Kommentar zur Klimarücklage
Ein längst überfälliges Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Gelder zur Bewältigung der Corona-Krise hätten nicht in den Klimafonds fließen dürfen, so das Bundesverfassungsgericht. Das sei schlecht für den Klimaschutz, aus haushaltspolitischer Sicht aber ein wegweisendes Urteil, kommentiert Jörg Münchenberg.

Von Jörg Münchenberg | 15.11.2023
Blick durch eine Spiegelscheibe in den Gerichtssaal: Das Bundesverfassungsgericht verkündet das Urteil zum Nachtragshaushalt.
Eine ziemliche Klatsche für die Ampelregierung: Das Bundeserfassungsgericht hat die Klimarücklage gekippt. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den zweiten Nachtragshaushalt 2021 ist aus Sicht der Ampelkoalition schlicht ein einziger Albtraum. Denn plötzlich fehlen im Klimatransformationsfonds (kurz KTF) 60 Milliarden Euro, die SPD, FDP und Grüne im Frühjahr 2022 dorthin verschoben hatten. Wie man seit heute Morgen weiß, ein haushaltspolitisches Manöver, das schlicht gegen die Verfassung verstößt.
Weil aber der KTF nicht nur eine vermeintlich gut gefüllte Schatzkiste für viele Kernprojekte der Ampel ist, sondern damit auch maßgeblich zum Koalitionsfrieden beigetragen hat, weil trotz Einhaltung der Schuldenbremse viele grüne Herzensforderungen erfüllt werden konnten, dürften die Folgen der heutigen Richterentscheidung auch für die koalitionsinterne Zusammenarbeit erheblich sein.

Neue Abgaben oder höhere Steuern?

Noch stehen zwar die genauen finanzpolitischen Auswirkungen nicht fest. Zumindest sind auch die für morgen anstehenden Schlussberatungen für den Haushalt 2024 nicht gefährdet – ein Indiz dafür, dass das Karlsruher Urteil erst in den Folgejahren wirken wird. Viele Möglichkeiten wird die Ampel dann allerdings nicht haben: Entweder sie verzichtet auf geplante Maßnahmen zum Klimaschutz oder aber sie mobilisiert neue Einnahmen über höhere Steuern oder neue Abgaben.
Letzteres ist gerade mit einem liberalen Koalitionspartner ziemlich unrealistisch. Zumal die nächste Bundestagswahl langsam näher rückt – was die Kompromissbereitschaft innerhalb der Regierung sicherlich nicht fördern dürfte. Auch eine baldige Lockerung der Schuldenbremse angesichts der enormen finanzpolitischen Herausforderungen im Zuge der Klimawende ist politisch eher aussichtslos. Neben der FDP lehnt auch die Union eine dazu notwendige Verfassungsänderung strikt ab.

Die Koalition muss erhebliche Abstriche machen

Viel spricht deshalb dafür, dass die Ampel bei ihren geplanten Projekten etwa zur Absenkung der Strompreise oder zur Dekarbonisierung der Industrie erhebliche Abstriche machen muss. Aus Sicht des Klimaschutzes und auch der Bürger ist dies eine schlechte Nachricht – weil jetzt auch das vage in Aussicht gestellte Klimageld als Kompensation für so manche umweltpolitische Belastung auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden dürfte.
Aus finanz- und haushaltspolitischer Sicht ist das heutige Urteil allerdings wegweisend wie überfällig. Bundes-, aber auch Landesregierungen (übrigens auch unter Führung der CDU) greifen vermehrt auf Sonderfonds und Schattenhaushalte zurück, um die eigenen Vorhaben umsetzen zu können. Zu Lasten von Haushaltsklarheit und Transparenz – und unter Umgehung der Verfassung. Dem hat Karlsruhe jetzt mit seinem eindeutigen Urteil, das zugleich einer schallenden Ohrfeige für die Ampelkoalition gleichkommt, einen mächtigen Riegel vorgeschoben.