Klimaschutz im Sport Wie intelligente Spielpläne im Amateurfußball CO2 einsparen könnten
An jedem Wochenende fahren Amateursportler mit dem Auto zu ihren Spielen. Ein Forschungsteam aus Erlangen will nun eine Software dafür einsetzen, um Ligen mit möglichst kurzen Anfahrtswegen zu erstellen. Kann das in der Praxis funktionieren?
1,5 Grad – mehr soll die Temperatur auf der Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter nicht steigen. Dafür müssen alle Gesellschaftsbereiche weniger klimaschädliche Emissionen verursachen, auch der Sport. Und zwar nicht nur der Spitzensport, sondern auch der Amateursport.
Autofahrten zu Spielen sind kostspielig und klimaschädlich
Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation im Fußballverband Mittelrhein: Dieser erstreckt sich von Gummersbach im Nordosten über die Städte Düsseldorf, Köln und Bonn bis in die Eifel im Süden. In diesem Gebiet finden alleine in den untersten Ligen mehr als 3.700 Spiele pro Saison statt. Wenn ein einzelnes Auto alle Hin- und Rückwege zu diesen Spielen fahren würde, würde es knapp 116.000 Kilometer zurücklegen – also fast drei Mal die Welt umrunden.
In der Realität sind natürlich deutlich mehr Wagen pro Team unterwegs, auch wenn einzelne Spieler – gerade in Städten – mit dem Rad oder Nahverkehr anreisen.
Die Autofahrten verursachen Kosten für die Spielerinnen und Spieler – vor allem sind sie aber auch klimaschädlich. Für Professor Karim Abu-Omar und seinem Forschungsteam an der Universität Erlangen ist das der Startpunkt ihrer Forschung: Kann man das nicht besser machen?
"Im Prinzip ist das keine Magie. Das ist auch keine künstliche Intelligenz, sondern das ist einfach Hilfe aus der Computerwissenschaft. Da gibt es Standardprogramme, die Prozesse und Wege optimieren können", erklärt Abu-Omar.
In untersten Ligen könnten Wege ein Viertel kürzer sein
Das Forschungsteam hat aus verschiedenen Fußballkreisen und Ligen alle Adressen der entsprechenden Vereine rausgesucht und das mathematische Optimierungsprogramm "Gurobi" damit gefüttert. Die Software hat dann den Auftrag bekommen, die Vereine so in Ligen aufzuteilen, dass die Anfahrtswege so kurz wie möglich sind. Das Ergebnis: In den untersten Ligen des Fußballverbandes Mittelrhein könnten die Wege um ein Viertel kürzer sein.
Im Moment müssen viele Teams zum Beispiel den Rhein passieren, um zu Auswärtsspielen zu kommen. Das Programm sortiert die Vereine hingegen so ein, dass es zum Beispiel in Köln eine Liga nur mit linksrheinischen Vereinen gibt – und eine nur mit rechtsrheinischen. Soweit die Theorie. Aber ist dieses Verfahren auch praxistauglich?
Um diese Frage zu klären, haben wir Prof. Abu-Omar mit Menschen aus der Praxis zusammengebracht: Peter Dierichsweiler, Spielausschuss-Vorsitzender im Fußballkreis Euskirchen. Und André Olveira-Lenz, Vizepräsident für Spielbetrieb im südbadischen Fußballverband. Beide hören interessiert zu, als der Forscher die Vorteile des Projekts in einer Videokonferenz vorstellt. Denn durch die optimierte Ligen-Einteilung würde nicht nur das Klima geschont werden.
Der Sport wird eventuell dadurch attraktiver, dass die Menschen Zeit sparen. Gerade in der Kreisliga C – Sie wissen das besser als ich – da sind viele, die Familie haben, andere Verpflichtungen. Und da macht es vielleicht einen Unterschied, wie viel Zeit ich da noch im Auto verbringe. Und die Spritkosten werden gespart. Und natürlich ist auch die Idee, dass das auch Ihnen bei der Organisation des Spielbetriebs hilft, eben weil der Computer das halt relativ schnell hinkriegt.
Prof. Karim Abu-Omar über die Vorteile der optimierten Ligen-Einteilung
In der Praxis sind besondere Faktoren zu berücksichtigen
Beim letzten Punkt widerspricht der Spielausschuss-Vorsitzende des Kreises Euskirchen, Peter Dierichsweiler, allerdings schnell. Denn die Vereine in Ligen einzuteilen, sei für ihn kein großer Zeitfresser. Viel länger dauere es, den endgültigen Spielplan festzulegen. Mehrere Tage sitzt er mit anderen Verbandsmitgliedern zusammen, um möglichst alle Eventualitäten zu berücksichtigen.
Er betont: "Wir haben das Problem, und das haben andere in den Städten noch viel mehr, dass auf den Sportanlagen nicht nur ein Verein spielt, sondern mehrere Vereine spielen. Also haben Sie da schon irgendwelche Zwänge, gewisse Mannschaften irgendwo reinzutun, damit die nicht jedes Wochenende auf derselben Anlage spielen."
Außerdem gibt es Vereine mit mehreren Teams in der gleichen Spielklasse, die nicht gegeneinander spielen sollen. Manche Klubs wollen außerdem, dass alle ihre Teams am gleichen Tag Heimspiele haben, damit sich der Verkauf von Bier, Bratwurst und Kuchen lohnt – und den Kuchenverkauf des VfB Blessem zu optimieren, könnte selbst für die Software von Professor Abu-Omar zu schwierig sein.
Kreisverbände müssten Teil der Entscheidungsgewalt abgeben
Trotzdem zeigt sich Dierichsweiler offen dafür, das Programm als Hilfe zu nutzen. Und die Software ist ein weiterer Anlass für die Praktiker, gewohnte Strukturen zu hinterfragen. Denn häufig genug verhindern die aktuellen Grenzen der Fußball-Kreise kürzere Anfahrten. In Südbaden fahren manche Teams aufgrund ihrer Lage in ihrem Bezirk laut André Olveira-Lenz 100 Kilometer für ein Spiel.
"Da macht es definitiv Sinn, in Richtung geografischer Punkte zu denken oder geografischer Neugestaltung, gar nicht nur aus Klimagesichtspunkten, sondern aufgrund der Attraktivierung, das einfach Fahrzeiten, die zwar dazugehören, aber nicht das Highlight des Spieltags sind, dass die möglichst minimiert werden können", sagt der Vizepräsident für Spielbetrieb im südbadischen Fußballverband.
Für eine solche Reform müssten alte Strukturen aufgebrochen werden und Kreis-Fußballverbände womöglich einen Teil ihrer Entscheidungsgewalt abgeben. Unmöglich ist das nicht, in Schleswig-Holstein ist dies bereits passiert. Aber es würde dauern.
Deswegen arbeitet André Olveira-Lenz an einem anderen Projekt: Die Vereine dafür zu sensibilisieren, Fahrgemeinschaften zu nutzen. Denn kürzere Anfahrtswege helfen kaum, wenn jedes Teammitglied mit dem eigenen Auto anreist.
Olveira-Lenz unterstreicht: "Wenn man dort im Grunde in die Köpfe reinkommen würde, in Hinblick darauf: Ja, sie machen sich einfach Gedanken, wie ich anreise, nicht jeder steigt einfach blind ins Auto und fährt los, weil es gerade vor der Tür steht, das wäre schon ein sehr, sehr sinnhafter Ansatz. Wenngleich das nicht den Ansatz von Herrn Abu-Omar schmälern soll."
Abu-Omar will "Veränderungsgeschwindigkeit" steigern
Für das Klima wäre am Ende eine Kombination von vielen Ansätzen gut: Ein Spielplan mit möglichst kurzen Anfahrtswegen – und möglichst wenig Autos, die zu den Sportplätzen fahren. Ideen, diese Ziele zu erreichen, gibt es auf jeden Fall. Und zumindest am Ende der Videokonferenz bei allen den Wunsch, sich über diese Fragen weiter auszutauschen.
"Wir wissen, dass Vereine und Verbände schon irgendwie träge sind“, sagt Professor Abu-Omar. "Wir sind ja alle bequem und Veränderung klingt erstmal nicht so gut, wenn sie nicht ausdrücklich besser ist. Aber wir fragen uns schon: Wie kann man diese Veränderungsgeschwindigkeit steigern? Und ich glaube, am Ende geht es nur gemeinsam: Sie mit Ihrer Perspektive und wir mit unserer wissenschaftlichen Perspektive und dann können wir gemeinsam gute Lösungen erarbeiten."