Sulfurylfluorid
Deutschlands unbekanntes Klimagas

Sulfurylfluorid soll 7500-mal klimaschädlicher sein als CO₂. Sein Einsatz wächst, vor allem durch das Pestizid ProFume in der Holzindustrie. Jetzt fordern Umweltverbände ein Verbot. Wie gefährlich ist das Gas wirklich? Und gibt es Alternativen?

    Ein Bagger greift zwei Holzstämme. Im Hintergrund sieht man mehrere Container.
    Mit dem Pestizid ProFume werden Holzstämme in Containern begast, bevor sie exportiert werden. So soll verhindert werden, dass Schädlinge wie rinden- und holzbrütende Käfer in andere Länder gelangen und dort die Wälder schädigen. (picture alliance / Rupert Oberhäuser / Rupert Oberhäuser)
    CO₂ und Methan sind als Treibhausgase bekannt – aber es gibt ein weiteres Klimagas, das bisher kaum beachtet wird: Sulfurylfluorid. Es steckt unter anderem in einem Pestizid, das in der Holzindustrie weit verbreitet ist und soll tausendfach klimaschädlicher sein als CO₂. Jetzt klagen verschiedene Umweltverbände beim Verwaltungsgericht Braunschweig auf ein Verbot. Was steckt hinter dem Gas mit dem komplizierten Namen – und wie gefährlich ist es wirklich?

    Inhalt

    Was ist Sulfurylfluorid und wo wird es eingesetzt?

    Sulfurylfluorid ist ein farb- und geruchloses, giftiges Gas und wird für die Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Ein bekanntes Produkt mit Sulfurylfluorid ist das Pestizid ProFume. Es wird vor allem genutzt, um Lebensmittel und Holz vor Schädlingen zu schützen. Im Vorratsschutz kommt es etwa bei Kakao und Schalenobst zum Einsatz, damit sich keine Insekten darin vermehren. Außerdem wird es in Mühlen, Speichern, Lagern und Silos eingesetzt, um dort Motten, Käfer und andere Vorratsschädlinge zu bekämpfen.
    In Deutschland wird Sulfurylfluorid beziehungsweise ProFume vor allem für den Holzschutz eingesetzt. Das Pestizid wird in Häfen genutzt, um Holz zu behandeln, bevor es exportiert wird. So soll verhindert werden, dass Schädlinge wie rinden- und holzbrütende Käfer – zum Beispiel der Borkenkäfer – in andere Länder gelangen und dort die Wälder schädigen. Gerade China, als Hauptabnehmer für deutsches Laub- und Nadelholz, verlangt für Holz mit Rinde eine anerkannte Quarantänebehandlung, meist durch die Begasung mit Sulfurylfluorid oder dem ozonschädigenden Methylbromid, das in der EU allerdings verboten ist.
    In Deutschland hat die Verwendung von Sulfurylfluorid in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Grund dafür sind die Folgen von Trockenheit und Schädlingsbefall, etwa durch den Borkenkäfer, die dazu führten, dass mehr Bäume gefällt und exportiert wurden. Laut Umweltinstitut München stieg der Einsatz von 50 Tonnen im Jahr 2015 auf 200 Tonnen im Jahr 2020 in Deutschland, im Hamburger Hafen sogar von 17 auf bis zu 230 Tonnen pro Jahr.
    Auch weltweit nimmt die Nutzung von Sulfurylfluorid zu, besonders in den USA. In Kalifornien entstehen laut einer Studie, die in der Fachzeitschrift Nature erschienen ist, 60 bis 85 Prozent der US-Emissionen und 5,5 bis 12 Prozent der weltweiten Emissionen dieses Gases. Der Hauptgrund ist die Begasung von Gebäuden, um Schädlinge wie Trockenholztermiten zu bekämpfen.

    Wie klimaschädlich ist Sulfurylfluorid?

    Sulfurylfluorid wird laut Umweltbundesamt in der EU als Ersatz für das ozonschädigende Methylbromid eingesetzt, weil Methylbromid dort seit 2010 aufgrund des Montreal-Protokolls verboten ist. Sulfurylfluorid greift zwar nicht die Ozonschicht an, besitzt aber ein hohes Treibhauspotenzial. Das Gas ist laut Hauke Doerk vom Umweltinstitut München und dem sechstem Sachstandsbericht des Weltklimarats rund 7.500-mal so klimaschädlich wie CO₂ – in einem Vergleichszeitraum von 20 Jahren. „Das heißt, dass kleine Mengen eine riesengroße Wirkung erzielen“, so Doerk. Es bleibt dabei durchschnittlich 36 Jahre in der Atmosphäre, bevor es abgebaut wird.
    Allein 2022 entsprachen die Sulfurylfluorid-Emissionen aus Deutschland nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe rund drei Millionen Tonnen CO2. Das entspricht etwa den jährlichen Emissionen einer Stadt der Größe von Wiesbaden. Neben den Klimaschäden ist das Gas außerdem gesundheitsschädlich.

    Warum klagen die Umweltverbände gegen das Pestizid ProFume?

    Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), das Umweltinstitut München und Protect the Planet haben am 20. März 2025 eine Klage beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht, um den Einsatz des Sulfurylfluorid-haltigen Pestizids ProFume zu stoppen. Ziel sei ein Verbot von Sulfurylfluorid, mindestens aber sollen Firmen verpflichtet werden, das Gas nach der Anwendung unschädlich zu machen.
    Im Vergleich zu den Treibhausgasen CO₂ und Methan wird Sulfurylfluorid zwar in kleineren Mengen freigesetzt. Doch gerade,weil es sich um eine Nischenanwendung handle, sei die Klima-Auswirkung unverhältnismäßig, so Hauke Doerk vom Umweltinstitut München.  
    „Nach den uns vorliegenden Informationen hat die deutsche Zulassungsbehörde BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) bei der Zulassung von ProFume die Klimaschädlichkeit nicht betrachtet“, sagt Caroline Douhaire, Rechtsanwältin, die die DUH in dem Verfahren vertritt. Dies widerspreche dem Gebot, den Klimaschutz bei allen behördlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Außerdem wird in der Klage kritisiert, dass die Zulassung von ProFume 2024 ohne erneute Risikoprüfung verlängert wurde. Wie lange das Gerichtsverfahren dauern wird, ist noch nicht absehbar.

    Was könnte ein Verbot von ProFume europaweit bedeuten?

    Grundsätzlich ist die absichtliche Freisetzung von Sulfurylfluorid verboten, dies regelt die EU-Verordnung über fluorierte Treibhausgase (F-Gase-Verordnung). Allerdings enthält die Verordnung laut Hauke Doerk vom Umweltinstitut München eine Ausnahmeregelung, die dazu führe, dass in der Praxis keine wirklichen Einschränkungen bestehen. Dadurch bleibe der Einsatz von Sulfurylfluorid weitgehend unreguliert.
    Die Umweltorganisationen sehen die besten Erfolgschancen für ein Verbot von ProFume auf der nationalen Ebene. „Denn sowohl Risikominderungsmaßnahmen für Pestizide als auch die Umsetzung der Klimaziele werden auf nationaler Ebene festgelegt“, schreibt das Umweltinstitut München. „Ein Erfolg vor Gericht könnte als Blaupause für Klagen in anderen EU-Staaten dienen und setzt ein starkes Zeichen für einen Ausstieg aus Sulfurylfluorid und einen besseren Klimaschutz auf europäischer Ebene“, heißt es weiter.

    Welche Alternativen gibt es zu Sulfurylfluorid?

    Es gibt bereits mehrere Alternativen zu Sulfurylfluorid. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zur Vermeidung der klimaschädlichen Wirkung von Sulfurylfluorid gehören dazu physikalische Methoden wie die Wärmebehandlung (Dampf, Heißwasser, Mikrowellen bei 71,1 Grad Celsius für 75 Minuten), Trocknung oder die Wasserlagerung für 90 Tage. „All das wird aber aus logistischen und wirtschaftlichen Gründen nicht angewendet“, sagt Hauke Doerk. 
    Auch andere Begasungsmittel sind möglich, zum Beispiel Dicyan (EDN), das in Australien, Südkorea und Neuseeland eingesetzt wird. Allerdings hat es in der EU noch keine Zulassung. Auch Phosphorwasserstoff (PH3) ist eine Alternative, doch auch dieses Gas ist in der EU nicht für die Holzbehandlung erlaubt.
    China, der wichtigste Abnehmer von deutschem Holz, verlangt für entrindetes Holz keine weitere Behandlung, außer wenn sich Schädlinge im Holz befinden. Für neue Begasungsverfahren wie Dicyan oder Phosphorwasserstoff fordert China aber wissenschaftliche Nachweise, bevor sie anerkannt werden.
    Zusätzlich wird an Techniken geforscht, um das Sulfurylfluorid nach der Anwendung abzusaugen. Doch laut Doerk könnte auch hier am Ende das Argument der zu hohen Kosten verhindern, dass diese Methode wirklich genutzt wird.

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