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Klimaschutz-Programm
"Vor allem Luftbuchungen"

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, erwartet vom Klimaschutz- und Effizienzplan der Bundesregierung keine großen Effekte. Nach dem Ausstieg aus der Atomkraft brauche es einen Ausstieg aus der Kohlekraft, sagte Hofreiter im DLF. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes drohe zu scheitern.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 03.12.2014
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag (imago/IPON)
    Mit den Maßnahmen der Bundesregierung könnten die selbst gesetzten Klimaziele nicht erreicht werden. Im Moment liege der Ausstoß bei 950 Megatonnen CO2. Um das Reduktionsziel zu erreichen, müssten 750 Megatonnen erreicht werden. "Wenn ich 950 minus 750 rechne, sind wir bei 200 Megatonnen." Das Programm der Bundesregierung schreibe aber zwischen 60 und 70 Megatonnen vor. "Dann stimmt da von vorne bis hinten nichts", sagte Anton Hofreiter im Deutschlandfunk.
    Ziel der Bundesregierung ist es, den CO2-Ausstoß um 40 Prozent bis 2020 zu verringern. Das drohe zu scheitern, so Hofreiter. Seit 2009 habe es keine Senkung des CO2-Ausstoßes mehr gegeben. Stattdessen sei er in den vergangenen Jahren gestiegen, kritisierte er. Im neuen Klimapaket seien vor allem "Luftbuchungen" enthalten. Die unbegründete Hoffnung der Regierung sei, dass Kohlekraftwerke nach 45 Jahren von selbst aus dem Markt genommen werden.
    Hofreiter fürchte, dass es weitergeht wie in den letzten Jahren. Da habe man null Klimaschutz geschafft. Nach dem Ausstieg aus der Atomkraft brauche es einen Ausstieg aus der Kohlekraft.
    Mit Blick auf den Klimagipfel in Lima hoffe er, dass es ein neues Abkommen geben wird. Aber man müsse sich klarmachen, dass die Ziele nicht mehr so hochgesteckt werden wie früher. So etwas Ehrgeiziges wie in Kyoto oder Kopenhagen nehme sich die Welt schon gar nicht mehr vor. Das sei problematisch, so Hofreiter.

    Das Interview in voller Länge:

    Dirk-Oliver Heckmann: In Lima beraten derzeit Tausende von Akteuren der internationalen Klimapolitik über ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll. Das Ziel ist klar. Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD:
    O-Ton Barbara Hendricks: „Wir müssen unsere Emissionen in den Industrieländern bis Mitte des Jahrhunderts weitgehend verringern und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dann vollständig vermeiden. Wir wissen genug, um zu handeln, und zwar gemeinsam und konsequenter als bisher."
    Heckmann: Soweit Umweltministerin Barbara Hendricks. - Wenige Tage, bevor sie selbst nach Lima fliegt, legt sie dem Kabinett gemeinsam mit Wirtschaftsminister Gabriel ihr Aktionsprogramm Klimaschutz zur Billigung vor. Der Opposition reichen die Pläne bei weitem nicht.
    In der peruanischen Hauptstadt Lima ist am Montag die Internationale Klimakonferenz eröffnet worden. Das Ziel, die Weichen zu stellen für ein neues Klimaschutzabkommen. Denn das Kyoto-Protokoll läuft aus und alle Bemühungen, ein Nachfolgeabkommen zu erzielen, sind bisher gescheitert. Auch Umweltministerin Barbara Hendricks wird in der kommenden Woche in Lima mit dabei sein. Vorher bringt sie gemeinsam mit Energieminister Gabriel ihr Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und den nationalen Aktionsplan Energie-Effizienz ins Kabinett. Das soll sicherstellen, dass die Klimaziele, die sich die Bundesregierung selbst gesteckt hat, auch erreicht werden.
    Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Anton Hofreiter, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen, Herr Hofreiter!
    "Nicht unter Oppositionsreflex abbuchen"
    Anton Hofreiter: Guten Morgen!
    Heckmann: Sie nennen den Klima-Aktionsplan von Barbara Hendricks ein Progrämmchen. Können wir das unter dem Stichwort Oppositionsreflex abbuchen?
    Hofreiter: Nein, das können wir leider nicht unter dem Stichwort Oppositionsreflex abbuchen, denn es geht ja schon damit los, dass die Bundesregierung die Klimalücke, also die Lücke im selbst gesetzten Programm, völlig falsch ansetzt, denn wir haben im Moment einen Ausstoß von 950 Megatonnen CO2, und um dieses Reduktionsziel zu erreichen, müssten wir 750 Megatonnen erreichen. Das wäre das Ziel und wenn ich 950 minus 750 rechne, dann sind wir bei 200 Megatonnen, und wenn die Bundesregierung ein Programm hat von irgendwas zwischen 60 und 70 Megatonnen, dann stimmt da schon mal was von vorne bis hinten nicht.
    Heckmann: Die Einsparungen, die könnten ja sogar noch höher ausfallen, sagt die Umweltministerin Barbara Hendricks. Immerhin: Minus 40 Prozent CO2 bis 2020 und der Anteil der Erneuerbaren Energien, der soll auf 80 Prozent steigen bis 2050. Das ist ehrgeiziger als unter Rot-Grün.
    Hofreiter: Nein, das ist im Kern nicht ehrgeiziger als unter Rot-Grün. Das Minus-40-Prozent-Ziel, das man sich gesetzt hat, das droht zu scheitern, und zwar schon seit einigen Jahren. Nämlich seit dem Jahr 2009 haben wir überhaupt keine Senkung mehr des CO2-Ausstoßes. Seit dem Jahr 2009 steigt der CO2-Ausstoß der Bundesrepublik Deutschland wieder an.
    Heckmann: Und genau deswegen wird ja das neue Klimapaket heute ins Kabinett eingebracht.
    Hofreiter: Ja, das neue Klimapaket wird eingebracht. Aber da sind vor allem Luftbuchungen drin. Da ist zum Beispiel immer noch drin irgendwie die Hoffnung, dass Kohlekraftwerke nach 45 Jahren von selber aus dem Markt genommen werden, aber dafür gibt es einfach nicht den geringsten Hinweis. Warum sollte ein Betreiber eines Kohlekraftwerks, das sich rentiert für ihn, weil nämlich der Emissionshandel kaputt ist, warum sollte der das von selber abschalten.
    Heckmann: Zur Kohlekraft kommen wir gleich noch mal. Jetzt wollen wir erst noch mal blicken auf den Kernpunkt dieses Aktionsplans Energie-Effizienz, nämlich die energetische Gebäudesanierung. Das war ja nun auch ein Punkt, den Sie unter Rot-Grün nach vorne gebracht haben. Da ist Ihnen auch nicht viel anderes eingefallen.
    Hofreiter: Na ja, was heißt "nicht viel anderes eingefallen". Das Entscheidende ist: Sagt man es nur, oder handelt man wirklich? Und das Problem ist: Es gibt da kein zusätzliches Geld. Bloß es wieder zu betonen, dass man es machen muss, dadurch wird die Sanierungsquote nicht nach oben gehen.
    Heckmann: Aber die Möglichkeiten, das steuerlich abzusetzen, die werden ja verbessert.
    Hofreiter: Na ja. Ob die Möglichkeiten, das steuerlich abzusetzen, wirklich verbessert werden, das ist äußerst unklar, nämlich dann müsste man sich endlich mal im Bundesrat einigen, und Herr Söder hat ja bereits erklärt, dass er nicht bereit ist - die CSU, glaube ich, ist ja an dieser Koalition beteiligt -, dass er nicht bereit ist, da mitzumachen. Also das ist schlichtweg erst mal nur eine Ankündigung.
    Heckmann: Das heißt, Sie glauben, dass das möglicherweise so gar nicht kommt, wie das im Programm jetzt vorgestellt wurde?
    Hofreiter: Wenn ich mir das Programm in aller Ruhe durchlese, da sind einfach Unmengen Luftbuchungen drin in den unterschiedlichsten Bereichen, und deswegen befürchten wir, dass letztendlich es so weitergeht, wie es die letzten fünf Jahre weitergegangen ist, nämlich da haben wir null Klimaschutz geschafft, sondern sogar das Gegenteil. Da sind die CO2-Emissionen gestiegen und selbst dieses Jahr deutet sich es wieder an, dass die CO2-Emissionen nicht groß sinken, sondern konstant bleiben oder leicht steigen.
    Heckmann: Das werden wir dann am Ende, denke ich, in der Rückschau sehen, wie sich das weiter entwickelt. Kommen wir mal auf die Energieunternehmen. Da hat ja Sigmar Gabriel, der Wirtschaftsminister, diesen Unternehmen auferlegt, zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, und das hat ja schon heftige Kritik von Seiten der Unternehmen und auch von Seiten des BDI ausgelöst. Das Ganze dürfte dazu führen, dass die Strompreise steigen, so die Kritik, und auch Arbeitsplätze könnte das kosten.
    Ausstiegsplan aus der Kohlekraft wird gebraucht
    Hofreiter: Na ja, das sind so die klassischen Behauptungen der Lobby-Unternehmen. Sie müssen sich klar machen, dass der fossile Kraftwerkspark zirka 340 Megatonnen CO2 pro Jahr ausstößt, und dann bis zum Jahr 2020 22 Millionen Tonnen einzusparen, das ist ja mehr oder weniger in der statistischen Schwankung drin. Das Verhältnis 340 Megatonnen pro Jahr im Verhältnis dann zu 22 Megatonnen, da zu behaupten, dass das relevant ist, da zu behaupten, dass das einen großen Unterschied macht, und das noch dazu mit der Annahme hinterlegt, dass alte Kraftwerke von selber außer Dienst gestellt werden, ohne eine politische Maßnahme, wie gesagt das übliche Lobby-Geschrei, aber wir erwarten davon keinen großen Effekt.
    Heckmann: Das heißt, wenn es nach Ihnen ginge, würden wir aus der Atomkraft gleichzeitig aussteigen wie aus der Kohlekraft?
    Hofreiter: Wir steigen nicht gleichzeitig aus der Atomkraft und gleichzeitig aus der Kohlekraft aus, nämlich wir sind bereits sehr, sehr weit beim Ausstieg aus der Atomkraft. Es sind eine ganze Reihe von Atomkraftwerken bereits stillgelegt. Deshalb brauchen wir jetzt im Anschluss einen Ausstiegsplan aus der Kohlekraft.
    Heckmann: Und ist es dann nicht eine gute Idee, doch in einer gewissen Hinsicht den Unternehmen, den Energieunternehmen dort einen gewissen Handlungsspielraum zu lassen? Gabriel überlässt es ja den Energieunternehmen selbst zu entscheiden, ob diese Einsparung gleichmäßig auf die Kraftwerke verteilt wird, oder ob einzelne Kraftwerke geschlossen werden sollen. Man sieht ja, dass das Geschäft mit den fossilen Energien auch nicht gerade lukrativ ist, wie man jetzt bei Eon gesehen hat.
    Hofreiter: Na ja, bis jetzt ist das Geschäft noch extrem lukrativ mit den großen alten Kraftwerken. Bei Eon geht es ja auch ganz entscheidend darum, sich von den Risiken freizusprechen oder die Risiken loszuwerden, die mit dem Rückbau der Atomkraftwerke kommen. Das ist doch der entscheidendere Punkt neben dem, dass denen klar ist, dass das Zeitalter der Erneuerbaren angebrochen ist. Aber das Problem ist, dass die Ziele, die Gabriel sich setzt, einfach total gering sind. Wie gesagt: 22 Megatonnen im Verhältnis zu 340 Megatonnen, das ist halt eine homöopathische Dosis.
    Heckmann: Wenn Sie jetzt mal auf die Weltklimakonferenz in Lima blicken, mit welcher Perspektive schauen Sie darauf? Denken Sie, dass es da einen Durchbruch gibt für ein neues Weltklimaabkommen 2015 in Paris?
    Hofreiter: Ich hoffe sehr, dass es ein neues Weltklimaabkommen gibt. Aber man muss sich klar machen, dass die Ziele, die man sich inzwischen steckt, weitaus weniger ehrgeizig sind. Es wäre die Welt schon zufrieden, wenn es überhaupt einen verbindlichen Vertrag gäbe, einen Vertrag, der nur noch letztendlich weltweite Ziele enthält, aber keine nationalen Ziele mehr enthält, wo die einzelnen Nationen dann es letztendlich selber in der Hand haben, wie sie das weltweite Ziel, zum Beispiel das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten, erreichen sollen. Also man nimmt sich schon so was Ehrgeiziges wie Kyoto, oder wie man auch sich bei Kopenhagen vorgenommen hat, so was nimmt sich die Welt schon gar nicht mehr vor.
    Heckmann: Und das ist aus Ihrer Sicht ein fataler Fehler?
    Hofreiter: Das ist problematisch, weil nämlich dann die Gefahr besteht, dass sich die Länder untereinander den schwarzen Peter zuschieben.
    Heckmann: Anton Hofreiter war das, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Hofreiter, danke Ihnen für das Interview.
    Hofreiter: Bitte!