Die Coronakrise stellt die internationalen Bemühungen um den Klimaschutz vor neue Herausforderungen. Die diesjährige Weltklimakonferenz COP 26, geplant in Glasgow, musste verschoben werden, der 11. Petersberger Klimadialog findet zwar satt – aber anders als in den vergangenen Jahren. Normalerweise treffen sich auf dem Bonner Petersberg die Umweltminister aus aller Welt persönlich, um die nächste große Klimakonferenz der Vereinten Nationen vorzubereiten. Dieses Mal geschieht das per Videoschalte. Dabei stehen auch die Folgen und Auswirkungen der Coronapandemie mit auf der Agenda.
Eine Gefahr für die Klimaziele wegen der Coronakrise sehe er nicht, sagte Georg Nüßlein, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag und dort verantwortlich für steuerliche Belange der Klimapolitik der Union, im Dlf-Interview. Allerdings müsse sich eine sinnvolle Klimaschutzpolitik innovationsfreundlich zeigen.
Auf Effizienzen und Innovation setzen
Christiane Kaess: Der Industrieverband BDI sagt, wegen der Corona-Krise sollten die bisherigen Klimaziele überprüft werden. Kommt der Klimaschutz wegen Corona unter die Räder?
Georg Nüßlein: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, diese Bedenken haben nur diejenigen, die einen falschen Ansatz im Klimaschutz hatten. Der Ansatz, der geheißen hat: Dieses reiche Deutschland kann sich alles leisten, alles erlauben. Das war nie unser Thema. Unser Thema war immer, tatsächlich auf Effizienzen zu setzen und auf Innovation. Das heißt: Ein Klimaschutz, so wie ich ihn gerne sehe und vertrete, wird dabei nicht unter die Räder kommen, wohl aber der, der auf Rezession, auf weniger ist mehr, auf Ansätze setzt, die tatsächlich auch wettbewerbsverzerrend sind. Der wäre aber so oder so, auch ohne Corona hoch problematisch gewesen.
Kaess: Sie sprechen die finanziellen Seiten an. Das Argument des BDI ist ja genau, vielen Firmen fehlt jetzt das Geld für Klimaschutz.
Nüßlein: Ja. Wir werden uns nach den Liquiditätsmaßnahmen, die wir momentan im Vordergrund haben, über Konjunkturpakete unterhalten müssen, über die Frage: Wie kann man die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen stärken? Das braucht man und da braucht man natürlich Innovation in tatsächlich innovative Themen. Da gehört der Klimaschutz mit dazu. Ich mache mir da keine Sorgen, aber wir werden uns überlegen müssen, wie stärken wir die Investitionskraft.
Breits strenge Umweltauflagen in Deutschland
Kaess: Es gibt ja so was wie eine Spaltung in der Wirtschaft im Moment. Gegenüber dem BDI stehen auf der anderen Seite 70 Unternehmen, die haben sogar in einem Appell gefordert, dass man die Konjunkturprogramme, die Sie gerade schon angesprochen haben, an Umweltauflagen knüpft. Ist das ein Sinneswandel?
Nüßlein: Zunächst mal haben dieselben Unternehmen auch formuliert: Es muss in einer globalisierten Welt vermieden werden, dass es zu internationalen Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten europäischer Unternehmen kommt. Das heißt, die sehen sehr wohl die Problematik. Zweitens - und das möchte ich mal ganz dick unterstreichen: Jede Investition in Deutschland unterliegt strengen Umweltauflagen, und darum ist der Umweltzustand in Deutschland heute auch bei vielen Indikatoren besser als vor Jahrzehnten. Wenn Sie sich den Luftschadstoff-Index des UBA angucken – das ist etwas, was standardisiert ist aufs Jahr 2005 mit 100 Prozent -, dann sind wir heute, Ziel 2020, bei 79 Prozent und werden wahrscheinlich darunter kommen, was an der konjunkturellen Lage liegt.
Das heißt: Eine Institution in Deutschland unterliegt strengen Umweltauflagen. Da müssen wir uns nicht irgendwie was vormachen an der Stelle. Und ich will, dass das so bleibt. Aber ich will auch, dass wir gleichzeitig Innovationskraft stärken.
Kaess: Herr Nüßlein, dieser Aufruf, dieser Appell ist dennoch von vielen so wahrgenommen worden, als wäre das jetzt ein Sinneswandel, und da hat man sich doch gefragt, woher kommt der jetzt.
Nüßlein: Ich sehe den nicht, den Sinneswandel, sondern das sind die, die schon… Dieser Aufruf ist von der Stiftung Zwei Grad. Da sind 60, 70 große Unternehmen drin, die immer schon gesagt haben, man muss die wirtschaftliche Situation mit dem Klimaschutz sinnvoll verbinden. Ich bin da durchaus auch der Meinung. Aber wir müssen natürlich die Dinge sinnvoll machen. Das heißt: Wir werden jetzt nach dieser Krise uns auch überlegen müssen: Was bringt denn der eine Euro, den man einsetzt, tatsächlich dem Klimaschutz - mehr Effizienzgedanken. Ich bin da zum Beispiel der Meinung, dass es manchmal sinnvoll wäre, den einen Euro lieber in den Regenwaldschutz zu stecken, als noch mal einen Zentimeter mehr Styropor auf unsere Hauswände zu kleben.
Kaess: Aber, Herr Nüßlein, wenn die Firmen das selbst jetzt schon fordern, dann hat doch die Politik den Weg frei für noch mehr Klimaschutz. Warum wollen Sie diese Chance nicht ergreifen?
Nüßlein: Wer sagt denn, dass ich den nicht ergreifen will!
Innovationskraft der Wirtschaft stärken
Kaess: Sie haben es gerade so dargestellt. Sie haben gesagt, es gibt schon die Auflagen, da ist eigentlich kein Bedarf, irgendetwas zu verschärfen. So habe ich Sie verstanden.
Nüßlein: Nein, nein! - Moment! - Zunächst mal sage ich: Eine Investition in Deutschland unterliegt strengen Umweltauflagen. Das heißt, wir müssen uns da nichts zusätzlich, was die Umweltauflagen angeht, einfallen lassen, sondern die Dinge sind streng. Zweitens: Wir werden aus meiner Sicht im Klimaschutz nicht mit Auflagen und Beschränkungen arbeiten müssen, sondern wir müssen im Klimaschutz unter der neuen Situation noch stärker auf das Thema Innovation und Anreize setzen.
Ich habe vorhin gesagt, ganz deutlich: Der Ansatz derjenigen ist falsch, die sagen, wir können uns alles leisten, das spielt alles keine Rolle, dieses Land ist reich und so weiter. Das ist alles überholt an der Stelle. Wir müssen den Ansatz, den ich persönlich und auch meine Fraktion immer vertreten haben, stärker nach vorne bringen: Stärken wir die Innovationskraft dieser Wirtschaft und sorgen wir dafür, dass über Innovationen am Schluss tatsächlich nachhaltig der Klimaschutz vorangebracht wird. Das ist das Entscheidende, nicht das, was die andere Seite will, die sagt, wir haben genügend Geld, wir können das alles irgendwie machen, weniger ist mehr und diese ganzen Dinge. Die sind in der jetzigen Situation nicht mehr das, was ganz vorne auch richtig steht.
Kaess: Dann können wir schon festhalten, Herr Nüßlein, wenn ich Sie richtig verstehe, dass Sie bei dieser Richtungsverschärfung, die ja Bundesumweltministerin Schulze jetzt andenkt, dass Sie da nicht mitgehen würden?
Nüßlein: Nein. Das was die Frau Schulze hier konstruiert und bemüht, den Zusammenhang zwischen Corona und Klimawandel hin zur Thematik, das hätte irgendwie tatsächlich was miteinander zu tun, schon vom Ursprung her, das kann ich nicht nachvollziehen.
Kaess: Aber stellt sie diesen Zusammenhang denn tatsächlich her? Denn geht es nicht vielmehr darum, dass man sagt: Jetzt hat Corona dem Klima einen Vorteil verschafft, weil es zum Beispiel wesentlich weniger CO2-Ausstoß gibt, und wie können wir diesen Vorteil jetzt aufrecht erhalten?
Nüßlein: Zunächst mal behauptet die Ministerin, dass der Verlust von natürlichen Lebensräumen den Viren es dann umso einfacher macht, vom Tier auf den Menschen überzugehen.
Klimaziele stehen nicht in Frage
Kaess: Da ist ja nicht nur die Ministerin mit dieser Meinung alleine.
Nüßlein: Ja, gut! Aber Sie haben mich nach der Ministerin gefragt. Und ich sage Ihnen, das ist Unfug, denn Pandemien hat es letztendlich früher auch schon gegeben. Ich verstehe nicht, warum man jetzt hier Zusammenhänge konstruieren muss und sich so bemüht gibt, plötzlich mit dem Thema wieder nach vorne zu kommen. Es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt so zu tun, als würde irgendjemand das Thema Klimaziele in Frage stellen.
Aber wir werden uns unter der neuen Situation mit knapperen Ressourcen intensiver Gedanken machen, wie kommen wir ans Ziel. Ich will ans Ziel kommen und ich will nicht haben, dass am Schluss den wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieses wichtige Thema Klimaschutz zum Opfer fällt, weil wir es falsch machen. Und es ist falsch, in der jetzigen Situation nur zu sagen, wir machen es noch strenger, wir machen es noch schärfer, wir machen mehr Auflagen und und und, und wenn das die Betroffenen, die Bürger und die Unternehmen, dann nicht erfüllen können, ist das deren Problem. Das wird nicht funktionieren. Funktionieren wird am Schluss ein Klimaschutz, bei dem Sie auf Innovation setzen und auch die Frage der Effizienz des Mitteleinsatzes richtig einschätzen.
Kaess: Neu ist allerdings an der Situation, dass jetzt über wirtschaftliche Konjunkturprogramme gesprochen wird. Nehmen wir doch mal ein Beispiel raus, das recht prominent ist. Die Autoindustrie verlangt jetzt staatliche Prämien. Ist das richtig für eine Branche, der schon oft vorgeworfen wurde, sie hätte die Umstellung auf mehr Klimaschutz verschlafen?
Nüßlein: Jetzt können wir natürlich gerne miteinander darüber diskutieren, wer an was schuld ist. Die Branche hat ihre Dinge verschlafen zum Teil. Die haben auch mit ihrem Dieselbetrug etwas dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen.
Nicht nur auf Elektromobilität setzen
Kaess: Also müsste man direkt eine Absage an diese Abwrackprämie erteilen?
Nüßlein: Das können Sie sich überlegen, ob Sie sagen, da machen wir einfach mal eine Absage und gucken, was passiert, oder überlegen wir uns, wie man am Schluss gemeinschaftlich diese Automobilindustrie, auf die ich immer noch stolz bin in dem Land, wie man die wieder nach vorne bringt. Da gehört für mich dazu mehr "Made in Germany". Da gehört für mich dazu mehr Effizienz der Motoren.
Kaess: Und eventuell auch, wenn ich da kurz noch reingehen darf, Herr Nüßlein, denn den Punkt möchte ich Sie gerne noch fragen, und eventuelle eine Frage für E-Autos, für den Kauf von E-Autos.
Nüßlein: Nein, nicht ausschließlich. Da bin ich kritisch. Ich glaube, der Ansatz, nur Elektroautomobilität, ist falsch. Wir brauchen Hybridmodelle aus meiner Sicht und wir brauchen insbesondere auch effiziente Motoren, die dann beispielsweise Biokraftstoffe verarbeiten. Ich glaube, dass der einsätzige Ansatz, wir machen das alles elektromobil, falsch ist, weil er implizit auch den Gedanken hat, wir machen weniger Individualmobilität. Und das werden sich die Menschen nicht gefallen lassen – gerade auch in Corona-Zeiten, wo man sieht, dass die Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln auch entsprechend hoch ist.
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