Der Ozean vor Australien. Da denkt man sofort an das berühmteste Korallenriff der Welt: das Great Barrier Reef im tropischen Nordosten des fünften Kontinents. Doch weiter im Süden ist das Klima gemäßigt. Dort gibt es zwar auch Riffe vor der Küste. Aber die bestehen nicht aus Korallenstöcken, sondern aus Felsen, auf denen Kelp wuchert. Das ist brauner Seetang, eine äußerst wuchskräftige Großalge. Man spricht auch von "Kelp-Wäldern" im Ozean. Und das völlig zurecht, so Thomas Wernberg, gebürtiger Däne und Meeresökologe an der Universität von West-Australien:
"Kelp-Wälder" sind wirklich ein bisschen wie Wälder an Land. Es sind dichte Ansammlungen von Seetang. Die Algen bilden Stängel aus, die tatsächlich so groß wie Bäume werden können. Es gibt auch ein Kronendach. Manchmal reicht es bis zur Wasseroberfläche. Die Kelp-Bestände haben auch ähnliche Funktionen wie Wälder. Sie produzieren große Mengen Biomasse und bieten vielen Tierarten Lebensraum und Nahrungsgrundlage. Fische zum Beispiel können sich dort gut verstecken und jagen."
Hitzestress in Seetang-Wäldern
Wernberg und andere Forscher schildern jetzt einen Fall, in dem dieses Meeresökosystem stellenweise komplett verschwunden ist, und das innerhalb kürzester Zeit. Auslöser war eine marine Hitzewelle vor der australischen Westküste um die Jahreswende 2010/2011, also im Südsommer. Dadurch gingen 2.300 Quadratkilometer Kelpwald zu Grunde - eine Fläche fast so groß wie Luxemburg. "Diese Hitzewelle dauerte mehr als zehn Wochen. Die Meerestemperaturen lagen bis zu sechs Grad über den Normalwerten für diese Jahreszeit. Kelp-Wälder sind an kühleres Wasser angepasst. Für sie wurde der Hitzestress zu groß. Und auf einer Küstenlänge von über 300 Kilometern starben viele der Bestände ab."
Die Forscher haben die Kelp-Friedhöfe zuletzt im vergangenen Jahr inspiziert. Und keinerlei Anzeichen für die Rückkehr der Braunalgen finden können, wie sie sagen. Der Meeresboden sei nun mit dichten Teppichen flachwüchsiger Algen bedeckt. Vor der Küste West-Australiens tummelten sich immer mehr wärmeliebende tropische und subtropische Arten wie Kaninchen- und Papageienfische. "Die neuen Algen bilden dichte Rasen und setzen sich mit Sedimenten zu. Das hindert den großen Seetang daran, sich wieder auf den Felsen anzusiedeln. Und wenn es ihm doch gelänge, würde er von den neueingewanderten Fischen verspeist. Das sind fast alles Pflanzenfresser, die den Algen-Rasen abweiden."
Refugien der Artenvielfalt
Auch an der Pazifikküste Kaliforniens erlitten Kelp-Wälder schon Hitzeschocks durch stark gestiegene Wassertemperaturen. Doch sie erholten sich wieder. Für Thomas Wernberg ist die Situation in Australien grundsätzlich anders: "Die Hauptströmung vor der Küste West-Australiens verläuft von Norden nach Süden. Sie schafft also nur noch mehr Arten aus den Tropen heran, die den Wiederaufwuchs von Seetang verhindern. Deswegen glauben wir, dass wir es hier mit einem dauerhaften Problem zu tun haben."
Global gesehen wächst Kelp-Wald vor einem Viertel aller Meeresküsten. Mindestens 30 Prozent der Tierarten, die man in diesem Ökosystem antrifft, kommen nur dort vor, wie Biologen vermuten. Die Seetang-Bestände sind also Refugien der Artenvielfalt. Und zudem wichtige Fanggründe für die Fischerei.
Doch nach Thomas Wernbergs Einschätzung sind die Aussichten für das hitzeempfindliche Meeresökosystem düster: "Marine Hitzewellen beginnen sich gerade erst so richtig zu entwickeln. Und sie werden immer häufiger auftreten. Das sagen alle Klima-Projektionen. Für die Kelp-Wälder wird es also immer schwieriger, sich von Hitzeschocks zu erholen. Alle Welt macht sich Sorgen um tropische Korallenriffe. Mit unserer Studie zeigen wir jetzt, dass auch die Kelp-Wälder der gemäßigten Zonen empfindlich auf Klimaeinflüsse reagieren."