Draußen, vor dem geduckten Holzhaus mit dem wackeligen Windfang vor der Haustüre, stehen die Schneeraupen und warten auf ihren ersten Wintereinsatz. Drinnen in der Stube hat Clifford alles angesammelt, was man für ein sesshaftes Leben so braucht auf einer oft sturmumtosten kleinen Insel in der Tschuktschensee, ein paar Kilometer südlich des Polarkreises: Schuhe, Jacken, Handwerkszeug, ja selbst Baumaterialien liegen herum, an den Wänden hängen dicht an dicht Fotos, Plakate, alte Kalender, Uhren.
Die Eskimosprache Inupiaq stirbt aus
Clifford Weiyouana steht am Elektroherd und macht für sich und seine Freundin Florence Frühstück. Er ist 75. Sie ein bisschen jünger. Beide haben ledergegerbte Haut nach einem langen Leben draußen in der Natur, auf dem Eis und in der Sonne. Clifford war zeit seines Lebens Jäger. Er bespricht mit Florence, was sie zum Besuch bei ihrer Familie mitbringen soll. Sie sprechen Inupiaq, die Sprache ihres Eskimostammes der Inupiat.
Es mischen sich immer wieder englische Brocken in ihre Unterhaltung. Für manche Dinge fehlen dem Inupiaq schlicht die Worte - die Sprache ist wie aus der Zeit gefallen. Nur noch die Stammesältesten sprechen Inupiaq. Nicht mal Tina, seine Tochter, kann es mehr. Sie ist 42. Clifford sagt, er habe noch versucht, seinen Enkelkindern etwas Inupiaq mit auf den Weg zu geben. Aber er sei fast verrückt geworden, als sie immer wieder nachfragten: "Was hat Großvater gerade gesagt?"
Wenn wir gestorben sind, wird das Inupiaq nirgends mehr zu hören sein, sagt Clifford. Diese Sprache hinterlässt gewissermaßen nichts außer diesem kehligen Nachhall, der in Cliffords Stube schwingt. Inupiaq ist keine Schriftsprache - kein Buchstabe wird mehr an sie erinnern.
Es mischen sich immer wieder englische Brocken in ihre Unterhaltung. Für manche Dinge fehlen dem Inupiaq schlicht die Worte - die Sprache ist wie aus der Zeit gefallen. Nur noch die Stammesältesten sprechen Inupiaq. Nicht mal Tina, seine Tochter, kann es mehr. Sie ist 42. Clifford sagt, er habe noch versucht, seinen Enkelkindern etwas Inupiaq mit auf den Weg zu geben. Aber er sei fast verrückt geworden, als sie immer wieder nachfragten: "Was hat Großvater gerade gesagt?"
Wenn wir gestorben sind, wird das Inupiaq nirgends mehr zu hören sein, sagt Clifford. Diese Sprache hinterlässt gewissermaßen nichts außer diesem kehligen Nachhall, der in Cliffords Stube schwingt. Inupiaq ist keine Schriftsprache - kein Buchstabe wird mehr an sie erinnern.
Bedeutung des Wortes "Eis" schmilzt mit dem Klimawandel dahin
Beschleunigt wird dieser Prozess des schleichenden Niedergangs einer Kultur und einer Sprache just durch den Klimawandel. Denn Sarichef ist buchstäblich dem Untergang geweiht. Die Insel ist den Stürmen in der Tschuktschensee wehrlos ausgeliefert, seit sich im Spätherbst kein Packeis mehr schützend um die Insel legt. Es geht aber nicht nur ums Überleben der Insel, sagt Ken Stenek. Er ist Lehrer in Shishmaref. Es geht um eine ganze Kultur und deren Sprache.
"Wir verlieren unsere Sprache nicht, weil wir nicht versuchen würden, sie an die Kids weiterzugeben. Wir verlieren sie, weil wir Bedeutungen für die Worte verlieren - für das Wort Eis zum Beispiel."
"Wir verlieren unsere Sprache nicht, weil wir nicht versuchen würden, sie an die Kids weiterzugeben. Wir verlieren sie, weil wir Bedeutungen für die Worte verlieren - für das Wort Eis zum Beispiel."
Ken Stenek spricht von einem gewaltigen Anpassungsdruck, den der Klimawandel ausgelöst habe. Für die Tiere, die immer weiter in den Norden ziehen müssen, um noch ewiges Eis zu finden. Und für Jäger wie die Inupiat, die ihnen hinterherziehen müssen und sich nicht mehr sicher sein können, ob das Eis noch trägt. Diese Veränderung der Lebensbedingungen, dieser tiefe kulturelle Einschnitt offenbart sich zuallererst in der Sprache, sagt Ken.
"Es gibt im Inupiaq über 130 verschiedene Worte für Eis - ist es dickes Eis, ist es dünnes Eis, ist es neues Eis, ist es schmelzendes Eis. All diese verschiedenen Formen des Eises können wir mit einem eigenen Wort benennen. Diese Worte verlieren aber ihre Bedeutung, wenn es das Eis nicht mehr gibt."
"Es gibt im Inupiaq über 130 verschiedene Worte für Eis - ist es dickes Eis, ist es dünnes Eis, ist es neues Eis, ist es schmelzendes Eis. All diese verschiedenen Formen des Eises können wir mit einem eigenen Wort benennen. Diese Worte verlieren aber ihre Bedeutung, wenn es das Eis nicht mehr gibt."
Den Kindern wurde das Inupiaq ausgetrieben
Allerdings hat dieser sprachliche Erosionsprozess bereits eingesetzt, als vom Klimawandel noch keine Rede war. Dass der Sprache des Inupiaq die Worte wegbleiben, war durchaus geplant und beabsichtigt - und erscheint im Rückblick nur folgerichtig. Als er vor 65, 70 Jahren zur Schule ging, wurde den Kindern das Inupiaq geradezu ausgetrieben, erzählt Clifford.
"Wir hatten hier zwei Lehrer des Bureau of Indian Affairs und die haben uns nicht erlaubt, die Eskimo-Sprache zu sprechen. Sie haben uns bestraft, wenn wir es taten. Wir mussten eine Stunde in der Ecke stehen oder hundert Mal an die Tafel schreiben: Ich spreche kein Eskimo. Das war der Anfang vom Ende unserer Sprache."
Als die Inupiat 1920 auf der Insel Sarichef sesshaft gemacht wurden, damit sie nicht mehr als Nomaden herumzogen, damit ihre Kinder in die Schule gehen konnten und das Dorf Sishmaref in eine Kirche - da verlor ihre Sprache bereits ihr kulturelles Rückgrat: den nomadischen Kontext, den Geist und den Sinn ihres Wortschatzes.
"Wir hatten hier zwei Lehrer des Bureau of Indian Affairs und die haben uns nicht erlaubt, die Eskimo-Sprache zu sprechen. Sie haben uns bestraft, wenn wir es taten. Wir mussten eine Stunde in der Ecke stehen oder hundert Mal an die Tafel schreiben: Ich spreche kein Eskimo. Das war der Anfang vom Ende unserer Sprache."
Als die Inupiat 1920 auf der Insel Sarichef sesshaft gemacht wurden, damit sie nicht mehr als Nomaden herumzogen, damit ihre Kinder in die Schule gehen konnten und das Dorf Sishmaref in eine Kirche - da verlor ihre Sprache bereits ihr kulturelles Rückgrat: den nomadischen Kontext, den Geist und den Sinn ihres Wortschatzes.
Entfremdung von der eigenen Kultur
Heute gibt es zwar Inupiaq-Unterricht in der Schule von Shishmaref. Aber die erste Sprache ist längst Englisch und das Inupiaq kann sich unter den Jugendlichen nicht mehr behaupten. Mit Fernsehen, Internet und Smartphones veränderte sich indes nicht nur der Wortschatz, sondern auch der Horizont. Der Einbruch der elektronischen Welten verstärkte die Entfremdung von der eigenen Kultur. Die Jungen gehen nicht mehr jagen. Sie wollen in die nächste Stadt. Lehrer Ken Stenek sagt:
"Unserem Stamm ist der Zusammenhalt verloren gegangen. Und unsere Familien bieten bei all den Umbrüchen keinen sozialen Rückhalt mehr. Viele Kinder haben keine Widerstandskräfte mehr. Sie sind suchtanfällig, sei es für Drogen oder elektronische Geräte. Es kann auch sein, dass in den Familien einfach nicht mehr so viel miteinander geredet wird."
Ken Stenek beschreibt die Sprachlosigkeit einer Gesellschaft, der die Sprache förmlich abhandenkommt.
Ken Stenek beschreibt die Sprachlosigkeit einer Gesellschaft, der die Sprache förmlich abhandenkommt.
Keine Zukunft für die Inupiat
Das Inupiaq ist eine Sprache aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Kultur und aus einer anderen Welt. Diese Welt geht gerade unter. Und das müssen die Menschen in Shishmaref wörtlich nehmen. So gesehen ist es vielleicht kein Zufall, dass der Sprache der Inupiat ausgerechnet das Wort für "Zukunft" fehlt. Die Inupiat haben tatsächlich keine Zukunft mehr als Nomadenvolk im schmelzenden Eis der Arktis. Keine Zukunft als Volksstamm in Alaska. Und keine Zukunft als Sprachgemeinschaft.
"Ja, unsere Sprache stirbt", sagt Clifford nachdenklich, als er Florence noch ein Omelett auf den Teller legt. "Eigentlich ist das Inupiaq schon tot."