Der französische Philosoph und Wissenschaftshistoriker Michel Serres reagierte bereits vor 20 Jahren auf die Probleme des Klimawandels. Damals, als sich die Wissenschaftler noch uneinig waren, ob die Erderwärmung auf menschliche Einwirkung zurückgeht, schlug er eine Wette vor:
"Halten wir unser Handeln und unsere Eingriffe für unschuldig und gewinnen, dann gewinnen wir dennoch nichts, dann geht die Geschichte weiter wie bisher; verlieren wir aber, dann verlieren wir alles, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, uns auf irgendeine denkbare Katastrophe vorzubereiten. Und im umgekehrten Fall, in dem wir unsere Verantwortung gewählt hätten: Verlieren wir, verlieren wir nichts; gewinnen wir aber, gewinnen wir alles und bleiben gleichzeitig Akteure der Geschichte."
20 Jahre nach Michel Serres' Buch "Der Naturvertrag" sieht es nicht so aus, als ob die Politiker wirklich die Verantwortung auf sich genommen hätten: die Gletscher Grönlands und der Westantarktis schmelzen schneller als der Weltklimarat prognostiziert hatte; Meeresspiegel und Säuregehalt der Weltmeere steigen; Hitzewellen, Dürren, Flächenbrände und Wirbelstürme nehmen zu; und - last but not least – das Verbrennen fossiler Brennstoffe trägt in großem Umfang dazu bei, dass Treibhausgase freigesetzt werden.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Aber offenkundig müssen sie immer wieder aufs Neue verbreitet werden. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung verschanzt sich hinter der communis opinio: "Alles ist doch nicht so schlimm"; "letztendlich ist nichts bewiesen"; "die anderen ändern sich ja auch nicht"; oder auch, man kennt die Litanei: "es kommt auf das Wachstum an."
Um diesen Wust von Vorurteilen und Märchen endlich zu durchschneiden, haben sich der Chemie-Nobelpreisträger und Atmosphärenforscher Paul Crutzen, die Mitglieder des Weltklimarats Michael Mastrandrea und Stephen Schneider, der Stadtsoziologe Mike Davis und der Philosoph Peter Sloterdijk zu einer gemeinsamen Publikation zusammengefunden. Der verdienstvolle Sammelband, dessen Titel Buckminster Fullers Bonmot "Das Raumschiff hat keinen Notausgang" entlehnt ist, nähert sich dem Klimawandel aus verschiedenen Perspektiven: Vertreten ist die Sicht des Klimaforschers über die vom Menschen geprägte geologische Epoche des "Anthropozän"; die Mitglieder des Weltklimarats kommentieren den letzten Klimabericht; der Stadtsoziologe beurteilt die schädlichen ebenso wie die positiven Auswirkungen unserer Städte; und der Philosoph räsoniert über eine globale Ordnung, die dem Fetisch des Wachstums huldigt.
Der niederländische Forscher Paul Crutzen erinnert an zwei einfache Wahrheiten, die kein Wachstumseuphoriker aus der Welt schaffen kann: Der Energieverbrauch hat sich im letzten Jahrhundert versechzehnfacht und die Zahl der Autos allein in den letzten 60 Jahren verzwanzigfacht. Dabei ist der gegenwärtige Trend zu immer stärkeren, klimaschädlichen PS-Motoren gar nicht berücksichtigt.
Der amerikanische Stadtforscher Mike Davis schreibt, die Wohlstandsländer seien zwar für 42 Prozent der weltweit entstandenen Umweltschäden verantwortlich. Aber für die Kosten kommen sie nur in den seltensten Fällen auf. Was passiert schon mit der Himalajabevölkerung, die nach dem Abschmelzen der Gletscher unter knapper werdenden Wasserressourcen leidet und ihre Felder nicht mehr bewirtschaften kann? Und was geschieht mit den Bewohnern des Inseldorfs Sishmaref vor der Westküste Alaskas, nachdem der Permafrostboden aufzutauen begann? Der Klimawandel verstärkt die Erosion, der Boden unter den Häusern wird aufgeweicht und die Wasserversorgung erschwert.
Peter Sloterdijk verdeutlicht in seinem Beitrag, den er während der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen hielt, dass es auf dem Erdenrund keinen wirklich abseits gelegenen Ort geben kann: Das Himalaja-Gebirgsdorf oder auch Sishmaref gehören mit gleichem Recht zum Raumschiff Erden. Dabei besitzt das Raumschiff Erde – wie Sloterdijk hervorhebt – "keine Ausgänge, weder für den Notfall noch für den Normalfall." Der Karlsruher Philosoph schließt aus dieser unhintergehbaren Erkenntnis:
"Das In-der-Welt-Sein des Menschen, von dem die Philosophie des 2. Jahrhunderts sprach, enthüllt sich somit als ein An-Bord-Sein auf einem störungsanfälligen kosmischen Fahrzeug."
Da wir alle in einem Raumschiff sitzen, können Ignoranz und Unwissenheit der Passagiere, die Missachtung der Bedingungen an Bord, nicht mehr länger geduldet werden. Denn jedes Besatzungsmitglied muss – wie Sloterdijk formuliert – "an der Aufrechterhaltung lebbarer Verhältnisse an Bord interessiert sein". Natürlich tut sich die träge Masse Mensch schwer mit dem notwendigen Bewusstseinswandel. Und dennoch verlangt der erste Schritt, der hinwegführt von der Verschwendung unserer natürlichen Ressourcen, eine andere Einstellung zur Welt:
Wir können uns keine Freiheit mehr vorstellen, die nicht immer auch Freiheit zu riskanten Beschleunigungen einschließt, Freiheit zur Fortbewegung an fernste Ziele, Freiheit zur Übertreibung und Verschwendung. Dagegen zielt die Ethik der Zukunft geradewegs auf die Umkehrung der bisherigen Zivilisationseinrichtung. Sie verlangt Verminderung, wo bislang Vermehrung auf dem Plan stand, sie fordert Minimierung, wo bisher Maximierung galt.
Kehren wir diesen Trend nicht um, dann tun wir es Jules Vernes tragischem Weltumsegler Philes Fogg gleich, der, während seiner Atlantikpassage, in Ermangelung von Kohle damit begann, die Takelage des eigenen Schiffs zu verheizen. Die Verschwendung, als Stachel gegen das kühle Nützlichkeitsdenken, hatte lange auf Intellektuelle einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt. Diese Haltung hat endgültig ausgedient. Da die Erde nicht beliebig erweiterbar ist, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Wir müssen den Vorrang der Grenze vor dem Impuls der Überschreitung anerkennen. Der kalifornische Stadtsoziologe Mike Davis spinnt diesen Gedankengang weiter und fordert einen sozial-ökologischen Stadtumbau:
Wie wir alle wissen, bräuchten wir eine ganze Reihe von Planeten, um die gesamte Menschheit in Vorstadthäusern mit Garagen für zwei Autos und Vorgärten unterzubringen. Die Grundlage der umweltfreundlichen Stadt sind nicht unbedingt ein ökologischer Städtebau oder neuartige Technologien, sondern viel eher die Entscheidung, dem öffentlichen Wohl die Priorität vor dem individuellen Reichtum einzuräumen. Städte bieten enorme ökologische Möglichkeiten, die bislang noch völlig verkannt werden. Die Tragfähigkeit des Planeten Erde wird ausreichen, wenn wir bereit sind, nicht länger dem privaten Konsum, sondern den demokratischen urbanen Raum zum Motor von Nachhaltigkeit und Gleichheit zu machen.
"Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang" (mit Beiträgen von Paul J. Crutzen, Mike Davis, Michael D. Mastrandrea, Stephen H. Schneider, Peter Sloterdijk), Edition Unseld, Berlin 2011, 115. S., 10,00 Euro.
"Halten wir unser Handeln und unsere Eingriffe für unschuldig und gewinnen, dann gewinnen wir dennoch nichts, dann geht die Geschichte weiter wie bisher; verlieren wir aber, dann verlieren wir alles, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, uns auf irgendeine denkbare Katastrophe vorzubereiten. Und im umgekehrten Fall, in dem wir unsere Verantwortung gewählt hätten: Verlieren wir, verlieren wir nichts; gewinnen wir aber, gewinnen wir alles und bleiben gleichzeitig Akteure der Geschichte."
20 Jahre nach Michel Serres' Buch "Der Naturvertrag" sieht es nicht so aus, als ob die Politiker wirklich die Verantwortung auf sich genommen hätten: die Gletscher Grönlands und der Westantarktis schmelzen schneller als der Weltklimarat prognostiziert hatte; Meeresspiegel und Säuregehalt der Weltmeere steigen; Hitzewellen, Dürren, Flächenbrände und Wirbelstürme nehmen zu; und - last but not least – das Verbrennen fossiler Brennstoffe trägt in großem Umfang dazu bei, dass Treibhausgase freigesetzt werden.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Aber offenkundig müssen sie immer wieder aufs Neue verbreitet werden. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung verschanzt sich hinter der communis opinio: "Alles ist doch nicht so schlimm"; "letztendlich ist nichts bewiesen"; "die anderen ändern sich ja auch nicht"; oder auch, man kennt die Litanei: "es kommt auf das Wachstum an."
Um diesen Wust von Vorurteilen und Märchen endlich zu durchschneiden, haben sich der Chemie-Nobelpreisträger und Atmosphärenforscher Paul Crutzen, die Mitglieder des Weltklimarats Michael Mastrandrea und Stephen Schneider, der Stadtsoziologe Mike Davis und der Philosoph Peter Sloterdijk zu einer gemeinsamen Publikation zusammengefunden. Der verdienstvolle Sammelband, dessen Titel Buckminster Fullers Bonmot "Das Raumschiff hat keinen Notausgang" entlehnt ist, nähert sich dem Klimawandel aus verschiedenen Perspektiven: Vertreten ist die Sicht des Klimaforschers über die vom Menschen geprägte geologische Epoche des "Anthropozän"; die Mitglieder des Weltklimarats kommentieren den letzten Klimabericht; der Stadtsoziologe beurteilt die schädlichen ebenso wie die positiven Auswirkungen unserer Städte; und der Philosoph räsoniert über eine globale Ordnung, die dem Fetisch des Wachstums huldigt.
Der niederländische Forscher Paul Crutzen erinnert an zwei einfache Wahrheiten, die kein Wachstumseuphoriker aus der Welt schaffen kann: Der Energieverbrauch hat sich im letzten Jahrhundert versechzehnfacht und die Zahl der Autos allein in den letzten 60 Jahren verzwanzigfacht. Dabei ist der gegenwärtige Trend zu immer stärkeren, klimaschädlichen PS-Motoren gar nicht berücksichtigt.
Der amerikanische Stadtforscher Mike Davis schreibt, die Wohlstandsländer seien zwar für 42 Prozent der weltweit entstandenen Umweltschäden verantwortlich. Aber für die Kosten kommen sie nur in den seltensten Fällen auf. Was passiert schon mit der Himalajabevölkerung, die nach dem Abschmelzen der Gletscher unter knapper werdenden Wasserressourcen leidet und ihre Felder nicht mehr bewirtschaften kann? Und was geschieht mit den Bewohnern des Inseldorfs Sishmaref vor der Westküste Alaskas, nachdem der Permafrostboden aufzutauen begann? Der Klimawandel verstärkt die Erosion, der Boden unter den Häusern wird aufgeweicht und die Wasserversorgung erschwert.
Peter Sloterdijk verdeutlicht in seinem Beitrag, den er während der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen hielt, dass es auf dem Erdenrund keinen wirklich abseits gelegenen Ort geben kann: Das Himalaja-Gebirgsdorf oder auch Sishmaref gehören mit gleichem Recht zum Raumschiff Erden. Dabei besitzt das Raumschiff Erde – wie Sloterdijk hervorhebt – "keine Ausgänge, weder für den Notfall noch für den Normalfall." Der Karlsruher Philosoph schließt aus dieser unhintergehbaren Erkenntnis:
"Das In-der-Welt-Sein des Menschen, von dem die Philosophie des 2. Jahrhunderts sprach, enthüllt sich somit als ein An-Bord-Sein auf einem störungsanfälligen kosmischen Fahrzeug."
Da wir alle in einem Raumschiff sitzen, können Ignoranz und Unwissenheit der Passagiere, die Missachtung der Bedingungen an Bord, nicht mehr länger geduldet werden. Denn jedes Besatzungsmitglied muss – wie Sloterdijk formuliert – "an der Aufrechterhaltung lebbarer Verhältnisse an Bord interessiert sein". Natürlich tut sich die träge Masse Mensch schwer mit dem notwendigen Bewusstseinswandel. Und dennoch verlangt der erste Schritt, der hinwegführt von der Verschwendung unserer natürlichen Ressourcen, eine andere Einstellung zur Welt:
Wir können uns keine Freiheit mehr vorstellen, die nicht immer auch Freiheit zu riskanten Beschleunigungen einschließt, Freiheit zur Fortbewegung an fernste Ziele, Freiheit zur Übertreibung und Verschwendung. Dagegen zielt die Ethik der Zukunft geradewegs auf die Umkehrung der bisherigen Zivilisationseinrichtung. Sie verlangt Verminderung, wo bislang Vermehrung auf dem Plan stand, sie fordert Minimierung, wo bisher Maximierung galt.
Kehren wir diesen Trend nicht um, dann tun wir es Jules Vernes tragischem Weltumsegler Philes Fogg gleich, der, während seiner Atlantikpassage, in Ermangelung von Kohle damit begann, die Takelage des eigenen Schiffs zu verheizen. Die Verschwendung, als Stachel gegen das kühle Nützlichkeitsdenken, hatte lange auf Intellektuelle einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt. Diese Haltung hat endgültig ausgedient. Da die Erde nicht beliebig erweiterbar ist, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Wir müssen den Vorrang der Grenze vor dem Impuls der Überschreitung anerkennen. Der kalifornische Stadtsoziologe Mike Davis spinnt diesen Gedankengang weiter und fordert einen sozial-ökologischen Stadtumbau:
Wie wir alle wissen, bräuchten wir eine ganze Reihe von Planeten, um die gesamte Menschheit in Vorstadthäusern mit Garagen für zwei Autos und Vorgärten unterzubringen. Die Grundlage der umweltfreundlichen Stadt sind nicht unbedingt ein ökologischer Städtebau oder neuartige Technologien, sondern viel eher die Entscheidung, dem öffentlichen Wohl die Priorität vor dem individuellen Reichtum einzuräumen. Städte bieten enorme ökologische Möglichkeiten, die bislang noch völlig verkannt werden. Die Tragfähigkeit des Planeten Erde wird ausreichen, wenn wir bereit sind, nicht länger dem privaten Konsum, sondern den demokratischen urbanen Raum zum Motor von Nachhaltigkeit und Gleichheit zu machen.
"Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang" (mit Beiträgen von Paul J. Crutzen, Mike Davis, Michael D. Mastrandrea, Stephen H. Schneider, Peter Sloterdijk), Edition Unseld, Berlin 2011, 115. S., 10,00 Euro.