Mario Dobovisek: Der Klimawandel als Herausforderung für die Politik, aber auch für die Wirtschaft. Die Zukunft der Kohle, die Reduzierung von Treibhausgasen - Thema auf der Weltklimakonferenz ab heute in Bonn. Darüber möchte ich sprechen mit Holger Lösch. Er ist stellvertretender Geschäftsführer des BDI, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Dort ist er unter anderem mit dem Klimaschutz befasst und auch Teilnehmer der Klimakonferenz ab heute in Bonn. Guten Morgen, Herr Lösch!
Holger Lösch: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
"Ziele nicht angepasst"
Dobovisek: Als industriellen Selbstmord bezeichnet es der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff, würde die Bundesregierung die selbstgesteckten Klimaziele für 2020 tatsächlich einhalten. - Sind die Ziele zu ambitioniert gesteckt, oder ist die deutsche Industrie zu unflexibel?
Lösch: Die Ziele hat man ja nicht angepasst. Nachdem man diese Ziele gemacht hatte, dieses 2020-Ziel, hatte man ja beschlossen, die Kernenergie länger laufen zu lassen. Als man das dann zurückgenommen hat, hat man die Ziele nicht angepasst.
Hinzu kommt: Wir haben ein über Jahre anhaltendes sehr vernünftiges Wirtschaftswachstum. Es gibt sehr niedrige Ölpreise. Widererwartend löst sich die deutsche Bevölkerung nicht auf, sondern sie bleibt stabil oder wächst sogar. Wir haben niedrige Zinsen, wir haben einen niedrigen Eurokurs.
Dobovisek: Sind die Ziele also falsch?
Lösch: Die Ziele hätte man anpassen müssen, aber sie sind nun mal da und die Politik muss sich mit der Frage beschäftigen, ob und wie sie sie erreichen will. Aber für uns ist, glaube ich, viel wichtiger, jetzt mal rauszukommen. Es ist ja fast eine Fixierung: Erreichen wir 2020. Wenn Sie in die Koalitionsverhandlungen reinhören, beschäftigt sich ja offensichtlich jeder nur mit der Frage, können wir das 2020-Ziel erreichen. Das ist ein Zwischenziel.
Das eigentlich politische Ziel ist 2050. Wir wollen bis Mitte des Jahrhunderts eine gewisse Dekarbonisierung erreichen. Und was wir sagen ist, wir müssen einsteigen in einen Modernisierungspfad, der uns in Deutschland ökologisch und ökonomisch voranbringt und eine Chance eröffnet, diese Ziele zu erreichen, ohne dass wir Beschäftigung und Wohlstand abbauen. Nur das wird uns am Ende die Risiken aus diesem Pfad minimieren und die Chancen optimieren.
"Müssen uns im weltweiten Wettbewerb nicht verstecken"
Dobovisek: Beschäftigung und Wohlstand abbauen - da höre ich Ängste heraus. Anton Hofreiter von den Grünen hat uns vor ungefähr einer Stunde hier im Deutschlandfunk gesagt, die Industrie hätte gar keine Ängste, wir sollen gar nicht auf die Verbände hören, also auch nicht auf Sie. Sind Sie da anderer Meinung?
Das Interview mit Anton Hofreiter können Sie hier nachhören.
Lösch: Ich glaube, da kann ich mich auch auf eine breite Wahrnehmung setzen. Es ist, glaube ich, in der Industrie vollkommen unstrittig, dass mit diesen Pfaden einer Veränderung, einer Einführung von neuen Technologien immer Risiken verbunden sind. Und es wird auch nicht gehen ohne in einer Zeit, wo andere sich eben Wettbewerbsvorteile durch weniger Klimaschutz verschaffen, unsere hiesige Industrie vor solchen Nachteilen auch zu schützen.
Dobovisek: Aber Risiken einzugehen, bedeutet ja gerade Innovationskraft und Stärke zu zeigen. Warum schafft das die deutsche Industrie nicht?
Lösch: Die deutsche Industrie schafft das seit vielen Jahren hervorragend. Und wenn Sie sich mal anschauen, wo Deutschland heute auch steht, was Emissionen jeder Art betrifft, ich glaube, da müssen wir uns im weltweiten Wettbewerb nicht eine Sekunde verstecken. Diese These, Deutschland, die deutsche Industrie wäre nicht in der Lage, Klimaschutz zu betreiben, das ist absurd. Wir haben gerade jetzt wieder, was Effizienz betrifft, weltweit die Spitzenrolle eingenommen. Diese Technologien laufen.
Man kann es vielleicht auf den Punkt bringen: Wir sind alle gemeinsam auf dem Weg und wollen diese Ziele auch erreichen. Nur wir wollen dort als Industriestandort auch lebend ankommen.
"Dieses Klimawunder China - da rate ich zu großer Vorsicht"
Dobovisek: Hören wir uns einmal gemeinsam an, was uns gestern hier im Deutschlandfunk der führende Umweltforscher und frühere Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker gesagt hat. Ihm geht es um Vorteile, die die deutsche Industrie nicht ausreichend genutzt hätte.
Ernst Ulrich von Weizsäcker: "In Wirklichkeit hatte Deutschland gerade mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz internationale Vorteile geschaffen. Dann waren bloß die Chinesen sehr viel schneller als wir und haben einen großen Teil der deutschen Solarindustrie so überholt, dass sie kaputt gegangen ist."
Das komplette Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker können Sie hier nachhören.
Dobovisek: Ernst Ulrich von Weizsäcker. - Die Chinesen, Herr Lösch, viel, viel schneller als wir, sagt er. Nicht nur in der Solarbranche, auch in der Elektromobilität wachen die deutschen Autobauer jetzt erst auf. Warum kann die deutsche Industrie hier nicht richtig mithalten, geschweige denn sicheren Schrittes voranschreiten?
Lösch: Die China-Geschichte halte ich wirklich für eine fast peinliche Geschichte.
Dobovisek: Warum?
Lösch: China ist nach wie vor eine Nation, die über 60 Prozent ihres Primär-Energieverbrauchs mit Kohle betreibt. Die Tendenz ist weiter steigend. Es gibt niemanden auf der Welt, der mit seinen Kohleexporten mehr Energie zur globalen Wirtschaft beiträgt als China.
Dobovisek: Aber jede zweite Solarzelle, die weltweit verbaut wird, wird derzeit in China installiert.
Lösch: Ja! Aber sie werfen jedes Jahr ungefähr die Menge Strom weg, die wir als Windenergie verbrauchen, weil sie einfach nicht in der Lage sind, diese Mengen, die sie auch um ihre Industrie auf dieser Stelle zu entwickeln - das hat Herr von Weizsäcker ja gerade auch gesagt -, weil sie die einfach nicht abtransportiert zu kriegen. Dieses Klimawunder China, da rate ich wirklich zu ganz, ganz großer Vorsicht. Die Chinesen sind und bleiben einer der größten und wachsenden Emittenten und eine der größten und wachsenden Kohlemächte dieses Planeten.
"Ich bin mir nicht sicher, ob wir hinterherlaufen"
Dobovisek: Kommen wir deshalb auch gerne wieder zurück zur deutschen Industrie. Es war ja auch der deutsche Werner von Siemens, der dem Elektromotor einst auf die Sprünge half. Das ist inzwischen 150 Jahre her. Heute kaufen deutsche Verkehrsunternehmen ihre E-Busse in den Niederlanden ein, die Deutsche Post baut ihre E-Transporter selbst, weil die großen deutschen Autobauer sich dazu nicht in der Lage sahen. Ist doch ein Armutszeugnis!
Lösch: Ich glaube, dass die Elektromobilität - und wenn Sie sich die Geschichte betrachten; das hatte ja auch Gründe, dass die Elektromobilität tatsächlich am Anfang der Automobilität, vergleichbar mit dem Verbrennungsmotor, eine Technologie war. Es hat sich einfach über die Jahre das Problem auch der Speicherung so entwickelt, dass Benzin einfach die überlegene Technologie war. Heute sind wir auf diesem Feld auf anderen Wegen unterwegs.
Dobovisek: … und laufen hinterher.
Lösch: Ich bin mir nicht sicher, ob wir hinterherlaufen. Ich glaube es nicht, dass wir hinterherlaufen. Das ist ein langfristiges Rennen und wenn Sie sich anschauen, wieviel Elektromobilität auf der Welt nachgefragt wird, dann werden wir hier diese Technologie reifen sehen. Wir werden sie auch in den 30er- und 40er-Jahren zu großer Form auflaufen sehen. Da sind wir sehr, sehr zuversichtlich, auch die Automobilindustrie. Aber die Frage ist doch immer, will ich Dinge mit Gewalt zu einem gewissen Zeitpunkt zwingen, oder will ich, dass sie im Ablauf der Zeit auf meine Endziele hin auch wirklich optimal funktionieren.
"Nicht Technologien verbieten oder verordnen"
Dobovisek: Was bedeutet aus Ihrer Sicht in diesem Zusammenhang das Wort "Gewalt"? Ist das schon das fixe Ausstiegsdatum für den Verbrennungsmotor?
Lösch: Was heißt der fixe Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor? - Wir wollen Ziele erreichen und wir wollen nicht Technologien verbieten oder andere Technologien verordnen. Wenn es darum geht, CO2 zu reduzieren, dann stellt sich mir die Frage, was damit wirklich das Verbot einer Technologie ab einem gewissen Jahr zu tun hat. Wir wollen die Ziele erreichen und auf diesem Weg zu diesen Zielen brauchen Sie ein ganz breites Spektrum von Technologien, von Maßnahmen. Das muss alles fein aufeinander abgestimmt sein. Nur dann können Sie diese Ziele auch wirklich erreichen.
Was wir momentan sehen, ist kurzfristige, hektische Symbolpolitik, die natürlich auch jetzt noch mal in den nächsten zwei Wochen durch den Einfluss der Klimakonferenz auf die Koalitionsverhandlungen noch mal deutlicher wird. Die wirklichen Fragen, wie kann ein solcher Modernisierungspfad aussehen, über die wird momentan nirgends geredet.
Dobovisek: Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Vielen Dank für das Interview.
Lösch: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.