eine Anzeigetafel an der Zufahrts-Schranke gibt laufend Auskunft: über verbrauchte Methan-Mengen und vermiedene Treibhausgas-Emissionen, umgerechnet in CO2-Einheiten oder -Äquivalenten, wie man auch sagt.

    884 Millionen Kubikmeter, die also da aus der Grube bisher herausgeholt worden sind. Das entspricht also einer CO2-Einsparung seitdem von circa 275.000 Tonnen, die also nicht in die Atmosphäre hineingelangt sind.

    Die Stadtwerke Herne haben viele Nachahmer gefunden. Heute ist das Ruhrgebiet gespickt mit Grubengas-fressenden Blockheizkraftwerken.

    Knapp 60 sind bisher installiert, vor allem im gasreichen Norden der Ruhr-Lagerstätte - auf aktiven wie auf stillgelegten Zechen. Und es sollen noch mehr werden, wie Heribert Meiners durchblicken lässt:

    Es ist geplant, zumindest bei der Minegas und Mingas Power, eine Gesamtleistung von etwa 80 bis 90 MW in der nächsten Zeit zu installieren. Aus der konventionellen Energienutzung kennt man natürlich größere Einheiten. Wenn man an ein Kohlekraftwerk denkt mit etwa 600, 700, 800 Megawatt, dann ist das eine vergleichsweise bescheidene Zahl. Allerdings: Wenn man vielleicht 'mal die Windkraft da gegenüberstellt mit Anlagengrößen von 1 Megawatt in der Regel, dann sind das immerhin 80 solcher Windkraftanlagen, die hier durch Strom ersetzt werden.

    Genau genommen sind es sogar noch viel mehr. Das meint jedenfalls Clemens Backhaus. Wie Jürgen Meyer ist auch er am Fraunhofer-Institut in Oberhausen tätig. Dort leitet der Maschinenbau-Ingenieur den Bereich "Schwachgasnutzung".

    Eigentlich würde ich die Zahl ungefähr mal 4 nehmen oder mal 5. Denn ein Blockheizkraftwerk mit einem Megawatt, das läuft in der Regel etwa 8.000 Stunden im Jahr Vollast. Während so eine Windkraftanlage vielleicht so 1.600 Stunden Vollast hat. Das heißt also: Die Arbeitsmenge an Strom, die sie aus der Anlage gewinnen, ist natürlich beim Grubengas spezifisch wesentlich höher. Von daher leistet ein Grubengas-Kraftwerk mit einem MW genau so viel wie fünf - in etwa fünf - Windanlagen, die jeweils ein Megawatt Strom erzeugen.

    Man stelle sich vor: das Ruhrgebiet mit 400 ziemlich großen Windpropellern bevölkert. So viele bräuchte es, um vergleichbare Energiemengen zu liefern wie die Grubengas-Heizkraftwerke. Entsprechend viel klimaschädliches Methan wird in den Anlagen vernichtet.

    ... so dass wir da schon erwarten, über zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zu vermeiden. Nur mit diesen relativ kleinen Installationen.

    Doch trotz der beachtlichen Entlastung des Klimas, trotz Fortschritten bei der Entwicklung angepasster Kraftwerks-Motoren - die boomende Grubengas-Nutzung an der Ruhr ist keine reine Erfolgsgeschichte. Man muss sie sogar als einigermaßen riskant bezeichnen.

    Warum, wird schnell deutlich, wenn man zum Beispiel Hans-Josef Lohkamp fragt, auf wie viel Grubengas die Herner Stadtwerke eigentlich sitzen. Und er mit entwaffnender Ehrlichkeit antwortet:

    Tja, wenn ich das wüsste!

    Bisher könne man nur grob abschätzen, wie viel Steinkohle unter Tage verblieben sei. Und welche Methan-Mengen die Lagerstätten in Zukunft noch abwerfen. Lohkamp rechnet mit 100 bis 150 Millionen Kubikmetern Rest-Gas in den alten Herner Zechen.

    Für die Anlagen, die wir haben, ist das also ausreichend, um 10, 15 Jahre die Anlagen zu betreiben. Wenn man natürlich die Leistungen wesentlich erhöht, dann reicht es nur für einen kürzeren Zeitraum. Wir können also überhaupt nicht sagen, ja, wie lange wir jetzt noch Grubengas also fördern.

    So hat es auch schon Rückschläge gegeben. Fraunhofer-Forscher Backhaus schildert einen Fall in Essen:

    Da haben wir eine Anlage installiert, komplett, fertig in Betrieb genommen. Und sozusagen mit dem Tag der Inbetriebnahme war die Gasqualität so schlecht, dass wir das nicht verwerten konnten. Da haben die alles wieder abgebaut. Also, das Problem ist Luft.

    Luft, die das Grubengas verdünnt und unter einen Methan-Gehalt von 30 Prozent drückt. Damit ist die Schwelle der technischen Verwertbarkeit in Gasmotoren unterschritten. In Essen war das der Fall. Wiederholungen sind nicht ausgeschlossen.

    Es gibt natürlich Abschätzungen des Reservoirs. In der Regel machen wir auch Abpumpversuche oder Messungen der ausströmenden Gase. Und dann legt man eine Anlage aus, die also unter dem liegt, was man da erwartet. Und dann wird der Anlagenbetrieb dann zeigen, ob man mehr kann, weniger kann oder was auch immer. So ist es auch in Essen damals passiert. Und es hat trotzdem nicht gereicht. Also, das kann man im Voraus nicht abschätzen. Sie haben da schon ein mächtiges Risiko, was Sie eingehen.

    Auch deshalb setzen die Anlagen-Betreiber lieber auf smart solutions: Sie arbeiten nicht mit großen Kraftwerksblöcken, sondern mit Modulen, die sich bei Bedarf erweitern, in der Not aber auch schnell wieder abbauen lassen.

    Normalerweise werden diese Motorenanlagen in Containern installiert. Standardgröße ist in der Regel heute 1,3 MW. Diese Anlagen sind per Kran und Tieflader transportabel, so dass man sie mit relativ niedrigem Aufwand von Standort A nach Standort B versetzen kann.

    Trotz gewisser Unwägbarkeiten muss man aber sagen: In der Ruhr-Lagerstätte stecken nach wie vor enorme Methan-Reserven. Wird ein Bergwerk stillgelegt, dann enthalten die Kohleflöze noch immer bis zu 30 Prozent ihrer ursprünglichen Gasmenge.

    Das ergibt sich aus Untersuchungen von Heribert Meiners und anderen Experten der Deutschen Montan- Technologie.

    Wenn man da systematisch herangeht, dann lässt sich ein großer Teil davon dann auch wirtschaftlich nutzen. Es ist so, dass wir eine Prognose 'mal gewagt haben. Und feststellen konnten, dass sich bei den Förderraten, die zurzeit vorliegen, solche Projekte durchaus etwa 20 bis 30 Jahre rechnen können beziehungsweise das Gas so lange abgesaugt und verwertet werden kann.
    Das machen wir gleich im Streb. - Das ist der Sprechfunk von über Tage ... - Wir müssen zusammenbleiben, sonst gibt das hier gleich Chaos! - Der Bereichsweiten-Fahrer sitzt über Tage. Der andere Mitarbeiter, der dort gesprochen hat, das ist der Strebmeister hier. Ich geh’ jetzt vor:
    Jetzt wird’s aber langsam spannend! Jetzt kriegen wir langsam Kohle!"

    Geduckt, im Kriechgang - nur so stößt man direkt zur Quelle vor. In einen kaum brusthohen Stollen, in dem ein riesiger Elektrohobel die Steinkohle aus der Wand schabt. Und damit auch das Grubengas entfesselt - gut elf-hundert Meter unter der Erde, in einem Flöz der Grube Lohberg.

    Wäre der Hobel nicht so laut - man würde Absauggeräusche hören. Sie kommen aus großen Bohrlanzen, die in das Flöz getrieben wurden und das Grubengas gleich an Ort und Stelle abführen. So lange das Bergwerk Lohberg noch aktiv ist, lässt sich das Gas-Aufkommen unter Tage ziemlich gut kalkulieren. Doch in drei Jahren wird die Zeche geschlossen. Dann ist Schluss mit dem Kohle-Abbau. Die sechs Grubengas-Kraftwerke auf dem Gelände aber sollen noch lange nach der Stilllegung des Bergwerks in Betrieb bleiben.

    Nur wird es von da an viel schwieriger abzuschätzen, wie viel Brennstoff den Gasmotoren aus der Zeche noch zufließt. Das weiß natürlich auch Wolfgang Röhner, der Chef von Mingas und Minegas Power:

    Für das Grubengas bedeutet das neue Anforderungen. Wir sind im Moment in der Erkundungsphase: Was kommt denn nach einer Stilllegung letztendlich auf uns zu? Ist es die Hälfte? Oder was ist es?

    Wissenschaftlich wissen wir, dass wir hier Milliarden Tonnen Steinkohle in der Lagerstätte haben. Und die Frage wird sein, inwieweit dieses Methan letztendlich in diese zerklüfteten Strecken in Nordrhein-Westfalen diffundiert. Und ich denke schon, für 20 Jahre gibt es hier berechtigte Hoffnungen, dieses Grubengas energetisch zu verwerten.

    Neuerdings scheint sogar denkbar, dass die Gas-Vorräte unter Tage heimlich wachsen. Geoforscher wie Thomas Thielemann wunderten sich über erstaunlich große Methan-Mengen in einigen Ruhr-Zechen.

    Und dann war die Frage: Wie ist es überhaupt möglich, dass dort noch so viel Gas vorhanden ist? Wo doch dort der Bergbau schon vor Jahrzehnten durchgegangen ist, viel ausgegast ist. Und die Frage war einfach: Gibt es eine neue Gas-Quelle?

    Es gibt sie! Thielemann spürte die Quelle kürzlich auf, gemeinsam mit Kollegen aus der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

    Demnach ist das Grubengas nicht nur geochemischen Ursprungs und so alt wie die Kohle selbst. Es hat auch eine biologische Komponente: Ein Teil des Grubengases wird von Mikroorganismen produziert, wie die noch laufenden Studien der Forscher aus Hannover zeigen. Als heimliche Bewohner der alten Flöze haben sie Archaebakterien ausgemacht: Das sind primitive Einzeller, in ihrem Stoffwechsel noch simpler als gewöhnliche Bakterien.

    Wir wissen jetzt, dass es dort im Ruhrgebiet in großer Tiefe lebende Archaebakterien gibt, die auch heute dieses Methan generieren. Wir wissen aber nicht, in welchem Umfang sie das tun, wie viel Gas also pro Tag neu hinzukommt. Auf jeden Fall ist es schon einmal eine große Neuheit wenn nicht gar eine Sensation, dass wir tatsächlich lebende Archaeen dort in dieser Tiefe nachweisen konnten.

    Die Mikroorganismen leben von CO2. Bei der Umsetzung des Kohlendioxids entsteht dann Methan.

    Es sind stockdunkle Zustände. Und dieses Bakterium schwimmt also entweder im Wasser oder hockt irgendwo in einer Nische am Rande. Und zieht also nun das CO2 aus dem Wasser. Betreibt dann einen gewissen Zell-Chemismus. Das ist eine Zellfabrik. Und spuckt dann dieses Methan quasi wieder aus ins Wasser. Und aus diesem Energiegewinn dieser Reaktion lebt das Bakterium. Leben heißt dann dort: Es wächst, es teilt sich. Aber damit ist das Leben eines Archaebakteriums auch schon erzählt.

    In stillgelegten Bergwerken werden normalerweise die Pumpen abgestellt. Die Schächte laufen allmählich mit Regen- und Grundwasser voll. Methan strömt dann keines mehr aus der Kohle, dachte man bisher. Doch offenbar setzt in dem Moment eine biologische Grubengas-Erzeugung im wässrigen Milieu ein.

    Wie groß sie ist, kann zurzeit niemand sagen. Vielleicht sind es zwei bis drei Prozent der gesamten Gasmenge in einem alten Bergwerk, vielleicht auch viel weniger. Geologe Thielemann weiß es nicht genau. Jedenfalls sieht es ganz danach aus, als lieferten Mikroben still und leise Methan nach, während das fossile Grubengas tendenziell abnimmt. Die Block-Heizkraftwerke auf den Zechen laufen wohl also zu einem geringen Teil mit frischem Bio-Sprit - was man bisher nicht wusste.

    Doch auch wenn sich der Beitrag der Flözgeister als vernachlässigbar herausstellen sollte: Experten wie Clemens Backhaus sehen noch weitere Entwicklungschancen für die Grubengas-Nutzung im Revier.

    Ich glaube, dass es noch etwas wachsen wird. Es ist natürlich auch noch ein großes Potential in den Altzechen-Bereichen nicht erschlossen. Nämlich überall da, wo es diese Zugänge zu diesen alten Gruben nicht mehr gibt.

    Die wenigsten ausgedienten Schächte münden in die beschriebenen Auslass-Ventile über Tage. Dort ist es ein Leichtes, Methan abzuzwacken. An den anderen Standorten dagegen müsste man extra Tiefenbohrungen durchführen, wollte man das Grubengas heute wieder in größerer Menge aus alten Zechen fördern.

    Es sind einige Projekte in der Planung, die auf Basis solcher Bohrtägigkeiten das Gas fassbar machen sollen. Bisher ist die Erfahrung so, dass man ein recht hohen Aufwand hat mit einem relativ ungewissen Ausgang. Aber sicherlich ist da noch ein nennenswertes Potential nicht erschlossen.

    Nach einer Studie aus dem Forschungszentrum Jülich entfällt knapp ein Sechstel der Methan-Emissionen in Deutschland auf den Bergbau. Wenn Grubengas heute verstärkt aufgefangen wird, um Strom und Wärme daraus zu machen, dann vermindert das die Klimabelastung durch die Ausbeutung fossiler Energieträger - wenigstens zu einem Teil.

    Allerdings ist die Bundesrepublik unter den globalen Steinkohle-Produzenten nur ein kleiner Fisch. Die smarte Kraftwerks-Technologie made in Germany könnte viel mehr für den Klimaschutz bewirken, würde man sie in andere Länder exportieren. Heribert Meiners wüsste schon, in welche.

    Also, ich glaube, die Grubengasnutzung hat eine sehr große Perspektive. Denn wenn man an China oder Russland denkt - das sind sehr große Kohle-Produzenten, die ganz erheblich mehr fördern als die Bundesrepublik. Ich weiß, dass zurzeit in China etwa 1 Milliarde Tonnen gefördert werden, jährlich. Das heißt also: Die Kohleproduktion in China ist etwa 40mal so groß wie die in Deutschland.

    Noch interessieren sich diese Länder für Grubengas nur unter dem Sicherheitsaspekt. In Chinas Zechen etwa kommt es immer wieder zu folgenschweren Methan-Verpuffungen.

    Doch auf Dauer werden sich auch die Schwellenländer den globalen Klimaschutz-Bemühungen nicht verweigern können - zumal sie vom geplanten Handel mit Klimagas-Emissionen profitieren sollten.

    Wenn man nun an die Erdatmosphäre und Kyoto-Protokoll und alles, was mit diesem Themenkreis zusammenhängt, denkt, dann sehe ich eigentlich, dass über kurz oder lang auch das Gas speziell in diesen Ländern genutzt wird.

    Deutsche Firmen und Forscher haben ihre Fühler längst ausgestreckt. Erste gemeinsame Pilotprojekte in der Ukraine und in China sind geplant. Der gegenwärtige Grubengas-Rausch an der Ruhr könnte noch auf ganz andere Steinkohle-Lager übergreifen.

    Wolfgang Röhner könnte sich einen solchen Technologie-Transfer gut vorstellen - gerne in jeden Winkel der Erde. Viele der neuen Blockheizkraftwerke auf den Ruhr-Zechen stecken sowieso - in Schiffscontainern.

    Die lassen sich auch auf Lkw und auf Eisenbahnwaggons transportieren. Also wir können diese Container nach China und nach Australien, nach USA, verschiffen. Da sprechen wir uns 'mal in zehn Jahren wieder