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Klimawandel am Südpol

Klima.- Das Wissenschaftliche Komitee für Antarktisforschung hat einen Klimareport über den Südpol herausgegeben. Der Bericht, an dem Dutzende Wissenschaftler mitgeschrieben haben, dokumentiert, dass sich selbst die Gefrierkammer der Erde nicht der Klimaerwärmung entziehen kann.

Von Volker Mrasek | 01.12.2009
    Die Antarktis gibt der Klimaforschung Rätsel auf. Der Westteil des Süd-Kontinents zeigt zwar einen Erwärmungstrend, insbesondere auf der Antarktischen Halbinsel, die sich Richtung Südamerika erstreckt. Im Mittel aber hat sich die Kältekammer der Erde in den letzten fünf Jahrzehnten abgekühlt, um etwa ein halbes Grad Celsius. Außerdem nimmt das Meereis am Rand des Kontinents nicht ab wie in der Arktis, am anderen Pol der Erde. Nein, es wächst, um rund ein Prozent von Jahr zu Jahr. Wie kommt es, dass sich die Antarktis beharrlich gegen die allgemeine Erwärmung des Globus stemmt? Um diese Frage kreist der neue Klimareport, den das Wissenschaftliche Komitee für Antarktis-Forschung jetzt herausbringt. Sein Direktor ist der englische Geochemiker Colin Summerhayes:

    "Die Antwort, die wir jetzt in unserem Bericht geben können, lautet: Die Antarktis verhält sich anders als die Arktis wegen des Ozonlochs und seiner Auswirkungen auf das Klima."

    Eine Erkenntnis, die viele verblüffen dürfte. Bisher schien es genau umgekehrt zu sein: Der Klimawandel beeinflusst den Ozonabbau über der Antarktis. Wenn Treibhausgase zunehmen, erreicht nicht mehr so viel Wärmerückstrahlung der Erde die Ozonschicht in 15 bis 25 Kilometern Höhe. Sie wird kälter, und das schafft bessere Bedingungen für die Zerstörung von Ozon im Frühling auf der Südhalbkugel. Demnach könnte der Klimawandel die Heilung der Ozonschicht verzögern. Dieses Szenario hat auch weiterhin Bestand. Aber: Das alljährlich aufbrechende Ozonloch beeinflusst seinerseits das Klima in Bodennähe. Der Meteorologe John Turner vom Britischen Antarktis-Dienst, führender Autor des neuen Klimareports:

    "Ozon über der Antarktis absorbiert einfallende UV-Strahlung der Sonne. Dadurch erwärmt sich die Stratosphäre in 20, 25 Kilometern Höhe. Seit den 80er-Jahren haben wir aber das Ozonloch. Also wird nicht mehr so viel UV-Licht absorbiert, und die Stratosphäre ist kälter geworden. In der Folge hat das Temperaturgefälle zwischen den warmen Tropen und der kalten Antarktis zugenommen, und damit auch die Windgeschwindigkeiten im Süden. Luftwirbel, die rund um die Antarktis wehen, schotten den Kontinent nun besser gegen Wärme aus höheren Breiten ab. Das hat zu der leichten Abkühlung geführt."

    Auch das Wachstum des Packeisgürtels vor allem in der Ost-Antarktis lasse sich auf diese Weise erklären:

    "Es gibt Leute, die behaupten, der Klimawandel sei ein Mythos. Und sie verweisen dann auf das antarktische Meereis. Aber wir können zeigen, dass es physikalische Gründe für seine Zunahme gibt: Eine löchrige Ozonschicht absorbiert nicht mehr so viel Wärme über der Antarktis. Doch die Abkühlung dürfte nicht mehr lange andauern. Das Ozonloch wird allmählich ausheilen und der Gehalt von Treibhausgasen in der Atmosphäre weiter zunehmen. Sollte er sich verdoppeln, rechnen wir sogar mit einer Erwärmung von drei bis vier Grad über die gesamte Antarktis."

    Der generelle Abkühlungstrend kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Antarktis stellenweise schon heute stark verändert. Und zwar in ihrem Westteil. Dort nagt ein wärmer gewordener Südozean an den riesigen Auslassgletschern und lässt sie beschleunigt abrutschen. Die Eisströme liegen zwar auf dem Kontinent auf, doch größtenteils unterhalb des Meeresspiegels, so dass sie Kontakt zum Ozean haben. Noch einmal Colin Summerhayes:

    "Der Pine-Island-Gletscher zum Beispiel bewegt sich heute 40 Prozent schneller als 1970. Sein äußerer Rand wird jedes Jahr anderthalb Meter dünner und zieht sich um zehn Meter zurück. Das ist wirklich rasant! Der Westteil der Antarktis trägt inzwischen genauso stark zum Anstieg des Meeresspiegels bei wie die Gletscherverluste auf Grönland."

    Die Autoren des neuen Klimareports präsentieren deshalb auch neue Prognosen: Noch in diesem Jahrhundert, warnen sie, könnte der Meerespiegel infolge stärkerer Gletschereis-Verluste in der Antarktis um bis zu 140 Zentimeter steigen.