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Klimawandel und Wintersport
"Der Sport muss den Umweltregeln folgen"

In 50 Jahren werde es zwar noch Wintersport geben - aber nicht mehr so wie heute, glaubt Hans Bruyninckx. "Wir müssen keine Sportarten verbieten", sagte der Direktor der Europäischen Umweltagentur im DLF: "Auf zynische Weise wird das sich ändernde Wetter und Klima selbst dafür sorgen."

Hans Bruyninckx im Gespräch mit Andrea Schültke |
    Schneekanone auf einer Skipiste am Fuße des Fichtelbergs in Oberwiesenthal, Sachsen.
    Der Einsatz von Schneekanonen in der Wintersportindustrie hat Folgen - zum Beispiel auf den Grundwasserspiegel, sagt Hans Bruyninckx, der Direktor der Europäischen Umweltagentur. (dpa / picture alliance / Jan Woitas)
    Andrea Schültke: Herr Bryninckx, die diesjährige Wintersportsaison ist auf dem Sölden Gletscher in Österreich gestartet - was glauben Sie, wie lange es diesen Gletscher noch geben wird?
    Hans Bruyninckx: Es ist natürlich ein wenig schwierig vorherzusagen, wie lang dieser eine spezielle Gletscher in Sölden noch existieren wird. Aber wir haben mit speziellen Verfahren, unter anderem Satelliten-gestützt, beobachtet, was mit Gletschern in Europa und natürlich auch weltweit geschieht. Und in Europa wissen wir, dass sich Gletscher in den letzten 100 Jahren zurückentwickelt haben. Und dass dieser Prozess seit den 1980er Jahren immer schneller voranschreitet. Deshalb kann man mit gutem Grund davon ausgehen, dass der Gletscher in Sölden davon genauso weiter betroffen sein wird. Und das wird natürlich auf das Skifahren und andere Wintersportarten, die man dort ausüben kann, Einfluss haben.
    Schültke: Im vergangenen Winter mussten viele Weltcupveranstaltungen verlegt werden, weil kein Schnee da war. Andere konnten nur durch den intensiven Einsatz von Schneekanonen stattfinden. Wie beurteilten Sie solche Veranstaltungen unter dem Gesichtspunkt von Umweltschutz und Nachhaltigkeit?
    Bruyninckx: Wenn Sie auf die erste Reaktionsstrategie anspielen, nämlich den künstlichen Schnee: Der Anteil künstlichen Schnees ist in den letzten zehn Jahren in manchen Fällen von 10 Prozent auf 25 bis 30 Prozent in den Skigebieten gestiegen. Man erkennt ernsthafte Auswirkungen auf die Umwelt, zum Beispiel auf den Grundwasserspiegel. Denn natürlich werden Chemikalien verwendet, um Kunstschnee herzustellen. Und deswegen wird auch die Umwelt beeinflusst. Das ist der eine Punkt, der nächste ist, auf lange Sicht gesehen, dass es nicht unbedingt durchführbar ist, eine solch massive Skiindustrie aufrechtzuerhalten, wenn sich das Klima weiter so ändert. Was wir allerdings bei vielen Skigebieten beobachten, ist, dass man versucht, auch die Sommersaisons stärker zu nutzen, indem man die vorhandene Infrastruktur nutzt, um Sommer-Sportarten attraktiv zu machen, wie Mountainbiking und andere Outdoor-Aktivitäten in den Bergen.
    Schültke: Welche Verantwortung hat der Sport für die Umwelt und nimmt er diese Verantwortung überhaupt wahr?
    Bruyninckx: Nun, es gibt einmal die Sportlergemeinschaft, die sich erst sehr spät überhaupt ernsthaft Gedanken gemacht hat zu Umweltthemen oder etwa zum Klimawandel. Und wenn man sich dann die großen Sportverbände anschaut, die dem Internationalen Olympischen Komitee angehören – da wurde erst vor kürzester Zeit überhaupt über solche Dinge gesprochen oder reflektiert. Sie machen sich ziemlich wenig Gedanken, welchen Beitrag sie selbst zu dieser Debatte leisten können und überhaupt, was mit ihrem Sport passiert in der Zukunft. Einige dieser Verbände, wie zum Beispiel Ski- oder Segelverband, wissen, dass sie und ihr Sport abhängig sind von den unterschiedlichen Wetterbedingungen wie Wind, Schnee, Regen und so weiter. Australien, eine der größten Sportnationen der Welt, hat, wahrscheinlich weil das ein Teil ihrer Kultur und ihres Nationalstolzes ist, eine sehr gewissenhafte Studie in Auftrag gegeben über den Einfluss von Klimawandel auf den australischen Sport. Und die Einschätzungen gehen dahin, dass zahlreiche Sportarten nicht mehr möglich sein werden, wegen der Hitze, wegen Dürre, wegen Wind und wegen fehlenden Schnees.
    Schültke: Müsste der Wintersport verboten werden?
    Bruyninckx: Es liegt natürlich nicht in meiner Macht zu fordern, Wintersport soll oder muss verboten werden. Ich denke, es sollte klar sein: was auch immer der Sport tut, sollte legal sein in Bezug auf die Umweltgesetzgebung. Diese wird immer strenger. Europa und die einzelnen Nationen müssen dafür sorgen, klare Regeln aufzustellen, denen der Sport zu folgen hat. Sport hat leider in der Vergangenheit gezeigt, dass man denkt, man sei außerhalb aller Regeln. Das zeigt zum Beispiel der Rassismus in den Fußballstadien, die Gewalt im Sport oder auch das Vorgehen im finanziellen Bereich, im Management. Die Sportwelt wird sich dagegen wehren, Regeln zu akzeptieren. Aber es ist natürlich klar, dass die den strikten Umweltregeln folgen müssen. Ich denke, wenn das Klima sich weiter ändert, müssen wir keine Sportarten verbieten. Auf zynische Weise wird das sich ändernde Wetter und Klima selbst dafür sorgen.
    Schültke: Wird es in 50 Jahren Wintersport geben?
    Bruyninckx: Ja - aber nicht mehr so wie heute. Denn in manchen Regionen wird die Saison kürzer, viel kürzer sein als heute. Und das wird für einige Standorte nicht länger rentabel genug sein. Deshalb werden die Möglichkeiten wohl eher limitiert sein. Aber dennoch denke ich, dass Wintersport in 50 Jahren noch möglich ist. Wenn wir das Pariser Klimaabkommen nicht mit aller Ernsthaftigkeit umsetzen, habe ich mehr Bedenken für die Zeit ab 2100. Speziell für Europa. Wenn man allein an die Alpen denkt, dürfte klar sein, dass wir vor sehr hohen Herausforderungen stehen.
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