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Usama Al Shahmani: „Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt“
Klopfen an die Tür des Exils

In seinem dritten Roman kehrt der irakisch-stämmige Autor Usama Al Shahmani noch einmal zum Grundmotiv seines Schreibens zurück. Im Klang der Worte und in der Nähe zur Natur versucht er, eine Verbindung zwischen Heimat und Exil zu finden.

Von Cornelius Wüllenkemper |
Usama Al Shahmani: "Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover
Der Klang der Worte und Kontakt zur Natur - der dritte Roman des aus dem Irak stammenden Autors (Buchcover: Limmat-Verlag / Foto: Ayşe Yavaş)
Usama Al Shahmani betitelt seine Romane nach irakischen Sprichwörtern. Die arabische Sprache, Redewendungen und Volksweisheiten, bilden das stärkste Band, das den Autor und auch die Protagonisten seiner Romane mit der Heimat verbindet. Es sind Geflüchtete, die versuchen, in der für sie so sonderbar geordneten Schweiz ein neues Zuhause zu finden. Die Hauptfigur im vorliegenden Roman heißt Dafer und trägt deutliche autobiographische Züge: 1971 im Südirak geboren, Literatur-Doktorand an der Universität Bagdad, eine wissenschaftliche Arbeit zur Gruppe 47, 2002 dann die überstürzte Flucht vor den Schergen des Diktators Saddam Hussein wegen der Inszenierung eines kritischen Theaterstücks. Die Schweiz bietet Dafer ein sicheres, geordnetes Leben, sein Glück findet er dort nicht.
„Dafer sitzt an seinem Küchentisch und wartet, worauf, weiß er nicht. Es ist Nacht, spät ist er von der Arbeit gekommen. Ab morgen hat er Ferien. Zwangsferien, das Restaurant wird umgebaut. Müde sitzt er da und denkt nach. Ihm ist, als klopfe er an die Tür seines Exils, wie so manchen Tag. Weder wird die Tür geöffnet, noch hört er auf zu klopfen. Er weiß nicht, wie dieses Dilemma ein Ende nehmen soll.“
Das vergebliche Klopfen an der Tür des Exils, die seelische Zerrissenheit zwischen zerstörter Heimat und Sicherheit in der Fremde, ist ein geläufiges Motiv der Fluchtliteratur und findet sich etwa auch bei Usama Al Shahmanis Landsmann Abbas Khider.

Entfremdung beim Besuch in der einstigen Heimat

Al Shahmani macht diesen Konflikt zum Grundtenor seines Werkes, und tatsächlich hat man viele Themen und Motive des neuen Romans nur leicht abgewandelt bereits in seinen Vorgängerwerken gelesen: So etwa die Flucht aus dem Irak, das erniedrigende Asylverfahren in Europa, die Bedeutung der Sprache für die Verknüpfung von Gegenwart und Erinnerung, die enge Verbundenheit mit der Natur und die Entfremdung beim Besuch in der einstigen Heimat.
„Es kann ja sein, dass man durch seine Heimat die Welt versteht, aber man versteht sich selbst erst, wenn man in der Fremde ist, dachte er und betrachtete vom Flugzeug das dichte, grüne Feld der Dattelbäume, bis es aus seinem Blickfeld verschwand. Er hatte das Gefühl, seine Heimat zweimal verloren zu haben: Das erste Mal, als er fliehen musste, und das zweite Mal, als er sie wiedersah.“
Al Shahmani wechselt zwischen der Erzähl-Gegenwart und Erinnerung: Im Urlaub als Angestellter eines Schweizer Restaurants unternimmt sein Protagonist Dafer Wanderausflüge und reflektiert über sein Leben in der Exil-Gesellschaft. In episodenhaften Erinnerungspassagen denkt er dabei an seine Jugend im Krieg, an Angst und Gewalt unter der irakischen Diktatur nach Saddam Husseins Machtergreifung 1979, Flucht und Ankunft im Exil und immer wieder auch an seine Großmutter zurück. Sie ist nicht nur ein Leitmotiv der Erinnerung, sie ist auch die Quelle der Weisheiten und Sinnsprüche, die dem Autor als Gerüst seines Erzählens dienen.

Hang zu pathosgeladenen Sätzen

Al Shahmani bedient sich der Proust’schen Madeleine-Technik, indem er sich vom Geschmack eines Sandwichs, vom Anblick eines Tischs, oder dem Klang eines Wortes in die Vergangenheit tragen lässt. Gegen die Neu-Montage bereits bekannter Erinnerungselemente ist eigentlich nichts einzuwenden, käme nicht ein Hang zu pathosgeladenen Sätzen und – gerade gegen Ende des Romans – ein erstaunlicher Mangel an erzählerischen Einfällen hinzu. Das führt dann zu sehr luftigen Passagen, wie etwa der über das Wandern und die Worte, die der Kriegsflüchtling Dafer in der Schweizer Bergwelt miteinander verknüpft.
„Die Natur half ihm, einen Raum zu entdecken, der ihn zu einer sprachlichen Leichtigkeit führte. Er ließ seine Gefühle durch die Wälder der deutschen Sprache schweben. Beim Wandern bildete er sich ein, dass die Bäume mit ihm sprachen, um seiner Geschichte Worte zu verleihen. Auf Arabisch denken und auf Deutsch schreiben erschien ihm wie ein hinunterfließender Bergbach: Man weiß nicht, was zuerst das Tal erreichen wird, das Wasser oder sein Geräusch. Wandern und Schreiben waren sein Trost geworden und seine Anklage gegen die Flucht aus seiner Heimat, in der er auch nach so vielen Jahren schweigen musste.“
Dass Usama Al Shahmani in seinen stärksten Momenten eine Gratwanderung zwischen arabisch-orientalischer Metaphorik und europäischer Erzählkökonomie bewerkstelligt, hat er in seinen Vorgängerromanen bereits gezeigt. Der subjektive, emotionsgeladene Blick seiner Protagonisten auf die politische und gesellschaftliche Zerklüftung im Irak einerseits und auf die Unruhe und Melancholie im Exil andererseits vermittelt eine eindringliche Vorstellung von Heimatlosigkeit. In „Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt“ läuft Shahmani derweil Gefahr, sein Können an die zunehmend pathetische Umkreisung derselben Motive und Themen zu verschwenden.
Usama Al Shahmani: „Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt
Limmat Verlag, Zürich. 172 Seiten, 26 Euro.