Jule Reimer: Zehn Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. 2,4 Millionen Menschen davon sind Flüchtlinge. Wie dramatisch die Situation rund um den Tschadsee in der afrikanischen Sahelzone ist, machen derzeit die Teilnehmer der gleichnamigen Konferenz klar, die noch bis heute in Berlin tagt.
Deutschland, Nigeria, Norwegen und die Vereinten Nationen haben dazu eingeladen. Betroffen sind neben Nigeria noch weitere Anrainerstaaten: Mauretanien, Mali, Niger und Burkina Faso. Die Region leidet vor allem unter dem Vordringen islamischer radikaler Gruppen wie Boko Haram, aber auch unter starken Umweltveränderungen wie dem Austrocknen des Tschadsees.
2,17 Milliarden US-Dollar Hilfen wurden jetzt in Berlin zugesagt. Am Telefon ist Dennis Tänzler, Direktor für internationale Klimapolitik bei der Denkfabrik adelphi, die auch das Auswärtige Amt berät. Herr Tänzler, erst mal zu den Ursachen. Wie ist Ihre Einschätzung? Wieviel des Austrocknens des Tschadsees ist auf die Klimaerwärmung zurückzuführen?
Dennis Tänzler: Guten Tag, Frau Reimer. Sie haben eben in dem Beitrag ja aus Bangkok anklingen lassen: Der Klimawandel ist real. Das zeigt sich auch am Tschadsee. Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass die Niederschlagsmuster sich ständig verändern, dass gegenwärtig, aber auch in Zukunft sich die Temperaturen ändern. Davon sind in der Tat eine ganze Reihe von Bevölkerungsgruppen betroffen, die nicht in demselben Maße ihrer landwirtschaftlichen Produktion nachgehen können und nach Alternativen suchen.
Klimawandel und Sicherheit
Reimer: Das heißt praktisch? Sie fliehen oder sie schließen sich den Terroristen an?
Tänzler: Genau. Sie müssen sich zum Teil umorientieren. Zum Teil gilt diese Voraussetzung, die sich durch den Klimawandel, aber auch insgesamt in der Region durch übergeordnete sozioökonomische Entwicklungen darstellen, als Nährboden für terroristische Gruppierungen. Das heißt, jede Stabilität oder jede Stabilisierung in dieser Region muss auch die Faktoren, die mittel- bis langfristigen Faktoren auch des Klimawandels mit in Betracht ziehen.
Reimer: Es ist bereits auch viel Geld für die militärische Bekämpfung von Boko Haram bereitgestellt worden in der sogenannten Sahel-Allianz, um die Sicherheit dort zu erhöhen. Sicherheit ist klar eine Voraussetzung für Frieden, auch für Entwicklung. Haben Sie das Gefühl, dass da die Relationen für die Aufmerksamkeit im Vergleich zur militärischen Sicherheit, aber auch zur Umweltsicherheit richtig ist?
Tänzler: Ich glaube, insgesamt ist das Problem in der Tschadsee-Region durchaus auch in der deutschen Außenpolitik erkannt. Auch die erwähnte Sahel-Allianz hat ja Fördermaßnahmen in den Bereichen wie ländliche Entwicklung, Klimaenergie, Dezentralisierung vorgesehen. Auch Jugendbeschäftigung ist ein ganz wichtiger Bereich. Was wir aber darüber hinaus wahrnehmen, ist es natürlich immer noch so, dass dass jetzt auch gestern im Auswärtigen Amt sicherlich nicht Klimawandel und Sicherheit zuvorderst auf der Agenda gestanden hat, sondern dass hier immer noch vielfach in unterschiedlichen Silos agiert wird.
Das bedeutet, dass die Maßnahmen an sich nicht sinnvoll verknüpft sind, dass viele dieser Stabilisierungsmaßnahmen gar nicht unbedingt die zukünftige Bedeutung des Klimawandels auf dem Schirm haben. Was wir versuchen, dagegen zu tun, ist, auch in der internationalen Kooperation zum Beispiel anzufangen, integrierte Risikoabschätzungen vorzulegen, um diese Zusammenhänge aufzuzeigen, wie ein Schwinden von fruchtbarem Ackerland mit der Rekrutierung von Terroristen zum Beispiel zu tun hat.
"Deutschland hat eine Vorbildfunktion"
Reimer: Und die wiederum auch Flüchtlinge auf den Weg bringen. – Werden Sie da gehört?
Tänzler: Ich glaube, was wir an sich sehr wohl wahrnehmen können, ist, dass Deutschland sich international dafür einsetzt, dass diese Zusammenhänge stärker in den Fokus gerückt werden. Der Außenminister hat in New York im März deutlich gemacht, dass für die kommende VN-Sicherheitsrats-Präsidentschaft oder Zeit der nicht ständigen Mitgliedschaft der Bundesrepublik auch Klimakonflikte mit auf der Agenda stehen werden. Gleichzeitig werden an sich schon länger über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit vielfältige Maßnahmen angeschoben.
Reimer: Aber müssten wir dann auch nicht ganz schnell hier die Braunkohlekraftwerke abschalten?
Tänzler: Ja, das ist ein guter Punkt. Im Grunde mag es erst mal etwas weit weg erscheinen, wenn man jetzt die Schließung von Kohlekraftwerken in Neurath oder Niederaußem diskutiert unter dem Gesichtspunkt, was das mit der Sicherheitssituation am Tschadsee zu tun hat. Aber Deutschland hat eine Vorbildfunktion. Die hat es auch immer eingenommen in der internationalen Klimapolitik. Und es wird sehr genau beobachtet, ob die Klimaziele in Deutschland eingehalten werden oder nicht. Diese Diskussion ist das, was man vermutlich damit zusammenfassen würde, dass auch die Hausaufgaben erledigt werden müssen.
Reimer: Vielen Dank für diese Informationen an Dennis Tänzler, Direktor für internationale Klimapolitik bei der Denkfabrik adelphi.
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