Der dumpfe Klang von hölzernen Glocken schallt über die sandige Ebene. Eine Herde Kamele zieht mit majestätischen Schritten zwischen dornigen Büschen und vereinzelten Akazien hindurch. Die Tiere fressen das lange gelbe Gras und zupfen Blätter von den Bäumen. Ein riesiger Hengst, alle anderen Stuten und Jungtiere – 130 insgesamt.
"Das ist großer Reichtum. Meine Familie ist von den Tieren abhängig. Ich habe vier Männer eingestellt, die sich um die Kamele kümmern."
Maryam Alinada stammt aus Isiolo, einem Städtchen mitten in einer der vielen Halbwüsten in Kenia. Die Menschen hier leben von der Viehzucht: Ziegen, Schafe, ein paar Kühe – und Kamele. Ihre Zahl hat sich in ganz Kenia verdreifacht in den vergangenen Jahren. Seit der Klimawandel immer häufigere und längere Dürren bringt.
"Du musst Kamele haben, sonst bist Du in Schwierigkeiten, wenn es eine Dürre gibt. Kamele fressen alles, solange sie Wasser kriegen. Die anderen Tiere halten die Dürre nicht aus, sie sterben."
Frauen-Kooperative Anileo
Kamele hat es in Isiolo schon immer gegeben, aber Sofia Ahmed hat sich mit anderen Frauen aus der Stadt zusammengetan, um sie professionell zu vermarkten. Ihre Kooperative heißt Anileo, hat bereits 100 Mitglieder und verkauft vor allem Milch.
Die Kamelstute röhrt empört. Einer der Hirten hat ihr ein Vorderbein hochgebunden, damit sie beim Melken nicht davonlaufen kann.
Die Milch fließt in einen knallgelben Plastikkanister. Eine ganze Reihe davon steht schon gefüllt im Schatten und wartet auf das Motorradtaxi, das sie in die Stadt bringt.
"Es muss jeden Moment hier sein, es fährt nur noch bei einer anderen Herde vorbei und kommt dann zu uns."
Jede Minute zählt, sagt Maryam Alinada, denn in der Hitze wird die Milch schnell sauer. Der Transport zum Kühler in der Stadt dauert rund eine Stunde. Jetzt, in der Regenzeit, wenn die Herde auf der Suche nach Futter und Wasser nicht bis zu hundert Kilometer weit wandern muss.
"In der Trockenzeit müssen wir mit größeren Mengen Milch rechnen, die schlecht geworden ist. Im Moment ist der größte Teil, den wir bekommen, von guter Qualität."
Gerald Mudevi ist Lebensmittelchemiker und arbeitet in der Milchsammelstelle der Kooperative im Zentrum von Isiolo.
Eine Gruppe Frauen wartet am Eingang des großen Lagerhauses auf die Lieferung von ihren Kamelherden. Ein paar dutzend Plastikkanister sind schon da - jeder einzelne fein säuberlich mit dem Namen der Eigentümerin beschriftet, damit sie nach dem Verkauf ihren gerechten Anteil am Erlös bekommt.
"Wir registrieren, wieviel Liter jedes Mitglied abgeliefert hat. Dann wird die Milch durch ein Sieb gegossen und in diesem Auffangtank gesammelt. Von dort geht sie in den Kühltank."
Nachdem Gerald Mudevi jeden Kanister auf Verunreinigungen und Bakterien getestet und für gut befunden hat. Der Kühltank fasst 3.500 Liter und wurde der Kooperative von Hilfsorganisationen aus den Niederlanden und der Schweiz gestiftet. Sofia Ahmed:
"Sie haben uns auch geschult. Wir haben alles über Hygiene und Sauberkeit gelernt, über Geschäftsführung, über das Bankwesen. Davon hatten wir vorher keine Ahnung. Sie haben uns in vielen Dingen geholfen."
Kamelmilch wird beliebter
Das Geschäft mit der Kamelmilch lohnt sich. Zwar sind die Tiere relativ teuer: Rund 150.000 Shilling für ein Kamel, knapp 1.200 Euro. Eine Milchkuh gibt es – je nach Rasse – schon für die Hälfte. Aber dafür zahlen die Großhändler in Nairobi für den Liter Kamelmilch auch fast doppelt so viel wie für Kuhmilch.
"Seit die Regierung in Somalia gestürzt wurde, sind viele Somalier nach Kenia gekommen. Sie sind unsere besten Kunden."
Weil sie traditionell an Kamelmilch gewöhnt sind. Aber inzwischen sind auch andere auf den Geschmack gekommen. Gerald Mudevi etwa hat früher ausschließlich auf Kuhmilch geschworen. Jetzt nicht mehr:
"Kamelmilch ist lecker. Und sie ist gut für die Gesundheit. Der Vitamin C-Gehalt ist höher als in Kuhmilch. Und die Rohmilch enthält Stoffe, die das Immunsystem stärken."
Dazu Eisen, B-Vitamine und ungesättigte Fettsäuren – ein guter Kaufanreiz für die gesundheitsbewusste Mittelschicht in Kenia und anderswo in der Welt. Maryam Alinada ernährt mit dem Milchverkauf schon jetzt ihren Mann und die acht Kinder:
"Ich zahle die Schulgebühren und habe ein Haus gebaut. Alles aus der Kamelmilch. Außerdem habe ich eine Herde Ziegen und Schafe gekauft und in zwei Läden investiert. Einen für Lebensmittel und einen für Kleider."
Wenn die Nachfrage nach Kamelmilch weiter steigt, dann können die Geschäfte für sie und die Kooperative nur besser gehen. Die Frauen haben bereits Pläne gemacht: Sie wollen in Zukunft auch Joghurt und Käse nach Nairobi verkaufen – und ihre Produkte irgendwann in alle Welt exportieren.