Die IGBCE vertritt nach eigenen Angaben 650.000 Mitarbeiter in Unternehmen ihrer Branchen, unter anderem im Kohlebergbau und in der Kohleverstromung.
Vassiliadis sagte im Hinblick auf den Klimawandel im Deutschlandfunk: "Meine Sorgen sind groß." Er finde es wichtig und überfällig, dass internationale Übereinkünfte gefunden würden, um die Erderwärmung zu begrenzen. Seiner Meinung nach werde aber zu viel über Ausstiegsszenarien geredet und zu wenig darüber, wie dieser Ausstieg umzusetzen sei.
Vassiliadis kritisierte beispielhaft den Plan der Grünen, schon vor Auslaufen der letzten Genehmigungen für den Kohleabbau im Jahr 2045 auszusteigen, etwa 2035 oder laut Beschluss der Basis schon 2025. Unklar sei, wie das erreicht werden könne. Statt Ausstiegsdaten müsse Deutschland ein Vorbild für die Welt sein, indem es etwa ein Angebot in Form von Technologien mache. Vassiliadis findet, dass das eher dazu führt, dass andere Länder ebenfalls eine Energiewende einleiten.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks heimst dort viel Lob für den deutschen Klimaschutzplan ein, und das, obwohl Klimaschützer in Deutschland ihn erheblich kritisieren. Es sind nämlich nur Leitplanken, keine Gesetze, und der ursprüngliche Entwurf, der war deutlich restriktiver. Insbesondere Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte zuletzt den Rotstift angesetzt, um den Energiesektor zu entlasten. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie. Guten Morgen!
Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Frau Büüsker.
Mit Innovationen reduzieren, nicht mit Ausstiegen
Büüsker: Herr Vassiliadis, stimmen Sie in das Lob für die Bundesumweltministerin ein?
Vassiliadis: Nein. Ich finde, dass auf der einen Seite natürlich viel passiert ist, vor allen Dingen in der Konferenz in Paris, und dass es auch wichtig ist, dass internationale Übereinkünfte gefunden werden. Das ist ja überfällig. Aber es klingt ein bisschen so, als wenn man sich selbst vergewissert, dass der Weg der richtige ist. Die Zahlen zeigen etwas anderes und die Frage ist, ob wir nicht einen anderen Ansatz finden müssen, auch um die USA am Tisch zu halten, und dabei wäre beispielsweise die Frage, ob man nicht insgesamt aus Reduktionsvereinbarungen Zielvereinbarungen macht, die mit mehr Innovation, mit Investitionen verbunden werden. Das könnte auch die Amerikaner einladen. Übrigens machen die Chinesen genau das. Die reduzieren nicht mit Ausstiegen oder nur mit Ausstiegen, sondern mit Innovationen. Das fehlt mir ein bisschen auch bei der Konferenz in Marrakesch.
Büüsker: Aber Zielvereinbarungen bergen ja auch immer das Risiko, dass sie ein bisschen schwammig sind und sich am Ende keiner so richtig daran hält.
Vassiliadis: Ja, das ist richtig. Vor allen Dingen dann, wenn man die Umsetzung in der Folgewirkung nicht wirklich abschätzt. An diesem Punkt sind wir auch in Deutschland. Es geht ja nicht darum, ob wir den Klimaschutz erreichen, sondern wie, und über das Wie wird viel zu wenig geredet, sondern da loben sich am Ende diejenigen, die die Ziele setzen, selbst und überlassen anderen dann das Geschäft, diese Umsetzung zu organisieren.
Kohleausstieg mit sozialen Perspektiven verbinden
Büüsker: Aber gerade Klimaschützer sagen doch ganz viel, wie es funktionieren könnte, nämlich unter anderem dadurch, dass man aus der Kohle aussteigt.
Vassiliadis: Genau das sagte ich ja. Die Klimaschützer setzen die Ziele und sind an der Stelle, sagen wir mal, auch sehr eifrig, ein Ziel nach dem anderen zu formulieren und damit den Eindruck zu erwecken, nur durch das Zieleformulieren kommen wir voran. Die Weltemissionen zeigen das ja nicht. Und die Antwort darauf heißt Ausstiege und an der Stelle sind wir anderer Meinung, bin ich anderer Meinung. Ich glaube, dass wir letztlich der Welt ein Angebot machen müssen, Innovationen und Technologien einzusetzen, die das Ganze auch bezahlbar machen und am Ende auch für die Menschen mit sozialen Perspektiven verbindet. Das ist Ausstieg nicht und deswegen glaube ich, dass der Weg am Ende des Tages so nicht erfolgreich sein wird.
Büüsker: Das klingt erst mal schön, Zielvereinbarungen machen und sich darauf einigen, dass man es irgendwie hinbekommt. Jetzt war ja eine Formulierung in dem aktuellen Klimaschutzbericht, die hat der Bundeswirtschaftsminister auf den letzten Metern noch rausgestrichen, dass der Kohleausstieg deutlich vor 2050 geschehen müsse. Das steht so nicht mehr drin. Warum musste das raus?
Erneuerbare Energien über Wind und Solar hinaus
Vassiliadis: Weil wir nicht wissen, wie wir die Energielücke schließen sollen. Das meinte ich ja gerade. Ich habe nichts gegen Ziele, damit das sich vielleicht noch mal aufklärt, sondern der Punkt ist: Wenn man die Ziele setzt, muss man eine Idee haben, das umzusetzen, und aus meiner Sicht kann das nicht nur durch Ausstiege erfolgen. Wir haben einen Ausstieg, der läuft noch bis 2022. Das ist der Ausstieg aus der Kernenergie. Da haben wir uns, glaube ich, in großer Übereinkunft zu entschieden. Übrigens ist die Kernenergie CO2-neutral. Das setzt uns unter Druck. Und die Frage, wann das Ende der Kohle erreicht ist, ist direkt gekoppelt mit der Frage, wann wir nicht nur erneuerbare Energien, wie wir sie heute kennen, also Wind und Solar, sondern neue Technologien haben müssen, neue Netze haben müssen, und an der Stelle stockt das in Deutschland. Deswegen hat der Bundeswirtschaftsminister gesagt, wie sollen wir 2016 festlegen, ob wir 2030, '35 oder '40 genau an dieser Stelle sind. Darum geht es. Es geht um die Frage, mit welcher Glaubwürdigkeit und Seriosität man die Instrumente einpreist. Der Kohleausstieg ist plakativ. Den kann man relativ schnell realisieren. Die Ersatzbeschaffung von Energie, die Infrastruktur, all das stockt, und über diese Realität müssen wir genauso reden wie über die Tonnage der Klimaschutzziele, und das tun wir nicht.
Büüsker: Dann lassen Sie es uns jetzt konkret machen, Herr Vassiliadis. Wie kriegt man es dann hin?
Vassiliadis: Wir müssen ein viel breiteres Verständnis der einzusetzenden Technologien beim Klimaschutz entwickeln. Ich sage Ihnen mal ein Beispiel. Wir haben in der chemischen Industrie, wir haben in der Industrie in Deutschland insgesamt ein hohes Innovationspotenzial. Da warten Unternehmen auf klare Rahmenbedingungen, damit sie diese Technologien nach vorne bringen. Ein Beispiel: Wir haben seit vielen, vielen Jahren, die BASF hat ein Drei-Liter-Haus - da geht es um Verbrauch, um Dämmung etc. - entwickelt. Das stockt am Ende in der weiteren Umsetzung, weil die Finanzierung der Erneuerung des Wohnungsbestandes nicht wirklich eine Größenordnung erreicht, wo sich das Ganze lohnt. Das heißt, eigentlich ist das ein Veto für Innovation, wo deutsche Arbeitsplätze, wo Installation von solchen Materialien ansteht. Stattdessen überfinanzieren wir das Bild, erneuerbare Energien ohne Netze zu bauen. Netze beispielsweise müssen voran. Umso schneller wir diese offenen Punkte lösen, wirklich lösen - und da muss man dann was machen, das ist wohl richtig, und auch Geld einsetzen -, umso schneller ist der Punkt erreicht, wo wir die konventionelle Energie, die wir heute haben, nicht mehr brauchen. Aber dieses spielt alles gar keine Rolle, sondern es werden ständig neue Ausstiegszeiträume miteinander diskutiert, ohne diese offenen Fragen. Das ist der eigentliche Punkt, warum auch der Wirtschaftsminister, auch wir gesagt haben, was soll das jetzt, wie soll das gehen, und die Antwort ist offengeblieben.
"Wir haben 30 Prozent erneuerbare Energien und nicht die Netze dazu"
Büüsker: Herr Vassiliadis, lassen Sie mich einmal kurz zusammenfassen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann investiert die Politik in die falschen Dinge?
Vassiliadis: Jetzt in jedem Fall. Wir haben zu Beginn einmal einen, glaube ich, wie ich finde, wirklich wichtigen Impuls gesetzt, was erneuerbare Energien grundsätzlich anbelangt. Wir haben gezeigt, dass man das machen kann. Aber das Ganze ist zu einer Maschine geworden, die sich selbst nährt. Das ist ja auch sehr attraktiv. Das heißt, wir haben 30 Prozent erneuerbare Energien, installierte Leistung, und haben die Netze nicht dazu. Ist das nicht unsinnig?
Büüsker: Könnte man so fragen. - Wenn dann aber alles am Ende doch zusammenkäme, nehmen wir an, die Bundesregierung bekäme es jetzt hin - es gibt ja diesen Klimaschutzplan, der soll die Leitplanken legen, es sollen Gesetze kommen, die dann vielleicht das umsetzen, was Sie hier fordern -, dann geht ein Ausstieg am Ende aus der Kohle?
Vassiliadis: Ja, natürlich! Es gibt ja jetzt schon einen Punkt, wo wir Genehmigungen haben. Die reichen bis 2045, 2040, 2045, je nachdem wie die Unternehmen sind, in welcher wirtschaftlichen Verfassung sie sind. Wir haben vielleicht 2050. Das gibt es. Und danach gibt es jetzt keine Genehmigungen. Das heißt, einen Punkt haben wir schon, und jetzt beginnt die Frage, wie seriös ist die Anforderung, schneller diesen Weg zu gehen. Und da würde ich mal die Seriosität infrage stellen, wenn auf der einen Seite die Spitze der Grünen sagt, eigentlich sehen sie das 2035 - ich sehe das nicht -, und die Basis beschließt mal schlank 2025, ohne dass man das irgendwie weiter begründet. Das ist doch ein sichtbares Zeichen, dass das Ganze irgendwie losgelöst von den realen Fragen diskutiert wird.
Neue Technologien entwickeln als Vorbild für die Welt
Büüsker: Also, Herr Vassiliadis, Sie fordern, dass die Politik die Zahlen, die sie nennt, dann tatsächlich auch mit Fakten und Ideen unterfüttert. Das ist die eine Seite der Medaille. Dann haben wir aber auch noch die andere Seite der Medaille, und das ist das Klima, um das es ja in dieser ganzen Sache geht. Jetzt hat die Weltorganisation für Meteorologie aktuelle Zahlen rausgegeben. 2016 ist das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Wie groß sind Ihre Sorgen über diese Entwicklung?
Vassiliadis: Meine Sorgen sind groß und ich darf noch mal unterstreichen: Das Ziel, weltweit den Kurs zu wechseln, für den Klimaschutz den Ausstoß zu reduzieren, das ist richtig und das geht auch nur global, weil anders als lokale Umweltthemen ist das ein globales Thema. Und Sie haben recht: Das was sich an Entwicklung gezeigt hat, ist nicht gerade ein Beleg dafür, dass die internationale Klimapolitik erfolgreich war. Wir sind von 1990 bis heute von 22,7 Milliarden Tonnen auf 36 Milliarden Tonnen angestiegen in der Welt. Deutschland hat im selben Zeitraum trotz Wirtschaftswachstum seine Emissionen um 200 Millionen Tonnen auf 800 Millionen Tonnen reduziert. Mein Punkt dabei ist: Deutschland kann wirklich in einer Art und Weise ein Vorbild sein, nämlich als geeinte Gesellschaft, die ihre Technologien einsetzt, weltweit diesen Klimaschutz voranzubringen.
Wir werden das nicht lösen, wenn wir in Deutschland - wir haben ja nur 2,3 Prozent des Ausstoßes - sozusagen uns gegenseitig blockieren. Wir müssen versuchen, nicht nur über den Weg der Konferenzen, sondern vielleicht auch bilateral mit den großen Industrienationen Technologieverbünde zu schaffen. Da muss man auch Geld einsetzen übrigens und unsere Industrien, unsere Menschen, die daran arbeiten, so zu aktivieren, dass sie nach vorne blicken, dass sie Technologien entwickeln, die auch wirtschaftlich darstellbar sind. Da können wir wirklich was! Ich glaube, dass dieser Weg, der ja auch ein bisschen moralisierend ist, auf viele Länder vielleicht Eindruck macht, aber ich kann nicht erkennen bisher, trotz aller Ankündigungen auch von China, dass wirklich eine Kursumkehr über diesen Weg möglich ist. Deswegen wäre mein Ansatz zu sagen, lassen wir uns bei Technologien einen an der Stelle und nicht über das Vorbild von Ausstiegen der Welt zeigen, dass man sich am Ende wirtschaftlich und sozial schwächt.
Büüsker: … sagt Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Vassiliadis: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.